• Oha, oha!
    Ist das etwa die Geburtsstunde von Janes Homosexualität? ;)
    Ich bin ja mal sehr gespannt, was die "neue" Ruth jetzt vor hat. Sie scheint selbstbewusster und weniger abgedreht geworden zu sein. Ob das Konsequenzen haben wird?
    Ich bin auf jeden Fall sehr gespannt und ich freue mich darauf, zu erfahren, wie das Wesen mit Ruths Wandel umgeht und ob Ruth dem Wesen nicht auch allmählich "entwächst".


    Schönes Kap! ^-^

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  • Nein, das leider noch keine Fortsetzung, sondern nur eine Kommi-Beantwortung. Ich habe in letzter Zeit fast nur mit meiner Mittelalternachbarschaft gespielt. Allerdings hab ich jetzt mal wieder meine eigene Fotostory von vorne bis hinten durchgelesen und dadurch Motivation bekommen, weiter zu schreiben. Der erste Teil der Bilder ist auch schon fertig.


    ~Aphrodite~: Erstmal danke für deine regelmäßigen Kommentare! Ich freue mich jedes Mal. :applaus



    Ist das etwa die Geburtsstunde von Janes Homosexualität? ;)


    :D Ob es so einfach ist?


    Ich bin ja mal sehr gespannt, was die "neue" Ruth jetzt vor hat. Sie scheint selbstbewusster und weniger abgedreht geworden zu sein. Ob das Konsequenzen haben wird?


    Sehr gute Analyse :)



    Schönes Kap! ^-^


    Danke!





  • Ich sitze an meinem nagelneuen Designerschreibtisch. Mit einem träumerischen Lächeln lasse ich die letzten Monate Revue passieren. Die Fertigstellung unseres Hauses, die Inneneinrichtung, unser Einzug. Das alles hat Stacy und mich viel Energie gekostet – aber es hat sich gelohnt. Nun ist nur noch eine Sache zu erledigen – und ich gebe zu, mich die ganze Zeit davor gedrückt zu haben. Ich versuche, mit voller Konzentration bei den Antworten auf mein Inserat zu bleiben, aber die Gedanken schweifen immer wieder ab…zu ihr. Ob sie noch dort ist? Ob sie die neuen Besitzer des Hauses auch… Ich wage gar nicht, daran zu denken. Die Tatsache, dass ich sie so lange nicht mehr gesehen habe, löst zwiespältige Gefühle in mir aus. Meistens bin ich einfach nur glücklich, bereit, mein Leben endlich ohne Ängste und nächtliches Grauen zu leben. Aber manchmal ist da ein bitterer Beigeschmack. Manchmal kreisen meine Gedanken noch immer um sie; suchend, zweifelnd frage ich mich, was aus ihr geworden ist. Beinahe ist es schon so, als würde ich sie vermissen. Manchmal, in einsamen Momenten frage ich mich sogar, ob sie nicht doch nur ein Produkt meiner eigenen Fantasie war und spüre, dass mir diese Vermutung jedes Mal einen Stich gibt. Es kann einfach nicht sein. Sie war real.





    Realistisch betrachtet, ist es unwahrscheinlich, dass sie die neuen Besitzer tatsächlich quälen würde. Auch, wenn ich das immer verdrängt habe – im Nachhinein betrachtet wird mir klar, dass wir so etwas wie eine Beziehung, eine Bindung zueinander hatten. Ehrlich gesagt wundert es mich, dass sie nicht mit uns hier eingezogen ist. Andererseits halte ich es für sicherer, kein Risiko einzugehen. Der Anfrage einer Familie mit Kindern erteile ich eine höfliche Absage. Wer weiß, ob sie sich im Blutrausch nicht auch an anderen zu schaffen macht. Oft genug sind ihr arglose Tiere zum Opfer gefallen. Ein unschuldiges Kind in der Nähe dieses Monsters? Allein beim Gedanken daran wird mir schlecht. Die nächste Antwort klingt besser: Ein junges Paar, sie ist Polizistin, er Security Mitarbeiter. Perfekter kann es vermutlich nicht werden. Ich kann nur hoffen, dass die beiden keinen baldigen Kinderwunsch hegen. Beherzt greife ich zum Telefon, um einen Besichtigungstermin zu vereinbaren. Je schneller ich die Sache hinter mich bringen kann, umso besser.





    Stacy ist gerade bei ihren morgendlichen Schwimmrunden, als ich mich zu ihr auf ihre Seite der Terrasse geselle. Hier sind unsere Häuser durch einen schmalen Übergang verbunden, so, wie wir es geplant hatten. Als sie mich sieht, klettert sie aus dem Pool und begibt sich lächelnd auf den Stuhl neben mir. Einmal mehr habe ich Zeit, ihren Körper zu bewundern, der noch immer makellos ist. Obwohl sie selbst nicht mehr modelt, hat sie ihr strenges Fitnessprogramm beibehalten. Was vermutlich auch gar keine schlechte Idee ist, denn ihre Ernährung hat sie dafür grundlegend geändert. „Na, warst du schon produktiv so früh am Morgen?“, fragt sie neckend. „Ich habe mich um den Verkauf meines Hauses gekümmert.“ Ein kurzer Moment der Stille entsteht.





    „Das ist gut“, sagt sie dann aufmunternd, „dass du es endlich in Angriff nimmst, meine ich.“ „Ehrlich gesagt frage ich mich immer noch, ob es die richtige Entscheidung ist. Natürlich ist es unsinnig, das große schöne Haus einfach leer stehen zu lassen. Auch finanziell. Es ist nur…“ „Ich weiß“, unterbricht sie mich mitfühlend. Stacy hat gesehen, was ich gesehen habe. Es braucht keiner vielen Worte, damit sie mein Unbehagen versteht. „Eine Polizistin und ein Security Mitarbeiter interessieren sich für die Wohnung. Ich habe heute einen Termin zur Besichtigung vereinbart.“ Unwillkürlich muss Stacy grinsen. „Na, wenn das mal nicht Schicksal ist. Die würden sich schon um das Monster kümmern.“





    Gleich wird sie wieder ernst. „Jane, ich denke, du triffst die richtige Entscheidung. Wir beide wissen, dass es noch eine geringe Wahrscheinlichkeit gibt, dass sie irgendwo da draußen ist, wartet, bis ihr das nächste Opfer begegnet. Aber dieses Risiko nicht einzugehen, würde bedeuten, sich ständig vor der Vergangenheit zu fürchten. Wenn du das Haus behältst, wirst du niemals deinen Frieden finden – und selbst, wenn das Haus leer bleibt, bestünde ja immer noch die Gefahr, dass sie die nächstgelegenen Nachbarn heimsuchen würde. Nein, du handelst vernünftig.“





    „Danke, Stacy. Das war die Bestätigung, die ich gebraucht habe.“ Ich drücke sie an mich. An meiner Brust spüre ich den Stoff ihres immer noch feuchten Bikinioberteils. Ihre Haut riecht nach einer Mischung aus Sonne, blumigen Parfum und Chlorwasser. Eine Haarsträhne kitzelt an meiner Wange. Erregt ziehe ich sie näher an mich heran, meine Lippen suchen ihre. Stacy kichert und befreit sich dann aus meiner Umarmung. „Ich muss mich langsam an die Arbeit machen, sonst komme ich heute zu gar nichts mehr. Abendessen bei mir?“, haucht sie mir ins Ohr und berührt dabei meine Schultern mit ihren Brüsten. Ich frage mich, ob sie das absichtlich macht. „Ja“, antworte ich nur knapp, mit noch etwas vernebelten Sinnen und sehe ihr verträumt nach. Ich kann es gar nicht erwarten, bis endlich Abend ist.





    Das Aufregende an getrennten Häusern ist, dass jedes Treffen sich wie ein Date anfühlt. Selbst, wenn es nur aus so simplen Aktivitäten besteht, wie dieser hier: Seine Verlobte beim Kochen zu beobachten. Etwas früher als verabredet sitze ich in ihrer Küche und kann die Augen nicht abwenden. Wenn jemand mir vor einem Jahr voraus gesagt hätte, dass Stacy einmal ein Interesse daran entwickeln würde, Menüs zu zaubern, die aus mehr als nur einem Salatblatt bestehen, hätte ich ihn ausgelacht. Aber seit unserem Einzug ist sie tatsächlich zu einer leidenschaftlichen Köchin mutiert.





    Aber nicht nur das. Auch, dass Stacy mir ungeschminkt und in einigermaßen bequemen Klamotten gegenüber tritt, kommt immer häufiger vor. „Zur Vorspeise gibt es eine Kürbiscremesuppe“, kündigt sie stolz an. „Vorspeise?“, frage ich zweifelnd, als mein Blick auf die riesige Holzschüssel fällt. „Wer soll denn das alles essen?“. „Na, ich habe auf jeden Fall Hunger“, grinst sie, und fügt neckend hinzu „Nicht jeder hier kann den ganzen Tag faul hinter dem Schreibtisch sitzen. Manche in diesem Haushalt arbeiten auch.“ Ich zeige ihr die Zunge. Was sie kann, kann ich schon lange. „ICH habe sogar so großen Hunger, dass ich die Köchin am liebsten gleich mit vernaschen würde“, gebe ich zurück, „Der einzige Grund, warum ich dich nicht in einem Stück verschlinge, ist der, dass du mich nach diesem Menü wohl nach oben TRAGEN musst.“ Stacy zwinkert mir zu. „Pass nur auf, was du sagst.“





    Als wir fertig gegessen haben, packt sie mich tatsächlich, nimmt mich auf die Arme und trägt mich die Treppe hinauf, ehe ich merke, wie mir geschieht. Verdammt, wieso ist sie überhaupt so stark? Das kommt doch nicht vom Schwimmen und Laufbandtraining! „Tadaaa!“, ruft sie, als sie mich mit einem Ruck auf das Bett fallen lässt. „Das hättest du nicht gedacht, was?“. Als ich mich von meinem ersten Schock erholt habe, fange ich an, los zu prusten. „Stacy, bist du eigentlich verrückt geworden?“. Lachend wirft sie sich neben mich ins Bett. „Das kommt davon, wenn du so frech bist!“, tadelt sie mich und hält sich ihren Bauch vor Lachen. Eine Weile bleiben wir so liegen, geschüttelt von unserem Lachanfall.





    Dann setzt Stacy sich langsam auf, umschlingt meine Beine mit ihren. „Du weißt, was wir morgen vorhaben, nicht wahr?“, erinnert sie mich ernst. „Natürlich.“ Beim Gedanken daran beginnt mein Herz schon wieder heftig zu schlagen. Morgen zeigt sie mir die Villa, die wir für unsere Hochzeit anmieten werden und einen Vorgeschmack auf die Dekorationen. Stacy hat den Großteil der Planung übernommen und ich bin mir sicher, dass ich mich auf ihren Geschmack verlassen kann. Meine Nervosität kommt eher daher, dass es langsam ernst wird. Nicht, dass ich zurück wollen würde. Ich kann mir keine andere als Stacy vorstellen. Die Aussicht auf Verbindlichkeit löst einfach immer noch einen Fluchtreflex in mir aus. Einen, mit dem ich mittlerweile umgehen kann und der mich nicht mehr zu unüberlegten Handlungen treibt, aber der eben doch noch spürbar ist.





    Die wirksamste Strategie dagegen ist, mich auf die positiven Seiten zu konzentrieren. „Erzähl mir davon“, bitte ich sie. „Der Hochzeitsbogen besteht aus Efeu und weißen Rosen“, beginnt sie, „und in der Mitte ist ein großes Herz mit zwei Glöckchen daran.“ Versonnen lächle ich. „Mach weiter.“ „Der Boden, auf dem wir uns das Ja-Wort geben, besteht aus cremefarbenen Steinfliesen. Die Stühle davor sind perlweiß, wie mein Hochzeitskleid.“ Stacy im Hochzeitskleid…hmm…Meine Augen werden immer müder und während Stacies sanfte Stimme noch die Dekorationen beschreibt, schlummere ich mit überaus angenehmen Gedanken langsam ein.





    Wie jeden Morgen rannte ich, kaum, dass der Postbote um die Ecke gebogen war, hinunter zum Briefkasten. Neugierig öffnete ich den schon recht rostigen Verschluss, der ein knarrendes Geräusch von sich gab. Ich streckte meine Hand so tief wie ich konnte hinein und tastete nach den Briefen. Eilig zog ich den Stapel heraus. Rechnungen, Rechnungen,… - Das war er! Ehrfürchtig blickte ich den Umschlag an, der mein Leben verändern könnte. Mein Puls wurde schneller. Eigentlich hätte ich die Post zuerst hinein bringen sollen, doch meine Neugierde war zu stark. Ich legte den Rest des Stapels auf die Wiese und riss den Brief auf. Die ersten Zeilen überflog ich, mit immer stärker klopfendem Herzen, bis ich zur eigentlich interessanten Stelle kam „…dürfen wir Ihnen mitteilen, dass Ihnen sowohl ein Studienplatz, als auch das von Ihnen beantragte Stipendium zugesichert werden.“ „Jaa!“ Ich machte vor Freude einen Luftsprung.





    „Was machst du denn in der Früh schon für einen Lärm?“ Ich zuckte zusammen. Erst jetzt bemerkte ich meine Mutter, die bereits im Gemüsegarten stand und die Pflanzen goss. „Die Nachbarn werden denken, dass bei uns nur mehr Verrückte wohnen. Als würde es nicht reichen, dass deine Schwester uns solche Sorgen macht!“. Ich überhörte die Spitze in der Stimme. Heute konnte mich nichts aus der Bahn werfen. „Der Brief von der Uni ist gekommen! Ich wurde aufgenommen! Und mein Stipendium wurde auch bewilligt! Jetzt braucht ihr nicht einmal mehr für meine Ausbildung aufkommen!“ Ich wusste, dass ich ihnen damit den letzten Trumpf aus der Hand nahm. Insgeheim hatten sie immer gehofft, dass ich zumindest das Stipendium nicht bekommen würde. Somit gäbe es nicht nur ein Argument gegen die weit entfernte Uni, es würde ihnen auch noch eine gewisse Machtposition zugestehen. Aber so war ich finanziell unabhängig und sie konnten mich nicht daran hindern, tun und lassen zu können, was ich wollte.





    Mutter legte die Gießkanne beiseite und kam auf mich zu. Es war ihr anzusehen, dass sie sich mit aller Kraft darum bemühte, jetzt nicht die Nerven zu verlieren. „Gratuliere“, brachte sie trocken heraus. „Dann wirst du also jetzt in eine viele Kilometer entfernte Universität gehen und deine armen Eltern, die immer für dich gesorgt haben, alleine alt werden lassen.“ Ich ließ mich nicht auf diese emotionale Erpressung ein. „Ich werde euch besuchen“, log ich. Wir beide wussten nur zu gut, dass ich mein Elternhaus nach Möglichkeit nie wieder sehen würde. Innerlich triumphierte ich. Ich hatte es geschafft. Freiheit! Ich würde dieser Hölle entfliehen und endlich mein eigenes Leben leben. Das einzig Bittere war, dass ich Ruth zurück lassen musste.





    „Es ist wunderschön. Schlichter, als ich es mir vorgestellt habe.“ Ungewohnt gut ausgeschlafen stehe ich im Flügel der Villa. Die weiten Türbögen geben den Blick nach draußen frei. Die Tische sind mit Maiglöckchen bestückt, auch der Rest der Blumendekoration ist unaufdringlich. Alles trägt Stacies Handschrift.





    „Komm mit nach draußen!“, ruft sie vergnügt und zieht mich mit sich. „Ist es nicht alles, wie ich es beschrieben habe?“. Ich nicke verträumt. Ja, das ist es.





    Als wir gerade zum Podest für die Band gehen wollen, stößt eine wild schnaufende Lacy zu uns. „Tut mir leid, dass ich zu spät bin!“, keucht sie. „Gerade rechtzeitig“, antwortet Stacy, „Lacy organisiert die Band und sieht sich die Instrumente an“, erklärt sie mir.





    Diese ist auch schon dabei, den elektrischen Bass zu testen, allerdings mit weniger Ernst an der Sache, denn erstmal legt sie ein rockiges Solo hin.







    Während Stacy mit Lacy noch ein paar Details bespricht, lasse ich meinen Blick über das Grundstück schweifen und ein Gefühl unglaublicher Freude kommt in mir auf. Mein neues Leben ist perfekt.









  • „Denkst du nicht, dass du etwas übertreibst?“. Stacy steht bereits perfekt gestylt vor dem Spiegel, scheint aber mit dem Ergebnis noch immer nicht zufrieden zu sein. „Nein!“, wirft sie mir in einer Tonlage entgegen, die keine Widerrede duldete. Sie seufzt. „Du kennst meine Familie“. „Hmm…“, ist alles, was ich darauf antworten kann. Mit Ausnahme ihres Cousins Paul, der regelmäßig hier auftaucht, trifft das kaum zu. Stacy hält eher losen Kontakt zu ihrer Familie und im Grunde ist mir das völlig Recht so. Obwohl es äußerlich kaum Gemeinsamkeiten gibt, erinnert sie mich irgendwie an meine Familie. Die Türglocke reißt Stacy aus ihren Vorbereitungen. „Sie sind da.“





    Als das Ehepaar Leester auf unserer Coach sitzt, kann ich kaum entscheiden, wem von beiden Stacy ähnlicher sieht. Bis auf ein paar Fältchen und graue Haare scheinen beide die exakten Klone ihrer Tochter zu sein. Eigentlich müssten sie mir sympathischer sein, denke ich. Doch schon im nächsten Moment geht der Zirkus los, der mich daran erinnert, wieso ich Familientreffen dieser Art hasse. „Wie schön, dass du uns in dein neues Haus eingeladen hast. Schön hast du es hier. So ein gemütliches, warmes Wohnzimmer. Kim kommt etwas später nach, sie muss noch die Kleine vom Ballett abholen – und ihren Mann kennst du ja.“ Wie immer redet Stacies Mutter ohne Punkt und Komma und ignoriert mich dabei völlig – was mir nicht unrecht ist. Ich bin froh, wenn der Abend vorbei ist und ich das falsch süße Gehabe nicht mehr ertragen muss.





    „Dann sollten wir noch etwas warten“, erwidert Stacy fröhlich. „Kim wird die Nachricht auch hören wollen.“ Ich könnte darauf wetten, ein wenig Triumph in ihrer Stimme hören zu können. Ihre Eltern lächeln ebenso freundlich zurück. Entweder haben sie den Unterton nicht gehört oder – was wahrscheinlicher ist – beschlossen, ihn zu ignorieren. Ich mustere das Paar. Zumindest was Mode angeht, ist der Apfel in dieser Familie nicht weit vom Stamm gefallen. Die Kleidung, die die beiden tragen, ist bestimmt nicht billig gewesen und auch ansonsten ist das Ehepaar Leester wie immer von Kopf bis Fuß passend gestylt – modisch, aber nicht zu jugendlich.





