I can't sleep
Won't you speak to me
I'm on dry land
Won't you help me please
(Marillion – Dry Land)
Ja, es traf mich wirklich, dass sie jemand anderen heiraten sollte. Ich wollte nicht, dass jemand so einen Platz in ihrem Leben einnahm. Wenn ich vorher auch nicht gewusst hatte, was Eifersucht war, wusste ich es in diesem Moment. Es machte mich fertig zu wissen, dass sie nicht mir gehören kann sondern jemand anderen. So klischeehaft es sich auch anhört, es brach mir das Herz. Es spielte keine Rolle, dass sie nicht begeistert von der Aussicht war Robert zu heiraten. Es spielte keine Rolle, dass sie mich nicht sehen konnte und es keine Möglichkeit gab, dass wir zusammen sein könnten. Der Schmerz war da und ging nicht weg.
Von meinen jetzigen Standpunkt aus war es lächerlich zu glauben, dass sie je jemand anderen als mich lieben könnte. Heute weiß ich, dass es keine Rolle spielte, dass sie ihn hatte heiraten müssen. Sie gehörte zu mir, auch wenn sie es damals noch nicht wusste, noch nicht wissen konnte.
Es amüsiert mich immer noch, dass ich damals so überreagiert hatte. Heute lache ich über meine Reaktion von damals. Es konnte ja niemand ahnen, wie sich meine Existenz und ihr Leben noch überschneiden würden. Aber wenn ich das gewusst hätte, dann wäre vielleicht doch alles anders gekommen. Wer kann das schon wissen. Vielleicht musste es einfach diesen Verlauf nehmen.
An diesem Abend blieb ich noch länger, beobachtete wie Annabelle mit der Nachricht fertig wurde. Ihrer Mutter gegenüber war sie gefasst, als hätte sie schon gewusst, dass es so kommen musste. Nach dem Essen ging sie in ihr Zimmer und wie schon den ganzen Tag über folgte ich ihr. Sie setzte sich aufs Bett und nach einer Weile kamen ihr die Tränen. Sie weinte und ich konnte sie nicht trösten, obwohl ich nichts lieber gemacht hätte. Ihre Schluchzer war lautlos, aber ich sah ihren Körper zucken. Und zum zweiten Mal an diesem Abend zerriss es mir das Herz. Ich fühlte mich völlig hilflos, dass ich ihr in ihrem Kummer nicht beistehen konnte, weil sie mich einfach nicht wahrnahm.
Nach einer für mich endlosen Weile beruhigte sie sich, stand auf und machte sich fertig fürs Schlafen gehen. Diesmal folgte ich nicht, ich wusste ja, dass sie wieder kommt. Ein wenig Privatsphäre wollte ich ihr lassen, auch wenn ich ihr an diesem Tag sonst keine gelassen hatte. Wenig später kam sie wieder mit offenen Haaren und schon im Nachtgewand. Sie legte sich in ihr Bett, pustete die Kerze aus und kurze Zeit später war sie schon erschöpft eingeschlafen. Ich setzte mich auf ihren Nachttisch und beobachtete sie im Schlaf und überlegte, was ich tun könnte um ihr zu helfen. Und natürlich blieb ich, weil ich in ihrer Nähe sein wollte, auch wenn sie nur schlief. Ich konnte es kaum glauben, wie schnell ich ihr verfallen war.
Es war schon komisch, was ich in dieser Zeit empfand. Heute kommt es mir gar nicht mehr so seltsam vor. Inzwischen weiß ich ja, dass es den Menschen gar nicht so viel anders ergeht als mir.
Mein Problem war einfach nur, dass ich nicht eine Idee hatte, wie ich ihr helfen konnte. Ich konnte nicht in ihr Leben eingreifen. Robert stand nicht auf meiner Liste, als das ich ihn hätte holen können. Das schied also aus. Sie sah mich nicht, also konnte ich ihr auch keinen Mut zu sprechen oder sie für mich zu gewinnen. Ich konnte der Familie auch nicht helfen, was ihren Hof anging. Es war einfach aussichtslos. Jede klitzekleine Idee, die ich in dieser Nacht hatte, musste ich wegen Undurchführbarkeit wieder verwerfen. Es war frustrierend.
