Lia - Aus dem Leben einer Hure


  • „Ach Kiiiriii”, juchzte Vera laut und übertrieben hoch, als sie sich zu ihr umdrehte. „Lass uns feiern.”
    Kira zog eine Augenbraue hoch und sah Mara und mich kurz entsetzt an, dann fiel ihr Blick wieder auf Vera.



    „Wir haben geheiratet”, quietschte diese. „Ist das nicht wundervoll?”
    Zuerst wurde mir die Bedeutung von Veras Worten gar nicht so bewusst. Doch dann, langsam, brannte es sich in mein Hirn. Sie … hatten … ge-hei-ra-tet? Sie?! Vera und … er? Niemals.
    „Man, du bist doch besoffen”, sagte Kira abwertend und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Und nun seid still, ich muss schlafen.”



    „Aber es sti-himmt”, trällerte Vera und hielt ihre Hand in die Luft, aber da meine Augen noch immer vom Licht geblendet wurden, konnte ich nicht erkennen, ob sie tatsächlich einen Ring trug.
    Plötzlich stand Mara auf, die auf einmal Tränen in den Augen hatte und rot vor Wut geworden war.
    „Ihr habt was?!”, sie stellte sich vor Vera und sah sie direkt an und ich erschrak vor ihrem bestimmten Auftreten.
    „Freu dich lieber für mich, Kind”, sagte Vera, immer noch in einer unnormal hohen Stimmlage. Irgendwie erinnerte sie mich grade an meine Mutter.



    „Das ist krank”, schrie Mara. „Wenn das stimmt, seid ihr einfach nur krank. Vera, ich dachte du hast Träume. Und ein bisschen Würde.” Sie sah kurz zu Jay, der immer noch unbeeindruckt an der Wand lehnte.
    „Guck dir doch nur mal diesen Penner an. Was ist denn das für ein Mann? Ich fass es nicht.” Mit diesen Worten rannte Mara an den beiden Betrunkenen vorbei und ein paar Sekunden später hörte man ein lautes Türknallen.



    „Die Kleine ist neidisch auf unser Glück, Schnecke”, säuselte Jay unbeindruckt. „Und komm, es wird Zeit für unsere Hochzeitsnacht!” Er drehte sich um und verschwand aus der Tür. Ich sah ihm kurz hinterher und bei dem Gedanken, dass Vera mit ihm ins Bett gehen würde, wurde mir übel. Nein, das war nicht ihr Stil. Sie war immer ein bisschen seltsam gewesen, aber nicht so. Sie hatte Träume gehabt. Sie wollte nach Afrika ziehen. Niemals würde sie einen versifften Drogendealer heiraten.



    Da sah ich auf ihre Hand, und entdeckte den protzigen Ring mit dem viel zu großen roten Rubin an ihrem Ringfinger. Mein Glaube an die Menschheit verschwand mit einem Mal und ich wusste, dass dieses das Ende für Vera sein würde. Jeder hätte es gewusst.


  • Als ich am nächsten Morgen aufwachte, erinnerte ich mich erst nach einem kurzen Moment an den gestrigen Abend. Irgendwie hatte ich das Gefühl, alles nur geträumt zu haben, war es doch auch so unwirklich erschienen, was mitten in der Nacht in meinem Zimmer vor sich gegangen war.
    Es war nun kurz vor neun Uhr und noch relativ dunkel, was darauf hindeutete, dass es wirklich langsam auf die kalte Jahreszeit zuging, die ich so hasste.



    Man musste sich immer warm anziehen, ich konnte meine Lieblingsklamotten nicht tragen, dauernd waren die Finger und Füße eingefroren, die Tage waren viel zu kurz, das Wetter viel zu schlecht und die Menschen dauernd mies gelaunt. Im Sommer war doch alles irgendwo so viel einfacher, unbeschwerter. Wenn es dann auch noch Adventszeit wurde, brach für mich der allerschlimmste Monat des Jahres an, denn Weihnachten war das Fest der Liebe, das Fest der glücklichen Familien, das Fest der Zusammengehörigkeit. Nur ich hatte niemanden. Weihnachten war grässlich. Aber zum Glück war es ja noch über zwei Monate hin. Noch würde ich mir meine Laune davon nicht verderben lassen. Dafür waren im Moment andere Themen zuständig.


    Ich war noch sehr müde, zwang mich aber aufzustehen, mir wahllos irgendwelche Klamotten überzuwerfen und schleifte durch mein Zimmer und in die Küche. Kira und Vanessa saßen am Tisch, es lief leise Popmusik und die Stimmung wirkte irgendwie verkrampft.



    „Morgen”, murmelte ich und bekam ein genuscheltes „Moin”, von Kira zurück, die sich mal wieder ihre Fingernägel polierte, wobei sie Stunden zubringen konnte, ohne auch nur aufzusehen.
    Vanessa hatte ihre schwarzen Haare zu einem unordentlichen Dutt gebunden und starrte abwesend aus dem Fenster.
    Ich holte mir ein Glas aus dem Schrank und kippte Milch hinein, die das durchsichtige Glas weiß anzumalen schien.
    „Kira… haben die echt… geheiratet?!”, fragte ich dann vorsichtig, als ich die Milch zurück in den Kühlschrank stellte.



    „Mhm…”, erwiderte das blonde Mädchen scheinbar unbeeindruckt ohne hochzuschauen, wie es ihre Art war. Ich lehnte mich an die Küchentheke und sah die beiden Mädchen am Tisch an.
    „Aber… ich mein… einfach so?” Ich konnte es überhaupt nicht fassen, es wollte nicht in meinen Kopf. „Ohne jemandem davon zu sagen? Die kennen sich doch ka…”



    Kira sah hoch und unterbrach mich, und erst jetzt sah ich, dass sie heute ungeschminkt war, was in den zwei Jahren noch nie vorgekommen war.
    „Ja”, meinte sie dann mit überraschend fester Stimme. „Ja. Einfach so. Diesen dreckigen Typen. Ohne was zu sagen. Ohne nachzudenken.” Sie wurde lauter, stand auf und schien auf einmal ziemlich aufgebracht zu sein. „Kann man sich das vorstellen?! Nein. Ich glaube es nicht. Das ist… krank. Die Frau ist krank.”



    Kira schrie nun fast, stand auf und schmiss ihre Polierfeile auf den Küchenboden.
    „Diesen beschissenen Dealer. Was der wohl in sie reingepumpt hat, dass sie ja gesagt hat. Es ist alles vorbei, jetzt kann sie’s voll vergessen, da kommt sie nich’ wieder raus. Hallo?… Heiraten, ja. Heiraten. Wie kommt man auf so was? Warum? Weil er nen Sportwagen fährt?” Kira lief durch die Küche und schien zu überlegen, ob sie sich wieder hinsetzen sollte, doch sie regte sich immer mehr auf und dann trat sie mit voller Wucht gegen den Kühlschrank.
    „Ich fass es einfach nicht. Wie lange kennen die sich? Ein paar Wochen?!”
    „Kira, beruhig dich”, versuchte ich, ihre Wut zu dämpfen. „Es ist nicht unsere Sache. Vielleicht… lieben sie sich?” Kira fing an, gezwungen zu lachen.