    Erneut reißt mich die Türklingel aus meinen Gedanken. Kim ist da. „Hallooo allerseits“, flötet sie. Laute merkwürdig übertrieben zu betonen, liegt wohl in der Familie. Trotzdem, oder gerade deswegen, als sie den Raum betritt, ist es für einen kurzen Moment mucksmäuschen still. Jeder scheint beeindruckt von der Frau zu sein, die wie eine jüngere Version von Stacy aussieht. Ich muss zugeben, dass auch mein Atem kurz stockt und hoffe, dass meine Verlobte es nicht bemerkt. „Lily und ich kommen gerade vom Ballett. Es ist ja unglaublich, wie viel die Kleinen da schon lernen. Komm, Lily, Mäuschen, zeig der Oma, was du schon alles kannst!“





    Folgsam dreht geht das Kind ein paar Schritte auf dem Holzboden und zeigt dann eine wacklige Pirouette. Lächelnd dreht sie sich ihren Großeltern zu, in Erwartung einer Anerkennung. Gruselig, wie angepasst so ein kleines Kind schon sein kann. Immerhin erhält es seine Bestätigung. „Das hast du sooo schön gemacht, Spätzchen!“, „Wie gut du das schon kannst“, dröhnt es von allen Seiten. Oh Mann. Wenn ich Kinder hätte, würde ich sie bestimmt nicht in dem Alter in eine Ballettschule stecken. Aber da meine Meinung in dieser Runde ohnehin ignoriert wird, halte ich besser den Mund.





    „Na, was gibt es Neues, Kim?“, fragt Stacy, nachdem der jüngste Spross der Familie ebenfalls Platz genommen hat. „Ich bin wieder schwaaaaanger!“, zwitschert diese zur Antwort, „Lily freut sich schon sooo auf das kleine Schwesterlein, nicht wahr, Lily? Wir werden eine hübsche kleine Familie sein.“ Der mutmaßliche Erzeuger des Kindes wurde offenbar genauso wie ich ignoriert. „Tatsächlich, man sieht ja schon ein kleines Bäuchlein!“, antwortet Stacy erfreut, womit sie offenbar einen wunden Punkt trifft. „Ich bin erst im zweiten Monat“, erwidert ihre Schwester kühl. Nach einem kurzen Moment peinlicher Stille erkundigt sie sich aber mit erneut zuckersüßer Stimme „Und, was gibt es bei DIR Neues?“.





    „Jane und ich werden bald heiraten.“ Mit einem Mal bekomme ich mehr Aufmerksamkeit, als mir selbst zusagt. Alle Blicke sind auf mich geheftet. „Wie schöööön für euch“, flötet Kim, die sich als erste gefasst hat. „Dann ist Jane ja endlich ein Teil der Familie“, meldet sich Stacies Mutter als nächste, obwohl sie keinesfalls erfreut darüber klingt. Sie scheint mich einfach nicht wirklich zu mögen. Vielleicht, weil ich so schlecht in ihre schöne-heile-Welt-Familie passe. Vielleicht auch, weil ich aus keinem reichen Elternhaus stamme, sondern mir meinen Erfolg selbst erarbeitet habe. Ich kann nur raten, denn natürlich würde Misses Perfect es mir nicht ins Gesicht sagen. „Naja, immerhin habe ich ja schon eine Tochter, die mir Enkelkinder schenkt. Da kann man der zweiten wohl nicht mehr böse sein“, schließt sie an. Huh? Nun mische ich mich doch einmal ins Gespräch ein. „Heutzutage gibt es doch viele Möglichkeiten. Wir könnten ein Kind adoptieren – oder eine künstliche Befruchtung in Erwägung ziehen.“ Dass ich gar nicht unbedingt vorhabe, mein Leben mit einem kleinen Quälgeist zu teilen, lasse ich mal eben unter den Tisch fallen.





    „Aber Stacy will doch keine Kinder.“ Überrascht schaue ich meine Schwiegermutter in spe an. „Tatsächlich?“, bringe ich heraus. Es ist nicht so, als hätten Stacy und ich jemals darüber geredet, aber irgendwie bin ich automatisch davon ausgegangen, dass ich diejenige bin, die dieses Thema blockiert. Stacy ist im Umgang mit Kindern traumhaft und ich hatte immer die Vorstellung, dass sie sich auch eigene wünscht. Fragend sehe ich sie an, doch sie weicht meinem Blick aus. „Ganz so ist es ja nun nicht…“, murmelt sie schließlich, kaum verständlich. Ihre Mutter achtet nicht auf diesen Einwand. „Hat sie dir denn nie davon erzählt?“, fragt sie erstaunt.





    Mit einem Mal ist es so still, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte. „Mutter, BITTE“, seufzt Kim. Auch mein zukünftiger Schwiegervater, der bisher erstaunlich zurückhaltend für seine Verhältnisse war, meldet sich zu Wort. „Schatz, ich denke, das ist wirklich etwas, was die beiden unter sich ausmachen sollten“, meint er sanft. Verständnislos sehe ich in die Runde. Worum geht es hier jetzt eigentlich? Stacy weicht meinem Blick nach wie vor aus und betrachtet stattdessen konzentriert die Blumentapete, als gäbe es dort auf einmal etwas Neues zu entdecken. „Äh, wir haben bisher noch nicht so über Kinder gesprochen“, werfe ich vorsichtig ein, unsicher, ob das die richtige Antwort ist.





    Stacies Mutter zuckt mit den Schultern. „Nun, irgendwann muss sie es ja erfahren. Immerhin gehört sie bald zur Familie. „Charlotte, ich denke WIRKLICH nicht, dass das der richtige Zeitpunkt ist!“, unterbricht ihr Vater nun bestimmter. Oha. Wenn er seine Frau mit ihrem Vornamen anspricht, ist das ein deutliches Zeichen. Trotzdem achtet sie nicht auf ihn. „Ach, Unsinn, wir sind ja hier unter uns“, winkt sie ab und wendet sich mir zu. „Stacy hatte mit 16 nämlich eine Abtreibung“, erklärt sie in unangemessen sachlicher Tonlage. Ihr Ehemann zieht deutlich vernehmbar die Luft ein. Kim verdreht die Augen. „Bist du jetzt völlig übergeschnappt?“, schreit sie ihre Mutter an. „Was heißt Abtreibung?“, fragt Lily neugierig. Zum Glück erwartet in dem Durcheinander niemand von mir eine Stellungnahme zu dieser Neuigkeit.





    Ich blicke zu Stacy, die gerade dabei ist, in Tränen auszubrechen. Durch meinen Kopf schwirren tausend Gedanken und ich habe ganz sicher nicht vor, diese vor ihrer Familie auszusprechen. Der erste ist: Stacy hatte einmal eine Beziehung zu einem Mann – und nicht nur das, daraus ist sogar eine Schwangerschaft hervorgegangen! Die Abtreibung selbst hingegen wundert mich angesichts ihres Alters nicht wirklich, aber wieso hat sie mir nie davon erzählt? Wir konnten doch über alles sprechen? „Ich habe ihr ja dazu geraten, das Kind zu behalten. Ich hätte mich so über ein Enkelkind gefreut – und wir hätten ihr natürlich geholfen.“ Meine zukünftige Schwiegermutter scheint gerade richtig in Fahrt zu sein, denn sie lässt sich von nichts um sie herum ablenken.





    Aufgebracht springt Stacy auf. „DU hast dich vor allem darauf gefreut, mich mit einem Spross einer Adelsfamilie verheiraten zu können!“ „Na und?“, erwidert ihre Mutter unbeeindruckt. Sie scheint sich nicht darum bemühen zu wollen, diesen Vorwurf abzustreiten. „Das war doch ein netter Mann. Er hätte die Vaterschaft sofort anerkannt. Es wäre dir sicher nicht schlecht ergangen.“ - „Ja, bis auf die Tatsache, dass er 11 Jahre älter war als ich und darüber hinaus eine 16jährige geschwängert hat?!“ Charlotte verschränkt die Arme. „Was ja auch nicht so schlimm gewesen wäre. MEINE Mutter hat meinen jüngsten Bruder auch schon mit 17 bekommen. Wir hätten das schon hingekriegt.“ Stacy verdreht die Augen. „WIR? Denkst du nicht, dass es meine Entscheidung ist?“ „Die du ja dann auch durchgesetzt hast. Aber dennoch, wenn du mich fragst, hätte das eine glückliche Beziehung werden können. Ihr hättet ein Kind bekommen, dann vielleicht noch eines…“





    „Wie wäre es, wenn du endlich akzeptierst, dass ich mit einer Frau zusammen bin?!“, schreit Stacy nun. Das tut seine Wirkung. Stacies Mutter hat ihre Hände zwar nach wie vor zu Fäusten geballt, weiß aber anscheinend nicht mehr wirklich, was sie zu diesem Vorwurf sagen soll. „Vielleicht hättest du es dir ja doch noch irgendwann anders überlegt…“, murmelt sie schließlich. „Ich liebe Jane und ich werde sie heiraten – und ich hatte ganz sicher nie, NIE Interesse an einem Mann. Das mit 16 war ein Fehler, weil ich dank meinem Umfeld dachte, ich müsste auf Männer stehen.“ Wieder befällt eine unangenehme Stille den Raum. Immerhin weiß ich jetzt, wieso mir von Seiten meiner Schwiegermutter in spe so viel Ablehnung entgegen schlägt. Von den Leuten in meinem Heimatdorf bin ich so eine Ansicht gewöhnt, aber hier? In dieser modernen Umgebung? Tatsächlich ist mir, seitdem ich erwachsen bin, kaum jemand untergekommen, der mich aufgrund meiner Sexualität schief angeschaut hätte. Aber vielleicht halten sich die Leute auch einfach nur zurück, wenn man erfolgreich ist und obendrein eine hübsche Verlobte hat.





    „Was ist eine Abtreibung?“, fragt Lily erneut in die Stille hinein. Kim bricht in Tränen aus. „Das ist das schlimmste Familientreffen aller Zeiten!“. Also beantworte ich stattdessen Lilies Frage. „Das ist, wenn man eine Schwangerschaft früh beendet, damit man kein Baby bekommt.“ Skeptisch richtet sie den Blick auf den Bauch ihrer Mutter, als würde sie überlegen, ob man dem kommenden Geschwisterchen eventuell noch vorbeugen könnte. Charlotte sieht mich entgeistert an. Kim dagegen hat entweder nichts von meiner Erklärung mitbekommen, oder kein Problem damit. „So eine Katastrophe! Wir hätten gar nicht herkommen sollen! Oh Gott, Jane, du musst sicher denken, wir sind die furchtbarste Familie überhaupt!“,brüllt sie unter Tränen. „Ach, meine eigene ist viel schlimmer“, entgegne ich gelassen. Tatsächlich bin ich mit dem Gang des Abends ganz zufrieden, davon abgesehen, dass sich meine zukünftige Schwiegermutter als homophobe Schachtel heraus stellt. Zumindest ist dieses Herumgebrülle leichter auszuhalten als die übliche Zuckerglasur, mit der sonst jedes Wort übergossen wird. Außerdem bereitet es mir eine heimliche Freude, die perfekte Fassade zerbrechen zu sehen.





    Kim schluchzt und wischt sich die Tränen ab. Offenbar hat sie meine Antwort ein wenig beruhigt. „Gewitter sind manchmal gut. So reinigend“, sage ich ruhig und bis auf Lily versteht wohl jeder im Raum, was ich damit meine. Stacy sieht mich dankbar an. Charlotte sieht zwar immer noch aus, als hätte sie gerade in eine Zitrone gebissen, aber ansonsten kommen die Mitglieder der Familie Leester langsam wieder runter. „Ich glaube kaum, dass heute noch etwas Sinnvolles passiert. Wir sollten erst mal schlafen gehen. Wenn du uns das Gästezimmer zeigen könntest…“, wendet sich Kim schließlich an ihre Schwester.





    Nachdem sowohl das Gästezimmer, als auch Stacies Schlafzimmer belegt sind, breiten wir beide uns auf meinem Bett aus. „Wieso hast du mir nie davon erzählt?“, frage ich behutsam. „Ach, Jane…es ist…es ist nicht so, als würde ich dir nicht vertrauen. Es ist nur so schwierig, darüber zu reden.“ Ich nicke nur, lasse ihr Zeit, um weiter zu reden. „Diese Geschichte war der absolute Horror. Mama tut so, als wäre das Ganze eine ganz normale Teenagerliebesgeschichte gewesen, aus der dann eben versehentlich ein Kind entstand. Aber das war es nicht. Für mich zumindest ganz und gar nicht.“ Sie schluckt und es dauert eine Weile, bis sie weiter erzählt. „Ich war damals 16 und ich wusste noch nicht so richtig…naja, ich fühlte mich schon zu anderen Mädchen hingezogen, aber ich konnte nicht wirklich damit umgehen. Einen Mann zu lieben, war das, was in meiner Umgebung als „normal“ galt – trotz der scheinbaren Offenheit. Auf jeden Fall traf ich dann Adrian. Dass er 27 war, klingt rückblickend zwar ziemlich krass, aber damals hat es mich nicht abgeschreckt – im Gegenteil, es galt irgendwie als cool unter uns, einen älteren Freund zu haben, weil man dadurch so reif wirkte.“





    „Genau aus diesem Grund habe ich schlussendlich dann auch mit ihm geschlafen – oder, besser gesagt, mich dazu überreden gelassen, mit ihm zu schlafen. Die Erinnerung daran ist wirklich nichts, das…ich wünschte, ich könnte es einfach vergessen. Es war traumatisch. Und das verrückteste war, dass ich auch noch dachte, es müsste so sein. >>Das erste Mal tut immer weh<< und so Quatsch.“ Sie gab ein bitteres Lachen von sich. „Weißt du, das Schlimme daran war, dass alle in meiner Umgebung Adrian so toll fanden. Er stammte aus irgendeiner Adelsfamilie, keine bekannte, aber genug, um meine Mutter zu beeindrucken - und meine Freundinnen fanden, er war so erwachsen. Ha! Damals dachte ich, ich wäre diejenige, die nicht normal ist, aber wer als 27jähriger eine Beziehung mit einer 16jährigen eingeht, kann wohl auch nicht ganz gesund sein, oder? Deshalb regt es mich so auf, wenn Mama positiv über ihn spricht – als der Ältere wäre es definitiv ER gewesen, der die Verantwortung übernehmen hätte müssen.“





    Ich stimme ihr zu. „Zumindest hätte er in dem Alter anständig verhüten können“. „Pah! Es war eher umgekehrt. Er war derjenige, der nicht besonders sorgsam mit Verhütung umging. Es ist ja nicht so, dass wir nicht aufgeklärt gewesen wären. Mama war sogar ziemlich deutlich. Aber unter Alkoholeinfluss war ich nicht mehr so unnachgiebig und nachdem unser Sexleben für mich alles andere als schön war, habe ich so gut wie ausschließlich betrunken mit ihm geschlafen. Tja…davon, wie meine Mutter auf die Schwangerschaft reagiert hat, hast du wohl dank heute eine deutliche Vorstellung.“ Ich schlucke. „Stacy, das ist ziemlich...“ „Krass? Oh ja. Rückblickend gesehen war das eigentlich schon Missbrauch. Tja, nicht nur du hattest eine schwierige Jugend. Verstehst du jetzt, wieso ich nie darüber gesprochen habe?“. „Ja“, antworte ich, und mir blutet fast das Herz bei der Geschichte. Meine geliebte Stacy… Am liebsten würde ich in die Vergangenheit reisen und sie da raus holen.





    „Das muss furchtbar für dich gewesen sein, heute Abend…dass deine Mutter das alles wieder hervor kehrt, was du verdrängen wolltest, meine ich“, sage ich mitfühlend. „Sie hat einfach immer noch nicht verstanden, was das Ganze für mich bedeutet hat. Für sie war das nur ein Baby, das zum falschen Zeitpunkt kam. Das ist genau der Grund, weshalb ich meine Familie nicht oft sehen will. Dieses oberflächliche Verhalten ist kaum auszuhalten. Hauptsache nach außen hin ist alles in Ordnung und wie es einem selbst dabei geht, interessiert keinen Menschen. Meine Schwester ist dieselbe. Sieh dir nur an, was sie mit dem kleinen Mädchen macht! Vielleicht war es unsinnig, sie alle bei unserer Hochzeit dabei haben zu wollen, aber irgendwie sehne ich mich doch danach.“ Ich nehme sie in den Arm und streichle ihr über den Kopf, bis wir einschlafen.





    Als ich aufwache, ist es mitten in der Nacht. Ich drehe mich zu Stacy um, die noch tief und fest schläft. Auch, wenn ich hundemüde bin, ist es ausgeschlossen, dass ich jetzt wieder einschlafe. Verstört setze ich mich auf den Rand meines Bettes. Vielleicht bin ich nur aufgewühlt vom gestrigen Abend, aber irgendetwas ist hier nicht in Ordnung…ganz und gar nicht in Ordnung. Es ist fast, als ob…mein Magen verkrampft sich. Nein, das kann nicht sein. Mein ganzer Körper beginnt zu zittern, als ich die vertraute Stimme höre, von der ich mir nicht sicher bin, ob sie echt oder eingebildet ist. „Es ist doch immer wieder interessant, wenn lang gehütete Geheimnisse aufkommen, nicht wahr, Jane? Wie wäre es, wenn du dich auch einmal mit Geheimnissen aus deiner Vergangenheit beschäftigst?"







