Und schon geht es wieder weiter in Riverview. Diesmal mit jedermanns Liebling: Rüdiger ...
-Folge 19: Rüdiger – Leiden –
Silke Obermeier litt. Sie hatte immer an irgendetwas leiden müssen. Sie hatte die brutalen Schläge ihres Vaters und die zahllosen Misshandlungen seiner Trinkerfreunde erleiden müssen.
Sie litt auch durch die unzählige Beleidigungen und Ehebrüche, die ihr bereits verstorbener Ehemann begangen hatte.
Und von ihren beiden Kindern hatte sie nichts als Undankbarkeit und Zurückweisung erleiden müssen. Und das ihr ganzes Leben lang. Eigentlich hatte jeder Mensch, den sie bisher kennengelernt hatte ihr wehgetan und sie leiden lassen. Alle, außer einer: Rüdiger…
„Silke? Stimmt etwas nicht mit dir?“ Rüdigers beunruhigte Stimme drang zu Silke durch, die noch immer ungläubig das Handy in der Hand hielt. Ihr eigener Sohn wollte sie tatsächlich umbringen.
„Silke! Was…“ Rüdiger klang immer besorgter. Und allmählich spürte sie, wie sich ein stechender Schmerz ihre Beine Hoch bewegte. Sie verlor den Halt und suchte Halt an Rüdigers mehr oder weniger muskulösen Armen.
„Die Frau kriegt gerade nen Herzinfarkt! Mein Gott…“, rief der angebundene Alfred Bullauge und verdrehte die Augen.
„Was… Silke!“ Sofort fing Rüdiger die schwächelnde Frau auf und schleppte sie zu ihrem Bett.
„Jungchen. Ich… ah…“ Doch die schmerzen waren zu stark. Warum musste das gerade jetzt passieren?
„Nein, Silke! Ich werde alles tun. Aber bitte, bleib bei mir.“ Vorsichtig legte er Silke ins Bett und brachte ihr ein Glas Wasser.
„Soll ich einen Notarzt rufen?“
„Nein! Jungchen! Warte. Das… das hat keinen Sinn. Es ist kein Herzinfarkt. Es geht mir gleich wieder gut. Ich brauche nur … nur … Ruhe…“
„Scher? Aber, wenn dir schlecht ist, oder so, dann sag mir Bescheid.“
Am liebsten wäre Rüdiger selbst zusammengebrochen. Mit anzusehen, wie seine liebgewonnene Freundin litt, machte ihn fertig. Er war so hilflos, so… ach, hätte er doch bloß mehr Sport gemacht, dann hätte er die Situation sicher retten können! Denn dünne Menschenkönnen alles besser. Zumindest hat seine Mutter das immer gesagt, wenn er sich mal wieder eine Tüte Mars-Riegel vor dem Fernseher reingezogen hatte.
„So, siehst du, ich kann wieder gut atmen. Alles wird gut.“
„Wirklich schön für Sie. Aber würden Sie mich vielleicht wieder freilassen? Ich will nämlich nicht dabei sein, wenn sie sterben. Mir wird von solchen Szenen immer schlecht.“
„Jungchen, lass ihn gehen.“
„Wirklich? Aber er... er ist doch ein Gefangener.“
„Oh, kleiner. Wir spielen doch hier nicht Räuber und Gendarm. Also, mach schon, lass ihn gehen.“ Obwohl Silke immer noch Schmerzen hatte, entlockte Rüdigers Naivität der alten Dame ein Lächeln. Er war so unglaublich süß.
„Genau, du hast die alte Schachtel gehört. Lass mich gehen.“
„Alte Schachtel? Was fällt Ihnen ein, eine Dame so zu nennen? Was glauben Sie, wer Sie sind?“ Rüdiger stierte den kahlen Mann entsetzt an.
„Oh bitte, stell dich nicht so an. Lass mich einfach gehen!“
„Genau! Lass ihn gehen!“ Alle Blicke richteten sich auf den Mann, der plötzlich in der Tür stand. Er war groß und trug einen Anzug.
