Dornen des Glücks - oder: Rosen der Liebe 2

  • Dornen des Glücks
    oder:
    Rosen der Liebe 2



    Es war Sommer geworden. Ohne einen Plan, wohin sie gehen sollte, lief das Mädchen durch die Siedlung. Sie musste eine ruhige Stelle suchen, wo sie sich unbeobachtet fühlte. Doch überall waren Häuser. Sie konnte nicht mehr klar denken. "Hoffentlich sieht mich keiner!", sagte sie laut zu sich selbst, als sie sich hinter eine Mülltonne verkroch. Sie zog das Spritzbesteck heraus, das nun schon viele Orte der Welt gesehen hatte, und bereitete alles vor für den Schuss, den sie sich setzen wollte. Sie schnürte ihre Venen mit einem Gürtel ab und suchte mit der stumpfen Nadel nach einer freien Stelle. Ihr ganzer Arm war voll mit blauen Flecken, doch das sah sie schon gar nicht mehr. Endlich hatte sie eine geeignete Vene gefunden und setzte sich den herbeigesehnten Druck. Für einen Moment drohte sie, zusammen zu brechen. Es war wohl doch etwas viel gewesen. Sie schleppte sich gequält ein paar Schritte bis zu ihrem Rucksack, und holte die Wodkaflasche heraus, um einen großen Schluck davon zu nehmen. Dabei fiel ihr Blick auf die Rasierklinge in ihrer Tasche. Endlich erlöst werden, dachte sie. Es wäre nur ein kleiner Schnitt. Dann wäre dieser unendliche Druck weg. Sie war schon lange nicht mehr das Mädchen von früher. Alles, was sie noch hatte, waren unzählige schmerzende Erinnerungen an die Vergangenheit. Sie nahm die Rasierklinge zwischen ihre dünnen Finger und schnitt sich einen langen Schnitt tief in das Fleisch, genau dort, wo die Pulsadern waren. Es blutete fast nicht. Einen Moment lang dachte sie, sie hätte die Ader verpasst. Doch dann schoss das Blut in einem dicken Strahl aus ihrer Ader und ehe sie noch etwas denken konnte, wurde sie ohnmächtig.




    Dies war die Einführung in meine neue Fotostory "Dornen des Glücks".
    Ich hoffe, ich werde hier ein paar neue Leser finden, viel Spaß beim Lesen!
    Eure Moni!

  • Wow O.O
    Das Arme Mädchen,was da wohl früher passiert ist?
    Auf jeden Fall schon mal ein guter und spannender Anfang!:)
    Aber was nicht so gut ist,das keine Bilder dabei sind,heißt ja "Fotostory" nicht "Story":D
    Und es ist ein bissl wenig,wenn man daran denkt dass da Bilder dazugehören^^
    Wenn man alles zusammen zählt ist meine Bewertung 7/10 :-)


    lg Luzy

    [SIZE=4]Ich bin nicht wie die anderen,Ich bin noch viel schlimmer!
    Du lachst über mich weil ich anders bin? Ich Lache über dich weil ihr alle gleich seiht!
    Ich bin hinter einer Maske.
    Eine Maske die niemand sieht.
    Eine Maske die man nicht einfach abnehmen kann.
    Eine Maske die immer siegt.
    Eine Maske die man Liebe nennt.

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  • Huhu!
    Kommen da noch Bilder bzw. auch mehr Text? Ansonsten macht deine Story hier wenig Sinn und wenn du eh ohne Bilder schreibst, schiebe ich dich einfach in den normalen Story Bereich...

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    Wohin gehen Gedanken, wenn man sie verliert?
    Wie klingt ein Lied, wenn es niemand hört?
    [RIGHT]Die toten Hosen - Ertrinken[/RIGHT]
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  • Wenn ich heute darüber nachdenke, wie meine Kindheit war, muss ich sagen: Sie war glücklich. Auch, wenn ich mit meinen sieben Geschwistern in einer Wohnwagensiedlung aufgewachsen bin und wir weiß Gott nicht das schönste Zuhause hatten, waren wir doch allesamt glücklich. Kurz nach der Geburt meiner kleinen Schwester Mathilda starb mein Vater bei einem Unfall. Unsere Mutter musste uns acht Kinder allein durchbringen, und sie konnte uns nicht viel bieten, da sie nie etwas gelernt hatte und von der Stütze lebte. Im Jahre 1988 wurde ich geboren. Ich bin ein Novemberkind, wie meine Mutter immer so schön sagte, und Novemberkinder bringen Glück. Recht viel Glück habe ich meiner Mutter nicht gebracht, dafür aber umso mehr Kummer. Ich war eines der wenigen Kinder meiner Mutter, das zumindest eine Perspektive gehabt hätte, denn ich war klug und hätte wirklich was aus mir machen können. Den Ernst der Lage begriff ich, als mich meine Mutter eines Tages zu Tisch bat. Bei uns war das was besonderes, denn wir redeten normal nicht am Tisch miteinander. Die meiste Zeit verbrachten wir draußen an der frischen Luft, unser Wohnwagen war ohnehin zu klein, um sich zu acht darin aufzuhalten.


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    "Miranda, ich muss dir heute etwas wichtiges sagen." Spätestens jetzt wusste ich, dass es nichts erfreuliches war, denn meinen richtigen Namen sagte Mama nur dann, wenn es wirklich ernst war. An dieser Stelle sollte ich vielleicht erwähnen, dass ich aus einer Familie der Sinti komme. Den meisten ist unsere Zugehörigkeit unter dem Begriff "Zigeuner" bekannt. Es gibt Sinti und Roma, und wir sind eben Sinti.
    "Miranda, du weißt, dass hier bei uns sehr wenig Platz ist. Du bist jetzt vierzehn. Das heißt zwar nicht, dass du schon erwachsen bist, aber immerhin groß genug, um so gut es geht für dich selbst zu sorgen. Du weißt ja, in deinem Alter war ich schon mit deinem großen Bruder schwanger." Ich nickte verständnislos. Wollte sie mich etwa auf die Straße setzen.
    "Ich muss mir etwas einfallen lassen. Dich irgendwo unterbringen. Seit deine Schwester wieder hier wohnt, wird es einfach viel zu eng. Und ich kann sie und die Kleine nicht einfach rauswerfen." Aber mich, oder was? Ich verstand nur Bahnhof. Es war doch schon immer eng gewesen bei uns. Meine große Schwester hatte sich vor kurzem von ihrem gewalttätigen Freund getrennt und war samt ihrer Tochter zu uns gezogen. Wir schliefen nun zu viert in einem Zimmer, doch es störte uns nicht.