  • </br></br></br>Sie ist es. Es besteht kein Zweifel. Ich kuschle mich eng an die Kissen, bemüht, nicht hinzusehen. „Geh weg“, flehe ich. Warum ist sie hier? In meinem neuen Haus? Sollte sie nicht ganz woanders sein? Oder überhaupt nicht existieren? Verdammt. Dabei war ich doch schon einmal weiter. Dabei konnte ich sie doch schon einmal viel besser verjagen. Als könnte sie meine Gedanken lesen, antwortet sie. „In unserem alten Haus hat es mir nicht mehr gefallen“. Unserem. Unserem?! „Und diese Leute, die jetzt dort wohnen…grauenhaftes Pack! Die Frau hat sogar eine Waffe mitgebracht! Da kann man sich doch nicht mehr sicher fühlen!“. Bei diesen Worten muss ich beinahe schmunzeln. Wie es aussieht, habe ich die richtige Entscheidung getroffen und die neuen Bewohner haben das Monster vertrieben – auch, wenn das für mich selbst negative Konsequenzen hat. Zumindest finde ich langsam wieder zurück zu meiner Selbstsicherheit. </br></br>„Stacy, wach auf!“ Meine Stimme ist jetzt schon ein bisschen mehr als ein leises Zischen, aber noch immer verharre ich in zusammengekrümmter Position am oberen Ende des Bettes. Zum Glück hat Stacy einen leichten Schlaf. „Oh Gott!“ Ein markerschütternder Schrei geht von meiner Verlobten aus. Einen Moment lang ist es so still, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte. Meine Lunge fühlt sich an, als würde sie von meinem Atem nach innen gesaugt. Keiner sagt ein Wort, starrt nur sein Gegenüber an. Dann ist es Stacy, die die Stille beendet. „Hau ab!“, schleudert sie dem Ungeheuer entgegen. Dieses ist offenbar ebenso schockiert wie wir. „Na gut“, presst es hervor, bevor es mein Schlafzimmer durch die Türe verlässt. Stacy und ich sehen uns verblüfft an. Das war…merkwürdig. </br></br>Ich falle ihr um den Hals. „Danke. Danke Stacy. Oh Gott sei Dank!“. Die Worte sprudeln aus mir heraus, ohne wirklich etwas Bedeutendes zu sagen. Stacy scheint dagegen etwas angespannt zu sein. „Jane, ich habe sie gesehen. Ich habe sie verdammt nochmal gesehen. Real. Sie ist…entweder wir sind jetzt beide verrückt geworden oder dieses…dieses etwas existiert.“ Sie atmet schwer. „Du hast sie doch damals schon gesehen. Bei unserem gemeinsamen Traum“, entgegne ich ihr. Natürlich ist ein Traum nicht dasselbe wie die Wirklichkeit. Aber vielleicht bietet dieser Umstand zumindest eine Erklärung. „Meinst du, es könnte sein, dass wir beide, so schlaftrunken, einen Traum auf die Wirklichkeit projizieren?“, frage ich vorsichtig. Stacy scheint langsam wieder zu sich zu kommt. „Vielleicht. Möglich wäre es sicher. Wir müssen es heraus finden. Wenn sie wieder kommt, lassen wir sie nicht mehr so leicht entwischen. Falls sie wieder kommt.“ Mit diesen Worten legen wir uns zurück auf das Bett.</br></br></br></br>Als ich am nächsten Morgen alleine aufwache, mache ich mich als Erstes auf die Suche nach Stacy. Jetzt, bei Sonnenlicht, ist die gestrige Erfahrung nicht mehr ganz so gruslig. Ich schleiche in Stacies Ankleidezimmer, wo ich sie wie erwartet finde, zusammen mit ihrer Schwester. Mit prüfendem Blick mustert sie das Kleid, das diese angezogenhat. „Sehr schön. Und durch den weit fallenden Stoff unterhalb der Brust wird es sogar mit Schwangerschaftsbauch noch passen.“ Stacy selbst trägt ein Kleid ihrer eigenen Kollektion, was mir zwar ebenfalls etwas zu edel für ein Familientreffen vorkommt, aber zumindest nicht ganz so aufgetakelt wirkt, wie das, was sie gestern anhatte. Kim verdreht die Augen. „Endlich. Jetzt darf ich dafür Hochzeitsfrisuren an dir ausprobieren, nicht waaaaaaaaaahr?“, fragt sie und klatscht dabei begeistert in die Hände. </br></br></br></br>Bisher hat noch niemand wirklich Notiz von mir genommen. Von Kim bin ich das ja gewohnt, aber Stacy sollte mich nicht so ignorieren. Ich räuspere mich also auffällig laut. „Oh, hallo, Jane. Na, endlich aufgestanden?“, fragt sie schließlich, ohne sich umzudrehen. Durch den Spiegel zwinkert sie mir zu, während Kim sich an ihrer Frisur zu schaffen macht. „Eigentlich solltest du gar nicht hier sein“, wendet diese ein. „Es bringt Uuuuunglück, wenn man das Kleid vor der Hochzeit sieht – oder auch nur die Frisur der Braut.“ Ich grinse. „Davon abgesehen, dass mir das mit der Frisur neu ist, habe ich das Kleid schon längst gesehen. Stacy kann es also gerne noch einmal anziehen und zusammen mit ihrer Frisur vorführen.“ Kim sieht erst mich, dann Stacy verständnislos an. „Auf Hochzeitsbräuche geben wir beide nicht so viel“, erklärt Stacy dann lachend, „außerdem betrifft der Aberglaube ja eigentlich nur einen Bräutigam.“ </br></br>Als </br></br>Kim mit ihrer Kreation fertig ist, betrachtet sich Stacy skeptisch im Spiegel. „Ich weiß nicht…das ist etwas…pompös? Mir gefällt der toupierte Teil nicht.“ Wieder verdreht Kim die Augen. „Das war ja auch nur eine von viiiiiiielen Ideen. Frisur Nummer zwei ist schon in Vorbereitung“, gibt sie zu bedenken und beginnt, den Zopf wieder aufzulösen. Ich beschließe, dass ich mir nicht 49 weitere Frisuren ansehen muss und verabschiede mich von den beiden – wie mir scheint, sehr zu Kims Wohlgefallen. </br></br></br></br>Stattdessen beschließe ich, einem weiteren Mitglied meiner zukünftigen Familie auf den Zahn zu fühlen – Martin, Kims Ehemann. „Lust auf eine Runde Muskeltraining?“, frage ich ihn, „ich habe einen Trainingsraum, der niegelnagelneu und gut ausgestattet ist.“ Zehn Minuten später treffen wir uns zwischen einer Vielzahl an Geräten wieder. Ich lege mich auf die Multi-Körperpresse, während er sich auf einem Gerät niederlässt, das vor allem den Schulter-und Oberarmbereich trainiert. „Seit wann seid du und Kim eigentlich verheiratet?“, frage ich unverfänglich. „Schon seit 3…Jahren“, schnauft Martin zurück. „Und, wie ist das Familienleben bei den Leeser’s so?“, möchte ich wissen. Immerhin hat er da ja mehr Erfahrung, zumal seine Frau wesentlich mehr Zeit mit ihren Eltern verbringt. Außerdem sitzen wir praktisch im selben Boot. „Es ist…ganz…okay“, presst er hervor. </br></br></br></br>Schließlich setzt er sich auf und atmet ein paar Mal tief durch. „Nicht jeder Abend ist so verrückt wie gestern, falls du das meinst. Eigentlich bemühen sich meistens alle, höflich zu bleiben. Fast schon zu höflich…“ Ich nicke wissend. „Das sehe ich auch so. Und wie ist es, wenn Stacy nicht dabei ist?“ Immerhin hat die gute Tochter einen wesentlich herzlicheren Kontakt zu ihren Eltern. Da könnte es doch auch sein, dass sie in ihrer Gegenwart gelöster sind. Zumindest stelle ich mir das so vor. „Tut mir leid, ich glaube, das letzte Mal, das ich Fitnessstudio von innen gesehen habe, ist ebenfalls 3 Jahre her. Können wir die Unterhaltung auf die Laufbänder verlagern?“ </br></br></br></br>„Klar.“ Leider scheint Martin mit den Laufbändern auch nicht viel mehr Erfahrung zu haben. „Wo stellt man denn bei dem Sch*** langsamer?“, flucht er, während er beinahe vom Band fällt. „Unten rechts“, gebe ich zurück. Verbissen tippt er an der LCD Anzeige herum. „Oh Mann. Ich sollte sowas wirklich öfter machen. Das ist die Warnung des Schicksals, dass ich ansonsten bald einen Managerbauch bekommen werde.“ Schließlich hat er es geschafft und trabt langsam neben mir her. „Ehrlich gesagt meide ich Familientreffen meistens. Bei meinem Job ist das ja auch nicht wirklich schwierig. Und Überstunden liegen immerhin auch im Interesse von Kim, die Designerhandtaschen müssen ja schließlich irgendwie bezahlt werden.“ Er zwinkert mir zu. </br></br></br></br>„Ihr solltet euch das mit Kindern echt gut überlegen. Das erste Jahr war der reinste Wahnsinn. Ständig Gebrülle oder Geheule und durchschlafen kann man überhaupt nicht mehr. Dann kommen noch so lustige Dinge dazu wie Windeln wechseln. Und nichts mehr in der Wohnung ist sicher! Alles wird angefasst und abgeschleckt oder sogar zertrümmert. Oh Mann. Ich verstehe wirklich nicht, wieso Kim unbedingt noch ein Kind wollte“. „Sehe ich eigentlich auch so“, gebe ich zurück. Dass man sich soetwas meiner Meinung nach überlegen sollte, bevor man ein Kind zeugt, behalte ich mal lieber für mich. Seine plötzliche Offenheit überrascht mich nicht, sondern erinnert mich daran, warum ich kaum heterosexuelle männliche Freunde habe. Wenn man sich als Lesbe outet, kommt bei den meisten irgendwann der Punkt, an dem sie einen als „einen Kumpel“ akzeptieren und ihr wahres Gesicht zeigen – was nicht immer eine positive Verwandlung ist. „Ich sollte besser noch ein paar e-mails von meinen Kunden checken. Du kannst natürlich gerne weiter trainieren“, verabschiede ich mich. </br></br></br></br>Wie sich heraus stellt, hat man in diesem Haus überhaupt nicht mehr seine Ruhe. Kaum habe ich mich an den PC gesetzt, kommt plötzlich Lily um die Ecke. „Spielst du mit mir Hochwerfen? Mami sagt, sie darf nicht, weil sie schwanger ist. Und Papi finde ich nirgends.“ Das wundert mich nicht, denke ich, spreche es aber nicht laut aus. „Warte kurz“, antworte ich, während ich einem Kunden die abgeänderten Pläne schicke. Tatsächlich scheint es sich um ein sehr wohlerzogenes Kind zu handeln, denn Lily bleibt einfach stehen und beobachtet mich bei der Arbeit – was für sie wohl nicht besonders interessant sein kann. Ich überlege, ob ich diesen Zustand einfach so lange hinaus zögern kann, bis ihr langweilig wird und sie von selbst geht, aber schließlich tut sie mir doch leid. </br></br></br></br>„Wuuuhiiiiiiiiiii“, jubelt das Kind. „Jaaa, höher, höher! Mami wirft mich nie so hoch in die Luft!“. Tatsächlich überlege ich, ob das nicht schon zu hoch ist, aber da niemand hier ist, der sich beschweren könnte und ich das Lily auch immer wieder rechtzeitig auffange, mache ich einfach weiter. Immerhin muss das arme Ding ansonsten so langweilige Dinge wie Ballettunterricht durchstehen. „Das ist sooo lustig!“, quietscht sie vor Vergnügen. </br></br></br></br>„Okay, das ist genug für heute. Es wird langsam Zeit für das Abendessen und dein Opa hat versprochen, Hot Dogs zu grillen.“ – „Jaaa, Hot Dogs! Tante Jane, du bist die Beste!“, meint Lily und kuschelt sich an mich. Dann, nach einem kurzen Moment des Nachdenkens, fügt sie hinzu „Wir könnten doch ein Picknick machen! Hast du eine Decke da, Tante Jane?“. „Habe ich nicht, aber ein alter Teppich müsste hier noch irgendwo herum liegen.“ </br></br></br></br>In irgendeiner der Kisten, die seit unserem Umzug noch immer ungeöffnet im Keller stehen, finde ich schließlich den Teppich – und nicht nur das, auch ein kleines Picknickkörbchen mit Puppengeschirr und Spielfiguren liegt darunter. Du meine Güte, das muss noch von Ruth und mir sein! Ich nehme das Körbchen mit ins Freie, wo Lily schon auf mich wartet. Weder der leicht modrige Geruch, noch der Nieselregen, der gerade einsetzt, scheint sie zu stören. „Ich bin ein Dinosaurier! Raaawwwwr!“ Unvermittelt muss wieder an Ruth denken. Wir haben mit den Puppen meistens Szenen aus unserem eigenen Familienleben nachgespielt. „Was passiert eigentlich mit Eltern, die nicht brav sind? Kommt dann auch der Nikolaus und steckt sie in ein Tintenfass? Oder schneidet ihnen jemand den Daumen ab?“, tönt mir plötzlich ihre Stimme im Ohr. Doch Lily reisst mich sofort wieder aus den Gedanken. „Ich fresse diese Menschen! Raaaawwwr!“ </br></br></br></br>„Lily, Schaaaatz, spiel doch nicht immer so wilde Sachen“, tönt Kims zuckersüße Stimme von der Terrasse her. Dort hat sich mittlerweile der Rest der Familie um den Tisch versammelt. Nur Stacy fehlt. Ich frage mich, wo sie ist. „Jane, ihr solltet langsam herüber kommen. Die Hot Dogs sind gleich fertig!“, ruft Charlotte hinterher. „Aber wir wollten doch ein Picknick machen!“, erwidert Lily statt mir und lässt dabei enttäuscht das Spielzeugmännchen aus ihrem Mund fallen. „Bei diesem Regen? Sicher nicht. Komm sofort her, Lily! Du erkältest dich noch, wenn du so lange auf diesem nassen Teppich sitzt.“ Lily sieht mich kurz fragend an, entscheidet sich dann aber doch, der Aufforderung ihrer Großmutter zu folgen. Ich zucke resigniert mit den Schultern. Als wären die paar Tropfen ein Weltuntergang. </br></br></br></br>Im selben Moment, als wir die Terrasse betreten, kommt Stacy vorbei. Ohne eine Erklärung, wo sie so lange war, stellt sie einen Hochstuhl für Lily zum Tisch. Vermutlich ist das die Erklärung, immerhin muss der Stuhl ja auch irgendwo her kommen. Kim wäre es zwar zuzutrauen, die gesamte Einrichtung des Kinderzimmers ins Auto zu packen, aber die grüne Tarnfarbe passt nicht wirklich zu ihrem Geschmack. Bei dieser Gelegenheit fällt mir auf, dass der Terrassentisch eindeutig zu klein ist. „Einen größeren Tisch kaufen“, hefte ich an meine imaginäre Pinnwand. Obwohl, allzu lange wird die Familie hoffentlich auch nicht bleiben. In der Zwischenzeit hat es aufgehört zu regnen und Lily denkt sofort daran, den Rest der Familie darauf aufmerksam zu machen. „Die Sonne scheeeiiiint! Die Sonne scheeeiiiint! Wir können jetzt picknicken!“. Meine Schwiegermutter in spe hat sofort eine Entgegnung parat. „Dafür ist der Teppich jetzt nass. Du holst dir eine Blasenentzündung, wenn du dich jetzt darauf setzt, mein Schatz.“ Ich verteidige die Idee der Kleinen: „Ach was, das waren doch nur ein paar Tropfen“. Charlotte wirft mir einen giftigen Blick zu, sagt aber nichts mehr. </br></br></br></br>Dafür strahlt Lily mich an. „Jaaaa, wir machen ein Picknick, wir machen ein Picknick! Loooos, kommt alle mit!“ Zumindest die jüngere Generation der Familie folgt ihrem Aufruf. Dabei fällt mir auf, wie gut die beiden Schwestern mittlerweile kooperieren. Kim schnappt sich zwei Polster, während Stacy noch zwei weitere Teller Hot Dogs mit nach unten nimmt. Im Gegensatz dazu taucht Martin mit keinem von beidem auf. Schmunzelnd bemerke ich, wie er versucht, sich zu erklären. „Ich…äh…habe keinen Hunger mehr“, meint er und blickt dabei wehmütig auf seinen Bauch. Zuzugeben, dass er sich Sorgen um seine Figur macht, wäre wohl zu unmännlich. In einem unbeobachteten Moment beugt sich Stacy zu mir herüber. „Ich habe eine Lösung für unser Problem“, flüstert sie mir zu.

  • Jaaa, eine Fortsetzung!!


    Oh Mann, Stacys Familie ist ganz schön anstrengend... Aber ist ja krass wie die Mutter drauf ist! Freut sich über ein adliges Kind und es ist ihr ganz egal, ob die Tochter darunter leidet. Kims Freund scheint ja auch nicht so angetan von der Familie zu sein. Nicht, dass der sich noch nach dem zweiten "schreienden Kind" aus dem Staub macht^^
    Aber schön, dass Jane und Stacy so gut zusammenhalten und ich freu mich schon wahnsinnig auf die Hochzeitsbilder!


    Sind auf jeden Fall mal wieder sehr gelungene Bilder geworden und deine Story dazu ist tiptop!
    Fragt sich jetzt nur wie es mit Ruth und auch mit dem Monster weitergeht!


    Liebe Grüße! :)

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  • Oh Mann, Stacys Familie ist ganz schön anstrengend... Aber ist ja krass wie die Mutter drauf ist!


    Allerdings. Die passt ja fast zu Janes Mutter. ;)


    Kims Freund scheint ja auch nicht so angetan von der Familie zu sein. Nicht, dass der sich noch nach dem zweiten "schreienden Kind" aus dem Staub macht^^


    Würde irgendwie zu ihm passen, aber ich denke, das wird erst mal lange Zeit nicht passieren, wenn überhaupt. Dazu ist er zu träge/feige.



    Sind auf jeden Fall mal wieder sehr gelungene Bilder geworden und deine Story dazu ist tiptop!
    Fragt sich jetzt nur wie es mit Ruth und auch mit dem Monster weitergeht!


    Danke! Ab dem übernächsten Kapitel gibt es Aufklärung. :)










  • Bevor ich nachfragen kann, springt sie plötzlich auf. „Cara! Was machst du denn hier?“ „Überraschungsbesuch! Außerdem habe ich gehört, die Brautfrisur wurde ohne mich ausgesucht und versuche nun, Schlimmeres zu verhindern.“ Sie zwinkert Stacy verschwörerisch zu. „Wir sollten hier langsam aufräumen, es fängt ja schon wieder zu regnen an. Lily, Schatz, komm unter das Dach, sonst holst du dir noch eine Erkältung. Überhaupt ist es schon ziemlich spät, es wird ja gleich dunkel. Du solltest langsam ins Bett gehen“, gibt Kim zu bedenken. Ich verkneife mir ein genervtes Aufstöhnen. Dieses Kind kann einem wirklich nur leid tun. „Geht ihr nur Frisuren üben. Wir räumen hier in der Zwischenzeit auf“, meine ich zu Stacy, „und Lily kann mir noch helfen, den Teppich zurück in den Keller zu bringen, nicht wahr?“ Lily macht große Augen. „Ich darf mit in den Keller gehen?“. Dass Kim darauf hin die Augen verdreht, hätte ich fast voraussehen können. „Na schön“, antwortet sie schließlich, „aber beeilt euch, danach ist es wirklich Zeit fürs Bett.“









    Als wir fertig sind, treffe ich Cara und Stacy im Wohnzimmer – in meinem Wohnzimmer wohlgemerkt, was vielleicht ganz gut ist, denn bei dem Lärm, den die beiden veranstalten, kann wohl kein Kleinkind schlafen. „Wuhuuu! Tooooooor!“, gröhlt Stacy. „Hey, das war total unfair! Kein Schiedsrichter der Welt würde das durchgehen lassen!“, beschwert Cara sich, worauf Stacy aber nicht wirklich eingehen zu scheint. „Gleich schieß ich noch eines, warte nur!“. „Habt ihr etwas getrunken?“, frage ich verwundert. „Nur ein kleeeeeeiiiiiiiiiiines bisschen Prosecco. Ein klitzekleines bisschen“, gibt Cara grinsend zu und zeigt dabei mit ihren Fingern eine Menge an, die bestimmt kleiner ist als die, die sie tatsächlich getrunken haben.