    „Ja. Lieben. Klar. Die. Grade die beiden. Sicher. Ich glaub ich dreh hier durch!!” Den letzten Satz schrie sie so laut, dass ich zusammenzuckte, dann nahm sie einen Kochtopf, der auf der Küchentheke stand und schmiss ihn mit voller Wucht auf den Boden.
    „Ich hasse sie.” Mit diesen Worten rannte sie aus dem Raum und knallte die Tür.
    Ich sah zu Vanessa, die die ganze Zeit über noch nichts gesagt hatte und völlig unbeteiligt schien, und sah, dass ihr eine Träne die Wange hinunter lief.



    War dieses das Ende? Auf einmal durchfuhr mich eine ungeheuer große Angst. Was war, wenn jetzt alles zerbrechen würde? Alles, was mein Leben noch ausmachte.
    „Ich weiß, dass sie Drogen nimmt”, gab Vanessa leise von sich, während sie weiterhin das Fenster fixierte. „Schon länger.”
    „Was?!” Ich setzte mich zu dem Mädchen an den Tisch.
    „Solche Pillen. Neuerdings besorgt er ihr Kokain. Sie ist total kaputt, Lia.”
    Ich schluckte und griff nach Vanessas Hand, doch sie zog sie weg.


  • „Bist du dir sicher?”
    „Sie ist schon lange nicht mehr die, für die wir sie halten. Vielleicht war sie das nie. Aber dass es soweit geht, hätte ich nie gedacht.” Vanessa stockte für einen Augenblick und sah mich an. „Sie hat die Drogen doch immer verflucht. Was hat der Kerl nur mit ihr gemacht? Was ist bloß… geworden? Aus ihrem Leben? Sie war doch immer die Erwachsene. Zu der man aufgeschaut hat. Sie hat sich so stark gegeben. Nach innen ist sie so schwach. So… zerbrochen.”
    „Woher weißt du das alles, Vanessa?” Sie schniefte und es rannen immer mehr Tränen über ihre Wangen.



    „Ich habe sie beobachtet. Einmal habe ich sie gesehen, wie sie was genommen hat, zufällig. Sie hatte rumgestottert und gesagt, es sei Medizin. Und sie war irgendwie sauer auf mich, wohl weil ich sie ertappt hatte. Da war ich misstrauisch und habe sie beschattet. Ich musste es wissen. Musste wissen, ob alles hier eine große Lüge ist. Telefonate, ihre Aufenthalte in Discos, Gespräche mit diesen komischen Typen. Und irgendwie passte auf einmal alles zusammen.



    Ihre Art. Ihre Beziehung zu diesem verdammten Jay. Ich hätte was machen können, Lia. Vielleicht hätte ich was machen können….” Vanessa senkte den Kopf und als ihre Tränen auf den Tisch tropften, stand sie auf.
    „Gib dir bloß nicht die Schuld”, sagte ich und nahm das weinende Mädchen in den Arm.



    „Aber was ist, wenn ich Schuld bin?”
    „Du weißt, wie Vera ist, du hättest nie was machen können. Du hättest nie mit ihr reden können, niemals.”
    Nun standen auch mir die Tränen in den Augen.
    „Du kannst nichts machen”, hörte ich mich noch mal sagen, vielleicht um es mir selbst einzureden. „Es ist nun vorbei.”
    Geben wir sie auf.
    Ich hasste mich für diesen letzten Gedanken, aber es war einfach das, was mir durch den Kopf schoss. Vielleicht war ich ein schlechter Mensch. Vielleicht auch einfach nur realistisch.


  • Nur realistisch.

    Die Sotry... hat einen recht bitteren Nachgeschmack, muss Ich sagen.
    Und gerade darum lese Ich sie ja.
    Ein roter Faden, der sich durch die Geschichte zieht.

    Als es um Black ging, der Spaziergang, das alles... Es wirkte normal, fast langweilig. Und nun, einfach so, kommt das.
    Sie nimmt also Dorgen.

    Heiratet einen Dealer.
    Die Mädchen tun mir so leid, aber.. man hätte nicht damit anfangen sollen. Lia auch. Sie sind selbst Schuld... Und doch ist es irgendwie auch nicht so, weil einen manchmal die Umstände in sowas treiben.

    Mal schauen, wie es weitergeht.
    Ein kurzes Kommi, tut mir leid.

    Ich freu mich auf die nächste Fortsetzung :)

  • Zitat

    „Du kannst nichts machen”, hörte ich mich noch mal sagen, vielleicht um es mir selbst einzureden. „Es ist nun vorbei.”
    Geben wir sie auf.
    Ich hasste mich für diesen letzten Gedanken, aber es war einfach das, was mir durch den Kopf schoss. Vielleicht war ich ein schlechter Mensch. Vielleicht auch einfach nur realistisch.



    WOW.
    einzig und alleine WOW.
    diese fortsetzung ist einfach nur grandios, fantastisch, schlichtweg PERFEKT.
    oh mein gott, wie kann sie nur diesen jay heiraten??
    sie ist ja quasi die chefin oder?
    omg WIE kann sie nur ??
    sie war doch immer das vorbild.
    zerbricht nun die WG?
    aber was würde aus lia werden?
    vielleicht mit black zusammenziehen?
    bin gespannt wie's weitergeht.
    text = PERFEKT.
    bilder = PERFEKT.
    weiter so. ;)

    greez
    niccii.__x

    [INDENT][INDENT][INDENT][h=3]Nimm ein Kind bei der Hand
    und lass dich von ihm führen.
    Betrachte die Steine, die es aufhebt
    und höre zu, was es dir erzählt.
    Zur Belohnung zeigt es dir eine Welt,
    die du längst vergessen hast.
    [/h][/INDENT]
    [/INDENT]
    [/INDENT]

  • Lia hat in meinen Augen recht,sie sollten Vera aufgeben,man kann Drogenabhängigen nicht helfen,dazu müsste sie selbst bereit sein und professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.Als Angehöriger oder Mitbewohner oder Freund geht man selbst da nur kaputt,wen man allein versucht zu helfen.Die WG bricht wohl endgültig auseinander,aber dies ist vielleicht die Chanca für Lia sich ein neues Leben aufzubauen.

  • Kapitel 10 - Teil 2




    Mir stand ein stressiger Tag mit vielen Kunden bevor, und so musste ich mich wieder zusammenreißen und meinem eigenen Leben nachgehen. Ich hatte einfach keine Zeit, um Vera zu trauern, und so böse es ist, auch keine Lust. Irgendwie war ich sauer auf sie, sehr sauer. Was fiel ihr eigentlich ein, sich so wegzuschmeißen? Irgendwie waren ihre Träume auch meine gewesen. Der Glaube an eine bessere Welt mit glänzender Zukunft. Dieser war nun gestorben.