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    "Ich werde mich nun mit deinen Brüdern unterhalten, um eine Lösung für dich zu finden, die für uns alle das Beste ist." Sie schickte mich hinaus.


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    Ich setzte mich auf die Schaukel und sah den anderen beim Spielen zu. Meine große Schwester spielte mit ihrer Tochter Zafira und bemerkte mich gar nicht.


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    Alles war so sonderbar. Eigentlich war alles wie immer, und doch spürte ich, dass sich an diesem Punkt mein Leben ändern würde. Einer meiner Brüder war damals in ein betreutes Wohnheim gekommen. Ich weiß noch genau, wie traurig er war, als er fortgeschickt wurde, doch er hatte auch so einiges angestellt. Aber warum gerade ich? Ich war doch immer brav gewesen. Gedankenversunken schaukelte ich und dachte an alles, was ich bisher erlebt hatte.


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    Ich lächelte bei meiner Erinnerung an so manches Fest und war den Tränen nahe, als ich daran dachte, das alles hinter mir lassen zu müssen. Wo sollte ich denn hin? Unsere Familie war riesig, ich hatte bestimmt an die hundert Verwandte, doch ich kannte kaum einen von ihnen. Nur Onkel Rino war mir bekannt, denn er war mein Taufpate. Aber was sollte ich bei ihm? Er hatte eine Frau, und die hatte zwei Kinder, zwar nicht von ihm, aber trotzdem genug. Er brauchte wohl nicht noch eins.
    Da rief mich meine Mutter zurück ins Haus.
    "So, Miranda, wir haben etwas beschlossen. Ich muss es nur noch mit deinem Onkel Rino absprechen, aber er hat es uns schon lange angeboten, dass er dich gerne aufnehmen würde, weil du hübsch und klug bist." Das war das erste Mal, dass mir diese Vorzüge etwas brachten. Erst viel später erfuhr ich, dass dies auch der Grund war, warum meine Mutter mich weg gab. Auch sie erkannte, dass in mir wohl mehr schlummerte, und wollte, dass ich gefördert wurde. Aber damals war mir das noch nicht klar.








  • "Du sollst bei ihm wohnen. Er kann dich auch bei den Hausaufgaben unterstützen und seine Frau ist Lehrerin. Die kann dir bestimmt viel beibringen."

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    Dass ich nicht wie meine anderen Geschwister in die Sonderschule ging, sondern die Realschule besuchte, rechnete mir mein Onkel hoch an. Er selbst hatte Jura studiert und war einige Jahre in dieser Branche tätig, bis er in Frührente ging. Er war richtig stolz auf mich, vor allem, weil er keine eigenen Kinder hatte. Er war wohl zeugungsunfähig, zumindest vermutete meine Mutter das. Der Hodenkrebs hatte ihm die Frührente beschert, und wohl auch seine Kinderlosigkeit.
    Mutter rief bei ihm zu Hause an. "Hallo, ich bin es, Serena. Ja mir geht es gut, aber ich habe eine Frage an dich. Erinnerst du dich noch an das Angebot, welches du uns damals gemacht hast, als Samo gestorben ist?" Natürlich erinnerte er sich. "Ich würde jetzt gerne davon gebrauch machen. Du weißt ja, dass Miranda ein kluges Mädchen ist, und ich weiß auch, dass ich sie nicht ausreichend fördern kann. Deswegen will ich, dass du sie zu dir nimmst. Deine Frau kann ihr bestimmt eine große Hilfe sein, was ich nicht sein kann. Das Schicksal hat mich eben nicht mit einer großen Intelligenz gesegnet." Onkel Rino war der Bruder meines Vaters. Deshalb liebte er mich wohl so. Er beteuerte stets, dass ich ihm bis aufs Haar glich. Nach dem Telefongespräch erklärte mir meine Mutter alles noch mal, so als hätte ich es nicht eben selbst gehört. "Wir können morgen zu ihm kommen. Er nimmt dich gerne auf. Doch seine Frau ist sehr streng. Sie verlangt viel von dir, und das weißt du auch. Für sie ist es wichtig, dass eine Frau im Haushalt mithilft und gut kochen kann, aber auch, dass ein junges Mädchen wie du sich sittlich benimmt und klug ist." Das verlangte meine Tante also. Es gab gar keine Widerrede. Es wurde verlangt, und damit aus.

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    "Mama, warum machst du das? Ich will das doch gar nicht! Ich will hier bei dir und den anderen bleiben! Ich habe doch schon immer hier gelebt, und habe mich nie beschwert." Nun wurde meine Mutter wütend. Widerworte eines ihrer Kinder duldete sie nicht. Sie wollte immer, dass alles nach ihr ging, und so geschah es auch. Sie schrie mich an. "Du wirst das tun, was ich dir sage. So war es schon immer und so wird es immer sein, solange ich deine Mutter bin. Und denke nicht, dass du dich stur stellen kannst. Du bist mein Kind, und ich bin deine Mutter. Das heißt, dass du das tust, was ich dir sage."

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    Sie wurde immer wütender. "Denkt ihr denn, dass mir das leicht fällt? Ich musste euch alle ganz allein groß ziehen. Niemand hat mich gefragt, ob ich das will, ob mir das recht ist. Und ich habe mich nie beschwert und immer mein Bestes gegeben. Ich kann eben nicht mehr als das bisschen. Mehr kann ich nicht. Ich kann es einfach nicht." Sie war den Tränen nahe. Dann sah sie mir direkt in die Augen. Ich bemerkte zum ersten Mal, dass sie alt geworden war. Die Kummerfalten zeugten von einem schweren Leben. Lachfalten sahen anders aus. Ich versuchte, sie zu verstehen, doch ich war wohl noch zu jung, denn ich konnte es nicht. Schließlich nahm sie mich in den Arm.