    „Hallo, Ladies! Na, habt ihr euch einen fröhlichen Abend gemacht?“, höre ich es plötzlich hinter mir. „Max! Was machst du denn noch hier?“, frage ich. „Na, putzen. Es war ja heute einiges an Geschirr abzuspülen – und die Sektgläser natürlich. Außerdem habe ich gesehen, dass die Regale und Tische hier im Wohnzimmer dringend abgewischt gehören“, grinst er und wendet sich mit vollem Elan einer Theke zu, die überhaupt nicht schmutzig ist. „Wer ist denn das?“, säuselt Cara neugierig. „Maximilian Sander, unsere neue neue Reinigungskraft“, erkläre ich. „Es wundert mich, dass ihr noch nicht Bekanntschaft gemacht habt, denn eigentlich flirtet Max jedes weibliche Wesen an, das seinen Fuß in unsere Häuser setzt.“ Womit er bisher aus offensichtlichen Gründen wenig Erfolg hatte.









    „Also ich wurde bisher noch gar nicht angeflirtet“, beschwert sich Cara und tapst etwas schwankend auf ihn zu. „Das müssen wir natürlich unbedingt ändern“, grinst Max, „so hübsche Frauen wie dich sehe ich bei meiner Arbeit selten“. Mit einem Seitenblick auf mich fügt er hinzu „äh, außer meine bezaubernden Arbeitgeberinnern natürlich. Aber das ist ja etwas anderes.“ Ich kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Tatsächlich sind mir das plumpe Flirten und das weit offene Hemd lieber als der Stress, den eine Frau als Reinigungskraft wohl nach unseren letzten Erfahrungen verursachen würde. Außerdem kann ich mich über die Sauberkeit nicht beschweren.









    Cara scheint auch ganz begeistert zu sein. „Das heißt, du bist öfters hier? Kommst du jetzt jeden Tag?“. „Schaut ganz danach aus. Vielleicht in Zukunft sogar zweimal am Tag, wenn hier öfters Sektparties steigen.“ Oh Mann. Ich sollte diese „Party“ verlassen und mich sinnvolleren Dingen zuwenden. Als Cara mit ehrlich interessiertem Gesicht fragt „Und, wie ist das denn so, als Reinigungskraft zu arbeiten?“ und Stacy auch noch vom Sofa aus schreit „Cara, wenn du nicht sofort zurück kommst, schieße ich ohne dich Tore“, verabschiede ich mich von den beiden und gehe auf mein Büro zu.









    Es geht doch nichts über einen exakten, handgezeichneten Grundriss. Während die meiste Arbeit mittlerweile am Computer abläuft, hat das Zeichnen schon fast einen meditativen Wert für mich. Deswegen fertige ich meine Entwurfsskizzen gerne per Hand an. Auch, wenn der Auftrag – ein Einfamilienhaus für ein Anwaltspäärchen und ihre drei Kinder – verhältnismäßig langweilig ist, fallen mir bald kreative Ideen für die Gestaltung ein.









    So in meine Arbeit vertieft, merke ich nicht, wie die Tür zu meinem Büro aufgeht. „Jane?“, höre ich schließlich und fahre herum. „Ich wollte mich nur verabschieden. Ich fahre jetzt heim. Und du solltest auch besser schlafen gehen“, erklärt mir eine deutlich ausgenüchterte Cara. Ich seufze. „Ich weiß. Ich mache noch schnell die Skizze fertig, dann leg ich mich ins Bett. Komm gut nach Hause.“ Sie winkt mir noch einmal zu und ich bekomme schon fast nicht mehr mit, wie sie zur Terrassentür hinaus geht.









    Leider habe ich nicht lange meine Ruhe, denn kurz darauf kommt Kim in das Zimmer. „Ohh, was machst du denn da Schönes?“ Offensichtlich erwartet sie, dass ich ihr die Skizze erkläre, was ich dann auch in knappen Worten mache. Besonders scheinen sie meine Ausführungen allerdings nicht zu interessieren, denn kaum bin ich damit fertig, plappert sie schon wieder wie ein Wasserfall. „Weißt du, Martin und ich wollten ja auch gerne ein Ferienhäuschen haben. Vor allem für mich und die Kinder natürlich, er muss ja so viel arbeiten.“ Beim letzten Satz verdreht sie kurz die Augen, setzt aber sofort wieder ihr Dauerlächeln auf. Ich frage mich langsam, ob alle in dieser Familie mir von ihren Problemen erzählen wollen. Fehlt nur noch, dass meine Schwiegermutter auch ankommt!









    Kim beugt sich noch tiefer über meinen fast fertigen Grundriss, sodass ihre Brüste meinen Hinterkopf berühren. Bilde ich mir das ein? „Das sieht ja richtig gut aus, wie du das machst. So professionell.“ „Naja, ich mache es ja auch beruflich“, antworte ich etwas irritiert. „Ach, ich schätze, ich sollte nach dem zweiten Kind auch wieder anfangen zu arbeiten. Vielleicht bringt es Martin ja auch dazu, sich etwas mehr mit den Kindern zu beschäftigen.“ Ich bezweifle das, schweige aber lieber. „Weißt du, da denkt man, es ist alles so offen und man hat so viele Möglichkeiten und fällt dann doch wieder in alte Rollenbilder zurück. Denn natürlich verdient der Mann mehr. Also ist es ja nur logisch, dass man länger daheim bleibt. Außerdem muss ich ja nicht arbeiten. Wir haben genug Geld.“ Sie seufzt. „Aber damit werdet ihr wohl weniger Probleme haben.“









    Erneut wechselt sie die Position und beugt seitlich über meinen Schreibtisch. „Weißt du, irgendwie würde es mich schon mal interessieren, wie das so ist, mit einer Frau,…“ Bei ihren letzten Worten schaut sie mir vielsagend in die Augen. Okay, ich bilde mir das definitiv nicht ein. „Jane, findest du mich attraktiv?“ „Ich, äh –“ Ich würde lügen, wenn ich jetzt „Nein“ sagen würde, aber andererseits ist „Ja“ zu antworten wohl auch keine gute Idee. „Kim, du bist…“ beginne ich wieder, doch sie unterbricht mich mit einem affektiert wirkenden Kichern. „Komm schon, jeder weiß, dass ich die hübschere Schwester bin. Und von mir würde Stacy garantiert nichts erfahren.“ Oh Gott. „Weißt du Kim, es war ein langer Tag, ich denke…“ – „Ach, es tut mir leid, ich weiß auch nicht, was gerade in mich gefahren ist. Wahrscheinlich bin ich einfach zu frustriert. Um mich herum sind alle so erfolgreich und glücklich, und ich… mir schenkt gar niemand mehr Aufmerksamkeit. Ich werde gar nicht mehr richtig als Frau wahrgenommen, seit wir Kinder haben. Das letzte Mal, dass wir Sex hatten, der nicht nur aus Rein-Raus bestand, ist über ein Jahr her. Dabei will ich doch nur ein bisschen…Zuneigung.“ Sie sieht mich mit großen Augen an – zu großen Augen. „Ich gehe jetzt duschen“, beende ich das unangenehme Gespräch, „alleine!“, füge ich hinzu, als ich ihren hoffnungsvollen Blick sehe.









    Meine Gedanken kreisen, als ich unter der Dusche stehe. Wäre ich doch früher ins Bett gegangen! Und warum eigentlich immer ich? Miranda, Kim…eigentlich könnte man glauben, dass Stacy als ehemaliges Model mehr Angebote bekommen würde. Aber vielleicht ist sie auch so daran gewöhnt, dass sie diese ablehnt, ohne auch nur länger darüber nachzudenken. Selbstverständlich eben. Wenn die beiden Schwestern besser miteinander auskommen würden, könnte man denken, dass das gerade ein Trick war, um meine Treue zu testen. Aber das sieht Stacy nicht ähnlich. Und Kim? Verdammt, wenn sie nur nicht so scharf aussehen würde, wäre es einfacher, souverän zu bleiben. Sie noch länger im Haus zu haben, scheint mir nach diesem Desaster überhaupt nicht verlockend.









    Als ich aus der Dusche steige, höre ich ein lautes Geräusch, als wäre etwas Großes umgefallen. Der Fitnessraum? Ist Martin um diese Uhrzeit noch dabei, an seinem Bauch zu arbeiten? Ich sollte nachsehen, bevor ich schlafen gehe. Außerdem muss ich meine Gedanken ordnen. Die wichtigste Frage ist: Was sage ich Stacy? Wenn ich nichts sage, würde sie sich sicher hintergangen fühlen, aber vermutlich wird sie die Wahrheit auch nicht unbedingt gerne hören wollen. Und wie wird sie wohl reagieren? Ach Mist! So eine blöde Situation so kurz vor der Hochzeit!





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    Alles ist ruhig. Ich frage mich, woher das Geräusch gekommen ist. Sorgfältig kontrolliere ich noch einmal alle Geräte – nichts. Merkwürdig. Vielleicht war es einfach nur ein Zeichen der Übermüdung. Ich sollte längst im Bett sein. Ein letztes Mal gehe ich eine Kontrollrunde durch den Fitnessraum, als mein Blick an der Treppe hängen bleibt.

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    Stacy! Mit Schrecken sehe ich hinunter auf das Wohnzimmer. Nein! Das darf nicht wahr sein. Das muss schon ein Traum sein. Bitte! Ihr Körper bewegt sich nicht. Ist sie etwa…? Mein Herz hämmert in meiner Brust. Mein Puls steigt. Ohne einen weiteren Augenblick zu verschwenden, stürze ich die Treppe hinunter. Stacy!

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    Das blanke Entsetzen packt mich, als ich die Waffe neben ihr sehe. Oh Gott, Stacy! Bitte nicht! Bitte sag, dass das nicht wahr ist. Ich halte kurz inne. Aber da ist kein Blut. Mein Herzschlag beruhigt sich etwas. Kein Blut. Vielleicht ist sie nur gestürzt. Vielleicht… Ich beuge mich zu ihr hinunter. Stacy?

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    Bevor ich ihren Körper berühren kann, drückt mich eine unerwartete Gewalt gegen die kalte Glasscheibe der Treppe. Nein! Stacy! Ich muss zu ihr! Madiger Atem schlägt mir ins Gesicht. „Es ist zu spät. Sie ist tot. Es gibt nur noch uns beide“, haucht sie mir ins Ohr. Nein. „Du lügst! Ich muss zu ihr!“, schreie ich sie an. Ich spüre ihren ruhigen, gleichmäßigen Herzschlag an meiner Brust. Mein eigener hämmert in Rekordgeschwindigkeit dagegen. „Sie hätte keine Waffe dabei haben sollen“, säuselt sie, „Waffen sind gefährlich. Ich kann so etwas nicht in meinem Haus tolerieren.“ Mit enormer Anstrengung schiebe ich sie von mir weg, haste auf Stacy zu, doch im nächsten Moment spüre ich schon wieder ein Hand an meiner Hüfte, die mich von ihr wegdrückt. Ich kralle meine Fingernägel in ihre Haut, die sich seltsam weich und gummiartig anfühlt.

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    Verdammt, seit wann ist sie so stark? Sie schleift mich immer weiter von Stacy weg, in die andere Seite des Raumes. „Nein, lass mich zu ihr!“ Ich trete, stoße, kratze, wehre mich mit Armen und Beinen. Nein. Nein! „Wirst du wohl Ruhe geben!“, herrscht sie mich an und versetzt mir einen kräftigen Schlag gegen die Brust. Noch während ich falle, denke ich „So hat sie es mit Stacy auch gemacht“. Ich schlage hart auf den Boden auf. Irgendetwas in meiner Lendenwirbelsäule knackt und mein Kreuz tut furchtbar weh. Aber ich bin noch bei Bewusstsein. Hastig rapple ich mich auf. Jede Bewegung schmerzt.

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    Kaum sitze ich aufrecht, fährt eine kalte, labbrige Hand über meinen Mund. Ich versuche, sie weg von meinem Gesicht zu drücken. „Gib dir keine Mühe. Sie wird nicht wieder aufwachen. Es ist jetzt an der Zeit, dich zu erinnern. Das, was du eigentlich nie tun wolltest. Es ist Zeit für die Wahrheit.“ Noch immer strample ich mit meinen Beinen, meine Finger krallen sich an ihre. Ich muss zu Stacy! Sie drückt mir die Nase zu. Ich reiße meinen Mund auf, doch auch hier atme ich nur faulige, abgestandene Luft ein. Ich merke, wie ich schwächer werde.

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    „Erinnere dich. Erinnere dich“, höre ich rund um mich herum. Der Raum um mich herum wird immer dunkler. Mit letzter Kraft beiße ich ihr in die Hand, doch es zeigt keine Wirkung. Ihre Stimme hallt wie ein Echo in meinem Kopf. „Es wird Zeit, dass du dich zurück erinnerst. An all das, was du eigentlich vergessen wolltest. Erinnere dich. Erinnere dich, Ruth…“

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    Ich saß auf dem harten Holzboden. Irgendwo knarrte es. Ich hatte Angst. Große Angst. Ich war im Zimmer meiner Schwester. Meiner Schwester…Jane. „Wozu brauchst du einen Schutzengel?“, fragte sie mich. Dabei wusste sie doch ganz genau, wozu ich einen brauche. Sie hatte das Kind doch auch gesehen. Sie wusste, wozu es fähig war. Aber so war Jane. Sie verdrängte unangenehme Dinge lieber, als sich ihnen zu stellen. Immer passiv. Verkroch sich hinter ihren Büchern und tat, als ob nichts in der Welt sie etwas anginge.

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    Sie wollte es nicht hören. Sie wollte nicht über das Kind reden. Mein Kind. Unser Kind. Ich dachte, wenn ich es ihr zeigen würde, würde sie sich ebenfalls dafür verantwortlich fühlen. Aber dieser Plan war wohl nach hinten los gegangen. Für sie existierte dieses Wesen nicht, solange ich sie nicht daran erinnerte. Vermutlich war es schon eine Unterbrechung für sie, dass ich in ihrem Zimmer saß und auf den Boden starrte, ihrem aufgeräumten, sauberen, stets ordentlichen Zimmer. So ordentlich wie Jane. Ich würde es wohl nie auf die Reihe bringen, selbst so viel Ordnung zu halten. Die Versuche meiner Mutter, mich in diese Richtung zu erziehen, schlugen ins Nichts. „Weil ich jemanden brauche, der mich beschützt. Ich habe doch niemanden, der mich beschützen kann“, antwortete ich also statt der Wahrheit. „Wovor brauchst du denn Schutz?“, fragte sie.

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    Als ich nicht antwortete, bückte sie sich zu mir herunter und strich mir über die Haare, als würde sie sich ernsthaft Sorgen machen. Empathie war wohl noch nie ihre Stärke. Aber zumindest versuchte sie es. „Wieso betest du nicht stattdessen? Bete doch zu einem Engel“, sagte sie nun. Ich rang darum, meine Nerven zu behalten. Beten. Beinahe hätte ich laut aufgelacht. „Das geht nicht. Gott hasst mich“, antwortete ich. „So ein Unsinn! Wieso sollte Gott dich hassen? Gott liebt doch alle Menschen“, warf Jane ein. „Ich habe gesündigt“, murmelte ich nur. Ich habe gegen jede verdammte Regel verstoßen, die diese lebensfeindliche Religion jemals aufgestellt hat, denke ich bei mir. Wenn Gott existiert, bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als mich zu hassen.

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    Ich betrat den Raum. Die drei Mädchen, die an der Bar saßen, wandten sich mir zu. Jede von ihnen hatte ein Glas Rotwein in der Hand, nur Lana zog wie immer an einer Zigarette. Meine Freundinnen. Was auch immer dieses Wort bedeutete. Für mich waren sie der einzige Zugang zu Freiheit in meinem Leben. „Na endlich! Wir haben schon auf dich gewartet!“, rief Jessy mir zu. „Meine Eltern wollten mich nicht raus lassen“, gab ich nur als Antwort. Dafür hatte jede Verständnis. Wir hatten alle strenge Eltern. Meine trieben es allerdings auf die Spitze.

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    Lana warf mir einen lässigen Blick zu. „Komm, setzt dich her!“, sagte sie und drückte mir noch im Vorbeigehen ein Glas Rotwein in die Hand. Dann nahm sie einen tiefen Zug von ihrer Zigarette und blies den Rauch langsam heraus. Ich fand sie unglaublich cool. Ich kannte kein anderes Mädchen, das rauchte - bis auf Betty natürlich. Aber die war eine Lesbe und zählte somit nicht richtig. „Soll ich euch erzählen, wer gestern in meinem Bettchen geschlafen hat?“, fragte Lana mit gespielt unschuldiger Stimme und fuhr gleich, ohne unsere Antwort abzuwarten, fort „Martin Oberhauser.“ „Der Sohn des Bürgermeisters!“, platzte ich heraus. Sie nickte stolz. „Geht der nicht auf eine Privatschule?“, fragte Milena neugierig. „Und auf was für eine! Sein Vater will ihn vom Pöbel in diesem Dorf fernhalten“, grinste Lana und verdrehte die Augen belustigt.

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    „Betty hat mich vorgestern nach der Schule angesprochen“, erklärte Jessy nun der Runde. „Die Lesbe?“, warf ich ein. „Genau die“, antwortete Jessy. „Und, was hast du gemacht?“, wollte Milena wissen. „Nichts natürlich. Ich fang doch nichts mit einem Mädchen an!“, entgegnete Jessy entsetzt. „Hat eine von euch schon einmal?“, fragte sie dann in die Runde. „Einmal“, antwortete Lana zu unserem Erstaunen. „Ich war mit meiner älteren Schwester aus. Wir waren in einem Club, in dem…einige solcher Frauen waren.“ „Und, wie war es?“, fragte Milena. „Es war gut. Besser, als mit einem Mann. Sie wusste genau, was ich wollte. Aber vielleicht lag es auch daran, dass sie älter war als ich.“ Sie zuckte mit den Schultern, als wäre das keine große Sache.

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    Als nächste begann Milena zu erzählen. „Leo hat sich letztes Wochenende bei meinen Eltern vorgestellt. Ganz förmlich und höflich. Wenn die wüssten. Ich glaube, sie sehen uns schon am Altar, mich im weißen Hochzeitskleid und ihn im Anzug.“ „Und dann wirst du ein, zwei Kinder bekommen, in ein hübsches Häuschen in der Nachbarschaft ziehen und all deine Träume und Wünsche für ein Dasein als biedere Hausfrau begraben“, führte Lana die Fantasie fort und kicherte. Milena boxte ihr scherzhaft auf die Schulter. „Vorher brenne ich mit dem Teufel persönlich durch – oder mit dem Kerl da drüben“, sagte sie und warf einen lüsternen Blick auf den blonden jungen Mann, der auf uns zukam.

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    Alle musterten ihn mit aufgeregten Blicken. Ab diesem Zeitpunkt war der Sportsgeist in uns erwacht. Wer würde ihn bekommen? Meine Freundinnen scherten sich genauso wenig um das, was angebracht war, wie ich. Wer auch immer sich den gutaussehenden Typen unter den Nagel reißen konnte, würde den Lorbeerkranz des Sieges davon tragen und Bewunderung ernten. Das war es auch schon. Keine Eifersüchteleien, kein Gezicke. Gelästert wurde hier nur über die anderen. Danach würde man wieder zur Tagesordnung über gehen. Deshalb liebte ich diese drei Mädchen so sehr.