    Ich schlug mir Vera aus dem Kopf und beeilte mich, dass ich vor meinem ersten Kunden um elf noch ins Fitnessstudio gehen konnte.
    Ich lief schneller als sonst auf dem Laufband, einerseits wohl, weil ich wütend war, andererseits schien ich zu denken, dass ich so schneller ‘ankommen’ würde, wo auch immer ich hinwollte. Dabei bewegte ich mich doch nur auf der Stelle, die ganze Zeit, und kam nicht einen Millimeter vom Fleck.



    Irgendwie war es sinnlos. Laufen auf der Stelle war einfach nicht der Sinn des Laufens, Sex ohne Liebe war einfach nicht der Grundgedanke vom Sex, und sein Leben mit Drogen zu ersticken war auch nicht das, wofür es vorgesehen war. Was lebten wir hier eigentlich? Manchmal musste ich echt den Kopf schütteln.



    Nach dem sinnlosen Rennen auf dem Band blieb mir wenig Zeit bis zum ersten Kunden und so duschte ich schnell kalt und zwang mich in irgendwelche Klamotten aus der rechten Hälfte meines Schrankes. Die rechte Hälfte war schon seit meinem Einzug für meine Arbeitskleidung gewesen, links befanden sich meine Lieblingsshirts und Sachen, die ich in meiner Freizeit trug. Mir half es, so zwischen Arbeit und Freizeit zu differenzieren, vielleicht war es das Letzte, was dafür sorgte dass mein Job und mein Privatleben sich noch voneinander unterschieden.


    -



    Heute gelang es mir, meine Gefühle zurückzuhalten, und so vergraulte ich nicht noch mehr Kunden. Irgendwie war ich beruhigt, dass es bei diesem einen Ausrutscher geblieben war, auch wenn ich mich immer noch dafür verfluchte, dass es geschehen war.
    Nach dem ersten Kunden, der heute ungewöhnlich anspruchsvoll und somit anstrengend gewesen war, erwartete ich auch schon meinen nächsten. Es war ein 30 jähriger eher gutaussehender Mann, der für seine speziellen Wünsche und Anforderungen bekannt war. Er war wahrlich kein Durschnittskunde und sehr schwer zufrieden zu stellen, deswegen mochte ich ihn überhaupt nicht, aber es musste eben sein.



    Ich bekam nur beiläufig mit, wie ein starkes Hagelschauer vorüber zog und die dicken Körner gegen die Fenster des Beverly knallten und langsam daran herunter glitten. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass nur mein Köper arbeitete und meine Seele sich weit weg an irgendeinem schönen Stückchen Erde befand, wo die Sonne schien und das Gras grün war. Ich weiß nicht, ob es an der Assoziation von Grün und Hoffnung lag, aber in meinen Gedanken tauchte immer wieder diese Farbe auf, und ich liebte sie. Die graue Welt um mich herum nahm ich nur noch schemenhaft, irgendwie beiläufig war.



    Ich roch nicht mehr das billige Aftershave des nackten Mannes neben mir, nahm seinen widerlichen Atem auf meiner Haut kaum noch war, noch interessierten mich seine rauen, ungepflegten Hände, die gierig an mir herumfummelten und schienen, meine Haut zu zerkratzen. In diesen Momenten erschien es mir unwichtig, dass ich wie ein wertloses Tier oder wie eine billige Ware behandelt wurde und auch die starken Schmerzen, die mich von Zeit zu Zeit durchfuhren, konnte ich ignorieren. Natürlich war es da, aber irgendwie auch soweit weg, mich nicht betreffend. Ich hatte keinen Spaß am Sex.



    Kira und Vera hatten uns immer wieder erzählt, dass der Job auch Spaß machen konnte, wenn der Mann einigermaßen akzeptabel war. Ich war mir sicher, dass sie logen. Noch nie hatte es mir Spaß gemacht, noch nie war ein schönes Gefühl über mich gekommen. Aber man konnte es aushalten. Und je länger ich diesen Job ausübte, desto besser wurde ich darin. Zum Glück, denn ansonsten hätte ich ihn schon lange an den Nagel hängen können. Man durfte einfach nicht darüber nachdenken, was man machte. Dann ging es. Meistens.


  • Ich wusste weder, wie lange es dauerte, bis der Mann heute zufrieden gewesen war, noch wusste ich genau, was ich dafür alles hatte tun müssen, doch irgendwann ließ er von mir ab und fiel erschöpft auf das Bett zurück. Meine Zeit, in die Realität zurückzukehren und mich vom Acker zu machen war gekommen, und so stand ich auf, wie eine Marionette von einer unsichtbaren Kraft gelenkt, zog mir mechanisch meine Sachen an und steckte das Geld in meine Handtasche. Wie immer schweifte ein letzter Blick über den Kunden, der noch immer nackt auf dem Bett lag und mittlerweile eingeschlafen war, dann schlüpfte ich in meine schwarzen Pumps und verließ das Zimmer Richtung Fahrstuhl, wo ich wie immer das Geld noch einmal nachzählte.



    Erst als mir der kalte Wind draußen vor dem Stundenhotel ins Gesicht peitschte, wachte ich endgültig auf aus meiner Trance und fühlte mich wieder wie ein klar denkender Mensch, der versuchte zu vergessen, was in den letzten Stunden geschehen war.
    Ich erinnerte mich daran, wie ich einmal einen Bericht über Leute gelesen hatte, die ihren Ehepartner oder ihr Kind verloren hatten. Diese Leute erzählten, dass sie unmittelbar nach dem Tod diesen gar nicht richtig wahrnahmen, die Beerdigung und den ganzen Papierkram erledigten, aber immer frei von jeglichen Gefühlen, einfach automatisch. Der große Zusammenbruch und die Trauer kamen erst später, lange nachdem alles erledigt war, und als alle anderen Menschen schon anfingen, den Toten zu vergessen. Psychologen hatten in diesem Bericht gesagt, dass Menschen in Extremsituationen oft so reagieren und dass es eine Art Schutzmassnahme sei. Irgendwie mochte ich diese Theorie, denn mit ihr konnte ich mir auch meine Gefühllosigkeit erklären. Ich handelte also ganz normal. Nur hatte ich den großen Zusammenbruch noch nicht hinter mir. Aber in jenen Tagen dachte ich weder daran, dass er jemals kommen würde, noch bemerkte ich, dass ich mich schon mitten darin befand.


    -



    Ich fuhr zurück in die WG und schon als ich die Tür öffnete, tönten mir wieder einmal laute Schreie und Gezicke entgegen. Langsam war ich es echt Leid, irgendwann war doch mal genug, schließlich waren wir ja erwachsene Menschen.
    Es waren Mara und Kira, natürlich, wie sollte es auch anders sein. Doch nachdem ich meine Handtasche an die Garderobe gehängt hatte, bemerkte ich, dass die beiden Schwestern sich gar nicht gegenseitig anschrieen, sondern lautstark mit Vera diskutierten, die auf der Couch rum lag und demonstrativ lässig dreinblickte, was grade Kira noch mehr zu provozieren schien.