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    "Es tut mir leid, Miranda. Ich muss es tun. Nur so hast du eine Chance, hier raus zu kommen. Es ist besser für uns alle. Sieh dir deine Brüder an. Was denkst du, was aus ihnen wird? Glaubst du, sie werden es mal zu etwas bringen? Doch ich kann sie nicht wo anders unterbringen, denn niemand will sie aufnehmen. Alle haben Angst davor. Jeden Samstag die Polizei im Haus zu haben, weil sie wieder irgendwas angestellt haben, ist nicht unbedingt das, was sich anständige Leute wünschen. Und deine Schwestern... du weißt ja selbst, wie das bei ihnen ist." Ja ich wusste es. Jeder redete über sie, wobei sehr böse Worte fielen, die ich nicht hören wollte. War ich wirklich das einzige Kind meiner Mutter, das eine Chance hatte? Ich wollte ihr so gern glauben.

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    Am Abend, als es Zeit fürs Bett wurde, brachte meine große Schwester ihre Tochter ins Bett. Es sah lieb aus, wie sie sie ins Bett legte, und ich konnte gar nicht glauben, dass ein Kind etwas anderes als Glück bringen konnte. Damals, als meine Schwester mit siebzehn schwanger wurde, war ich die einzige, die sich gefreut hatte. Ein Kind war für mich etwas schönes, und der Gedanke, Tante zu werden, erfüllte mich mit Stolz. Seither war meine Schwester viel erwachsener geworden. Ihre Tochter war nun zwei Jahre alt und wirklich sehr süß.



  • Da kam sie auf mich zu und nahm mich liebevoll in den Arm. "Ach, kleine Schwester, du warst immer da, wenn ich dich gebraucht hab. Du warst die einzige, die nie mit mir geschimpft hat und mich nie gehasst hat, obwohl ich so viel Mist gemacht habe."

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    Ich sah zu Zafira hinüber. "Nennst du das süße Ding da etwa Mist?", fragte ich sie und sie lächelte. "Nein, natürlich nicht. Aber du weißt ja, wie ich es meine." Ich nickte. "Mach dir keine Sorgen, morgen bringe ich dich zum Onkel und dann wird alles gut. Irgendwann wirst du sehr erfolgreich sein und dann kannst du uns alle auslachen, weil wir so dumm sind." Wir lachten beide, und langsam wurde mir klar, dass dies der letzte Tag in der Wohnwagensiedlung sein würde. Mir war gar nicht wohl bei dem Gedanken und ich schlief sehr schlecht. Am nächsten Tag packte ich mein Zeug. Ich sollte mich von allen verabschieden. Es brach mir das Herz. Onkel Rino wohnte zwar nur etwa 50 Kilometer weit weg, aber ohne Auto war das eine sehr lange Strecke.

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    Ein letztes Mal schaukelte ich auf meiner Schaukel und warf einen letzten Blick auf die Wohnwagensiedlung. Alles war wie immer. Ich dachte damals, dass sich wohl auch nie etwas ändern würde.

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    Die einzige Veränderung war der Anschluss an das städtische Wassersystem und die Bebauung der Umgebung mit allen möglichen Pflanzen. Alles andere kannte ich seit meiner Kindheit. Da war der Grillplatz, an dem wir so manches mal Gruselgeschichten erzählt hatten und uns dann selbst nicht mehr ins Dunkel getraut haben.

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    Und dann war da noch der Spielplatz, den wir alle, egal ob groß oder klein, liebten. Unsere Nachbarn, mit denen wir stritten und uns versöhnten, von denen wir uns Sachen borgten und mit denen wir alles teilten. Auch sie waren schon immer hier. Keiner zog fort. Es kamen höchstens ein paar Babys dazu, die alle hier geboren wurden.

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    Da war auch noch ein Junge, der immer hier her kam, und dieser Junge war mein Schwarm. Das alles musste ich nun hier lassen.
    In unserem Wohnwagen wurde ich noch einmal von allen geherzt und umarmt. Sie wünschten mir viel Glück und freuten sich für mich. Ich freute mich ganz und gar nicht. Ich weinte aber nicht, denn weinen war nicht das, was ein Mädchen wie ich tat. Ich war stark. Und das musste ich auch sein.

  • Du kannst deine Fortsetzungen jetzt auch in einen Beitrag packen. Die Bildergrenze liegt nun bei 50 Bildern :)

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    Wohin gehen Gedanken, wenn man sie verliert?
    Wie klingt ein Lied, wenn es niemand hört?
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  • Ich erkundige mich deswegen :)

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    Wohin gehen Gedanken, wenn man sie verliert?
    Wie klingt ein Lied, wenn es niemand hört?
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  • Es war bereits Sonntag Abend, als wir bei Onkel Rino ankamen. Ich und meine Schwester Maida waren mit dem Zug zu ihm gefahren. Ein Auto besaßen wir nicht. Der Wohnblock, in dem Onkel Rino lebte, befand sich in einer ruhigen Gegend, die mit Reihenhäusern und modernisierten Wohnblöcken geschmückt war. Es war sicherlich nicht schlecht hier, doch ich war eben meine Wohnwagensiedlung gewöhnt und fühlte mich auf Anhieb unwohl.


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    Als wir dann schließlich eingelassen wurden und mit dem Aufzug in den dritten Stock fuhren, wurde mir immer mulmiger. Ich wollte hier nicht bleiben. Meine Schwester sollte mich wieder mit nach Hause nehmen. Aber ich wusste, dass es kein zurück gab.


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    In Null Komma nichts standen wir bei den Kedcins im Flur und Maida besprach alles mit meiner Tante, die mir bis dato immer sehr freundlich erschienen war. Doch heute war sie irgendwie ganz anders. "Ich will nicht, dass dieses Kind Schande über unsere Familie bringt, Maida. Nur weil deine Mutter nicht im Stande ist, mit ihren Kindern zurecht zu kommen, heißt das noch lange nicht, dass sie die Verantwortung an uns übergeben kann. Maida wirkte verwirrt.


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    "Ich dachte, es wäre alles mit Onkel Rino abgesprochen. Wo ist er denn?" Meine Tante wies Maida ins Esszimmer, wo mein Onkel voller Lebenslust mit Spickern auf eine Scheibe warf. Dann wandt sie sich mir zu. "So, mein Fräulein, dass eins mal klar ist, du bist hier nicht im Hotel Mama, das heißt, du kannst dich hier nicht einfach auf die Couch sitzen und fern sehen. Bei uns wird gearbeitet!"