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    Er sprach mich an. Natürlich sprach er mich an. Ich hatte genug Erfahrung mit Männern, mehr als die anderen drei und ich wusste, welche Zeichen ich senden musste. Meistens reichte ein Blick aus, um zu bekommen, was ich wollte. „Ich bin Matt“, stellte er sich vor. Ich merkte schnell, dass er hinter seiner selbstbewussten Fassade nervös war. Seinem frisch gebügelten Hemd nach zu urteilen hatten seine Eltern genügend Geld, sein Vater war irgendein höheres Tier in irgendeinem Büro und er eiferte ihm nach. Aber dem Zittern in seiner Stimme nach hatte er sich das Hemd nur ausgeliehen, um damit Mädchen beeindrucken zu können.

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    „Ich stehe eigentlich nicht auf Männer in Hemden“, versuchte ich, ihn heraus zu fordern. „Ich trage eigentlich auch keine Hemden“, antwortete er prompt. Im selben Moment schien eine Maske von ihm abzufallen. „Ehrlich, das ist…ich ziehe sowas nur zum Ausgehen an. Hat mir ein Freund geliehen, dessen Eltern mehr Geld haben als ich. Aber eigentlich finde ich das ganz oberflächlich. Weißt du, in unserer Gesellschaft wird man immer danach beurteilt, wer man ist und was man hat. Dabei geht es doch eigentlich um ganz etwas anderes.“ Ich nickte aufmerksam. Ab diesem Zeitpunkt brauchte man eigentlich nicht mehr viel zu tun, denn Männer hören sich gerne selbst reden.

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    „Weißt du, Marx hat gesagt „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaften ist die Geschichte von Klassenkämpfen.“ Jede Revolution, jeder Krieg, es geht immer um dasselbe. Und heute haben wir Frieden, aber es geht uns auch nicht viel besser. Die, die das Geld haben, bestimmen.“ Er schaute mich erwartungsvoll an. „Du bist so besonders“, antwortete ich, weil es das war, was er hören wollte. In Wahrheit hatte ich schon so viele Marx-Zitate gehört, wie ich männliche Studenten gevögelt hatte. Ich hatte es aufgegeben, ernsthaft darauf einzugehen. Verliebtheit entsteht dadurch, dass man etwas in den anderen hinein projiziert. Je weniger er von mir wusste, umso mehr konnte er mich mit seinen eigenen Ideen von einer idealen Frau füllen. Vor allem aber war Matt keiner der Männer, die tatsächlich einen politischen Diskurs führen wollten. Er wollte vor allem zeigen, wie belesen er war.

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    Ich wartete drei weitere Dates ab, bis ich mit ihm ins Bett ging. Als wir auf seinem Bett kuschelten, sah er mich an, als ob er mir einen Heiratsantrag machen wollte. „Du bist so anders als alle anderen“, hauchte er mir zu, „Du interessierst dich für Politik und du kannst so gut zu hören. Wir sind uns so ähnlich. Früher habe ich immer nur versucht, Mädchen für eine Nacht aufzureißen, aber mit dir könnte ich mir vorstellen…“ Ich war mir nicht sicher, ob ich seine Zukunftsvorstellung hören wollte. „Stell dir vor, wir hätten ein kleines Häuschen mit Apfelbäumen im Garten. Du könntest selbst Marmelade kochen und wenn ich von der Arbeit heim käme, würde es wunderbar nach Apfelkuchen duften.“ Das war goldig. Ich wünschte, meine Freundinnen könnten es hören.

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    War es normal, dass ich so kalt war? Jungs hatten mich noch nie besonders begeistert. Die „große Liebe“, von der alle redeten. Was war das? Matt legte sich auf mich. Er war nervös. Ziemlich sicher hatte er weniger Erfahrung als ich, aber das durfte man Männern natürlich nicht zeigen. Ich lag also da und wartete. Von meinen Freundinnen hatte nur Lana bisher einen Orgasmus mit einem Mann gehabt. Ich auch noch nie und ich merkte schnell, dass das hier keine Ausnahme sein würde.

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    Natürlich war das ebenfalls etwas, das man Männern besser nicht zeigen sollte. Nachdem das Herumgestochere diesmal besonders langweilig war, wartete ich auch nicht lange damit, ihm etwas vorzuspielen. Vielleicht musste man verliebt sein, um Sex genießen zu können. Vielleicht war ich einfach schon zu abgebrüht.

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    Es dauerte nicht lange, bis er ebenfalls stöhnte und dieses Mal war es nicht vorgespielt. Ich betrachtete seinen Körper nachdenklich. Er sah gut aus, vermutlich. Genau der Typ, mit dem man angeben konnte. Aber so durchschnittlich. Je mehr Männer ich hatte, umso ähnlicher wurden sie einander und umso weniger empfand ich ihre Eigenarten als interessant. Matt war besonders uninteressant und er würde mich nicht glücklich machen. Nicht geistig, nicht sexuell.



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    Ich stand auf und zog mich an. Auf Nimmerwiedersehen, dachte ich, beugte mich aber stattdessen noch einmal über ihn und gab ihm einen Kuss. „Auf Wiedersehen, mein Schatz“, sagte ich lächelnd und suchte den Rest meiner Kleidung.

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    Wir saßen auf meinem Bett. Jane ließ ihren Blick durch mein Zimmer wandern. Die Unordnung schien ihr unbehaglich zu sein. „Und, wie war es?“, fragte sie. Ich zuckte mit den Schultern. „Wie immer.“ Sie sah mich mit großen Augen an. Es war offensichtlich, dass sie mehr wissen wollte, aber sich nicht zu fragen traute. Sie war neidisch auf mich. Neidisch auf alles. Mein Aussehen, meine Männer, darum, wie ich mit Menschen umgehen konnte. Jane selbst konnte nichts davon. Ich hätte ihr Ratschläge geben können, aber wozu? Sie wäre ohnehin zu brav gewesen, um sich daran zu halten.

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    „Es ist immer dasselbe“, seufzte ich, „ wie ich gesagt habe. Liebe ist Selbstaufgabe – und Selbstaufgabe ist nichts, wonach ich mich sehne.“ Dieses Mal wiedersprach sie mir nicht. Mit Bitterkeit erinnerte ich mich an unser letztes Gespräch dieser Art. „Gibt es das nicht, bedingungslose Liebe? Jemanden, der mich immer liebt, egal, was ich gemacht habe?“, hatte ich gefragt. „Du meinst, so etwas wie Mutterliebe?“, hatte sie darauf geantwortet. Lächerlich. Ich fragte mich, was ich mir eigentlich erwartete. Jane las viel und war gut in der Schule – viel besser als ich, aber dennoch erschien sie mir manchmal schlichtweg dämlich.

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    Betty hob mich behutsam auf den Strohballen. Das Stroh piekte in meine nackten Beine, aber das störte mich nicht. Es stimmte, was Lana gesagt hatte. Es war besser mit einer Frau. Ihre Lippen waren so weich und sie wusste tatsächlich, was ich wollte. Ihre Hände wanderten meine Oberschenkel entlang. „Bist du sicher, dass uns hier niemand findet?“, fragte sie zum wiederholten Mal. Betty war auch nervös, aber dieses Mal machte es mir nichts aus, denn ich war selbst wahnsinnig aufgeregt. „Nein, meine Eltern sind bei Verwandten. Sie kommen erst in einer Stunde wieder nach Hause.“ Sie lies von mir ab und setzte sich auf den Heuballen neben mir, nur, um mich verführerisch anzusehen. Betty liebte es zu spielen.

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    Ich beugte mich über sie und legte meine Hand auf ihre Brust. Ihr Herzschlag war schnell, fast so schnell wie meiner. Vorsichtig näherte ich mich ihren Lippen. Die Luft um uns herum schien zu vibrieren. „Ich finde, du solltest dein Oberteil auch langsam los werden“, meinte ich grinsend. „Findest du?“, fragte sie neckisch zurück.

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    Plötzlich ging alles ganz schnell. Ich hörte die Schritte hinter mir, doch bevor ich mich umdrehen konnte, klang auch schon ihre Stimme in meinem Ohr. „Meine eigene Tochter! Sag mal, schämst du dich nicht? Unter dem Dach deiner Eltern!“ Noch nie hatte ich Mutter so wütend erlebt. Sie rannte auf mich zu, packte mich am Arm und zog mich schmerzhaft mit sich weg. „Und du“, zischte sie, während sie Betty eines letzten abschätzigen Blickes würdigte, „solltest dich besser nie wieder in der Nähe meines Hauses oder meiner Tochter sehen lassen. Nie wieder, verstanden? Sonst kann ich für nichts garantieren.“

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    Ich hatte Angst. Furchtbare Angst. Ich wusste genau, wohin dieses Gespräch führen würde. „Selbstverständlich haben alle Schülerinnen zu jederzeit die Uniformen zu tragen, die Haare sind ordentlich zusammen gebunden. Make-up, Haarfarbe und jeglicher Schönheitsschnickschnack sind absolut verboten. Bettruhe ist um 21:00, am Wochenende um 22:00. Die Schülerinnen haben sich nicht außerhalb des Internatsgebäudes aufzuhalten und natürlich ist der Kontakt zu Männern, Alkohol und Tabak STRENGSTENS verboten. Wir behalten uns in diesem Fall vor, unsere Schülerinnen selbst zu bestrafen, auf die Art, die wir für richtig halten“, er machte eine vielsagende Pause. „Natürlich muss keine Schülerin unser Internat verlassen, solange der monatliche Betrag von 1340 Mark bezahlt wird.“ Mir schauderte bei den Worten des Direktors. Meine Eltern dagegen schienen zufrieden zu grinsen. Es war furchtbar.

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    Plötzlich trat Jane vor. „Ich möchte auch gerne hier bleiben.“, sagte sie, ihr hellstes Zahnpastalächeln aufgesetzt. Meine Eltern sahen sie an, als wäre sie verrückt geworden. Aber ich wusste, dass sie das für mich tat. Tatsächlich hatte ich ihr so viel Mut gar nicht zugetraut. Mir wurde warm ums Herz. Dankbar nickte ich ihr zu. Natürlich ging das Vorpreschen meiner Schwester sofort in dem Gezeter meiner Eltern unter. Schließlich einigte man sich darauf, dass Jane in den ersten Wochen bei mir bleiben könnte.

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    Als ich alleine war, brach ich zusammen. Das sollte mein neues Zuhause sein? Das Internat verkörperte alles, was ich hasste und schon immer gehasst hatte. Ich fühlte mich wie gefangen und eingesperrt. Das Schlimmste aber war, dass, wenn die anderen sich freuten, wenn sie ein Wochenende heim durften, um ihre Familie zu besuchen, ich dieses Gefühl nicht teilen konnte. Daheim ging es mir dreckig und hier ging es mir dreckig. Aber daheim war mein Kind und darum musste ich mich schließlich kümmern, sonst… Ich wagte es nicht, daran zu denken. Je größer meine Angst vor ihr wurde, umso mehr wuchs auch mein Verantwortungsgefühl. Ich beschloss, erst einmal eine heiße Dusche zu nehmen. Als ich zurück in mein Zimmer kam, die Haare zu einem lockeren Dutt gebunden, klopfte es an der Tür.

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    Es war Anabell. Sie war in meiner Klasse, aber wir hatten bisher wenig miteinander gesprochen. „Ich dachte mir, du bist bestimmt traurig, jetzt, wo deine Schwester weg ist“, erklärte sie. Ich verkniff mir die Tränen. „Danke, das ist lieb von dir“, erwiderte ich. Im nächsten Moment umarmte sie mich auch schon. „Mir ging es auch so, als ich hier her gekommen bin. Aber glaub mir, es wird besser. Nicht alles hier ist furchtbar. Ich färbe mir zum Beispiel nach wie vor die Haare und die Lehrer merken nichts davon. Vielleicht ist es ihnen auch egal, sie haben immerhin genug damit zu tun, auf die Einhaltung der anderen 1000 Regeln zu achten.“

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    Es tat gut, mit jemandem über all das zu reden. Das Internat, die anderen. Anabell erzählte mir, worauf ich achten musste, wer die größte Petze war und bei wem man sicher Alkohol bekommen konnte. „Warum haben dich deine Eltern eigentlich hierher gesteckt?“, fragte ich sie schließlich neugierig. Sie schwieg. Nur ihr Gesichtsausdruck verriet, dass ihr die Frage peinlich war. „Ach, was soll’s“, sagte sie nach einer Weile, „aber ich will, dass das unter uns bleibt, verstanden?“ Ich nickte verschwörerisch. „Ich habe mich in ein anderes Mädchen verliebt und sie zu Hause als meine Freundin vorgestellt.“

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    Ich konnte einfach nicht anders, als in schallendes Gelächter auszubrechen. „Zu blöd, dass sie dich in eine Schule geschickt haben, in der du keine Chance hast, mit einem anderen Mädchen etwas anzufangen, nicht wahr?“. Als ich Anabells immer noch schamvollen Gesichtsausdruck sah, fügte ich hinzu „Ich bin ungefähr aus dem gleichen Grund hier. Nur, dass ich nicht so verrückt war, meine Angebetete vorzustellen, sondern von meiner Mutter auf frischer Tat ertappt wurde.“

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    Bei einem meiner seltenen Aufenthalte zu Hause versuchte ich ein letztes Mal, zu meiner Schwester vorzudringen. Es fing gut an. Der Kamin loderte, die Stimmung war angenehm und ich konfrontierte sie vorsichtig mit ihrer Passivität. „Ich akzeptiere das alles nicht. Aber ich wehre mich nicht. Es stimmt. Es ist weil… Ich versuche, alldem zu entkommen. Ich möchte entfliehen. Ich möchte…ich möchte unsichtbar sein. Ich will nicht in die Schusslinie geraten. Ich schätze, ich bin einfach ziemlich feige“, gab sie zu. Ein guter Punkt. Ich begann, von anerzogener Passivität zu erzählen, von Mary Daly’s Religionskritik. Irgendwann in meinem Vortrag bemerkte ich, dass ich wohl über das Ziel hinaus geschossen war und sie mir nicht mehr folgen konnte. Seufzend stand ich auf. „Denk darüber nach“, sagte ich ihr, ohne wirklich Hoffnung zu haben, dass es zu etwas führen würde.

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    Mutter hatte mir verboten, allein in den Wald zu gehen. Vor allem nicht in diesem schönen Kleid. Aber ich konnte einfach nicht anders. Ich liebte den Wald. Hier konnte man herrlich unbeschwert spielen und es gab keinen, der sagte „Pass auf, dass du nicht herunter fällt“ oder „Lass das, das ist gefährlich.“ Ich würde schmutzig und mit aufgeschlagenen Knien zurück kommen und ausgeschimpft werden, aber das war es wert.

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    Plötzlich sah ich etwas kleines, weißes zwischen den Bäumen liegen. Na nu? Ich trat neugierig näher. Da lag ja ein kleines Baby! „Wer hat dich denn hier liegen lassen?“ fragte ich. So ein armes, kleines Ding.

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    Vorsichtig nahm ich das Baby in meine Arme. Es schrie und wand sich. Bestimmt hatte es Hunger und ihm war kalt. Hier, so alleine auf dem Waldboden. Schnell merkte ich, dass es kein gewöhnliches Kind war. Es hatte ganz merkwürdige helle Augen und auch seine Haut fühlte sich komisch an. Vielleicht hatte es eine Krankheit?

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    Ich hob es in meine Arme. Hier würde es auf jeden Fall nicht bleiben können. Ich musste einen Platz für das Kleine finden, so lange, bis ich einem Erwachsenen davon erzählen konnte. Meine Eltern schieden dabei natürlich aus. Sie konnten ja überhaupt nicht gut mit Kindern umgehen. Aber ich war zuversichtlich. Irgendwann würde ich jemanden finden und so lange würde ich seine Mutter sein.

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    „Genug! Genug!“ Keuche ich. Langsam nehme ich den Raum um mich herum wieder wahr. Ich bekomme noch immer kaum Luft, als sie ihre ekelhafte Hand wieder vor mein Gesicht schiebt. „Es ist noch lange nicht genug. Du wirst dich jetzt an alles erinnern. Auch an das Ende.“


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    Ich hatte die Schritte hinter mir nicht gehört. Umso mehr schreckte mich die leichte, fast sanfte Berührung an meiner Schulter und die schnarrende Stimme, die so gar nicht zu dieser Berührung zu passen schien. „Junges Fräulein!“ Es folgte ein Räuspern und, ohne auf meine Reaktion zu warten, sprach der Direktor in tieferer, ruhiger Stimme fort. „Wir hier auf St. Elias haben bestimmte Regeln. Regeln, die allen Schülerinnen beim Eintritt bekannt gemacht werden und die wir auch beständig wiederholen. Dennoch ist es mir zu Wort gekommen, dass du dich nicht an einige unserer simpelsten Regeln hältst, wie die Verordnungen zu Frisur und Körperpflege.“ Er lies eine wirkungsvolle Pause verstreichen, in der ich kaum wagte, Luft zu holen. Mir schoss sofort, worauf er hinaus wollte. Die Haarfarbe! Wer hatte – „Auf St. Elias haben wir eigene Methoden, um mit Regelbrechern umzugehen und deine Eltern haben uns ihre vollständige Zustimmung zu diesen Methoden gegeben.“ Die betont sachliche Tonlage schaffte es nicht, seine innere Genugtuung darüber zu verbergen. Mein Herz sank mir in die Hose. Die Andeutungen des Direktors ließen Schreckliches vermuten.

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    Ich wurde aufgefordert, ihm in den Waschraum zu folgen, wo unsere Sportlehrerin wartete und man mich aufforderte, auf den vorher bereit gestellten Stuhl Platz zu nehmen. Völlig in der Öffentlichkeit. Es hätte jederzeit eines der anderen Mädchen herein kommen können. Aber es kam keine. Zu den Studierzeiten waren wir alle angehalten, in unseren Zimmern zu bleiben. Dennoch rötete allein der Gedanke an Beobachterinnen meine Wangen. Es war Frau Reisch, die die Strafe ausführte. Natürlich war es eine Frau. Es war schon immer die Aufgabe von Frauen gewesen, die Ausführung von männlicher Dominanz zu übernehmen. Auf diese Weise entzogen sich Männer der Verantwortung. Ich dachte an Mary Daly. Dann dachte ich an gar nichts mehr. Nur das blanke Entsetzen packte mich, als ich bemerkte, wie die Strafe ausfallen würde.

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    Schon bevor ich meinen Schädel berührte, wusste ich, was ich fühlen würde: Nichts. Blanke Kopfhaut. Meine Haare, meine wunderschönen, dunkelbraunen, vollen Haare waren verschwunden und nicht einmal Stoppeln waren noch zu spüren. Ich konnte, wollte es nicht wahrhaben. „Bitte, lieber Gott, mach, dass das ein Traum ist“, betete ich. Dann fiel mir ein, dass Gott mir noch nie geholfen hatte. Tränen schossen aus meinen Augen und hinterließen warme Spuren in meinem Gesicht. Das durfte nicht wahr sein. Das durfte einfach nicht wahr sein.