Ich blieb aber trotzdem bei ihr bis zum nächsten Morgen. Sie erwachte früh und rieb sich die Augen. Sie hatte nicht gut geschlafen, dass sah man ihr an. Trotzdem schob sie schwungvoll ihre Decke aus dem Weg und stand auf. Ich wandte mich ab, wollte sie nicht in ihrem privaten Bereich stören. Aber sie ging schnurstracks ins Bad, wo sie sich kurz wusch und sich anzog.Dann versorgte sie schnell die Tiere und kam wieder ins Haus, um sich die Hände zu waschen. Ich stand neben ihr und konnte der Versuchung die Arme um sie zu legen nicht widerstehen. Sie fröstelte ein wenig, aber schon weniger als beim ersten oder zweiten Mal als ich sie berührt hatte. Ich wertete das als gutes Zeichen und blieb neben ihr stehen, solange sie vor dem Waschbecken stand. Aber nach viel zu kurzer Zeit waren ihre Hände sauber und sie verließ das Bad.
In der Küche machte sie sich ein Brot und obwohl ich gehen wollte, konnte ich es nicht. Ich versuchte weiter bei ihr zu sein, in der Hoffnung, dass sie spüren würde das jemand für sie da war. Es war lächerlich, aber es war alles was ich in dem Moment für sie tun konnte.
Ihre Hände zitterten leicht, als sie das frische Brot schnitt und den Käse zurecht machte. Ich konnte ihr ansehen, dass der Gedanke an die Hochzeit mit Robert ihr schwer zu schaffen machte. Ich fragte mich langsam, abgesehen von der Tatsache, dass ich nicht wollte das sie zusammen waren, was so schrecklich an dem Mann war. Entweder musste er ein ziemliches Ekel sein oder brutal oder sonst was, das ihr zu schaffen an ihm machte. In all den Jahren habe ich schon viele arrangierte Ehen gesehen und die meisten gingen gut aus, weil sich die Partner mit der Zeit einfach an einander gewöhnt hatten.
Ich wollte ihr sagen, dass es in den meisten Fällen gut ausging, aber sie hörte mich ja nicht. Also folgte ich ihr ins Esszimmer, wo sie heute alleine aß. Ihre Mutter war schon draußen beschäftigt und ich nahm an, dass Annabelle ihr folgen würde, sobald sie gegessen hatte. Aber ich fühlte auch, dass Annabelle froh über die scheinbare Einsamkeit war. Sie wollte alleine sein, das spürte ich ganz genau. Einen winzigen Moment war ich stolz auf mich, dass ich schon so leicht erahnen konnte, was sie fühlte auch wenn ich keine Ahnung hatte, was in ihrem Kopf vorging. Natürlich ignorierte ich trotzdem ihren Wunsch nach Einsamkeit, wenn sie mich nicht sah, dann war ich auch nicht da. Wenigstens ein Vorteil an dieser Tatsache.
Sie spülte ihren Holzteller kurz ab und schaute kurz durch die Hintertür.
„Ich bin eine Weile weg“, rief sie ihrer Mutter zu. Die nickte nur, verstand wohl den Wunsch ihrer Tochter nach Ruhe. Ich begriff, dass es der alten Frau auch Leid tat, dass sie gezwungen war solch einen Schritt zu tun. Wieder fragte ich mich beunruhigt, was so schlimm an diesem Mann war.
Annabelle ging durch die Vordertür und ich ihr hinterher. Ich nahm es ihr nicht übel, dass sie mir die Tür vor der Nase zu machte, sah ich doch wie die Beherrschung, die sie bisher an den Tag gelegt hatte, von ihr abfiel. Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse, die ich nicht deuten konnte und schritt schnellen Schrittes voran.
Je weiter sie vom Haus weg kam, desto schneller wurde sie, bis sie anfing zu laufen. Immer weiter weg von dem Hof. Ihre Atmung wurde schneller und ihre Schritte weiter. Sie hatte Ausdauer, dass musste ich ihr lassen. Sie lief durch das Umland und auf den Fluss zu und irgendwie hatte sie ihre Sorgen hinter sich gelassen. Ihre Gesichtszüge entspannten sich, je weiter sie von ihrem Elternhaus weg war. Ja, sie lächelte schon fast wieder als sie am Ufer ankam. Die Anstrengung, die Sonne, die frische Luft, das Plätschern des Wassers. Ich wusste nicht, was dafür verantwortlich war, vielleicht auch alles zusammen. Sie war wesentlich entspannter als sie an dem Ort ankam, wo ich versucht hatte sie auf mich aufmerksam zu machen. Sie hielt an, stemmte die Hände in die Hüften und pustete einmal kurz und kräftig.
Sie ließ sich nah am Wasserrand nieder, gerade so das ihre Füße oder das Kleid nicht nass wurden. Ich setzte mich neben sie und beide schauten wir aufs Wasser. Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und seufzte leise.