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    Ich sah zu Maida und Onkel Rino hinüber und versuchte, mitzuhören, was sie redeten. "Ich bin froh, dass Miranda da ist. Es freut mich wirklich sehr, Maida. Du darfst Berta nicht so ernst nehmen, sie sagt öfter Dinge, die sie nicht so meint. Im Grunde genommen ist sie eine ganz liebe. Sie will so gern ein Kind von mir, weißt du. Ich gebe mein bestes, aber es will einfach nicht gelingen. Du weißt ja... der da unten spielt nicht mehr so mit wie ich will." Maida errötete leicht. In dem Moment wurde ich von meiner Tante apprupt aus den Gedanken gerissen. "Und, was kannst du alles? Kannst du kochen?" Ich schüttelte den Kopf. "PAH!", rief sie entsetzt. "Du kannst NICHT kochen?", schrie sie förmlich.


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    Dann beruhigte sie sich. "Nun gut, was soll man denn auch erwarten, dann werden wir es dir eben lernen." Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass das die selbe Frau war, die ich von vorher kannte. Sie war immer so nett gewesen. Anscheinend hatte sie heute einen schlechten Tag. "Ich weiß auch gar nicht, wo du schlafen sollst. Ein eigenes Zimmer können wir dir auf alle Fälle nicht bieten." Ich wollte schon sagen, dass ich das sowieso nicht wollte, und dass ich noch nie alleine geschlafen hatte, aber ich dachte mir, das wisse sie ja sowieso und würde sie nur noch mehr verärgern. "Bei meiner Tochter kannst du allerdings auch nicht schlafen." Warum denn nicht, dachte ich mir. Ihre Tochter war zehn Jahre alt und ich verstand mich sehr gut mit ihr. Ein Zimmer mit ihr zu teilen wäre bestimmt lustig geworden.





  • "Bei meinem Sohn kannst du selbstverständlich auch nicht schlafen, aber das wird dir ja wohl selbst einleuchten." Was sollte mir einleuchten? Ich verstand nur Bahnhof. Zwar hatten meine drei Brüder auch ihr eigenes Zimmer und schliefen nicht bei uns Mädchen, aber doch nur, weil sie schon älter waren.


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    Ich sagte aber nichts dazu. Maida stand nun wieder neben mir und lauschte mit mir den Anweisungen unserer Tante. Sie trug heute ein durchsichtiges Oberteil, welches mich peinlich berührte. Man konnte ihren BH sehen. Maida schien das auch zu bemerken und grinste amüsiert. Als Berta dann schließlich fertig war, beschloss sie, dass Maida nun gehen sollte. Trotz all meiner guten Vorsätze machte ich nun doch einen kleinen Aufstand. "Nein, Maida, lass mich nicht alleine. Ich will nicht hier bleiben." Doch sie blieb hart. "Es tut mir leid. Ich mache nur das, was Mama will. Und sie weiß immer, was das Beste ist." Ich nickte, schluckte die Tränen hinunter und blieb allein zurück.


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    Ich sah ihr nach, wie sie durch die Tür ging. Komm zurück, dachte ich. Lass mich hier nicht allein. Merkst du nicht, dass ich hier Angst habe. Die Frau ist doch verrückt. Maida, ich bitte dich, dreh um und nimm mich wieder mit. Doch sie erhörte meine Gedanken nicht. Ich lief ihr nach. Ich konnte sie nicht einfach gehen lassen. ich wollte ihr noch so viel sagen. Dass ich sie lieb hatte, dass ich nicht allein hier bleiben wollte, dass ich meine Nichte vermissen würde... Doch da kam auch schon der Aufzug.


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    Ohne zu zögern und ohne zurück zu schauen betrat sie das komische enge Ding und fuhr nach unten. Ich fühlt mich so leer wie noch nie zuvor. Berta schrie mir ein lautes "Mach die Tür zu!" nach, und ich schloss sie. "Ich habe dir das Sofa bereit gemacht. Die Wohnung zeige ich dir Morgen. Falls du noch was brauchst... Ach, was solltest du schon brauchen. Wir gehen jetzt ins Bett. Gute Nacht und mach keinen Krach. Und morgen wird gewaschen. Als erstes dich selbst, und dann die Wäsche!" Onkel Rino wünschte mir keine gute Nacht. Er war auf einmal auch ganz anders. Kein einziges Wort hatte er zu mir gesagt, und auch die beiden Kinder waren nicht erschienen. Traurig legte ich mich aufs Sofa. Es war bequemer als mein Bett zu Hause, doch ich wusste, dass ich diese Nacht nicht ein einziges Mal gut schlafen würde, und genau so war es auch.


    Am nächsten Tag geschah alles so, wie Tante Berta das haben wollte. Zuerst nahm ich das mir verschriebene Bad. Sie wollte, dass ich mir mit einem komischen Mittel den Kopf wasche. Zur Entlausung. Ich hatte noch nie Läuse gehabt. Sie sah mir zu, wie ich mich wusch. Es war mir sehr peinlich. Noch nie hatte ich mich vor einer fremden Person ausgezogen, und sie war für mich fremd. Dann sollte ich die Wäsche waschen. Noch nie zuvor hatte ich das getan. Meine Mutter brachte die Sachen immer in die Wäscherei, da wir selbst keine Waschmaschine hatten. Ich stopfte alles in die Maschine, bis nichts mehr Platz hatte. Vom Farben trennen hatte ich im Leben noch nichts gehört.


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    Doch dann traf mich der Schlag: Die ganze Wäsche war verfärbt. Auweia, dachte ich, wenn das die Berta sieht. Natürlich konnte ich das nicht lange vor ihr verbergen. Sie sah das Desaster und war schrecklich wütend. "Kannst du denn überhaupt irgendwas, du dummes Kind? Dein Onkel sagte mir, du wärst so begabt, doch bis jetzt habe ich noch nichts davon gemerkt." Sie keifte und schimpfte, bis sie heiser war.