    „Er zieht hier nicht ein!”, schrie sie mit hochrotem Kopf. „Kommt gar nicht in Frage!”
    Vorsichtig schlich ich mich in das Wohnzimmer und mischte mich in das ‚Gespräch’ ein. „Worum geht’s?”
    „Ihr Drogenmann soll jetzt bei uns wohnen”, fauchte Mara. „Kannst du dir das vorstellen? Wer hat denn immer rumgetönt ‚Keine Männer im Haus’? Ich fass es nicht…”



    „Sollte der hier einziehen, zieh ich sofort aus, und ich denke ich werde nicht die Einzige sein”, fuhr Kira dazwischen. Oft tat sie sehr gleichgültig und desinteressiert, auch wenn man ihr immer anmerkte, dass sie das eigentlich nie war, aber Jay hatte sie von Anfang an überhaupt nicht leiden gekonnt und stellte sich mit ihrer ganzen Kraft gegen ihn. Noch nie hatte es einer von uns gewagt, Vera so anzuschreien.



    „Blablabla, cool mal down Mädchen”, entgegnete Vera betont ruhig. „Denn wird doch auch für euch die ganze Miete billiger, was zickst’n so? Jay hat ziemlich viel Geld…”
    „Ja, und wenn ich daran denke, wie er es verdient hat, könnte ich kotzen. Ich hasse diesen Typen. Verstehst du? Ich hasse ihn.”
    Mit diesen Worten verließ Kira das Zimmer und man hörte nur noch ein dumpfes Poltern in der Küche.
    „Sie hat ja sonst nie Recht”, begann Mara, „aber dieses Mal hat sie meine volle Unterstützung. Vera, du weißt echt nicht, was du uns damit antust, was du dir antust.”



    „Man laber mich nicht voll”, keifte die rothaarige Frau. „Ihr habt doch keine Ahnung vom Leben, du ganz besonders nicht, du kleines Naivchen.”
    „Geht’s noch?!”, musste ich mich jetzt einfach dazwischen mischen. „Überleg mal, wie du uns hier behandelst.”
    „Ach, die kann doch gar nicht mehr klar denken, so voll gepumpt ist die mit diesen scheiß Drogen”, meinte Mara, die jetzt Tränen in den Augen hatte.
    „Ich nehme keine Drogen”, rief Vera ihr noch zu, doch Mara war auch schon in die Küche verschwunden, wohin ich ihr folgte.


  • „Die ist vollkommen kaputt”, murmelte ich, als ich mich auf einem Stuhl niederließ. „Wieso haben wir das bloß nicht früher gemerkt?”
    Mara zog eine große Tüte Chips, die auf dem Tisch lag, zu sich heran.
    „Weil sie das gut verstecken kann”, entgegnete sie, während sie das Silberpapier aufriss. „Kannst mal sehen, wie wenig wir uns hier alle kennen.”
    Mara nahm eine Hand voll Chips und steckte sie sich in den Mund.



    „Ich bin übrigens nicht schwanger”, merkte sie an. „Weniger als gar nicht, so überhaupt nicht. Ich hab einfach nur Hunger.”
    „Da bin ich ja beruhigt. Du warst also beim Arzt?” Irgendwie fiel mir ein Stein vom Herzen.
    „Jepp. Es gibt kein Kind. Zum Glück.” In diesem Moment klingelte es an der Tür.
    „Wenn das dieser Assi ist, hau ich ihm was auf die Fresse”, meinte Mara und ihre Stimme klang jetzt wieder aufgebrachter.
    „Und ramponierst dir deine schöne Hand? Lass mal, ich geh hin.”



    Ich stand auf, öffnete die Tür und vor mir stand tatsächlich Veras neuer Ehemann.
    „Hey Babe”, hauchte er, während er mich mit seinen hässlichen kleinen Augen von oben bis unten aufmerksam musterte.
    „Hallo”, gab ich kalt zurück und schrie nach Vera, die auch schon angestöckelt kam.
    „Schaaatz”, flötete sie. „Komm doch rei-hein.”
    „Bleib bloß draußen”, schrie Mara aus der Küche. Mittlerweile war auch Kira wieder dazugekommen, die scheinbar neugierig gewesen war, wer an der Tür geklingelt hatte.
    „Das kleine Mädchen ist immer noch störrisch?!”, fragte Jay, als er die Küche betrat und Vera an sich heran zog.



    „Immerhin bin ich größer als du”, tönte es zurück und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.
    Jays Blick fiel auf Mara, die mittlerweile aufgestanden war.
    „Guck mich nicht so ******* an”, motzte diese sofort.
    „Hey Girl… was sind wir denn so launisch? Brauchst wohl mal wieder nen richtigen Mann zwischen den Beinen, was? Nicht ausgelastet? Ich könnte mich da zur Verfügung…”



    „Rede nicht so mir meiner Schwester”, keifte Kira und Veras Mann zuckte unwillkürlich zusammen. „Du bist echt das Hinterletzte, und auch wenn ich sie nicht mehr leiden kann, deine Frau tut mir echt Leid. Wie kann man nur so ******* sein?”
    Kira griff nach Maras Arm und zog sie in Richtung Tür.
    „Mit dem brauchen wir uns nicht in einem Raum aufhalten, garantiert nicht.”
    Mara schien von Kiras plötzlichem Interesse an ihrem Wohl genauso überrascht zu sein wie ich, und ließ sich von ihrer Schwester mitschleifen, ohne ein Wort zu erwidern.



    Ohne zu fragen, nahm sich Jay Maras Chipstüte, die sie auf dem Tisch liegengelassen hatte und nahm sich eine große Hand voll heraus. Dann wandte er sich Vera zu und fasste ihr um die Hüften, während ich immer noch in der Tür stand und mir völlig fehl am Platze vorkam.
    „Lass uns ins Bett gehen Schnecke, ich brauchs mal wieder", machte er sie an und es war lächerlich, dass er dabei zu ihr aufblicken musst.



    Angewidert schnappte ich mir meine Handtasche und verschwand in mein Zimmer. Kira hatte Recht, der würde hier nicht einziehen.


  • Ich kramte mein Handy aus der Tasche, um Black anzurufen, und da sah ich auch schon, dass ich bereits eine Kurzmitteilung empfangen hatte.



    Ich war sehr überrascht, dass Black von sich aus ein Treffen vorschlug, noch dazu wollte er mich abholen, was ja eigentlich nicht sein Stil war. Aber es gefiel mir umso besser, und so schrieb ich zurück, dass er mich in einer Stunde abholen könnte. Eine Stunde würde ich brauchen, um mich entsprechend herzurichten, denn das war ich kaum noch gewohnt, kannte ich doch fast nur noch nur den WG-Schlabber-, den Park-und-alles-egal- und den Hurenlook, aber lange hatte ich kein normales Date mehr gehabt.
    War es überhaupt ein Date? Ich dachte an unser letztes Treffen im Park zurück. Ich hatte ihn einfach geküsst und obwohl ich es nicht bereute, hatte ich schon eine Art schlechtes Gewissen. Was erwartete er nun von mir? Was waren seine weiteren Absichten? Und wieso verdammt wusste ich immer noch nicht, was er eigentlich von mir wollte?