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    Sie hielt einen Spiegel vor mein Gesicht. Nun war es Gewissheit. Meine Haare waren einer Glatze gewichen. Ich sah furchtbar aus. Frau Reisch lächelte mich an, ein bösartiges, triumphierendes Lächeln. Ihre Stimme klang hart, als sie sagte „Ich hoffe, du hast nun deine Lektion gelernt – und ich hoffe, du bist selbst so klug, deine Augenbrauen nicht mehr nachzufärben. Andernfalls werde ich sie dir auch noch rasieren müssen. Jetzt wirst du eine heiße Dusche nehmen und die letzten Reste Make-up aus deinem Gesicht waschen. Zum Abendessen will ich dich ordentlich und anständig sehen, wie es sich für ein Mädchen in deinem Alter gehört.“

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    Ich schrubbte über meinen Hinterkopf, wieder und wieder, als könnten die Haare dadurch nachwachsen. Aber das taten sie natürlich nicht. Mein Haupt blieb so blank, wie ich es zuvor im Spiegel gesehen hatte. Bei all den Geschichten, die von den strengen Strafen im Internat kursierten, hatte ich nie erwartet, dass sie so weit gehen würden – und dass es mich erwischen würde. Ab heute würde eine neue Geschichte kursieren. Spätestens, wenn die anderen mich beim Abendessen sahen. Ich war froh, dass Anabell mich so nicht mehr zu Gesicht bekommen würde. Sie wurde in einen anderen Trakt des Internats verlegt, nach dem Zwischenfall mit der Bierkiste.

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    Ich saß noch ewig auf dem kalten Fliesenboden. Die Wärme der Dusche war längst verschwunden und mir war kalt. Ich war am absoluten Tiefpunkt meines Lebens angekommen. Eigentlich gab es nichts, das mich noch hielt. In meiner Familie gab es keine Liebe und hier schon gar nicht. Meine Freunde, wenn man sie so nennen konnte, hatten mich wahrscheinlich längst vergessen, sollte ich sie jemals wieder sehen. Und jetzt hatte man mir auch noch meine Haare, meine Schönheit genommen. Es war ein absolutes Desaster und die Zukunft sah düster aus. Welche Chancen hatte ich, nachdem ich diese Schule beendet hatte? Meine Bildung war mies. Vermutlich wäre die einzige Möglichkeit, jemals der zurückgebliebenen Weltanschauung in dieser Provinz zu entkommen, einen reichen Mann zu finden und zu heiraten. Mir fröstelte. Ich hätte es auch beenden können. In diesen Moment. Ich hätte meinen Gürtel um die Duschstange wickeln können und… Erschrocken von meinen eigenen Gedanken stand ich auf. Es war bald Zeit zum Abendessen, ich musste mich anziehen.

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    Erneut blickte ich in den Spiegel. Es hatte keinen Sinn, irgendetwas zu beschönigen. Mein gutes Aussehen war dahin. Jetzt war ich nichts weiter als eine lächerliche Gestalt, die in jedem Aspekt ihres Lebens versagt hatte. Erneut fuhr ich über die glatte Haut, die sich so ungewohnt anfühlte. Keine Haarsträhnen, die ich aus dem Gesicht streichen konnte. Keine glänzenden Locken, die sich über meine Schultern legten und das Sonnenlicht reflektierten. Nichts.

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    Die Person, die durch die Tür trat, war die letzte, die ich in diesem Moment sehen wollte. Anna. Kaum sah sie mich an, fing sie auch schon an zu kichern. „Du meine Güte, was ist denn mit dir passiert?“. Hilflos zuckte ich mit den Schultern. Als wäre das nicht offensichtlich. „Da hast du nun wohl die Strafe für dein Verhalten bekommen, nicht wahr? Ich wusste schon längst, dass du irgendetwas im Schilde führst. Die Sache mit der Bierkiste war sicher nicht die Schuld von Anabell allein. Und auch sonst… Irgendetwas stimmt mit dir nicht.“ Wie eine Katze schlich sie um mich herum, umkreiste mich und blieb dann hinter mir stehen, um mir etwas ins Ohr zu hauchen. „So ein hübsches Mädchen. So schöne, dichte Locken. Der Traum der Männerwelt. Ich wette, du konntest jeden haben – oder jede, nicht wahr, mein Schätzchen?“.

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    Sie kam immer näher. Ich wich zurück. „Nur leider ist es damit jetzt vorbei, stimmt’s? So ein hübsches Mädchen.“ Sie seufzte affektiert. „So ein hübsches Mädchen und plötzlich so hässlich. Das muss weh tun.“ Sie kicherte erneut. „Tja, das war’s dann wohl für dich. Wir werden ja sehen, wie weit du ohne deine Schönheit noch kommst. Keine Privilegien mehr für die hübsche Ruth, nein, nein.“ An dieser Stelle hielt sie sich den Bauch vor lachen. Ich erwiderte nichts. Als hätte ich jemals etwas geschenkt bekommen. Anna’s eigene Augen waren mit Kajal umrandet und ihre Wimpern klebten vor Tusche bald zusammen. Aber das schien keinen zu stören. Sie hatte sich ihren Platz als Liebling der Lehrer erworben.

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    „Ruth, ich hätte dich fast nicht erkannt!“. Diese einfachen Worte, mit denen Jane mir überschwenglich um den Hals fiel, lösten einen ganzen Tränenschwall in mir aus. Ich hatte meine Haare mit einem Tuch bedeckt, wie ich es meistens tat, seit meine Naturhaare nachwuchsen. Die meisten Lehrer hatten zum Glück nichts dagegen. Nur beim Turnen musste ich das Tuch jedes Mal ablegen. Natürlich. Ich könnte mich bei einer schnellen Bewegung damit strangulieren. Vor allem aber, weil Frau Reisch meine Turnlehrerin war.

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    „Ruth, was ist los?“, fragte sie mich, unbeholfen, wie Jane immer in sozialen Dingen war. Schamvoll wich ich zurück. „Meine Haare…“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und brachte unter dem Wimmern kaum einen Satz hervor. „Sie, sie haben mir…Kopf abrasiert…heraus gefunden, dass ich meine…meine Haare färbe.“ Ich war mir nicht sicher, ob Jane unter dem Gestammel irgendetwas verstanden hatte. Sie sah mich unsicher an. „Zeig doch einmal“, brachte sie schließlich hervor.

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    Ich trocknete meine Tränen und lies das Tuch zu Boden sinken. „Das sieht doch gar nicht so schlimm aus“, meinte Jane aufmunternd. Ich betrachtete sie von der Seite. Jetzt war sie die hübschere Schwester, kein Zweifel. Ihre Haare waren lang und glatt. Auch, wenn sie den hässlichen Rotton hatten, den ich an mir selbst nie gemocht hatte, war sie wesentlich besser dran als ich. „Na, das ist doch gar nicht so schlimm. Lass sie noch ein paar Zentimeter wachsen, dann kannst du dir einen hübschen Undercut schneiden lassen.“ Ich sah sie entmutigt an. Das war mal wieder eine typische Jane-Aussage, die die Realität, nämlich, dass ich in einem spießigen Internat festsaß und mir garantiert keine Punkfrisur schneiden lassen konnte, völlig außer Acht ließ. „Weißt du was?“, grinste sie verschwörerisch. „Ich mache mit. Wenn ich dich vor den Sommerferien hier abhole, nehme ich eine befreundete Frisörin mit und wir lassen uns beide eine moderne Kurzhaarfrisur schneiden. Na, wie ist das?“ – „Unsere Eltern…“ – „Sind mir egal. Ich habe letzte Woche die Aufnahmebestätigung für die Uni bekommen – inklusive Stipendium.“ Sie grinste triumphierend. Deshalb war sie so rebellisch. Jane würde mich also auch verlassen.

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    In aller Ruhe breitete die dunkelhaarige Frau, die mir als Lotte vorgestellt worden war, ihre Sachen auf dem Teppichboden aus. Teure Kosmetikartikel, von denen ich selbst nur träumen konnte, kamen zum Vorschein. Auch ihre Handtasche, die sie bedachtsam daneben stellte, hatte vermutlich mehr gekostet, als meine komplette Zimmereinrichtung. Ich fragte mich, wie Jane die Erlaubnis bekommen hatte, sie hier her zu bringen. Vielleicht hatte sie auch einfach nicht gefragt und niemand hatte sie aufgehalten. Es schien, als habe ein neuer Geist meine Schwester erfasst, so übermütig, wie sie in letzter Zeit war. Ich wäre vermutlich auch übermütig, wenn ich wüsste, dass ich all das hier einfach verlassen könnte.

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    Zum Schluss warf Lotte ein Tuch über meinen Schreibtischsessel, der uns als Frisierstuhl dienen sollte. „Wer will als Erste?“, fragte sie gut gelaunt. „Ruth, du zuerst!“, kicherte Jane. Mit mulmigem Gefühl setzte ich mich auf den Stuhl. Ich hoffte, dass die Frau etwas von ihrem Handwerk verstand. Andererseits, wie viel schlimmer konnte es kommen? Sie begann, an meinen Haaren herum zu fuchteln. Beim Geräusch der Schere zuckte ich zusammen, zu lebhaft waren meine Erinnerungen an das letzte Mal, das ich es gehört hatte. Aber dann war es vorbei. „Fertig!“, verkündete Lotte und zog einen Spiegel heraus. Neugierig warf ich einen Blick hinein. „Zufrieden?“, fragte sie und alles, was ich zustande brachte, war ein lautloses Nicken, so begeistert war ich von meiner neuen Frisur.

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    Kurze Zeit später war auch Jane fertig. Ich hatte bis zum Schluss daran gezweifelt, dass sie es tatsächlich tun würde. Jetzt hatten wir dieselbe Frisur. „Danke, Lotte! Ich weiß gar nicht, wie sehr ich dir danken soll!“ Beinahe wäre ich der fremden Frau um den Hals gefallen. Jane dagegen verabschiedete sich mit einem Handschlag von ihr und drückte ihr ein paar Geldscheine in die Hand. Als ich verlegen hinsah, sagte sie nur „Keine Sorge, Ruth, ich übernehme das. Immerhin weiß ich ja, dass du hier keine besonderen Reichtümer anhäufen kannst.“

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    Zufrieden sah ich aus dem Fenster und betrachtete den Sonnenaufgang von der Scheune aus. Wer hätte gedacht, dass ich einmal so glücklich sein würde, hier zu sein? In einer knappen Stunde war ich mit Betty verabredet. Nicht hier, natürlich, sondern bei ihr zu Hause. Ihre Eltern waren nicht da. Genüsslich zog ich an der Zigarette. Ein Hauch von Freiheit. Ich schloss die Augen. Vor ein paar Monaten war ich kurz davor gewesen, mein Leben zu beenden und jetzt schien alles aufwärts zu gehen.

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    Dann kühlte meine Stimmung ab. Wie viel weiter war ich seither gekommen? Nach dem Ende der Ferien würde ich zurück an das Internat gehen – und Jane würde an die Uni gehen. Womöglich würden sie mir den Kopf erneut rasieren, wenn ich mit dieser Frisur aufkreuzen würde. Aber selbst wenn, was machte es für einen Unterschied? Die Aussicht, aus diesem Leben zu entkommen, war düster. Nach der Schule würde ich einen mittelmäßigen Job annehmen und hier bleiben. Vielleicht würde ich mit Betty oder einem anderen Mädchen eine Beziehung führen, aber wir würden ständig unter Beobachtung stehen. Die Leute hier würden es niemals akzeptieren. Verbittert drückte ich die Zigarette aus. Immerhin war ich verabredet.

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    Ich hatte die Flammen schon aus einiger Entfernung gesehen, aber war bis zum Schluss der Überzeugung gewesen, dass es nicht unser Haus war, das hier brannte. Oh Gott! Ehrfürchtig sah ich hinauf auf die Flammen und stand wie versteinert da. Es dauerte ein wenig, bis ich mich aus meiner Starre löste. Meine Familie! Ich musste etwas tun. „Jane?“, rief ich, „Mutter? Vater?!“ Keine Antwort. Die Eingangstür war unter dem Meer an Flammen kaum noch zu sehen. Ich musste irgendwie Hilfe holen. Die Feuerwehr rufen. Aber…wie? Mein normales Urteilsvermögen schien völlig außer Kraft gesetzt.

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    Die Telefonzelle! Natürlich. So schnell ich konnte, rannte ich die Straße entlang. Ich nahm den Hörer ab und drückte den Notrufmelder nach links, bis ich einen glockenartigen Ton hörte. Einen Moment später hörte ich bereits die Stimme am anderen Ende der Leitung. „Ja. Hallo. Es…es brennt“, brachte ich nur heraus. Der Mann am anderen Ende redete mit ruhigen Worten auf mich ein. Er schien den Ort der Telefonzelle bereits zu kennen und fragte mich nur nach der genauen Lage unseres Hauses. „Es ist…einfach geradeaus…man…sieht es von hier“, brachte ich mit zittriger Stimme hervor. Ich versuchte, auf seine Fragen zum Brandhergang und zum Ausmaß des Feuers zu antworten, aber alles, was ich heraus brachte, war „Schlimm. So schlimm.“ Er wies mich an, dorthin zurück zu gehen und auf das Eintreffen der Einsatzkräfte zu warten. „Wir beeilen uns“, versprach er.

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    „Ruth“. Die Stimme, die ich zurück vor unserem Haus hörte, war nicht die, die ich zu hören gehofft hatte. „Ruth, du lebst noch!“. Sie stürzte auf mich zu, und ohne auf meinen Widerstand einzugehen, umarmte sie mich. Missmutig schüttelte ich sie ab, doch sie schien viel zu aufgeregt zu sein, um sich davon stören zu lassen. „Sie sind alle tot. Alle tot! Ich hatte so Angst, dass du auch tot bist!“ Ich wich zurück. Stimmte das? War meine Familie tot? In meiner Brust breitete sich ein merkwürdiges Gefühl der Enge aus, wie ich es noch nie erlebt hatte. Mutter – tot? Vater – tot? Jane…Jane tot? Auch Jane? Ich schluckte.

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    Ein Blick auf den Dachstuhl zeigte mir, dass es nicht unrealistisch war, was sie sagte. Das Gefühl in meiner Brust wurde noch stärker. Meine Familie tot? Der Gedanke schien mir schlicht unwirklich. So sehr ich meine Eltern gehasst hatte, sie waren immer da gewesen und auch fast immer bester Gesundheit. Der Gedanke, dass es einmal nicht so sein könnte, war mir nie gekommen. Und Jane! Jane, verdammt! Meine Schwester! Ich dachte, dass ich weinen sollte, aber es kamen keine Tränen heraus.

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    „Du weißt, was du jetzt tun solltest, nicht wahr?“, fragte sie mich. Verwirrt schüttelte ich den Kopf. „Du musst Jane werden.“ Entsetzt sah ich sie an. „Ich muss…wie bitte?!“. Alles in meinem Kopf drehte sich. Was wollte sie mir damit überhaupt sagen? „Eine große Lüge. Aber so eine einfache. Niemand wird den Unterschied merken. Du warst den Großteil des letzten Jahres im Internat. Die Menschen hier erinnern sich an dich als lebensfrohes Mädchen mit langen, braunen Haaren. Und nach dem Begräbnis wirst du an eine Uni gehen. Dort weiß erst recht niemand, wie Jane ausgesehen hat. Du wirst nie hierher zurück kehren. Wer weiß, vielleicht waren deine Eltern versichert. Dann hättest du einen Batzen Geld dazu. Schlimmstenfalls verkaufst du das Grundstück.“ Angewidert schüttelte ich den Kopf. Wie konnte sie nur an so einer Situation an so etwas denken? Die Identität meiner Schwester zu stehlen, kam mir abscheulich vor.

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    „Denk darüber nach. Was willst du machen? Hier bleiben? Das Haus wieder aufbauen? Gar zurück ins Internat? Willst du bei irgendwelchen Verwandten unter kommen, die du zweimal im Leben gesehen hast?“ Ich schüttelte den Kopf, noch immer verstört von ihrem Vorschlag. So furchtbar es war, ich konnte nichts darauf erwidern. Ich wusste tatsächlich nicht, wo ich hin sollte. Was ich mit meinem Leben machen würde. „Betty…“, brachte ich als kläglichen Einwand hervor, „sie weiß, dass ich…“. „Sie weiß gar nichts. Du könntest genauso nach deiner Rückkehr gestorben sein. Wer kann das hinterher schon so gut sagen? Du wirst ihr eine Nachricht schreiben, dass du von ihr und Ruth wusstest und nicht möchtest, dass sie zum Begräbnis kommt. Als Jane. Wenn sie klug ist, hält sie sich daran. Wenn nicht, wird sie sich einreden, dass sie sich nur einbildet, dass du wie sie aussiehst. Immerhin seid ihr Schwestern.“ Ich schluchzte. Grinsend tätschelte sie mir die Schulter. „Keine Sorge. Es wird alles gut werden, Jane.“

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    Beide schraken wir vom Klang des heraneilenden Feuerwehrwagens auf. Wir tauschten einen letzten Blick aus, einen Blick der Verbundenheit. Wir hatten nur noch uns. „Jaaaaaaaaaneeeeeeeeeee“, flüsterte sie, kaum hörbar, wie ein Windhauch. Dann rannte sie los, um sich zu verstecken. Jane. Der Name fühlte sich fremd an, obwohl ich ihn so oft ausgesprochen hatte. Jane. Jane. In Gedanken sagte ich ihn vor mich hin. Jane. Jaaaaaneeee.

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    Als die Feuerwehr ankam, schien alles ganz routiniert abzulaufen. Jeder wusste, was er zu tun hatte. Schläuche wurden abgerollt, Wasser hinein gepumpt. Einer der Männer kam auf mich zu, um mir ein paar Fragen zu stellen. „Haben Sie den Notruf betätigt?“ – „Ja“, antwortete ich, nun etwas gefasster. „Ist noch jemand im Haus?“ – „Meine Schwester und…und meine Eltern“, brachte ich heraus. Sofort nickte er einigen Männern zu, die sich heldenmutig in die Flammen stürzten. Als nächstes wollte er meine Personalien aufnehmen. Mein Herz krampfte zusammen. Jetzt oder nie. „Jane“, sagte ich, „Jane Ebermeier“. Kaum, dass ich es gesagt hatte, war ich überrascht, wie leicht es mir gefallen war. Ein Blick auf den Feuerwehrmann zeigte mir, dass nichts an meiner Reaktion ihm sonderbar vorkam. Ich musste es einfach verinnerlichen. So lange verinnerlichen, bis ich selbst daran glaubte. So lange, bis ich zu Jane wurde.

