Split Screen Sadness

Gina wurde durch das plötzliche Einsetzen vom Plätschern des Brunnenwassers geweckt.
Auf der harten Bank hatte sie eh nicht fest geschweige denn gut geschlafen. Sie starrte ins Leere…


So hockte sie noch ziemlich lange auf der Bank… Der Parkplatz des Supermarktes füllte sich zusehends… Ginas bekam Hunger. Sie fand ein wenig Geld in ihrer Manteltasche, nicht allzu viel. Gestern Nacht, bevor sie Ron verließ, hatte sie keinen Gedanken an Geld verschwendet. Das war ihr all die Jahre viel zu selbstverständlich erschienen…

Seufzend erhob sich Gina und betrat den Supermarkt. Das Gemüse sah frisch und lecker aus, doch sie hatte schließlich keinen Herd zum Kochen… Sie schaute auf den Preis. Sowieso zu teuer, sie musste ja an die nächsten Tage denken. So schnell würde sie kein neues Geld kriegen… „Am besten halte ich es so lange wie möglich ohne Essen aus“, entschloss sie sich.


Beim Verlassen entdeckte sie einen Zettel: „Aushilfe gesucht.“ Gina betrachte ihn sich genauer. Der Lohn war OK, die Arbeitszeit auch… Sie konnte sich ja mal bewerben.

Sie fragte den Verkäufer: „Ist der Aushilfs-Job noch zu haben?“ „Ja, fragen Sie mal hinten beim Chef nach“, erklärte er ihr. Er erzählte ihr auch noch genau, wo das Büro lag.


Gina hielt sich an die Beschreibung und fand das Büro. „Versuch selbstsicher zu wirken!“, redete sie sich ein. Das Büro lag direkt hinter dem Geschäft.
Sie klopfte an die Tür, jemand rief „Herein“ und Gina betrat aufgesetzt selbstbewusst das kleine Zimmer. „Guten Tag. Ich möchte…“, plötzlich brach sie ab… Sie schaute sich den Mann hinter dem PC genau an und rief erfreut aus: „Leon!?“ „Gina? Was machst du denn hier?“, entgegnete Leon erstaunt. „Oh, hm…“, sie schämte sich, Leon gegenüber zuzugeben, dass sie pleite war und überhaupt ihre ganze Geschichte zu erläutern. Er ging damals mit ihr in den Kindergarten, in die Grundschule und überhaupt überall war er dabei – in ihrer Kindheit war er ihr bester und einziger richtiger Freund gewesen.

Doch als Leon mit 16 herausfand, dass er schwul war, wurde er von seinen intoleranten (ziemlich einflussreichen und wohlhabenden) Eltern verstoßen und musste die Schule abbrechen, um Geld zu verdienen… Genau an dem Punkt ging diese Freundschaft zu Ende. Nicht dass es Gina etwas ausgemacht hätte mit einem Homosexuellen befreundet zu sein. Es ging eben einfach auseinander. Beide fanden keine Erklärung dafür… „Nimm doch bitte erst einmal Platz, Gina!“

„Irgendwie schäme ich mich ja, dass ich jetzt ein Supermarktmanager bin, na ja… Immerhin hab ich mich hochgearbeitet. Und es hätte schlimmer ausgehen können, oder?“, er lächelte Gina an. „Ja, da hast du Recht. Dir hätte es zum Beispiel wie mir ergehen können… Ich hab nämlich im Moment gar nichts…“, sie überwand ihren Scham und erzählte Leon, wie es ihr all die Jahre ergangen war. „Jetzt bräuchte ich dringend einen kleinen Beruf… Und ich habe dieses Schild gelesen, dass eine Aushilfe gesucht wird. Denkst du, ich könnte den Job bekommen?“, fragte sie ihn.
Er nickte: „Klar! Wenn du willst, kannst du morgen früh direkt anfangen. Ich weise dich in deine Aufgaben ein und so weiter. Aber zuerst: Wo willst du denn übernachten? Nicht mehr auf einer Bank, oder?“
„Am liebsten natürlich in meinem Bett, aber ähm… vielleicht könntest du mir ja schon ein bisschen Geld vorlegen, also meinen Lohn, und ja, dann könnte ich in einem Hotel unterkommen, ja?“
„Ja, das könnte ich… hör zu… Ich würde dir lieber anbieten, bei mir zu übernachten. Aber leider geht’s nicht. Mein Freund würde mich köpfen, wenn ich ein weibliches Wesen mitbringen würde… Er hat da so eine Art Allergie gegen Frauen, aber ansonsten ist er ein ganz lieber... Ich könnte dir etwas anderes anbieten, was dir allerdings in keiner Weise angemessen ist, deiner finanziellen Lage aber schon eher…Komm mit!“ Beide standen auf und Gina folgte Leon durch eine Tür.

In der Vorratskammer des Supermarktes stand ein unbequemes Bett und an diesen Raum angeschlossen war eine kleine Garderobe mit Toilette und Dusche. „Es ist wirklich nicht gemütlich, ich weiß, aber das könnte ich dir anbieten bis du ein wenig Geld gesammelt hast und dir eine Wohnung mieten kannst. Natürlich umsonst. Was hältst du davon?“, fragte Leon mit eindringlichem Blick.
„Wundervoll!“, und sie meinte es wirklich ernst. Sie würde es hier schon aushalten, bis sie genügend Geld für eine kleine Wohnung zusammen hatte… „Danke, Leon!“, sie umarmte ihn überschwänglich und er sagte gerührt: „Ich freue mich, dir helfen zu können!“
Danach klärten die beiden noch Ginas Aufgaben für den nächsten Tag ab. Ohne Ginas Aushilfe, hätte er am nächsten Tag keine Arbeitskraft gehabt und selbst einspringen müssen.

Die beiden verplapperten noch den ganzen Tag und gingen einen Happen in ein benachbartes Restaurant essen. Irgendwann gegen Abend verabschiedeten sie sich und Gina fühlte sich als könnte sie eine Dusche gebrauchen.

Sie legte ihre Kleidung ab und drehte den Wasserhahn auf. Ihr gefiel das Gefühl der warmen Wassertropfen, die ihre Haut küssten. Viel lieber würde sie jetzt allerdings von Ron geküsst werden. Sie sehnte sich so sehr nach ihm, aber jetzt gab es kein Zurück mehr… „Nur dieses eine Mal will ich es allein schaffen…“, sagte sie zu sich. Nach der Dusche ging sie zu Bett…

Am nächsten Morgen wachte sie schon früh auf. Früher als sie eigentlich müsste, aber sie fühlte sich fit und war aufgeregt, wie sie den Tag überstehen würde… Sie schlüpfte in ihre bequemen Arbeitsklamotten und machte das Bett…

Danach überprüfte sie die Waren und füllte die Regale auf. „Diese Sorte Wein hat Ron so gern getrunken…“, erinnerte sie sich am Weinregal. Doch schnell rüttelte sie sich wach und machte sich selbst klar, dass Ron ohne sie besser dran sei… Aber war sie ohne ihn besser dran? Gina stellte den Gedanken zurück und verrichtete weiterhin ihre Arbeit.

Als sie fertig war setzte sie sich auf einen Stuhl und entspannte. „Es wird schon laufen. Ganz sicher…“