„Warum?“ Flüsterte sie, fast unhörbar und für einen Moment fühlte ich mich angesprochen.
„Weil mir noch nichts eingefallen ist, um dir zu helfen.“ Antwortete ich genauso leise. Dann schwiegen wir beide wieder. Ich wusste, dass sie meine Antwort nicht gehört hatte, aber ich merkte, dass sie wieder unruhig wurde. Sie zupfte einen Grashalm aus und zerrupfte ihn beiden Händen.
„Das ist so ungerecht.“
„Ja, da hast du Recht.“ Mir blieb nichts anderes übrig als ihr zu zu stimmen. Es war ungerecht. Einfach alles.
Lange Zeit hörten wir beide nur das Wasser und die Vögel singen. Wir saßen still am Ufer und bewegten uns nicht. Ich genoss ihre Nähe und sie ließ sich von der Natur beruhigen. Doch die Ruhe wurde bald von lauten Schritten gestört. Annabelle registrierte sie kaum, so versunken war sie in ihren Gedanken. Doch dann erklang eine tiefe, raue Stimme:
„Hier bist du. Deine Mutter sagte mir, dass ich dich hier finden würde.“
Annabelle zuckte zusammen und drehte sich halb zu der Stimme um. Ich sprang nicht auf, man konnte mich ja eh nicht sehen, aber ich erhob mich halb, um den Neuankömmling besser zu sehen. Er hatte braunes Haar und trug teure Kleidung. Man sah ihm an, dass er nicht aus armen Verhältnissen kam. Überrascht war ich nur von den Falten, die seine Stirn und seine Augen schon zierten. Ich hatte mit jemand Jüngerem gerechnet. Zwei Narben hatte er im Gesicht und man sah ihm an, dass er sie im Kampf errungen hatte. Ich mochte ihn von Anfang an nicht.
Annabelle ließ sich von ihm hoch helfen und damit ich besser sehen konnte, stellte ich mich hinter sie.
„Vielen Dank, Herr“, sagte sie kaum, dass sie stand. Ich konnte sehen wie die Hand zuckte, die er berührt hatte. Sie wollte sie an ihrem Kleid abstreifen, aber sie wusste, dass es den Mann treffen würde wenn sie es tat.
„Keine Ursache meine Liebe“, antwortete er mit seiner tiefen Stimme. „Ich freue mich doch immer, wenn ich euch helfen kann.“
Wenn ich was gegessen hätte, dann wäre es mir in diesem Augenblick wieder hoch gekommen. Er klang so falsch und verlogen. Und es kam mir vor, als wäre da ein hämischer Unterton gewesen. Auch Annabelle schien diesen Ton gehört zu haben. Ihr Körper spannte sich merklich an und ich konnte sehen, wie sie die passende Antwort unterdrückte.
Stattdessen fragte sie freundlich aber reserviert: „Ihr habt nach mir gesucht?“
„Ja, ich bin dir hierher gefolgt, um dich wieder nach Hause zu bringen. Wir haben viel zu besprechen.“
„Dann lasst uns gehen“, Annabelle klang energisch, ganz so als wollte sie die Sache schnell hinter sich bringen. Ich konnte die Reaktion voll und ganz nachvollziehen.
„Aber sicher meine Liebe“, Robert grinste sie an und mir lief ein Schauer über den Rücken. Es war so ein falsches, gemeines Grinsen, wie ich es schon lange nicht mehr gesehen hatte. „Dann kommt. Ich führe euch.“ Und mit diesen Worten griff er nach ihren Schultern und ihrem Arm. Er schloss die Augen genießerisch und auch Annabelle machte ihre Augen zu, allerdings eher aus Missfallen als aus anderen Gründen. Sie war steif wie ein Brett kaum, dass seine Hände sie berührten. Am liebsten hätte ich ihn in den Fluss gestoßen, so wütend war ich. Ich wollte ihn anschreien und ihn fragen, ob er nicht sehe, dass sie das nicht wollte. Aber ich wusste, dass es ihm bewusst war und ich hasste ihn mehr als ich je jemanden zuvor gehasst hatte.
Ich blieb am Flussufer als die Beiden langsam wieder zurück in Richtung Hof gingen. Sie hatte sich bei ihm untergehakt und er wandte ihr den Kopf zu. Ich hörte nicht mehr, was sie sagten. In meinem Kopf herrschte ein Sturm der Wut und ich blendete alles aus. Ich wusste nur, dass ich schnell etwas unternehmen musste, wenn ich diese Hochzeit verhindern wollte.
*Fortsetzung folgt*