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    "Du dummes, nichtsnutziges Kind! Sogar meine Tochter mit ihren zehn Jahren ist in der Lage, Wäsche zu waschen, nur du nicht. Was kannst du eigentlich, was? Nun sag schon!" Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. "Nichts kannst du. Du bist zu nichts zu gebrauchen. Was willst du denn später mal machen? Bestimmt nichts, was Köpfchen erfordet, denn du bist dumm wie Stroh!"




  • Nun teilte sie mich zum Wäsche aufhängen ein. "Das wirst du ja wohl auf die Reihe kriegen." Und so machte ich nun auf dem Balkon der Kedcins das erste Mal Bekanntschaft mit Herrn Wäscheständer und Frau Voller Wäschekorb. Wir würden wohl keine Freunde werden.


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    Es machte mir überhaupt keinen Spaß. Ich merkte selber, wie verzogen ich eigentlich war. Das war mir vorher nie aufgefallen. Zu Hause hatte ich nie irgendetwas tun müssen. Alles hatte meine Mama gemacht. Wir Kinder spielten draußen oder waren in der Stadt unterwegs.
    "Habt ihr nur eueren Spaß, Kinder. Arbeiten müsst ihr noch früh genug.", hatte Mama immer gesagt.



    Schon bald hatte ich die ganze Wäsche aufgehängt. Ich war zufrieden mit mir. Ich ging hinein, um zu sehen, wo denn nun die anderen waren. Noch immer hatte ich keinen von ihnen zu Gesicht bekommen. Da Ferien waren, nahm ich an, dass sie noch schliefen. Ich klopfte an Tills Zimmer. "Herein!", tönte eine tiefe Stimme mir entgegen, die unüberhörbar im Stimmbruch war. Ich trat ein. "Hallo, Mira.", sagte er freundlich. Wenigstens der war normal, dachte ich mir. Er lag in seinem Sessel und sah mich an. "Na, gefällts dir bei uns?" Ich nickte.


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    Eine Notlüge, wie ich fand. Ich konnte ja schlecht sagen, dass seine Mutter eine Verückte war. "Wie machst du das eigentlich mit der Schule?", fragte er mich. Ich hatte an nichts gedacht, war einfach in diese Situation hineingeworfen worden. "Keine Ahnung.", gestand ich. "Ich werde mich ummelden müssen. Es sind ja Sommerferien." Er grinste. "Kann ich noch gar nicht glauben dass du jetzt hier wohnst. Wir haben doch gar keinen Platz." Der soll mal zu uns nach Hause kommen, dachte ich. Aber er war eben aus "gutem Hause" und nicht gewohnt, mit vielen Menschen auf engstem Raum zusammen zu leben.


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    "Naja, momentan schlafe ich noch auf der Couch, aber vielleicht krieg ich schon bald nen Platz unterm Tisch." Er lachte laut. Zu laut, denn in diesem Moment rief Berta nach mir. "Miranda, wo bist du denn schon wieder? Wehe ich finde dich vor dem Fernseher." Till grinste mich an. "Ach, Mama, sie ist nur hier bei mir." Das brachte Berta nun total aus der Fassung. Sie kam ins Zimmer gestürmt. "Hinaus mit dir!", schrie sie mich an. "Was fällt dir eigentlich ein?" Ich verstand diese Frau einfach nicht.


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    Später machte sie mich dann noch mal richtig zur Schnecke. "Ich habe gesehen, wie du ihn ansiehst.", warf sie mir an den Kopf. "Halte dich von meinem Sohn fern. Der hat etwas besseres verdient als DICH." Sie spukte das "dich" förmlich aus, als wäre es Dreck. "Wenn ich dich noch einmal allein mit ihm in seinem Zimmer erwische, kannst du dich auf was gefasst machen." Na toll, dachte ich, das fängt ja gut an. Ich lebe in einer Wohnung mit vier Menschen und darf mit keinem von ihnen reden.


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    Sie schimpfte immer weiter und weiter, anscheinend war ich der einzige Störfaktor in ihrem Leben. "Ich weiß genau, was du willst, du kleines Miststück. Oder besser gesagt, was deine hinterlistige Mutter will. Sie weiß, dass mein Mann mir kein Kind machen kann, und hofft, dass er alles an dich vererben wird." Ich hatte keine Ahnung, dass es so schlecht um Onkel Rino stand, dass man schon vom Sterben reden kann. Sicher, er hatte diesen Krebs, doch ich war der Meinung, er wäre fast besiegt. "Deine Mutter weiß, wie sehr Rino dich liebt, nur weil du aussiehst wie dein Vater. Und sie weiß auch, dass er eher dir alles vererben würde, als meinen beiden Kindern, die nicht mal im entferntesten mit ihm verwandt sind. Blutsverwandt, das ist das einzige, was bei euch Zigeunern zählt." Das wenn meine Mutter hören würde, dachte ich. Sie würde mich sofort zurück holen. Doch sie hörte es nicht, und das war vielleicht auch besser so. "Ich will euer Geld nicht, und meine Mutter will euer Geld bestimmt auch nicht. Du denkst so schlecht von uns, was haben wir dir denn getan?" Sie gab mir keine Antwort darauf.




  • Das mit Tante Berta wurde immer schlimmer. Sie erlaubte mir fast nichts, und als die Schule wieder anfing, hatte sie auch kein Erbarmen mit mir. Ihre Tochter Steffi durfte einfach alles, nur ich musste den ganzen Tag putzen.
    Sogar Steffis Zimmer musste ich aufräumen, wenn ich es auch so nie betreten durfte.


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    Sie kam sich vor wie eine Prinzessin. "Du musst meine Klamotten neu einsortieren.", sagte sie eines Tages zu mir. "Die Hälfte passt mir nicht mehr oder sollte gebügelt werden. Ich zeig dir dann, welche Sachen ich nicht mehr brauche. Die kannst du dann zur Altkleidersammlung bringen." Von einem Mädchen, das jünger ist als ich, wollte ich mir so etwas einfach nicht gefallen lassen. "Kannst du das denn nicht selbst, Steffi?", fragte ich sie.