    Ich suchte Klamotten aus der linken Seite des Schrankes und schlurfte damit in Maras Zimmer, wo die junge Frau grade dabei war, ihre zahlreichen Zimmerpflanzen zu ordnen.
    „Mara…”, begann ich. „Ich brauche deine Hilfe.” Sie stellte eine Pflanze an die Seite und schaute mich fragend an. „Ich habe ein Date…”
    Mara zögerte eine Sekunde, dann grinste sie breit.
    „Ein Date? Geili. Juhu, endlich mal einer. Wieso erfahr ich davon erst jetzt?”
    Sie machte zwei Schritte auf mich zu, nahm mir mein Shirt aus der Hand und beäugte es kritisch.



    „Hm, ich war mir vorher nicht sicher", rechtfertigte ich mich.
    „Er ist ein bisschen… komisch.”
    „Ach ja? Hehe. Komm, ich mach deine Haare. Und dieses Top kannst du auf keinen Fall anziehen, das ist grausam. Hast du schöne Unterwäsche?”
    „Unterwäsche?” Daran hatte ich gar nicht gedacht. „Ich will doch nicht mit ihm ins Bett.”
    „Natürlich nicht.” Mara grinste und ließ ihren Blick kritisch über meinen Körper und meine Haare wandern.
    „Geh in dein Zimmer und hol Unterwäsche. Schwarze.”


  • Wow ich bin gespannt wie das Date herauskommt. :)
    Es ist ja echt lieb, dass Mara ihr helfen will.
    Und dieser Jay ist einfach nur widerlich>.<
    Ekelhafter Kerl, bäh.
    Toll, dass die Mädels so zusammenhalten. :)
    glg

    [INDENT][INDENT][INDENT][h=3]Nimm ein Kind bei der Hand
    und lass dich von ihm führen.
    Betrachte die Steine, die es aufhebt
    und höre zu, was es dir erzählt.
    Zur Belohnung zeigt es dir eine Welt,
    die du längst vergessen hast.
    [/h][/INDENT]
    [/INDENT]
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  • Hey Gifti :)

    Jetzt muss ich mich ja doch mal wieder melden.

    Ja ich lese Deine Geschichte immer noch mit, auch wenn ich sie selten kommentieren tuhe, aber mir fällt meist eben nichts ein was ich schreiben soll und solche Sätze wie "tolle Story, mach schnell weiter", das kennste ja auch zur Genüge und die bringen einem ja nicht besonders viel.

    Also ich mag die Geschichte immer noch und ich find es interessant zu sehen, welche Wendungen sie immer mal wieder nimmt.

    Ein ziemliches auf und ab haben die da alle.

    Etwas schade das Lia ein Barbie-Skin hat, wenn Du sie schon nackt zeigst. Dies aber nur Detail.

  • Meiner Meinung nach hat Vera genau den Typen abbekommen,den sie verdient hat,sie war mir von Anfang an unsymphatisch.Einziehen wird er sicher,er ist mit Vera verheiratet,was wollen sie tun? Sie sollten sich eine eigene Wohnung suchen,aber ich denke die Wohngemeinschaft ,die ja eh nur eine Zweckgemeinschaft ist,wird sich über kurz oder lang ohnehin auflösen.Ich hoffe ja,Lia kommt bei Black unter und aus dieser Branche raus,obwohl ihre letzten Kunden ja ganz süss waren,wenn Freier alle so aussehen würden,da wären Prostituierte sicher sehr froh.Kleine Anmerkung:als Sims liegt er natürlich mit Slip auf dem Bett,aber ich würde dann auch nicht schreiben,dass er nackt da liegt.

  • das machst du gaaanz toll^^^wirklich und vor allem nicht so gruselig wie manche deiner andren fotostorys ;) und ich hoffe das diese ein happy end hat, die hat doch ein happy end?! natürlich hat sie ein happy end bitte bitte lass sie ein happy end haben !^^

  • Sorry erstmal, dass es solange nicht weiter ging. Danke für die lieben Kommis, über die ich mich sehr gefreut habe und danke an CindySim für die Aufforderung, hier endlich weiter zu machen. Manchmal brauche ich einen kleinen Tritt :D


    An Ysabella bzgl des Barbie-Skins: Ja, du hast natürlich Recht und ich finde es auch extrem schade, aber es liegt daran, dass ich die FS auch in andeen Foren ausstelle und nicht in allen richtige Nackt-Skins erlaubt sind :(


    Dafür ist das nächste Kapitel aber auch extra lang und es gibt endlich die Auflösung um Black :)





    Kapitel 11

    Knapp 50 Minuten später war ich gestylt. Mara hatte Unterwäsche aus meinem Schrank suchen müssen, weil sie meinte, dass alle von mir ausgewählten Teile nicht ansprechend genug waren und nach zehn Minuten war sie endlich zufrieden gewesen. Nun trug ich ein modernes schwarzes Neckholdertop und eine einfache, aber irgendwie auch edle dunkelblaue Jeans zu meinen Lieblingsschuhen. Meine schulterlangen Haare hatte Mara mit einigen Klammern hübsch zurückgesteckt und meine Augen gekonnt mit Eyeliner und Mascara betont. Ich fühlte mich wohl in meinem Outfit und fand mich sehr hübsch, was mein Selbstbewusstsein schon etwas stärkte.



    Als ich mich noch im Spiegel begutachtete und das blonde Mädchen mir Komplimente über meine Figur machte, klingelte es auch schon an der Tür. Mein Herz machte einen Sprung und ich kam mit vor wie ein junger Teenager.
    Noch bevor ich die Haustür erreichen konnte, riss Kira diese gereizt auf.
    „Verpiss dich, du Scheißkerl”, schrie sie, und verstummte plötzlich, als ihr nicht, wie wohl erwartet, Jay gegenüber stand, sondern ein Mann, der größer war als sie selbst, sie mit seinen schwarzen Augen anfunkelte und grinste.



    „Hi”, sagte er. „Nett, dich kennen zu lernen.”
    „Äh… hi”, stammelte Kira und sah sich hilfesuchend nach mir und Mara um, welche fast losprustete vor Lachen.
    Ich schlüpfte in meinen Mantel und verabschiedete mich von den beiden Mädchen.



    „Ran da, der’s hot”, flüsterte die rot gewordene Kira mir noch ins Ohr, bevor ich die WG verließ und mit Black und seinem Hund, den er wie immer dabei hatte, die Treppen runter ging.
    „Du siehst sehr hübsch aus”, sagte Black, der wie immer ganz in schwarz gekleidet war, als wir den Gehweg betraten.
    „Du meinst… wie ein normales Mädchen?” Ich freute mich über seine Worte.
    „Wie eine wunderschöne normale junge Frau”, gab er zurück. „Hast du einen Wunsch, wo wir hingehen können? Ich habe kein Auto, wir müssten zu Fuß gehen.”



