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„Ich fürchte, mein Lieber“, begann Lady Alice, nachdem Edwards serviert hatte, von neuem. „Dem wirst du nicht
entkommen. Du bist im perfekten Alter, und wenn sich deine Rangerhöhung erst einmal herum gesprochen hat,
wird man dich belagern wie die Kreuzritter einst Jerusalem.“
Patrick stöhnte auf und ließ die Gabel fallen. „Kann ich mich nicht irgendwo verstecken,
auf Reisen gehen, bis die erste Aufregung sich gelegt hat, nach Timbuktu vielleicht?“
„Gib dich lieber keinen Illusionen hin, mein Sohn!“ warnte Alice lachend.
„Sie werden dich nicht mehr aus ihren Krallen lassen.
Du bist jetzt eine zu gute Partie, ein Peer von England, der es sich auch noch leisten kann,
[FONT="]standesgemäß aufzutreten. So was lässt man sich doch nicht entgehen!“[/FONT]
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„Wir werden zusehen müssen, dass wir das Ravensdale Stadthaus am Grosvenor Square in Ordnung bringen.
Man erwartet deinen Antrittsball dort. Allerdings scheint es, wie man mir heute erzählt hat,
auch nicht gerade in bestem Zustand zu sein. Also würde ich es vorziehen, vorerst hier wohnen zu bleiben,
vorausgesetzt, du hast nichts dagegen einzuwenden“ Schon wieder blieb die Gabel in der Luft hängen.
„Einzuwenden? Wieso das denn?“
„Das ist doch dein Haus, oder hast du das vergessen? Und ich habe auch ein eigenes.“
„Langley House war und ist dein Heim, Mamà, und das wird es auch immer bleiben!“
Lady Alice lächelte ob seines Eifers. „Zumindest solange, bis du heiratest. Wenn die neue
[FONT="]Herrin kommt, muss die alte weichen. So ist nun mal die Tradition.“[/FONT]
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„Danke für die Aufmunterung!“ erwiderte Patrick trocken und führte sein Glas an die Lippen.
Kein Wunder, dass er sich schon den ganzen Tag so schlecht fühlte. Außer einem zugegeben sehr hohen Rang
und neuer politischer Möglichkeiten, die sich ihm nun boten, brachte das Erbe seines entfernten Verwandten
ihm nur Probleme. Dabei hatte er doch schon so viele Pläne gehabt, wie er das Geld weiter gewinnbringend einsetzen konnte,
das er seit seinem Ausscheiden aus der Royal Guard vor ein paar Jahren durch kluge Investitionen in Handel, Eisenbahn
und andere sich entwickelnde Industrien eingenommen hatte. Anfangs wurde er deshalb von vielen belächelt,
immerhin schickte sich so etwas Profanes wie Geldverdienen für einen Aristokraten nicht,
doch er war sich nicht zu schade gewesen, bei einem Kaufmann regelrecht in die Lehre zu gehen.
Und der Erfolg gab ihm Recht. Angesichts seines ständig wachsenden Vermögens waren die Spötter längst verstummt
und so manch einer fragte ihn heute, trotz seiner relativen Jugend um Rat in Finanzangelegenheiten.
Und nun war er gezwungen, seine eigenen Pläne zurückzustellen und sich stattdessen um das heruntergekommene
Landgut seines Vorgängers zu kümmern. Nicht Georg Morgan zuliebe, dem er sich in keinster Weise verpflichtet fühlte,
sondern wegen all der Menschen, die dort lebten und nun von ihm abhängig waren.
