„Gut siehst du aus, Rüdiger. Wirklich. Wie ein richtiger Unternehmer.“, sagte Silke Obermeier und zupfte dem schwergewichtigen Leckermaul die Krawatte zurecht.
„Bist du sicher? Mir hätte der weiße Anzug besser gefallen.“
„Jetzt hör schon auf. Du bist doch ein erfolgreicher Gärtner, ein stattlicher Mann und bald … Ehemann. Ich kann mir das kaum vorstellen. Das ging alles so schnell.“
„Ach, Silke. Du glaubst gar nicht, wie glücklich ich bin, dass ich sie getroffen habe.“, schwärmte Rüdiger so, wie er sonst nur von frischen Schokomuffins schwärmte und sah in den Spiegel. Vor einem halben Jahr hatte er noch zusammen mit Silke ihren kriminellen Sohn hinter Gittern gebracht und jetzt … jetzt würde er heiraten.
„Seid ihr fertig? Wir müssen nämlich jetzt langsam los.“ Zwei Frauen standen in der Tür und sahen Rüdiger positiv überrascht an.
„Annette, Schatz. Jetzt hetzt uns nicht. Manuela, hast du dem Kameramann Bescheid gegeben, wie er filmen soll?“
„Klar, ich hab auch meine Zeitungsagentur angerufen. Morgen ist der Artikel über die Traumhochzeit drin. Also kann es losgehen. Es wird geheiratet. Komm, Rüdiger. Deine Braut wartet.“
Ja, es war ein perfekter Spätsommertag. Die einen freuten sich auf den schönsten Tag in ihrem Leben. Die anderen reflektierten ihr einstiges, schönes Leben und mussten schnell feststellen, dass das Leben sich schneller ändern konnte, als man sich denken konnte.
Die Frau warf sich Jakob um den Hals und krallte sich in seinen starken Armen fest. Sie war so verängstigt, dass er sogar spüren konnte, das ihre Zehen zitterten.
„Bitte, Sie mussen mich helfen. Bitte..“
„Schon gut, schon gut... Sie ... Sie bluten ja. Ich hole einen Krankenwagen.“
„Nein! Keine Polizei! Kein Arzt! Bitte... helfen Sie mir!“ Die üppig geschminkten Augen sahen den Architekten flehend an. Was auch immer diese Frau durchgemacht hatte, es musste unglaublich schmerzhaft gewesen sein. Sie war blutverschmiert und ihre Kleider waren zerrissen.
„Ich … ich kann Ihnen nicht...“
„Bitte... Sie mussen! Ich braue Hilfe! Sie mussen mir einfach helfen! Einziges Chance! Bitte!“
Erst jetzt bemerkte Jakob ihren Akzent. Dabei hatte er jetzt wirklich nicht die Zeit für so etwas er musste...
„Bitte, er wird mich finden.“
„Er, wer ist er ... na gut. Kommen Sie mit.“
„Danke... danke... oh danke. Mein Retter.“
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„... Retter wird Gott sein. Sie dürfen die Braut jetzt küssen.“
Rüdger war überglücklich. Er nahm seine Angebetete bei den Händen, beugte sich vor, spitzte die Lippen und tat es. Er besiegelte ihre unsterbliche Leibe mit dem einen, alles entscheidenden Kuss. Jetzt waren sie Mann und Frau. Er hatte endlich etwas erreicht.
Ja, der schönste Tag im Leben war voller Sonnenschein. Und das nicht nur in der kleinen über konfessionellen Kirche von Riverview, nein auch auf der Terrasse der neu eingezogenen Familie Walker ließ sich die Sonne blicken.
„Ich hoffe nur, dass wir dieses Mal Glück haben.“, sagte James und nippte an seinem Whiskey.
„Ich auch. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie uns entwischt. Wir brauchen die Proben.“, meinte seine Frau Kathrin und lehnte sich im Stuhl zurück.
„Dieses Mal muss es klappen, koste es, was es wolle...“
So endete der letzte Spätsommertag und hüllte Riverview in die kühle Herbstluft ein. Doch, was die meisten nicht ahnen konnten ist, dass diese Luft noch viel kälter werden würde...