„Da bist du ja, Robert. Darf ich vorstellen, mein Sohn.“
Rüdiger hätte ihm ja gerne die Hand geschüttelt, aber er hatte eben ein Erdnussbutterbrot gegessen und sich damit die Hände vollgeschmiert. Das wäre unhöflich, dachte er sich und winkte nur.
„Ach Jungchen! Lass das! Den musst du nicht grüßen. Er ist nur hier um mich umzubringen. Komm, ich bin hier, sterbenskrank und liebe hilflos im Bett.“ Silke sah ihren Sohn verächtlich in die Augen, doch der schüttelte nur den Kopf.
„Ach Mutter. Warum denkst du, ich würde ich umbringen wollen? Ich, dein Sohn. Niemals.“
„Genau, warum sollte er das tun? Geht es dir wirklich gut, Silke, Schatz?“ Rüdiger strich seiner Geliebten übers Gesicht und erntete dabei verwirrte Blicke von Robert.
„Oh mein Gott. Das ist krank, Junge. Das ist richtig ekelhaft. Du gehst zu einer so alten Nutte? Ich will ja nichts sagen, aber in der Innenstadt gibt es viel hübschere, und vor allem Jüngere, als dieses gottverdammte Monster.“
„Sie ist keine Nutte! Zumindest nicht für mich. Und für dich sollet sie es auch nicht sein! Sie ist deine Mutter! Eine liebevolle, warmherzige Frau!“ Energisch stellte sich Rüdiger vor den Mann, der nur überheblich grinste.
„Liebevolle Frau… ts… das ich nicht lache. Sie hat so viel Wärme wie ein Sibirischer Eisberg. Oder, Mutter? Was sagst du dazu? Du hast ja nicht zufällig meinen Vater umgebracht?!“
„Er hat sich… erschossen. Das weißt du ganz genau!“ Silke zuckte vor Schmerzen zusammen.
„Ach Mutter. Er hat sich wegen dir umgebracht. Er hat es nicht mehr ausgehalten. Weißt du, ich habe ihm immer Vorwürfe gemacht, dass er sich umgebracht hat. Aber jetzt weiß ich, dass gar nicht so falsch war. Er hätte dich umbringen sollen, anstatt sich selbst.“
„Hör auf damit!“ Schrie Rüdiger ihn an und schlug ihm ins Gesicht.
„Jungchen... hör… auf…“
Doch zu spät, Robert hielt einen Schlag nach dem anderen ab und warf den raubeinigen Single mit einem Hub gegen eine Kommode.
„Robert! Oh nein, hör auf. Lass Rüdiger in Ruhe! Das wird deine Karriere auch nicht mehr retten! Ich weiß, was du vorhast!“
„Tut mir leid, Mutter. Aber ich habe zu lange für meine Karriere gearbeitet, als dass ich es zulassen könnte, dass du sie mir kaputtmachst. Do wolltest mich doch nur ruinieren, meinen guten Ruf zerstören. Aber ich lasse nicht zu, dass ich eine Nutte zur Mutter habe. Eher sollst du sterben!“
„Und das werde ich ja auch dank dir und deiner Schwester.“ Silke atmete tief durch und setzte sich auf.
„Was… Annette? Sie hat damit nichts zu tun.“
„Oh, Robert. Natürlich hat sie damit nichts zu tun, du zwingst sie dazu mir diese Medikamente zu geben, die mich umbringen. Deswegen sterbe ich gerade auch.“
Ja, Silke Obermeier hatte ihr Leben lang gelitten. Aber wenn sie jetzt in die Augen ihres Sohnes schaute, erkannte sie, dass auch er anfing zu leiden. Sei hatte ihn durchschaut. Er hatte wohl damit gerechnet, dass sie einfach sterben würde und niemals der Verdacht auf ihn kommen würde, aber damit lag er falsch. Und es befriedigte Silke ungemein zu sehen, wie ihr Sohn litt, obwohl er keine Schmerzen hatte wie sie selbst…