„Nun sieh das mal nicht alles so schwarz, du hast doch immer alle Herausforderungen gemeistert. Und ich bin ja auch noch da.“
unterbach Lady Alice seine Grübeleien. „Aber zunächst einmal solltest du zuende essen, bevor noch alles kalt wird,
und unser armer Koch aus Verzweiflung kündigt. So einen guten bekommen wir so schnell nicht wieder!“
Sie legte ihr Besteck auf den Teller und sah zu dem Butler auf, der wartend neben der Anrichte stand. „Ja, Edwards?“
„Lady Avanlea ist soeben eingetroffen, Mylady.“
„Elizabeth, jetzt?“ Alice warf ihrem Sohn einen erstaunten Blick zu. „Ich dachte, sie wäre längst aufs Land gefahren!“
„Ich auch! Das hat sie wenigstens gesagt.“
„Bitte führen Sie sie herein, Edwards und wir nehmen den Kaffee dann im Salon.“ wies sie den Butler an.
„Oh und für Lady Avanlea....“
„Tee, Mylady, Earl Grey. Sehr wohl!“
Zwei Minuten später öffnete sich die Tür zum Speisezimmer erneut, der Butler erschien und hinter ihm eine ältere Dame.
„Lady Elizabeth Fairchild, Dowager Countess of Avanlea“ verkündete der Butler,
und die Dame drängte sich mit einem spöttischen Lächeln an ihm vorbei.
„Wann werden Sie wohl endlich damit aufhören, mich anzukündigen, als wäre ich die Königin, Edwards.
Ich gehöre schließlich zur Verwandtschaft.“
„Wenn Mylady die Königin wären, würde ich Mylady selbstverständlich mit Ihre Majestät ankündigen!“
erwiderte der Butler in einem Anflug von Ironie, den er sich nur selten erlaubte.
Er kehrte auch sofort zu seiner würdevollen Haltung zurück und teilte den Herrschaften mit,
[FONT="]nunmehr wie gewünscht Kaffee und Tee servieren zu lassen.[/FONT]
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„Tante Liz!“ Patrick sprang auf und wurde sofort von dem unverhofften Gast in die Arme gezogen.
„Mein Junge, es tut gut dich zu sehen!“ Patrick verzog keine Miene, obwohl er es ganz und gar nicht
leiden konnte, wenn man ihn so ansprach. Diese alte Dame war die einzige, die das Recht dazu besaß.
„Wir wähnten dich längst auf dem Land, Tante! Wolltest du nicht heute ganz in der Frühe aufbrechen?“
„Nun, nach solchen Neuigkeiten verlässt man doch nicht einfach London, ohne bei euch vorbeizusehen.“
erwiderte die Frau zu seiner nicht geringen Überraschung, während sie sich von ihm löste.
„Du weißt es schon? Woher denn?“ rief Patrick und fügte mit einem Seitenblick auf seine Mutter resignierend hinzu:
[FONT="]„Lass mich raten. Queen Sarah hat es dir verraten, nicht wahr?“[/FONT]
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Lady Alice unterdrückte ein Lachen, als Patrick den durchaus respektvollen Spitznamen der Countess of Jersey benutzte.
Seine Tante aber nickte. „Sally ist seit vielen Jahren meine Freundin. Du weißt, wieviel ich ihr verdanke.
Da ist es doch selbstverständlich, dass sie eine solche Nachricht mit mir teilt.“
„Es tut uns wirklich Leid, Tante Liz. Wenn wir gewusst hätten, dass du noch in der Stadt bist,
hätten wir natürlich selbst....“ Sie wehrte seine Entschuldigung ab .
„Das weiß ich doch. Darum bin ich auch nicht hier.“ Sie zögerte einen Moment und wurde plötzlich sehr ernst.
„Ich musste unbedingt mit euch sprechen, bevor es zu spät ist.“
„Zu spät wofür?“
„Ich denke, dafür sollten wir uns setzen, das lässt sich nicht in zwei Minuten erklären!“
Patrick warf seiner Tante einen entschuldigenden Blick zu und lächelte.
„Verzeih, im Salon wartet Tee und Kaffee auf uns.
Vielleicht führen wir unsere Unterhaltung besser dort fort.“
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geht noch weiter