Haus der Erinnerungen

Kapitel 3 – Jaro

Langsam öffnete ich die Augen. Mein Verstand war schon seit einigen Minuten wieder da, wagte es aber nicht die Augen zu öffnen. Zu viel Angst hatte ich davor, wieder diesen veränderten Raum zu sehen. Das Bild hatte sich bereits in meine Erinnerungen gebrannt.
Aber er sah so aus wie vorher. Die Wände waren nicht mit Blut verschmiert, das Bett sah aus wie frisch gemacht und selbst der kleine Schrank daneben sah aus wie frisch gestrichen. Nichts wies mehr auf das grausame Bild, das ich noch immer vor Augen hatte, hin.

Hatte ich mir alles nur eingebildet? Oder war das Haus lebendig geworden?
Wortlos schüttelte ich den Kopf. So etwas gab es doch nur im Fernsehen. Oder etwa nicht?
Ich richtete mich auf. Es war bereits hell. Ich musste Stunden hier gelegen haben. Das bewiesen auch meine Knochen, die nur langsam aus ihrer Anspannung erwachten. Mein ganzer Körper schmerzte und konnte mich nur vorsichtig bewegen. Ich blieb vor dem Fenster stehen und sah wieder hinaus auf den Innen hof. Dort war wieder die Schaukel zu sehen, die an einem vertrockneten Ast hing. Aber Moment … dort saß doch jemand …

Oder bildete ich es mir wieder nur ein?
Um dieses heraus zu finden gab es nur eine Lösung.
Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor dem anderen. Bevor ich das scheußliche Zimmer verließ, knipste ich noch die Lampen aus, die immer noch brannten. Eins wusste ich. Ich würde es nie wieder betreten. Später werde ich den Schlüssel suchen und es für immer verschließen.

Ich ging die Treppe hinunter und gelang wieder in den seltsamen Flur. Doch dieses Mal ging ich nicht in Richtung Kaminraum sondern bis zum Ende des Ganges. Ich stand vor der Tür die mich in hinter das Haus führte. Also arbeitete mein Gehirn noch einigermaßen richtig. Ich hatte schon befürchtet hier nicht mehr raus zu finden.
Auch hier waren die Stufen sehr morsch. Sie knarren unter meinem Gewicht und mein Besucher schien dadurch auf mich aufmerksam geworden zu sein. Er hörte auf zu schaukeln und starrte mich an.

Für einen Augenblick verharrte ich auch in meiner Bewegung, doch dann huschte ein seltsames Lächeln über sein Gesicht und ich führte meinen Weg wieder fort.
„Hallo.“, sagte ich als ich kurz vor ihm stehen blieb.
„Ha .. Hallo.“
Warum zögerte er in seiner Antwort? Ich hatte den Eindruck, dass er vor mir Angst hatte.
„Wer bist du?“, fragte ich auch ohne Umschweife.
„Ich … ich bin Jaro.“
„Oh, ein sehr ungewöhnlicher Name. Genauso wie …“
„Deiner. Ich weiß.“

Fragend sah ich ihn an. Ich fühlte mich, als wäre ich wieder einer Gehirnwäsche unterzogen worden.
„Du kennst mich, nichtwahr?“
„Hmmh. Aber nur als kleines Mädchen. Ich hatte dich sofort an der Tür erkannt, aber nicht damit gerechnet, dass du noch mal wieder hierher kommst.“
„Warum nicht?“
„Nun ja, damals sind hier schreckliche Dinge passiert. Manchmal kann ich noch immer ihre Schreie hören.“
Ich musste schlucken. Was für Schreie? Konnte ich ihm glauben? Oder wollte er mir auch nur das Haus abluchsen?
„Du kommst öfters hierher?“
„Ja, manchmal zum nachdenken. Die alte Dame hatte nie etwas dagegen gehabt. Wenn du es nicht möchtest, dann …“



„Nein, das geht schon klar. Ich würde dir gerne eine Tasse Tee anbieten, wenn ich wüsste wo die Küche in diesem Haus ist ...“
Er schüttelte den Kopf. „In dieses Haus bekommen mich keine zehn Pferde mehr hinein.“
Mit einer Ablehnung hatte ich nicht gerechnet und so setzte ich mich einfach mit meiner hellen Jeans in das grüne Gras. Jaro tat es mir gleich und ließ sich neben mir nieder.
Wir beide starrten auf dieses Haus, das uns irgendwie miteinander verband.



„Du warst schon mal in dem Haus?“
„Ja, als kleiner Junge. Wir hatten beide draußen verstecken gespielt. Nur hattest du dich zu gut versteckt und ich konnte dich nicht finden. Selbst als ich nach dir gerufen hatte, kamst du nicht heraus. Ich dachte du wärst vielleicht ins Haus gegangen und wollte dann drinnen nachsehen ...“
Als er nicht weiter sprach, fragte ich vorsichtig nach. Sein Gesicht war noch immer dem Haus zugewandt, doch seine Augen sahen gar nicht hin.
„Was ist passiert?“



„Ich … ich weiß nicht mehr so genau. Nur noch, dass ich fürchterliche Angst hatte und entsetzliche Schreie gehört hatte. Dann bin ich nach Hause gelaufen und am nächsten Tag warst du schon nicht mehr da.“
„Ich kann mich gar nicht daran erinnern. Ich weiß nichts mehr von meiner Kindheit, wer ich eigentlich bin. Deshalb bin ich in diesem Haus auf der suche nach meiner Vergangenheit.“
Jaro antwortete mir nicht. Es schien so, als ob er es bereits wusste. Dann fiel mir wieder dieses Foto ein.