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    Doch Steffi schüttelte nur verständnislos den Kopf. "Mama hat gesagt, du kannst das machen, ich muss nämlich noch Hausaufgaben machen." Ich wurde immer wütender. "Was denkt sich deine Mutter dabei nur? Denkt sie etwa, ich muss das nicht machen? Ich muss mich auf den Quali vorbereiten. Aber das interessiert sie ja nicht."


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    Ich wollte nicht länger in diesem Chaotenhaus bleiben. Drei Monate lebte ich nun schon hier. Ich beschloss, meine Mama anzurufen. Nach einer halben Ewigkeit nahm endlich jemand den Hörer ab. Es war meine kleine Schwester. "Gib mir bitte Mama.", bat ich sie. Ich hörte, wie sie nach ihr rief, und bekam prompt Sehnsucht nach zu Hause. Dann kam meine Mama an den Hörer. "Hallo, Mira, wie geht es dir?" Ich überlegte kurz. "Mama, es geht mir gar nicht gut. Es ist schrecklich hier. Du würdest diese Leute hier nicht wieder erkennen. Bitte Mama, egal was ich tun muss, ich mach alles, aber hol mich wieder nach Hause." Meine Mutter sagte nichts. "Mama? Hörst du mich?" Sie atmete laut in den Hörer. "Die Verbindung ist schlecht, Mira. Es ist schön, dass es dir gut geht. Ich muss jetzt aufhören. Machs gut." Dann legte sie einfach auf. Ich wusste nicht, was da gerade in sie gefahren war, aber das konnte nicht meine Mama gewesen sein. So kalt und herzlos und vor allem so verlogen habe ich sie bis dahin noch nie erlebt. Warum log sie mich an? Ich verstand die Welt nicht mehr.


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    Da kam plötzlich Berta in den Raum. "Ich habe alles mit angehört, du kleines nichtsnutziges Stück Dreck. Denkst du, du kannst uns hier in unserem eigenen Haus schlecht machen? Ich werde dafür sorgen, dass du so bald es geht wo anders unter kommst. Das garantiere ich dir! Du wirst dieses Schuljahr zu Ende bringen und dann werde ich dir eine Lehrstelle suchen, die deinen Qualitäten entspricht." Sie grinste böse, und da wusste ich, dass mich nichts Gutes in naher Zukunft erwarten würde. Heute weiß ich selbst nicht mehr, wie ich dieses Schuljahr heil überstanden habe, aber Fakt ist, ich HABE es überstanden.


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    Mit Till habe ich mich immer gut verstanden, auch wenn seine Mutter alles dafür getan hat, dass ich mich von ihm fern halte. Ich bin mir sicher, wenn sie nicht gewesen wäre, wären wir ein Paar geworden. Ich spürte, dass er mich auch mochte. Doch es kam einfach nie dazu. Berta war immer direkt in meiner Nähe. Vielleicht war es besser so.

  • Die einzigen schönen Momente im Hause Kedcin waren die Sonntage, an denen wir alle zusammen am Tisch saßen und zumindest alles so schien, als wären wir eine Familie. Ich wurde zwar nicht in die Tischgespräche miteingebunden, aber manchmal gab ich doch den ein oder anderen Kommentar ab, und Onkel Rino war sehr begeistert von mir.


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    "Wie klug du doch bist, Mira. Wenn dein Vater dich reden hören würde, wäre er sehr stolz auf dich.", verkündete mein Onkel. Berta platzte dann fast vor Wut. Ich hörte sie danach immer mit Rino schimpfen. "Warum lobst du dieses dumme Kind immer? So kommt sie sich noch vor, als wäre sie etwas Besonderes!" Rino lachte dann meistens. "Ach, Berta, glaub mir, sie IST etwas Besonderes."


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    Nach solchen Gesprächen konnte man den ganzen Tag nichts mehr mit Berta anfangen. Nur in der Nacht hörte man dann wieder ihre verzweifelten Versuche, Rino dazu zu bewegen, ihr endlich ein Kind zu machen, damit sie ihn auch rechtlich an sich binden konnte. Doch irgendwie wollte es einfach nicht klappen. Damals kannte ich ihre grausamen Pläne noch nicht, die sie in ihrem kranken Hirn austüftelte, doch glauben Sie mir, es ist unvorstellbar für jeden von uns. Dass ich ihr ihre Pläne durchkreuzte, leuchtete mir auch erst viel später ein.


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    Eines schönen Tages zog mich Rino dann in die Küche. "Ich muss etwas mit dir besprechen, Miranda." Wieder einer, der meinen Namen aussprach. Auch diesmal sollte es nichts gutes verheißen. "Berta hat etwas geplant. Ich weiß nicht, ob du darüber erfreut sein wirst. Darum schildere ich es dir mal aus meiner Sicht: Du kennst doch das Gasthaus zur Linde, oder?" Ich nickte schnell. "Ja klar kenn ich das. Ist ja direkt neben uns."
    Rino sprach weiter. "Berta hat bei der Wirtin gefragt, ob du dort eine Ausbildung zur Köchen machen könntest." Ich war geschockt. Das war das allerletzte, was ich wollte. "Wie kann sie nur so etwas tun? Sie weiß doch, dass ich kochen hasse!"


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    Rino lächelte mich versöhnlich an. "Nimm es ihr nicht übel, sie hat es dir bestimmt nur gut gemeint. Ich habe ihr gesagt, wenn sie dich schon fortschicken will, dann will ich wenigstens, dass du eine eigene Wohnung bekommst. Du bist jetzt fünfzehn Jahre alt, und ich denke, dass du auf eigenen Beinen stehen kannst. Doch Berta war damit nicht einverstanden, darum hat sie die Wirtsleute gefragt, ob du nicht dort ein Zimmer nehmen könntest. Sie waren damit einverstanden. So hast du mehr Freiraum, kannst aber dennoch keine Jungs mit aufs Zimmer nehmen, um ähnliche Unfälle wie den deiner Schwester zu vermeiden." Wieder grinste er auf diese seltsame Art und Weise, als wollte er das eben gesagte entschuldigen.