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    „Es tut mir furchtbar leid“, sagte der Mann, den ich vorher dabei beobachtet hatte, wie er das brennende Haus betreten hatte, „Wir konnten nichts mehr tun.“ Die Situation schien ihm sichtlich unangenehm zu sein. „Das ist jetzt bestimmt sehr schwer für Sie, aber wir müssen Sie bitten, einige…Personen zu identifizieren.“ Zaghaft sah er mich an. Ich nickte. Jetzt war es also Gewissheit. Sie waren alle tot. Das Haus, indem ich den Großteil meines Lebens verbracht hatte, war abgebrannt und die Menschen, die darin gewohnt hatten, existierten nicht mehr. Mein Leben war komplett aus den Fugen geraten.

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    (unzensiert) </br></br>


    Als das Tuch zurück gezogen wurde, flossen schließlich endlich die Tränen, auf die ich so lange gewartet hatte. Jane. Meine Schwester. Da lag sie. Die Haut völlig verkohlt. Von den roten Haaren kaum mehr etwas zu sehen. Ich dachte an ihre Zukunft. Sie hatte sich so sehr auf die Uni gefreut. Gerade, als sie dem restriktiven Leben hier entkommen wollte, wurde es so jäh beendet. Gerade, als ihr Leben begann, besser zu werden. Als sie rebellischer wurde. Die Tränen stürzten nur so die Wangen herab. „Ich werde dein Leben für dich weiter leben“, versprach ich ihr in Gedanken, „Es war nicht umsonst, Jane. Es war nicht umsonst. Irgendwann wird am anderen Ende der Welt eine Jane begraben werden, die glücklicher war, als diese hier. Eine, die großes geschaffen hat. So, wie du es vorhattest. Ich verspreche dir, ich mache etwas aus deinem Leben.“ - „Das ist meine Schwester. Ruth“, sagte ich schließlich laut.

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    „Das ist nicht wahr!“. Durch meinen plötzlichen Wutausbruch gelingt es mir, sie von mir wegzudrücken. „Du verdammte Lügnerin!“. Sofort wirft sie sich wieder auf mich, diesmal mit weniger Kraft, aber mit einem umso deutlicheren Grinsen in ihrem Gesicht. „Das ist die reine Wahrheit. Das sind deine eigenen Erinnerungen, Ruth. Oh, wie schade, dass es jetzt heraus kommt, nicht wahr? Du hast deine Rolle all die Jahre so gut gespielt. Warst selbst ganz überzeugt davon. Hast mich vergessen, mich, die dir all die Jahre beigestanden ist. Aber jetzt ist es vorbei.“ Keuchend halte ich inne. Mein Körper schmerzt, aber ich gewinne wieder die Überhand. „Was ist mit dem Sturm, den Ruth herauf beschworen hat? Wie könnte ich davon wissen? Als Ruth hätte ich diese Erinnerung doch ganz anders im Kopf gehabt.“ Sie bekommt einen Lachanfall, der völlig deplatziert ist. „Du redest von deinem Drogentrip? Oh, den hat Jane ganz sicher ganz anders erlebt. Ganz anders, wie du ihn in deiner Erinnerung gesehen hast. Aber wir können sie nicht mehr fragen, nicht wahr? Denn Jane ist tot.“ Dann sieht sie mir plötzlich in die Augen, ernst, mit einem stechenden Blick. „Hast du dich nie gewundert, dass es unter all deinen Träumen nicht einen gab, in dem Ruth nicht vorgekommen ist?“

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    Die Unterhaltung klang noch in meinem Kopf nach. „Ruth? Ich habe gehört, dass man sich an dich wenden könnte, wenn man…Hilfe bei einem sensiblen Thema braucht.“- „Worum geht es?“ Sie hatte mir als Antwort nur ein paar Dosen mit Tabletten in die Hand gedrückt. „Pass einfach darauf auf, okay? Die sind von meinem Bruder und er muss eine Zeit lang…untertauchen. Man sagt, du kennst Verstecke hier in der Schule und Geheimwege…also, ich komme dann wieder, wenn ich sie brauche. Aber – nimm bloß keine davon, verstanden?“ – „Was ist da drin?“. Ein Zögern, ein bestimmender Blick. „Also gut…Es sind Partydrogen, okay? Die nehmen jetzt alle. Kommen ganz groß raus in Europa. E’s, hat mein Bruder gesagt. Also…pass darauf auf, okay?“ Dann war sie verschwunden. Hatte mir nicht einmal ihren Namen gesagt. Natürlich musste ich eine probieren. Die ersten 20 Minuten war nichts passiert und ich hatte mich schon gefragt, ob sie mich verarscht hatte. Aber dann war ein nie da gewesenes Glücksgefühl durch meinen ganzen Körper geflossen. Ich war eins mit dem Universum. Als ich das Geräusch an der Tür hörte, erinnerte ich mich daran, dass Jane heute kommen wollte. Schnell ließ ich die Dosen verschwinden.

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    „Heeeey“, sagte ich betont langezogen. Dann setzte ich mich gemächlich an meinen Schreibtisch und machte es mir bequem. Alles war schön. Meine Schwester war hier und mein Herz schien überzuquellen voller Freude zu ihr. „Es ist schön hier“, seufzte ich. „Ja, wirklich, es gefällt mir hier. Alle sind nett zu mir.“ Nachdem ich meine eigenen Worte ausgesprochen hatte, wurden sie mir erst so richtig bewusst. Ja, alle waren nett zu mir. Wir steckten alle zusammen unter einer Decke. Und Jane war jetzt auch hier. Plötzlich sah ich aus dem Augenwinkel, wie mein Kleiderständer anfing, sich zu bewegen. „Ruth?“, hörte ich. Er wackelte immer mehr. Spürte…spürte sie das auch? Auf jeden Fall sah sie mich ängstlich an. Nun begannen auch noch andere Gegenstände, sich zu bewegen. Was ging hier vor sich?

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    Als auch noch mein Stuhl anfing, sich zu bewegen, sprang ich hektisch auf. Ich hastete zur gegenüberliegenden Wand und hielt mich daran fest. „Ich werde hier verrückt“, brachte ich hervor. Einen Augenblick später öffnete sich die Decke und ein Stück des Himmels war zu sehen. Ich traute meinen Augen nicht. Grelle Blitze durchzuckten das Zimmer, schlugen jedoch nirgends ein. Dann begannen die Gegenstände, sich in die Luft zu erheben und in wilden Bahnen quer durch den Raum zu schweben, manche schneller, manche langsamer. „Ruth!“, hörte ich meine Schwester von irgendwo her schreien. Ich starrte sie an. Sie reagierte sofort und zerrte mich in eine Ecke des Zimmers, wo wir warteten, bis der Sturm vorbei war.

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    Sie legte mir die Hand auf den Rücken, was mich ein wenig beruhigte. Dann saßen wir da, hilflos den Gewalten ausgeliefert. Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Als ich sie wieder öffnete, war alles vorbei. Die Gegenstände standen wieder auf ihrem Platz, als wäre nichts gewesen. War das...war das ein Drogenrausch? „Hast du das eben auch gesehen?“, fragte ich Jane. „Was?“, meinte sie und in ihrem Blick erkannte ich, dass sie sich Sorgen um mich machte. „Diesen…diesen Sturm“, antwortete ich. „Sturm?“, in ihrem aufgesetzten Lachen konnte sie kaum verbergen, dass sie mich tatsächlich langsam für verrückt hielt. „Aber schau doch mal raus, die Sonne scheint.“ Sie klopfte mir auf die Schulter. „Mach dir keine Sorgen, Ruth. Es ist alles in Ordnung“

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    Sie versetzt mir einen Kinnhaken, als ich erneut „Das ist nicht wahr!“, schreie. Mein Kiefer brennt, aber was noch mehr schmerzt, ist die Wahrheit. Ich weiß, dass es stimmt, was sie sagt. Mein Leben, alles, was ich mir so sorgfältig aufgebaut habe, ist eine Lüge. Eine verdammte Lüge. Das Schlimmste daran ist, dass ich sie selbst geglaubt habe. Nachdem ich an die neue Uni gekommen bin, habe ich mich so mit meiner Identität als Jane angefreundet, dass ich sie niemals in Frage gestellt habe. Ich habe von einer Vergangenheit erzählt, die nicht meine war, ja, im Grunde eine, in der ich stets nur ein Beobachter war. Frustriert gebe ich ihr einen kräftigen Schlag in die Magengrube.

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    Das hat gewirkt. Sie krümmt sich zusammen, bleibt auf dem Boden sitzen. Endlich. Das ist meine Chance. Die Schmerzen in meinem Rücken sind kaum auszuhalten. Ich beiße die Zähne zusammen und schleppe mich an ihr vorbei. Schon nach zwei Schritten breche ich zusammen. Nein! Ich muss es schaffen! Ich krieche auf den Knien weiter. Jedes Mal, wenn ich ein Bein vor das andere setze, spüre ich ein Stechen in meinem Kreuz. Zischend ziehe ich die Luft ein. Ich bin gleich da. Ich bin gleich bei dir, Stacy. Was auch immer in der Vergangenheit passiert ist, als Erstes muss ich mich um meine Verlobte kümmern. Dann…ich schiebe den Gedanken beiseite. Ob ich weiterhin mit einer Lüge leben kann, entscheide ich später. Als ich beinahe bei ihr bin, schießt eine letzte Erinnerung in meinen Kopf.

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    Verschlafen sah Cẩm mich an. „Gott, so früh aufzustehen sollte verboten sein. Kannst du dir vorstellen, dass du ständig so früh aufzustehen?“ „Zum Glück muss ich das nicht. Läuft ja gut als freischaffende Architektin. Wenn ich will, lege ich mir keinen Termin vor 10 Uhr.“ Cẩm antwortete mit einem Gähnen. „Ja, wahrscheinlich ist das der Grund, wieso du dein Studium nicht schon längst abgeschlossen hast. Weil es für dich eh keinen Unterschied macht. Aber andere Leute müssen einer geregelten Arbeit nachgehen, weißt du?“. Wir saßen im Unizentrum und tranken bereits den zweiten Kaffee. Vorlesungen früh am Morgen waren die Hölle. Vermutlich hatte sich der Umstand, dass ich mich bereits neben dem Studium selbstständig gemacht hatte – und das nicht gerade erfolglos – auch nicht besonders positiv auf meine Arbeitsmoral ausgewirkt.

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    Meine Augen wandten sich zu der jungen Frau um, die über das Gelände spazierte. Sie war selten ordentlich angezogen für eine Studentin. High Heels, Strümpfe mit Spitzen und ein Kleid, das lässig um ihre Hüften fiel. Ihre blonden Haare schwangen mit jedem Schritt mit. Wow! Ich konnte einfach nicht weg sehen. Meine Augen folgten ihr, wie sie vom Eingang zu der Brunnenanlage im Zentrum des Platzes schritt. „Hallo? Erde an Jane?“

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    „Die kannst du dir gleich aus dem Kopf schlagen“, meinte Cẩm, „viel zu jung für dich. Und viel zu hübsch. Sorry, Jane, jemand muss es dir sagen.“ Sie streckte mir die Zunge heraus. Der junge Mann vom Nebentisch wandte sich uns zu. „Macht ihr zwei Witze? Das ist Stacy Leester. Erstsemestlerin. Die ganze Uni steht auf sie. Hab gehört, sie hat schon einen fetten Modelvertrag am Laufen.“ Der Junge neben ihm schaute von seiner Hausarbeit auf. „Könnt ihr vergessen. Sie ist bei mir im Kurs. Hab versucht, mit ihr zu reden, aber…naja. Sie redet wohl mit niemandem. Mathematik scheint auch nicht das Richtige für sie zu sein. Ich hab gehört, wie sie zu ihrer Sitznachbarin gesagt hat, sie lässt es wohl bald wieder, wegen dem Modelvertrag. Sieht ja auch nicht so aus, als wäre sie ein besonders helles Köpfchen.“ Der erste verdrehte die Augen. „Edwin, die wird bestimmt die ganze Zeit angegraben. Kein Wunder, dass sie sich nicht mit dir unterhalten wollte!“ Cẩm kicherte. Edwin wandte sich beleidigt wieder seiner Hausarbeit zu.

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    „Na, Süße? Ziemlich wenig los hier heute, wie?“ lallte der Typ neben mir. Ich verzog das Gesicht. Wenn ich eines mehr hasste, als Kinder reicher Eltern, die in Anzügen ihrer Bonzenstudentenverbindung herum liefen, waren es Kinder reicher Eltern, die in Anzügen ihrer Bonzenstudentenverbindung herum liefen und meinten, mich anflirten zu können. „Heul doch“, gab ich genervt zurück. Er warf mir einen verächtlichen Blick zu, bevor er aufstand und sein nächstes Opfer suchte. Tatsächlich war die Lounge heute ziemlich leer. Eine Möchtegernband spielte wie immer für kleines Geld in der Ecke und bei den Billardtischen entdeckte ich Edwin, den Jungen von heute Morgen. Kurz überlegte ich, nach Hause zu gehen, bestellte mir dann aber doch noch ein Mixgetränk. Es war ja noch früh.

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    Nach einem weiteren Getränk und einem Glas Wasser sah ich eine Bekannte in der Ecke stehen. „Hey Roxie!“, begrüßte ich sie. „Hey, Jane! Na wenn das mal nicht meine Lieblingskapitalistin ist. Schicker Anzug“, zog sie mich auf. „Ziemlich wenig los hier“, meinte ich, weil mir nichts Besseres darauf einfiel. „Wird schon noch. Ich hab gehört, du hast schon mit meinem Bruder Bekanntschaft gemacht?“. Auf meinen verwirrten Blick hin erklärte sie mit genervtem Blick „Edwin“. „Das ist dein Bruder?“ Ich konnte mir die Verwunderung kaum verhehlen und bekam ein Augenrollen. „Sieht ganz so aus. Er wohnt bei mir. Aber sag es nicht weiter. Ich will nicht unbedingt mit ihm in Verbindung gebracht werden.“

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    „Das wundert mich nicht“, gab ich amüsiert zurück. Die beiden Geschwister könnten nicht unterschiedlicher sein. „Jane, du weißt, ich bin ein ziemlich toleranter Mensch, aber mein Bruder…Ich hoffe, er sucht sich bald eine neue Bleibe. Und Jonah mag ihn auch nicht.“ Jonah war Roxies Freund und saß an diesem Abend am Schlagzeug. „Oh Gott, dreh dich jetzt bloß nicht um“, sagte Roxie auf einmal. Natürlich bewirkte dieser Hinweis das genaue Gegenteil und ich drehte mich sofort um.

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    Da war sie wieder. Mir stockte der Atem. Sie sah noch besser aus als am Tag zuvor. Ihr Kleid hob sie von allen anderen rund herum ab und ihre Beine waren die Längsten, die ich je gesehen hatte. „Sie ist sooo hübsch“, hauchte ich verträumt. „Kein Wunder“, erwiderte Roxie, „genau dafür wird sie bezahlt. „Neid?“, fragte ich spöttisch. „Eher Realismus. Ich hab gesehen, wie du sie anschaust. Aber bei der solltest du schon etwas mehr in die Waage werfen, als im Hundertsten Semester Architektur zu studieren. Ich wette, die Frau kennt Rockstars und Schauspieler.“ „Kenne ich auch“, antwortete ich trotzig. Roxie warf mir einen spöttischen Blick zu. „Na gut, einen“, gab ich zu, „Ich habe sein Haus geplant. Aber er hat gesagt, er empfiehlt mich weiter.“

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    Wir beobachteten, wie sie wiegenden Schrittes von den Billardtischen zur Tanzfläche stolzierte. „Lust auf eine Runde Billard? Lenkt dich vielleicht ab“, schlug Roxie vor. Seufzend stimmte ich zu. Allerdings war ich nicht mit besonders großer Konzentration bei der Sache. Während Roxie eine Kugel nach der anderen einlochte, wanderten meine Augen immer wieder zu Stacy. „Hast du mir eigentlich zugehört?“ Meine Spielpartnerin warf mir einen genervten Blick zu. „Ich hab gesagt, du solltest nicht ständig dem Modepüppchen nachgucken, wenn du noch gewinnen willst.“

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    „Ich muss sie einfach haben“, erklärte ich ihr. Sie zuckte mit den Schultern. „Tu, was du nicht lassen kannst. Aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“ Ich legte den Queue auf die Seite und streifte meine Bluse glatt. Nervös ging ich los. Als hätte ich nicht schon genügend Frauen angesprochen. War doch eigentlich alles ein Klacks für mich. Warum war ich nur so verdammt aufgeregt?

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    Bei der Tanzfläche angekommen atmete ich tief durch, ging auf sie zu und fragte „Lust zu tanzen?“. „Nein“, ist alles, was sie darauf antwortete. Mein Herz setzte für einen kurzen Moment aus. Das war’s also. Kurz und schmerzvoll. Enttäuscht wollte ich mich abwenden, als sie weiter redete. „Ziemlich heiß hier drinnen. Ich denke, ich werde mich mal auf die Terrasse begeben. Da ist auch weniger los“, sie zwinkerte mir zu, „vielleicht magst du ja vor gehen. Wir sehen uns.“ Hatte ich das gerade wirklich gehört? Verwirrt drehte ich mich noch einmal zu ihr um, aber sie war bereits wieder in die Musik vertieft. Also spazierte ich auf die Terrasse. Ein wenig Abkühlung konnte vielleicht wirklich nicht schaden. Allein, um Roxie’s Hohn bei einer Niederlage zu entkommen.



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    Ich wartete ein paar Minuten, bis ich Stacy sah. Sie hatte es also ernst gemeint. Wie eine Göttin stolzierte sie zur Türe heraus und warf ihre Haare zurück. „Sorry, dass es etwas gedauert hat. Ich wollte nicht, dass jeder mitbekommt, dass wir hier draußen sind.“ Ich nickte verständnisvoll. „Die Leute hier sind wie die Hyänen. Alle tun, als wäre ich ein Promi oder so.“ „Ja, man hat mir auch schon gesagt, du hättest einen fetten Modelvertrag. Was bringt dich dazu, dich unter uns Normalsterbliche zu mischen?“, neckte ich sie. „Du.“

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    Ein einziges einfaches Wort und ich schien den Boden unter den Füßen zu verlieren. Passierte das gerade wirklich? Stacy trat einen Schritt auf mich zu. „Ich habe dich neulich schon gesehen und ich wusste, dass du öfter hier bist. Du bist genau mein Typ.“ Ich zog sie noch ein Stück näher zu mir und schloss die Augen bis ich auf ihre wunderbar weichen Lippen traf. Die Welt um mich herum verschwandt. Es gab nur noch sie und mich. So musste sich der Himmel anfühlen.

  • Eines vorab: Ich habe mittendrin einen Musiktipp gegeben. Würde leider zu viel vorweg nehmen, wenn ich das entsprechende Lied schon an den Anfang schreibe, er befindet sich im Spoiler unter Bild 5.