    Irgendwie war ich ein bisschen enttäuscht, war ich doch irgendwie davon ausgegangen, dass Black mich mit einem tollen Auto abholen würde.
    ‚Aber lieber kein Auto und toll, als so ein Assi und mit nem Sportwagen’, dachte ich mir.
    „Wo wohnst du?”, fragte ich, den Gedanken an Jay schnell wieder aus meinem Kopf verdrängend. „Ich würde gerne mal deine Wohnung sehen.”
    „Das ist ziemlich weit weg. Und die ist wirklich nicht sehenswert…”
    „Ach bitte.”
    „Soweit dafür zu laufen… du würdest es bereuen.” Black sah mich mit seinen funkelnden Augen an.



    „Und wenn schon. Sonst würde ich mich immer fragen, wie du wohl wohnst.”
    „Völlig unspektakulär. Ich bin nur übergangsweise in Hamburg. Und wie du schon merkst… habe ich überhaupt kein Geld.”
    „Bitte lass uns hingehen”, erwiderte ich und musste wohl so viel Überzeugungskraft in der Stimme gehabt haben, dass Black zustimmte.
    „Aber denn beschwer dich nicht”, sagte er und ich erkannte ein kleines Lächeln auf seinen Lippen.
    „Darf ich deine Hand nehmen?”, fragte er vorsichtig, und dann gingen wir wortlos in die Nacht hinein und ich fühlte mich einfach nur gut und sicher.

  • -



    Die alte Haustür quietsche störrisch, als Black sie öffnete. Der Block, in dem er wohnte befand sich in wahrlich keiner schönen Gegend. Es war eine kleine Betonsiedlung, die alt, verlassen und versifft aussah und außer ein paar zwielichtigen Gestalten trieb sich niemand auf der Straße rum. Einige Straßelaternen waren umgeschmissen und lagen am Straßenland, bei anderen war einfach nur das Licht kaputt, und so war die ganze Siedlung ziemlich dunkel, was ihr noch einen unangenehmeren Charakter verlieh.
    „Der Fahrstuhl geht schon seit ich eingezogen bin nicht mehr”, sagte Black, wahrend wir den muffigen Hausflur betraten. „Also müssen wir die sechs Stockwerke hoch laufen. Wenn du willst, trag ich dich.” Er zwinkerte.
    „Natürlich”, gab ich ironisch zurück. „Ich bin jetzt ne Stunde durch Hamburg gelaufen, die Treppen schaff ich auf keinen Fall noch.”



    Grade wollte ich losgehen, als ich mich auch schon auf Blacks Arm befand.
    „Hey! Das war nicht ernst gemeint”, protestierte ich, doch Black ließ mich nicht herunter.
    „Hinter jedem Scherz steckt auch ein Fünkchen Wahrheit”, sagte er, und begann, mit mir auf dem Arm die Treppen hoch zu rennen. Als wir im sechsten Stock ankamen, atmete er schnell und schien aus der Puste zu sein, ließ mich aber auch nicht auf den Boden zurück, als er seine Wohnungstür aufschloss, die man aber wohl auch hätte auftreten können, so instabil sah sie aus.
    Mit dem Ellenbogen knipste Black das Licht an und ließ mich wieder hinab auf den Boden.



    Gespannt sah ich mich in der Wohnung um. Er war eiskalt, weil ein Fenster weit aufstand und ich fragte mich nach dem Sinn. Blacks Wohnung bestand aus nur einem Raum und alles was es an Möbeln gab war ein mittelgroßes Bett, ein Regal vollgestopft mit viel zu vielen Büchern, ein kleiner Tisch mit einem Stuhl und ein winziger Kochbereich. An die Wände waren viele Fotos gepinnt, die der Wohnung ein wenig häusliches Aussehen verliehen und direkt neben dem Bett lag eine große, weiche Decke auf dem Boden. Auch die zwei Näpfe neben dem Herd deuteten auf Blacks Haustier hin.



    Neben dem Bücherregal und in der Ecke standen große Kartons, aus denen Klamotten quillten, einen Kleiderschrank gab es nicht. Die Wohnung war natürlich nicht sehr ansprechend und schön, aber nicht zuletzt durch die ganzen Fotos hatte sie irgendwie einen persönlichen und interessanten Touch und war sicher anders, als die anderen Wohnungen in diesem Block.
    „Na, willst du nun wieder nach Hause?”, fragte Black in einem ich-habs-dir-doch-gesagt-Ton.
    „Nein, eigentlich würde ich gerne hier bleiben”, antwortete ich. „… wenn du das Fenster zu machst.”

  • Er grinste.



    „Oh ja, klar. Ist für den Hund - der steht auf Sauerstoff, deswegen sind wir auch meistens draußen. Aber einen Abend wird er es wohl überleben.” Black schloss das kleine Fenster und drehte die Heizung an.
    „Ich weiß gar nicht, ob die überhaupt funktioniert”, sagte er skeptisch. „Ach ja, setz dich.” Er deutete auf den weißen Plastikstuhl. „Oder aufs Bett, wie du willst.”



    Um nicht unhöflich zu sein, ließ ich mich auf der harten Sitzgelegenheit nieder.
    „Wie lange wohnst du schon hier?’, fragte ich, während mein Blick über die Fotos an den Wänden flog.
    „Öhm… ein paar Wochen. Willst du einen Tee? Was anderes habe ich leider nicht.”
    „Oh ja, gerne, danke. Schön heiß bitte. Man, wie kann man das in so einer kalten Bude aushalten?” Ich fröstelte und steckte meine Hände in die Jackentaschen.



    „Ich merk’ das irgendwie nicht so glaub ich, weiß auch nicht”, meinte Black beiläufig, während er Wasser aufsetzte.
    „Willst du eine Decke?”
    „Nein danke, geht schon”, antwortete ich, obwohl ich mich liebend gerne in eine dicke Decke eingekuschelt hätte, doch wollte ich meinem Gastgeber nicht so viele Umstände machen.
    „Und Black…”, fiel mir ein, „wo ich jetzt schon in deiner Wohnung bin und so sag mir bitte, was dich zu mir verschlagen hatte. Ich frage es mich die ganze Zeit. Du wolltest keinen Sex, was wolltest du?”



    „Ich wollte reden, das weißt du schon”, entgegnete der junge Mann und setzte sich dann vor mich auf den Fußboden. Einige Sekunden schwiegen wir, dann erzählte er mir, was ihn zu mir geführt hatte.
    „Meine Eltern sind vor kurzer Zeit gestorben, das hab ich dir schon erzählt. Deswegen kümmere ich mich jetzt um Stan, er gehörte ihnen.”
    „Ja… und?”
    „Ich bin siebenundzwanzig und habe seit zehn Jahren keinen Kontakt mehr zu meinen Eltern gehabt. Mit siebzehn, das war, als ich erfuhr, dass meine Mutter eine Hure war.”



    Er schluckte und schwieg für einige Sekunden und fand keine Worte, die hätten ausdrücken können, was ich in diesem Moment dachte.
    „Ich hasste sie dafür. Zog zu einem Onkel, machte die verdammte Schule zu Ende, begann ein Studium, welches ich nach einen Semester schmiss, als mein Onkel an Krebs starb. Ja… ich hab’ studiert.” Blacks Stimme klang wehmütig und ich bildete mir ein, dass seine Augen feucht wurden.
    „Medizin. Ich war echt gut. Oh man, kannst du dir das vorstellen? Ich habe Medizin studiert.” Er stockte wieder für einen Moment.