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    In diesem Moment kam Berta in den Raum und hantierte in der Küche herum. Sie wischte die Küchenzeile ab. Das hatte sie noch nie zuvor getan. Ich wusste genau, dass sie nur neugierig war, was Rino mir zu sagen hatte. Er ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen. "Nun, wie dem auch sein mag, du wirst wohl deine Sachen packen müssen. Im September fängt die Lehre an. Wir haben August, wie du weißt. Lange ist also nicht mehr hin. Deine Mutter weiß auch bescheid."
    Meine Mutter... Was sollte ich von ihr noch halten, nach allem, was geschehen war? Sie hatte mich einfach links liegen lassen. Ich wollte gar nicht mehr an sie denken, so enttäuscht war ich. Die einzige, die sich noch um mich sorgte, war meine Schwester Maida. Sie rief ständig an und erkundigte sich, wie es mir ginge. Sie hatte mittlerweile eine eigene Wohnung, die sie sich mit meinem Bruder Jackie teilte. Auch ihre kleine Tochter war bei ihr. Aber dazu später mehr.

  • Der August ging schnell vorbei, und schon war September. An dem Tag, an dem ich bei den Kedcins auszog, atmete ich einerseits auf, endlich aus diesem Irrenhaus raus zu kommen. Doch andererseits wusste ich auch nicht recht, was mir im Gasthaus zur Linde bevor stand.


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    Das Gasthaus zur Linde war ein sarniertes Gebäude aus den frühen dreißiger Jahren. An seinem Zustand konnte man fest machen, dass die Inhaber nicht unbedingt schlecht gestellt waren. Es lag außerdem direkt neben der Kirche, was vor allem Sonntags die Wirtsstube füllte.


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    Tante Berta begleitete mich zu meiner neuen Arbeitsstelle. Sie wollte sichergehen, dass ich nicht irgendwo anders hin ging. "Und wehe dir, du bringst Schande über uns. Führ dich anständig auf, dann wirst du auch Spaß an deiner Arbeit haben." Wir standen jetzt mitten im Gasthaus. Die Besitzer würden uns schon hören, hatte Tante Berta gesagt. Doch niemand kam. Schließlich klopften wir an die Tür, auf der "Nur Personal" stand, und da wurde sie auch schon geöffnet. Eine rundliche, alte Frau stand vor uns. Das war die Wirtin. Ich kannte sie schon, hatte sie mir aber noch nie so genau angesehen. Sie war freundlich, auch jetzt, und das war schon mal ein guter Anfang. Da kam auch ihr Mann dazu. Der alte Greis setzte sich immer zu seinen Gästen und erzählte ihnen von vergangenen Zeiten. Man merkte bei den beiden, dass sie immer noch sehr verliebt ineinander waren, und das gefiel mir.


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    "Du bist also Miranda." Die Wirtin musterte mich. "Berta hat mir gar nichts von deiner dunklen Haut erzählt." Ich schluckte. "Das ist natürlich in einem bayerischen Wirtshaus wie dem unseren nicht gerade eine gute Sache." Tante Berta versuchte, sich zu rechtfertigen.




    "Ach was, Helga, du weißt doch, dass die jungen Mädchen ihre Freizeit nur noch im Solarium verbringen. Das vergeht wieder, wenn der Winter kommt." Ich war noch nie in meinem Leben in einem Solarium gewesen, und auch draußen war ich fast gar nicht mehr, weil Tante Berta es mir nie erlaubt hatte. Die Wirtin nickte nur stumm und sah mich weiterhin an.


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    "Dünn ist sie.", stellte der Alte fest. "Sie wird in einem Dirndl nicht gut aussehen." Das war wohl wahr. Ich war dünn, aber ich hatte das nie als Nachteil angesehen. "Sie wird schon zunehmen, bei eurem guten Essen." Tante Berta schenkte den Wirtsleuten ihr schmeichelndstes Lächeln. Die freuten sich. "Bis es so weit ist, werden wir sie wohl in der Küche verstecken müssen. Danach, wenn sie ein wenig heller und dicker geworden ist, können wir sie ja rausschicken." Die Wirtin grinste mich an. Ich grinste frech zurück.


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    Nun war auch sie mir unsympathisch. Sie redete von mir, als wäre ich gar nicht da. "Du kannst jetzt mit unserem Schwiegersohn hoch gehen. Er wird dir dein Zimmer zeigen.", sagte die Wirtin. Da kam er auch schon herein, ein großer Mann, den ich auf anfang dreißig schätzte. "Hallo, ich bin Hubert. Komm doch einfach mit, ich zeige dir dein Zimmer." Berta blieb noch bei den Wirtsleuten, und ich folgte ihm.






  • Der Schwiegersohn der Wirtsleute zeigte mir also mein Zimmer. Es war viel schöner, als ich erwartet hätte, und das machte die Situation schon etwas leichter.


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    Ein großes Bett füllte die Hälfte des Raumes aus, ein Bücherregal und ein Tisch die andere. Auch ein großer Spiegel zierte die Wand. Ich setzte mich an den Tisch, der unter dem einzigen Fenster im Raum stand, und sah hinaus. War das hier wirklich das, was ich wollte? Meine Mama hatte immer gesagt, man solle für alles im Leben offen sein. Und ich war offen. Offen für alles. Es wäre mir einfach alles recht gewesen, nur um von dieser schrecklichen Familie wegzukommen. Vielleicht würde es hier gar nicht so schlecht werden. Ich legte mich aufs Bett mit einem der Bücher, die in dem Regal standen, und begann zu lesen.


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    In dem Moment kam Berta in den Raum. "Ist doch super hier, findest du nicht? Hier wird es dir bestimmt gut gehen. Und an Essen mangelt es dir hier ja wohl sicher nicht. Deine Mutter wäre stolz auf mich, wenn sie das hier sehen könnte." Ich legte das Buch beiseite. "Willst du nicht mit nach unten kommen und deinen neuen Chefs ein wenig Gesellschaft leisten?" Eigentlich hatte ich dazu keine Lust, aber ich nickte und setzte mich langsam im Bett auf. Sie lächelte, was bei dieser Frau nicht sehr oft vorkam, wenn sie mit mir allein war. Sicher war sie froh, dass sie mich endlich los war.


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    "Aber eins muss ich dir noch sagen, Miranda. Es ist ein Glück, dass wir diese Stelle gefunden haben für dich, doch du musst dich auch beweisen hier. Es geht hier nicht so locker zu wie bei uns zu Hause. Hier ist ständig was los, und man muss flink sein in diesem Geschäft. Also leg endlich deine Trägheit ab und seh zu, dass du hier dein Bestes gibst!"