    Mit letzter Kraft stürze ich auf Stacy zu. Ich berühre ihre Hand. Kalt. Kein Puls. Nein! Bitte, Stacy! Ihr Brustkorb bewegt sich nicht. Keine Atmung. Ich beuge mich näher herunter, halte mein Ohr an ihr Gesicht. Nichts. Verzweiflung macht sich in mir breit. Das darf nicht sein. Bitte, flehe ich, ohne genau zu wissen, zu wem. Vielleicht ist sie noch nicht richtig tot. Vielleicht kann ich sie wieder beleben. Bei meinem letzten Erste-Hilfe-Kurs wurde mir genau das eingebläut. Man kann bei einer Reanimation praktisch nichts falsch machen, meinte der Arzt damals zu uns, schlimmstenfalls ist der Mensch tot, was im Grunde ohnehin schon die Ausgangslage sei. Alles ist also besser, als nichts zu tun. Aber Stacy darf nicht tot sein! So fest ich kann, drücke ich auf die Stelle ihrer Brust, unter der sich ihr Herz befindet. Mich durchströmt ein Gefühl der Ruhe und ich habe mit einem Mal das Gefühl, alles richtig zu machen. Hinter mir höre ich ein bitteres Lachen. „Gib dir keine Mühe. Sie hat sich das Genick gebrochen. Es ist vorbei.“ Ich ignoriere sie. Einfach weiter machen.





    Ich weiß nicht, wie lange ich es versuche. 10 Minuten? 30 Minuten? Ich spüre, wie die Kraft in meinen Armen anfängt, mich zu verlassen. Mit jeder Sekunde wächst meine Verzweiflung. Bitte, Stacy, rühre dich. Zeig mir, dass es noch Hoffnung gibt. Nur ein kleines Zeichen. Meine Hände beginnen zu zittern. Erschöpft lasse ich mich auf ihren Körper fallen, drücke mein Gesicht auf ihre Brust. Ihre Haut fühlt sich kalt an, aber sie riecht noch immer nach Stacy. Ich kann es nicht fassen. Es fühlt sich alles an, wie ein furchtbarer Traum. Als würde ich bald aufwachen und der Spuk wäre vorbei. Aber ich wache nicht auf. Keine Tränen rinnen über mein Gesicht. Der Spitzenstoff kratzt an meinen Armen.





    Mühsam setzte ich mich auf und ziehe ihren Oberkörper auf meinen Schoß. Sie fühlt sich schwer an, so ungewohnt schwer. Ich falte ihre Hände auf ihrer Brust. Jetzt sieht es fast so aus, als würde sie nur schlafen. Behutsam streichle ich über ihre Wange. „Stacy“, flüstere ich, in der Hoffnung, dass sie mich irgendwie hören kann. „Stacy, ich liebe dich. Wir wollten doch glücklich werden. Zusammen. Alle Vergangenheit hinter uns lassen“, ich verbessere mich, „wir sind glücklich geworden. Alles war perfekt. Du warst perfekt.“ Mein Herz zieht sich zusammen. Mit einem Mal spüre ich einen immensen Schmerz in meiner Brust. Wimmernd zucke ich zusammen. Langsam tropft die Tatsache in mein Bewusstsein. Stacy ist tot. Stacy ist tot und wird auch nicht mehr lebendig. Eine Träne tropft auf ihr Gesicht. Sanft wische ich sie weg. „Ich liebe dich“, flüstere ich erneut und drücke ihren Körper dabei fester an mich.





    „Du wirst darüber hinwegkommen, Ruth“. Die bekannte Stimme lässt mich erstarren, auch, wenn sie heute in merkwürdig sanfter Tonlage klingt. „Wir zwei haben schon so viel gemeinsam durchlebt. Wir werden auch das schaffen.“ Wütend blicke ich auf. „Wie kannst du es wagen…?“, bringe ich mit brüchiger Stimme heraus. „Du kannst nicht ewig vor mir weglaufen. Du hast niemanden mehr. Nur noch mich. Jetzt gibt es keinen mehr, der uns trennt.“ Ihre Stimme wird schneidender. „Jetzt gibt es keinen mehr, der uns trennt“, klingt es in meinem Kopf nach. Nein! Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass Stacies Waffe noch immer neben ihr liegt. Wenigstens etwas Gutes hat es, dass sie sie besorgt hat. „Ach Stacy“, seufze ich, „wer hätte gedacht, dass es einmal so kommt?“. Ich greife nach der Waffe und zögere einen kurzen Moment. Dann sehe ich hinab auf Stacies Gesicht. Die Versuchung, bei ihr zu sein, von allen Problemen befreit, ist einfach zu verlockend. „Ich liebe dich, mein Schatz. Gleich bin ich bei dir“.





























































































  • Sooo, heute komme ich endlich dazu, den Prolog zu posten. Kurzer Disclaimer am Anfang: Diese Fortsetzung beruht nicht auf historisch fundierten Dokumenten, sondern entspringt rein meiner Fantasie. Andererseits kann aber auch niemand beweisen, dass es sich NICHT genau so zugetragen hat. ;)












    1.Eintrag.
    Als ich das King’s College verlassen habe, musste ich einwilligen, nicht mehr an der DNA zu forschen. Nun, ich fürchte, die Realität erfordert manchmal radikale Maßnahmen, Maßnahmen, die vielleicht dem einzelnen unethisch erscheinen mögen, aber die letztendlich im Geiste der Wissenschaft enorme Fortschritte bringen werden. Natürlich ist mir bewusst, dass meine neuerlichen Experimente zur DNA von meinen Zeitgenossen als moralisch mehr als fragwürdig, ja, zuweilen sogar blasphemisch bezeichnet werden würden. Zumindest bleibt mir der Trost, dass niemand mir diesmal die kostbaren Früchte meiner Forschung stehlen wird – es wird nämlich schlichtweg niemand davon erfahren. Ich verfasse diese Aufzeichnungen in der Hoffnung, dass man in Jahren, Jahrzehnten nach meinem Tode den wissenschaftlichen Nutzen daran versteht.







    7. Eintrag
    Alle Zeichen deuten darauf hin, dass es dieses Mal funktioniert hat. Leider ist es mir bislang nicht möglich gewesen, mich entsprechender technischer Geräte, wie solcher zur neu entwickelten Sonografie, zu bedienen, ohne mich dadurch verdächtig zu machen. Der Zweck meiner Experimente muss um jeden Preis geheim bleiben. Ich habe es in Betracht gezogen, Dr. Caspar darüber zu informieren, immerhin ist er daran sozusagen…beteiligt. Schließlich habe ich den Gedanken aber verworfen, denn trotz seiner wissenschaftlichen Genialität würde er meinem Vorhaben wohl nicht so weit folgen können, von moralischen Bedenken ganz abgesehen. Nein, die entsprechenden Daten sind zu sensibel, um vorschnell darüber zu sprechen, selbst im Kreise intimster Vertrauter. Nur eine kleine Durchlässigkeit könnte den Fortgang der Experimente gefährden.









    20. Eintrag
    Zum jetzigen Zeitpunkt bin ich absolut sicher, dass mein Vorhaben vortrefflich nach Plan verläuft. Wenn man mir vor 5 Jahren gesagt hätte, es würde mir in der Forschung einmal einen Vorteil bringen, eine Frau zu sein, ich hätte es nicht geglaubt. Nun, wie es aussieht, haben die Zeiten sich geändert. Nun muss ich noch mehr Aufwand betreiben, um nicht aufzufliegen. Vor allem aber darf ich meine Pflanzenvirenforschung nicht vernachlässigen. Die verbleibenden Monate werden ein Aufgebot all meiner nervlichen und körperlichen Kräfte verlangen, vor allem im Angesicht meines nahenden Todes. Die Schmerzen werden von Tag zu Tag stärker und jeder Versuch der Linderung würde das Experiment gefährden. Dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass die Ergebnisse meiner Anstrengungen für die Menschheit letztendlich ein Gewinn sind.









    34. Eintrag
    Trotz all meinem medizinischen Vorwissen muss ich sagen, dass der Vorgang der natürlichen Geburt ein Schock für mich war, auf den mich selbst die detailliertesten Anatomiekenntnisse nicht hätten vorbereiten können. Der Gedanke, dass Frauen dieser Prozedur jahrtausendelang ohne ein wirksames Mittel ausgeliefert waren, erscheint mir abscheulich. Umso mehr erfreuen mich die großartigen Fortschritte der amerikanischen Kollegen in der Entwicklung eines Präparates zur Verhütung der Empfängnis. Aber das soll nicht weiter Gegenstand dieses Artikels sein. Was viel bedeutsamer ist, physiologisch gesehen ist alles gut verlaufen. Das Risiko, meine Krebsbehandlung für diesen langen Zeitraum zu unterbrechen, war kein geringes, ja, es wäre wesentlich wahrscheinlicher gewesen, dass sowohl ich als auch Subjekt A diesen Tag nicht erleben. Ein Wunder und ein Segen zugleich, denn mir ist mehr als bewusst, dass für einen neuerlichen Versuch nicht die Zeit geblieben wäre.











    36. Eintrag
    Auch, wenn die Äußerlichkeiten von Subjekt A auf den ersten Blick ins Auge stechen und sein Daseinszweck vor allem darin bestehen wird, das Objekt wissenschaftlicher Untersuchungen zu sein, so dürfen wir doch nicht vergessen, dass es in erster Linie immer noch ein Kind ist. Als dieses hat es Bedürfnisse wie jedes andere Kind auch. Es muss gefüttert, gewickelt und gebadet werden und es braucht emotionale Zuwendung, um eine stabile Bindung aufbauen zu können. Ich bitte die zukünftigen Generationen an Wissenschaftlern, so sie dieses Werk moralischer Kritik unterwerfen, dies zur Kenntnis zu nehmen: Dieser Säugling wird von mit mütterlicher Liebe überschüttet werden und nichts läge mir ferner, als seine gesunde Entwicklung in irgendeiner Art und Weise zu hemmen.







    40. Eintrag
    Während des Stillens hat Subjekt A eine daumengroße Wunde in meine Brust gebissen. Nicht nur, dass sie, allen Beschreibungen der kindlichen Entwicklung gemäß, dazu gar nicht in der Lage sein dürfte – kurze Zeit später wurde ich Zeugin einer noch viel größeren Kuriosität. Bevor ich die Wunde fachgerecht behandeln konnte, hatte sich bereits ein Heilungsprozess in Gang gesetzt. Was auch immer diese Heilung in Gang gesetzt hat – es könnte zu einem unglaublichen Durchbruch in der Medizin führen. Ich werde eine Reihe von umfangreichen Versuchen mit Subjekt A durchführen müssen. Vorerst jedoch ist die Fütterung des Kindes auf Flaschennahrung umgestellt.











    43. Eintrag
    Nach den gestrigen Tests entnahm ich heute eine weitere Reihe von Proben, allen voran des Speichelsekretes, der Mundschleimhaut und einige Gewebeproben im Mund- und Rachenraum. Zur weiteren Forschung ebenfalls Nasen- und Tränensekrete, Harn- und Stuhlproben, Gewebeproben von Haut, Muskeln und Fettschicht. Auch einige Röntgenexperimente waren notwendig und, wenn die Untersuchung der entnommenen Substanzen erste Ergebnisse liefert, werden vermutlich noch weitere folgen. Die Befürchtung, dass die Zeit zu kurz sein könnte, wird immer dringlicher und umso bestrebter bin ich in meinen Untersuchungen.











    48. Eintrag
    Ich stehe kurz vor dem endgültigen Durchbruch. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich bereits notieren, dass die schnelle Heilungswirkung durch vermutlich eine Zusammenwirkung mehrerer Proteine im Speichelsekret aktiviert wird. Wenn es mir gelänge, die entsprechenden Proteine zu isolieren…der Nutzen für die Medizin kann gar nicht genug betont werden.
    In weiterer Folge habe ich Tests zur Entwicklung von Subjekt A durchgeführt. Ihre frühkindlichen Reflexe sind mehr als entwicklungsgemäß ausgebildet. Ihre körperliche Entwicklung scheint wesentlich schneller voran zu gehen, als dies bei Kindern üblicherweise der Fall ist. Physiologisch ist sie absolut gesund, charakterlich ein fröhliches und temperamentvolles Mädchen. Ihre Augenbewegungen in Reaktionstests lassen darauf schließen, dass sie von herausragendem Intellekt und schneller Auffassungsgabe ist.











    51. Eintrag
    Es ist mir gelungen, eines der verantwortlichen Proteine zu isolieren. Es handelt sich hierbei um ein Pentapeptid mit der Aminosequenz Gln-Arg-Phe-Ser-Arg. Es scheint sich um kein bisher bekanntes Protein zu handeln, ein Vergleich des Speichels hat aber gezeigt, dass dieses auch beim natürlichen Menschen vorkommt. Ich schließe also daraus, dass eine Genmutation dafür verantwortlich ist, die Veränderung in dem Pentapeptid herbei zu führen. Einige der Aminosäuren konnten bereits in der Vergangenheit von fähigen Biologen und Medizinern synthetisiert werden. Daher bin ich zuversichtlich, dass vielleicht in gar nicht allzu langer Zeit eine künstliche Herstellung des veränderten Proteins möglich ist. Selbst, wenn ich selbst es nicht mehr miterleben werde, gibt mir diese Gewissheit einen enormen Auftrieb. Ich bin zuversichtlich, vor meinem Ableben die noch verbleibenden am Heilungsprozess beteiligten Proteine identifizieren zu können.











    52. Eintrag
    Sie ist weg! Wie konnte das passieren? Ich bin mir ziemlich sicher, die Haustüre geschlossen zu haben. Dennoch stand sie bei meiner Rückkehr aus dem Forscherraum offen und von Subjekt A war nichts mehr zu sehen. Ich habe den gesamten Tag damit zugebracht, nach ihr zu suchen. Nichts. Der umliegende Wald ist eine gefährliche, ja, potentiell tödliche Falle für einen Säugling. Der Rückschlag, den meine Forschung dadurch erlitten hat, ist von unabschätzbarer Höhe. Ich habe zu viel Zeit mit der Erforschung ihrer Speichelsekrete verbracht und zu wenig mit der Entwicklung von Subjekt A selbst. Ihre motorischen Fähigkeiten haben sich womöglich soweit entwickelt, dass sie selbstständig krabbeln konnte.







    58. Eintrag
    Der Krebs ist zurück. Ausgerechnet jetzt. Von Subjekt A ist noch immer keine Spur aufgetaucht. Ich kann sie nicht mehr länger suchen. So schmerzhaft es ist, muss ich zur Feststellung kommen, dass sie vermutlich tot ist. Meine Forschung. Meine…Tochter. Ich musste ins Royal Masden Hospital eingewiesen werden. Dieser Eintrag ist möglicherweise mein letzter. Vergangenen Montag fertigte ich mein Testament an. Ich schließe mit der Hoffnung, dass diese Aufzeichnungen in Zukunft fähigen Wissenschaftlern als hilfreich erscheinen.











    59. Eintrag
    Ich habe eine erneute Chance erhalten. Ich weiß nicht, für wie lange. Die Metastasen in meinem Unterleib sind bereits zu zahlreich, um den Krebs endgültig zu besiegen. Ich habe wenig verbleibende Speichelproben von Subjekt A, dennoch konzentriere ich meine Forschung in der mir noch verbleibenden Zeit darauf, diese möglichst akkurat zu untersuchen und beschreiben. Das ist das letzte, was ich für die Wissenschaft und die Menschheit tun kann.









    68. Eintrag
    Die Schmerzen sind zu diesem Zeitpunkt kaum noch erträglich, doch viel schlimmer ist der Gedanke an Subjekt A. Daran, dass ich sie verloren habe. Erst jetzt, so kurz vor meinem Tode, erlaube ich mir wirklich, um sie zu trauern. Ich fürchte, ich muss an dieser Stelle ein Geständnis einfügen. Trotz all der Liebe, die ich wahrhaftig für sie empfunden habe, habe ich ihr nicht genug davon gezeigt. Ich habe sie, ein menschliches Wesen, ja, mein eigenes Kind, sträflich vernachlässigt und ihr nicht die Zuneigung gezeigt, die ich ihr hätte zeigen sollen.













    69. Eintrag
    Mit diesem Eintrag schließe ich nun wirklich. Mein gesundheitlicher Zustand erlaubt mir kaum, ihn zu schreiben und der Glaube an eine Heilung wäre mehr als naiv. Vermutlich habe ich kaum mehr als ein, zwei Tage. Ich versuche, so gut es geht, mit meinem Leben abzuschließen. Immer noch wandern meine Gedanken zu Subjekt A.
    Was ist, wenn sie gar nicht tot ist?
    Was, wenn sie noch immer da draußen ist?
    Auf der Suche einer neuen Mutter.








  • Schande über mein Haupt, dass ich erst jetzt antworte! :(


    Aber waaaaas schockierst du uns so, liebe Cindy Sim?! Mein Herz ist echt einen Moment stehen geblieben, als es hieß, dass Stacy tot sei und ich habe noch bis zum Schluss gehofft, dass das Wesen lügt. Aber nein, die wunderbare Stacy ist wirklich tot und ich kann Jane (...oder Ruth?) ehrlich gesagt voll verstehen, dass sie sich gleich mit umgelegt hat. Ich hätte den beiden wirklich ein schönes, erfülltes Leben gegönnt, aber ich bin sowieso ein Fanatiker von Happy Ends. Sad Ends machen mich zu... sad :D


    Dennoch war die Geschichte natürlich der Hammer! Was deine Bildbearbeitungen angeht, bist du wirklich eine Künstlerin, vor der ich großen Respekt habe! Alle waren immer stimmig und Subjekt A wirklich gruselig von Anfang bis Ende. Die Geschichte um Jane und Ruth war auch wirklich der Hammer, ganz ehrlich. Ich hätte nie gedacht, dass sie in Wahrheit Ruth ist und einfach alles verdrängt hat, aber das erklärt natürlich, warum das Monster ihr gefolgt ist. Und plötzlich ergibt das mit dem Sturm etc. auch alles einen Sinn. Das hast du wirklich echt gut gelöst und mit viel weniger Mistery als erwartet (im positiven!). Ich hab ja echt gedacht, Ruth hätte noch besondere Kräfte bekommen oder so. Aber diese biologisch-psychologische Erklärung finde ich einfach an dieser Stelle wunderbar passend. :applaus


    Und auch das letzte Kapitel zu Dr. Rosalindt Franklin (zu der ich mich gleich belesen habe) war super stimmig und eine total plausible Erklärung für dieses seltsame Mädchen. In meinen Augen ist Subjekt A jetzt auch nicht nur mehr Täterin, sondern auch Opfer. Ein Gen-Mutant, dem keine Liebe zu Teil wurde und der sich einfach nur nach einer Mutter sehnt, die zu ihm steht bzw zu ihr. Trotzdem nehme ich es ihr übel, dass sie Stacy getötet hat! :(:angry:(


    Zum Schluss sag ich einfach: Vielen Dank, dass du diese gelungene, stimmige und mitreißende Story auf die Beine gestellt hast, die wirklich wieder meine Lust zum Sims Spielen anregt! Die Ideen, die Charaktere, die Gestaltung, die Hintergrundgedanken, alles war absolut klasse und ich hoffe, man liest vielleicht nochmal etwas von dir! ^-^


    Viele Liebe Grüße! :)


    PS: STACY LEBT! :p

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