    „Danach… war nichts irgendwie. Habe ein bisschen gejobbt, in Bars und so, nebenbei fotografiert, einiges hab ich verkauft, ich war nicht schlecht.” Er sah auf die Fotos an der Wand. „Aber es ging bergab. Drogen waren verführerisch zu der Zeit… aber ich bin schnell wieder davon losgekommen. Irgendwann hatte ich einen Job, als Helfer auf’m Bau. Ehrlich anstrengend, aber es war gar nicht so schlecht. Anfang Sommer erfuhr ich, dass meine Eltern nen Unfall hatten. Beide tot. Ich habe sie seit zehn Jahren nicht gesehen.” Black schniefte und auf einmal war aus dem großen starken Mann ein bemitleidenswerter Junge geworden.



    „Ich habe den Hund genommen und ein paar Wochen geheult. Gott, was war ich für ein *****. Aber dann… ich musste wissen, wie meine Mutter gelebt hatte. Wie es ihr ergangen war. Deswegen war ich zu dir gekommen. Sie konnte es mir nun ja nicht mehr erzählen. Ich dachte, vielleicht kannst du mir verdeutlichen, was euch den Anreiz gibt, so einen Job zu machen. Was du fühlst… aber natürlich lag ich falsch.
    Du konntest mir gar nichts sagen. Aber ich sah in dir den zerbrochenen Menschen, ein Abbild meiner selbst. Ohne, dass du es merkst, kämpfst du schon um deine Existenz. Erst tatest du mir nur Leid. Aber dann wurde es so viel mehr….”
    Eine Träne lief mir über die Wange, ich rutschte vom Stuhl auf Blacks Schoss und umarmte ihn. „Es tut mir Leid”, sagte ich. „Es tut mir so Leid.”



    Black schlang seine Arme um mich.
    „Mir auch.”
    Einige Zeit saßen wir einfach so da und bewegten uns nicht, bis das blubbernde Geräusch kochenden Wassers uns aus unserer Versteinerung holte.
    „Oh man”, ergriff Black das Wort, nun wieder mit festerer Stimme.
    „Wenn man uns so sieht, muss man echt Mitleid haben.” Er nahm mich hoch, stand auf und legte mich auf sein Bett.
    „Ich hole den Tee.”


  • Das Bett war zu meiner Überraschung nicht schwarz, sondern rot bezogen und die Bettwäsche duftete herrlich frisch gewaschen, irgendwie anders, als ich es erwartet hatte.
    „Meine Eltern haben… hatten… ein kleines Haus in Italien”, erzählte Black weiter, während er sich mit den beiden Teetassen zu mir aufs Bett setzte und mir eine überreichte.
    „Auf so einer Insel. Das gehört nun mir.”
    „Was?!” Ich verschluckte mich fast am Tee.
    „Sie waren da vor ein paar Jahren hingezogen, wollten weg aus Deutschland. Na ja, ich habe keine Geschwister und bin der einzige Erbe.”
    Ich konnte es nicht fassen.
    „Wieso bist du denn noch hier?”



    „Das Ironische ist, dass sie mir keinerlei Geld hinterlassen hatten. Ein paar Tausend, aber das ist für die Beerdigung und so drauf gegangen. Ich habe weder Geld, um dahin zu kommen, noch, um da nen gescheiten Anfang zu machen. Deswegen bin ich nach Hamburg gekommen. Ehrlich gesagt wollte ich tatsächlich in die Drogenszene einsteigen, um möglichst schnell möglichst viel Kohle zu machen… mir war es ganz egal wie, Hauptsache ich konnte schnell hier weg. Aber… ich konnte es nicht. Lach mich aus, aber ich war zu schwach. Wie könnte ich ahnungslosen Teenagern Heroin andrehen? Dafür sorgen, dass ihr Leben den Bach runtergeht? Nein. Ich konnte es nicht. Nun habe ich gar nichts. Ich werde wohl niemals nach Italien kommen.”
    Black lachte gequält und nippte an seinem Tee.



    „Ich werde wohl das Haus da verkaufen. Dann kann ich mir hier vielleicht eine nettere Wohnung leisten, vielleicht auf dem Land, und endlich mal so was wie eine Ausbildung hinkriegen. Ich hab eigentlich schon noch vorgehabt es irgendwann in meinem Leben mal zu was zu bringen.”



    Ich bemitleidete den jungen Mann. Irgendwie war er so nah dran an einem schönen Leben und doch so weit davon entfernt. Mir wurde bewusst, dass Black ganz anders war, als ich ihn mir zuerst vorgestellt hatte, und ich musste mir jede unserer Begegnungen noch mal mit den neuen Hintergedanken durch den Kopf gehen lassen. Wie war ich doch blöd gewesen, als er mir im Beverly gesagt hatte, dass er nur reden wollte. Wie hatte ich mich doch idiotisch verhalten. Aber wie hätte ich auch so was ahnen können.



    „Black…”, hörte ich mich irgendwann sagen. „Ich möchte mit dir nach Italien. Lass uns das zusammen machen. Ich habe ein bisschen Geld und wenn ich noch einen Monat viel arbeite, krieg ich das zusammen. Ich will hier auch raus. Ich hasse diesen Job. Ich hasse diese Stadt und ich hasse diese Leute.”
    Black sah mich überrascht an.
    „Ich will nicht, dass du das Geld für mich verdienst…”
    „Ich mache es für uns. Weil ich es will. Ich mache diesen Dreck seit zwei Jahren, einen Monat halte ich das noch aus. Bitte. Du hast gesagt, ich soll wieder träumen. Das tue ich nun. Bitte, Black. Bitte.”



    Irgendwie kam ich mir idiotisch dabei vor, einem mir doch noch relativ fremden Mann eine gemeinsame Zukunft aufzuzwängen, aber ich konnte in diesem Moment einfach nicht anders. Ich sah einen Silberstreif am Horizont, die Rettung all meiner ausweglosen Gedanken.
    „Wir müssen ja nicht… zusammen sein, meine ich. Nimm mich nur mit nach Italien. Hier raus. Bitte.”
    „Okay”, sagte Black plötzlich, nahm mir die Teetasse aus der Hand und stellte sie auf den Boden. „Einen Monat noch. Aber… ich will mit dir zusammen sein. Auch das.”
    Er beugte sich über mich und küsste mich und auf einmal wurde mir warm ums Herz und ich fühlte mich wie in einer anderen Welt.



    Black öffnete die Knöpfe meiner Jacke, zog mich langsam aus und glitt mit seinen starken aber doch so weichen, angenehmen Händen über meine Haut. Ich zitterte, teils vor Kälte, teils vor Erregung.
    „Sag einfach stopp”, flüsterte er, während er meine Haut küsste, aber ich dachte nicht im Traum daran.