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    Ihre Moralpredigten hingen mir zum Hals raus. Ich wusste selber, dass ich faul war und dieses Laster nur schwer unterdrücken konnte. Aber ihre Anweisungen zauberten diese Angewohnheit auch nicht weg. Ich sah einfach keinen Sinn darin, mir für irgendetwas Mühe zu geben. Wo ich einmal hin wollte, hatte mich mein Onkel immer gefragt. Was ich aus meinem Talent machen wollte. Doch ich konnte keine Antwort darauf geben, denn ich wusste es selbst nicht.


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    So gingen wir also nach unten und ich lernte die ersten Arbeitsschritte der Gastronomie kennen. Ich merkte, dass mich die Wirtin von Anfang an abgestempelt hatte. Ihre Sympathie für Berta zeigte sofort ihre Antipathie für mich. "Faules Zigeunerpack.", dachte sie sich bestimmt. "Wie kann eine so feine Frau wie Berta sich nur mit einem solchen abgeben." Damit würde sie meinen Onkel meinen. Zumindest malte ich mir das in meinen Gedanken so aus, auch wenn sie es nie aussprach.


  • Insgesamt verbrachte ich nur drei Monate in dem Wirtshaus. Es war genau so, wie ich es mir gedacht hatte, denn die Wirtin hatte wirklich etwas gegen mich. Ständig kam meine Tante, aber nicht, um nach mir zu sehen, sondern um schlecht über mich zu reden. Sie hetzte die Wirtin gegen mich auf. Nichts konnte ich mehr recht machen. Sogar das Kartoffelschälen wurde schon zum Streitthema. Der einzige, der mich mochte, war der alte Wirt. Er erzählte mir auch stets, was meine Tante über mich sagte. Ich las ihm an den freien Nachmittagen aus der Zeitung vor, und das mochte er. "Deine ruhige Stimme bringt mich zum Träumen, Maria." Leider konnte er nicht mehr gut sehen, und meinen Namen konnte er sich auch nicht merken, doch das war mir egal.


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    "Gestern war deine Tante wieder da, und hat meiner Frau einige bizarre Geschichten von dir erzählt. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass das, was sie sagt, wahr ist. Soll ich dir mal was sagen, Maria? Ich mag diese Frau nicht." Ich grinste hämisch in mich hinein. Einer, der sie durchschaut hatte. Ja, ich mochte ihn. Doch irgendwann hielt ich es auch hier nicht mehr aus. Keinen einzigen Tag hatte ich frei, ich hatte keine Freunde und durfte auch keine haben. Und wirklich etwas lernen konnte ich hier auch nicht. Vom Kartoffelschälen lernt man eben nicht das Kochen.


    Eines Tages ging ich nach einem Streit einfach nach draußen. Ich wusste zuerst gar nicht, wo ich denn hingehen sollte, doch dann entschied ich mich, zu meiner Schwester zu gehen. Aus Briefen und Telefonaten wusste ich, wo sie wohnte. Ich war zwar noch nie dort, wo sie nun lebte, doch ich kannte die neue Adresse und fuhr mit dem Stadtbus dort hin. Das Gebiet, in dem sie lebte, war nicht gerade das schönste der Stadt, doch zumindest gab es hier billige Wohnungen, und das war wohl der Hauptgrund, warum sie hier her gezogen war. Wieder musste ich feststellen, dass ich unsere Wohnwagensiedlung jeder normalen Wohnsiedlung vorzog. Hier waren die Leute einfach ganz anders. Mit dem bisschen Geld, das ich einstecken hatte, bezahlte ich also die Fahrt und schon bald stand ich vor dem Haus meiner Schwester. Hier lebte sie nun zusammen mit meinem Bruder und ihrer Tochter. Ich klingelte und sie öffnete mir die Tür.


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    Überschwänglich begrüßte sie mich. "Mein Gott, kleine Schwester, was machst DU denn hier?" Auch mein Bruder war von der Rolle. "Wir dachten, du bist gut versteckt und müssen dich nie wieder sehen." Ja, er war wirkich ein Charmeur. Doch ich musste trotzdem über seinen blöden Witz lachen. Wie sehr hatte ich die beiden vermisst. Maida und mein Bruder Manu baten mich hinein. Die Wohnung war hell und freundlich. Kaum zu glauben, dass in diesem alten Wohnblock eine Wohnung SO aussehen konnte. Ich lobte meine Schwester. "Sieht echt toll aus hier." Am Tisch saß ein Fremder. Und da sah ich auch schon meine kleine Nichte. Es brach mir das Herz, dass sie mich nicht erkannte.


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    Sie hatte ein wenig Angst vor mir. "Das ist momentan bei jedem Fremden so.", sagte meine Schwester. Fremd... immer wieder ließ ich mir das Wort durch den Kopf gehen. War ich fremd geworden in dieser Familie? In meiner eigenen Familie? Oder war es vielleicht schon gar nicht mehr meine Familie?


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    Trotzdem wollte ich versuchen, sie hoch zu nehmen. Sie wich mir aus. "Lass sie einfach.", sagte meine Schwester. "Sie kommt dann von selber."
    Ich ließ es also sein. Dann begutachtete ich den seltsamen Fremden, der am Tisch meiner Schwester saß. Ihr fiel das sofort auf. "Das hier ist mein Freund Berno.", erklärte sie. "Tut mir leid, dass ich dir noch nichts von ihm geschrieben habe, aber ich wollte erst mal abwarten." Er lächelte mich freundlich an und gab mir die Hand. Auch ich stellte mich vor. "Gleich gibt´s Essen!", verkündete mein Bruder erfreut. Meine Schwester warf ihm einen bösen Blick zu. "Eigentlich wäre er heute mit kochen dran gewesen." Mein Bruder grinste und winkte ab. "Frauen können das viiiiiiel besser!"


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    So saßen wir am Tisch und verzehrten Maidas köstliche Speise. Ich wusste gar nicht, dass sie so gut kochen konnte! "Na, kleine Schwester, jetzt erzähl mal. Wie läufts bei dir? Und warum bist du hier?" Bevor ich antworten konnte, brach ich vor allen Leuten in Tränen aus.