Ich wurde irgendwie das Gefühl nicht los, dass er mehr wusste als er zugeben wollte.
Was wusste er und was verbarg er vor mir. Wusste er mehr über das Haus? Wusste er vielleicht doch was hier damals geschah und wer war er wirklich … ?




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Fortsetzung folgt …

Kapitel 4 – Familiengeheimnisse

Nach der seltsamen Unterredung mit Jaro, setzte ich meine Suche nach meinem wahren Ich wieder fort. Mir fiel wieder die Bibliothek ein, an der ich gestern zufällig vorbei kam. Ich ging wieder diesen merkwürdigen Flur entlang und obwohl ich mir vorhin sicher war, alle Lichter ausgeschalten zu haben, brannten sie alle wieder. Ein merkwürdiges Gefühl beschlich mich und ich ging mit schnellen Schritten zu der Tür, die mich in die Bibliothek bringen würde. Zaghaft griff ich nach dem Türknauf. Der Schreck von gestern saß immer noch tief in meinen Erinnerungen. Die Tür öffnete sich.

Ob es noch in dem Bücherregal war? Ich stand von dem alten muffigen Sessel auf und schaute in dem kleinen Loch nach, aus dem das Buch herausgefallen war.
Nichts. Außer einer dicken Staubschicht war dort nichts zu finden. Selbst als ich die anderen Bücher zurück schob, würde ich nicht fündig.
Missmutig stand ich wieder auf und wollte mich gerade wieder in den Sessel fallen lassen, als ich etwas Ungewöhnliches hörte. Ein Kinderlachen. Ich spitzte die Ohren und lauschte in die Stille. Da war es wieder und dieses Mal war es viel deutlicher zu hören. Es kam aus dem schrecklichen Flur. Ich legte das Buch auf den kleinen Tisch und öffnete die Tür.



„Hallo?“, rief ich hinein, aber ich bekam keine Antwort.
Hatte sich ein Kind hierher verirrt? Möglich könnte es sein. Ein altes verlassenes Haus war sehr verlockend für kleine Kinder und ich erinnerte mich nicht daran das Haus abgeschlossen zu haben.
„Hallo? Ist da jemand?“, rief ich erneut.
Und doch. Meine Sinne hatten sich nicht getäuscht. Ein kleines Mädchen lief kichernd um die Ecke.



„Hey, warte.“
Ich lief dem Kind hinterher. Das Lachen hallte wieder von den Wänden und machte es sehr schwierig den Weg auszumachen. Am Ende des Flures stand eine Tür offen. Ich folgte dem Gang die Treppe hinauf und oben entdeckte ich das Mädchen wieder. Es stand mit dem Rücken zu mir und atmete ganz ruhig.
„Na, da bist du ja. Du hast mich ganz schön erschreckt. Ich bin Haley und dieses Haus gehört nun mir. Und wer bist du?“
Das Mädchen reagierte nicht auf meine Worte. Sie drehte sich noch nicht mal zu mir um. Entweder war sie ganz schön frech oder gehörlos.



Ich blickte mich noch mal um, ob eventuell noch ein anderes Kind in der Nähe war. Dem war aber nicht so und ging somit vorsichtig auf das kleine Mädchen zu. Ich wollte es nicht verschrecken und so sprach ich mit sanfter Stimme weiter.
„Hey, Kleines. Sag mal bist du ganz alleine hier und wo sind deine Eltern?“
Der Flur knarrte unter mir und die Kleine zuckte eigenartig zusammen. Erschrocken blieb ich stehen. Ich wollte ihr keine Angst einjagen. Dieses Haus war schon gruselig genug. Dann hob sie ihr kleines Ärmchen und zeigte auf die Tür, vor der sie stehen geblieben war.




Mein Herz stockte. Was war hier los. Konnte das Mädchen mich nun hören oder nicht? Das Mädchen zuckte wieder und ich konnte ein leises Schluchzen hören. Es weinte.
Ich ging näher heran und streckte meinen Arm nach ihr aus. Kurz bevor ich sie berührte, drehte sie sich zu mir um.
Ein heller Schrei ertönte und ich blickte in das grausame Gesicht des Kindes. Es war blutüberströmt. Auf einer Wange klaffte ein großes Stück Haut herunter und ich konnte darunter das blanke Fleisch sehen. Das helle Kleidchen hatte große dunkle Flecken von getrocknetem Blut. Aber am schlimmsten waren die Augen. Dort wo sie sich normalerweise befanden waren nur zwei schwarze Löcher zu sehen und darunter rannten rote Tränen das Gesicht hinunter.



In meinem Kopf überschlugen sich die Ereignisse und mein Gehirn hämmerte wieder gegen den Schädel. Unerträgliche Schmerzen breiteten sich aus und mir wurde übel. Ich presste eine Hand gegen meinen Mund und schloss die Augen. Ich sank wieder auf die Knie. Dieses Mal schmerzte mein Kopf so sehr wie noch nie, doch ich riss mich zusammen. Ich schrie wieder und atmete danach tief durch. Die Schmerzen verschwanden langsam wieder und ich öffnete meine Augen.

Das Mädchen war verschwunden. Ich richtete mich wieder auf und blickte mich um, aber es war keine Spur mehr von ihr zu sehen. Was war das? Hatte ich es mir nur eingebildet?
Sie zeigte auf eine Tür. War das ein Hinweis? Falls ja, woher kannte sie dieses Haus? War sie vielleicht ein Geist?
Ich schritt vor die Tür und berührte vorsichtig den Knauf …




Fortsetzung folgt …