    Noch lange nach dieser Nacht versuchte ich, in Gedanken immer wieder aufleben zu lassen, wie er mich berührte, wie er lächelte und wie mein Magen kribbelte. Frauen aus meinem Berufsstand haben wohl die meiste Sexerfahrung überhaupt. Trotzdem kam es mir vor, wie mein erstes Mal, als ich mit Black schlief. Irgendwie war es das ja auch. Es war das erste Mal, dass es um mich ging, dass ich es genoss, dass ich es liebte. Niemals zuvor hatte ich solche Gefühle gehabt, niemals zuvor hatte ich mir solche Gefühle auch nur ansatzweise vorstellen können. Überraschenderweise dachte ich keine Sekunde lang an meinen Job, es gab einfach nur ihn und mich und seine Haut auf meiner.


    -


  • Als ich nachts aufwachte, brauchte ich eine Sekunde, ehe ich mich daran erinnerte, wo ich war. Black lag neben mir und atmete tief und ruhig und ich kuschelte mich an ihn. Ein Traum war in Erfüllung gegangen, ich hatte einen richtigen Mann. Und bald würde mein Leben endlich abheben und ich würde nicht länger eine Großstadthure sein.



    Von Geschirrklirren wurde ich wach. Es war bereits ziemlich hell in der kleinen Wohnung und ich spähte durch meine halb geöffneten Augen zu Black, der in der Kochnische mit ein paar Tellern rumhantierte. Er merkte nicht, dass ich aufgewacht war und so verhielt ich mich ruhig, um ihn noch ein bisschen beobachten zu können.
    Black trug nur eine Jeans, die zu meinem großen Erstaunen dieses Mal blau war und mein Blick fiel immer wieder auf seinen muskulösen Oberkörper. Selten zuvor hatte ich einen Mann so attraktiv gefunden. Er hatte es mir wirklich angetan.
    Nach ein paar Minuten richtete ich mich auf und streckte mich. In der Wohnung war es mittlerweile angenehm warm und ich vergas, in was für einer schrecklichen Wohngegend ich mich befand.



    Stan lag auf dem Fußboden und schien mich kritisch anzustarren. Auch wenn ich mich mittlerweile an ihn gewöhnt hatte, kam ich mir noch immer ein bisschen unwohl vor, wenn er so unangebunden und somit ohne Blacks Kontrolle in meiner Nähe war. Wenigstens einen Maulkorb hätte er ihm doch umschnallen können…
    „Stan weiß nicht mal, was beißen ist”, hörte ich Black plötzlich sagen und ich zuckte zusammen. Wie hatte er schon wieder meine Gedanken lesen können? Oder hatte ich Stan dermaßen ängstlich angeschaut?



    „Guten Morgen Lia”, fügte Black dann hinzu, kam zu mir und setzte sich zu mir aufs Bett.
    „Ist alles in Ordnung?”
    „In Ordnung? Alles ist bestens.” In Wirklichkeit fühlte ich mich gigantisch und ich hatte nicht vor, dieses Bett jemals wieder zu verlassen. Ich überlegte, ob ich mich wieder zurück auf das Bett legen sollte, inder Hoffnung, dass Black sich zu mich legen würde, aber dann blieb ich einfach auf der Bettkante sitzen.
    „Black”, sagte ich schließlich, „Ich möchte so gerne deinen richtigen Namen wissen. Den, den deine Eltern dir als Baby gegeben haben.” Ich sah ihn gespannt an und hoffte sehr auf eine vernünftige Antwort.



    Black wartete einen Moment und holte dann tief Luft.
    „Sie haben mich so genannt. Black. Schwarz. Übersetz es in alle möglichen Sprachen, welche dir am besten gefällt. Das ist eben mein Name.”
    „Ach man, komm schon, ich weiß genau, dass man sein Kind nicht Black nennen kann”, bohrte ich weiter, aber der junge Mann ignorierte mich.
    „Wie würdest du denn dein Kind nennen?”, fragte er mich stattdessen.
    „Ich? Öhm keine Ahnung, da hab ich mir noch nie Gedanken darüber gemacht.”
    Ich wunderte mich, wie er jetzt auf so eine komische Frage kam, aber wahrscheinlich war es einfach nur ein Versuch, vom Thema abzulenken. Ich gab mich ein bisschen eingeschnappt geschlagen und akzeptierte, dass er mir seinen Namen nicht verraten wollte.



    „Mein Kind würde Lucie heißen”, sagte er und zog mich wieder aufs Bett.
    „Wieso ausgerechnet Lucie?”
    „Weiß ich nicht.”
    „Und wenn es ein Junge wäre?”
    „Auch Lucie.” Er grinste. „Lucio. Keine Ahnung. Es wird kein Junge.”
    Black und ich vertieften uns in ein richtiges Gespräch über Kinder und Zukunft und ich bemerkte gar nicht, wie die Zeit verflog. Wie lange hatte ich nicht mehr richtig mit jemandem geredet? Natürlich tratschte ich viel mit den Mädchen, aber meistens blieb es doch beim Smalltalk, und so richtig in meine Seele blicken ließ ich sowieso niemanden.



    Als ich das erste Mal an diesem Tag auf die Uhr schaute, war es bereits fünf Uhr nachmittags. Black und ich lagen mittlerweile wieder nackt nebeneinander im Bett, aber irgendetwas hatte mich dazu veranlasst, ihm zu sagen, dass ich erst wieder mit ihm schlafen wollte, wenn ich meinen Job aufgegeben hatte. So richtig verstand ich diese Idee selber nicht, aber ich nahm es einfach so hin und auch Black akzeptierte es.
    „Ich muss nach Hause”, sagte ich und bereute es auch schon wieder. Viel lieber würde ich doch noch tagelang mit Black im Bett liegen bleiben und über unsere neue Zukunft philosophieren. Doch andererseits hatte ich auch den ganzen Tag lang noch nichts Richtiges gegessen und wollte auch alleine sein, um alles neu Erlebte in Ruhe sacken zu lassen und meine Gedanken ordnen zu können.


  • Ich liebe Kiras impulsive Art,schade,dass nicht Jay vor der Tür stand.Hui.da hast du aber schon ein bisschen übertrieben,kein Mann kann eine Frau 6 Stockwerke hoch tragen,mein Sohn ist ja Bodybuilder,er hat beim Roten Kreuz mal,aber mit einem Kollegen, einen Mann im Rollstuhl
    in den vierten Stock hochtragen müssen ,da war er aber fix und fertig,und wie gesagt, er ist ein Muskelpaket.Black sieht mir eigentlich nicht so aus.Aber eine nette Idee von ihm.
    Wie schön,dass sie zueinander gefunden haben und eine gemeinsameZukunft planen,hoffentlich kommt nichts dazwischen und diese blöde Vera macht ihr keinen Strich durch die Rechnung,man weiss ja nie.Ich würd an ihrer Stelle alles geheimhalten und dann in einem Monat mit Black ganz heimlich verschwinden.Auch den anderen Mädels würd ich nichts sagen.

    Einmal editiert, zuletzt von Siola ()