Endlich, endlich kann ich euch ein neues Kapitel liefern! Es ist mir schon fast peinlich, dass ich euch so lange warten lassen muss... Tut mir echt leid! Ich hoffe, dass die Qualität umso besser ist!
Kapitel 17
Feig, wirklich feig ist nur, wer sich vor seinen Erinnerungen fürchtet.
Elias Canetti, bulgarischer deutschsprachiger Schriftsteller und Nobelpreisträger
Ich hasse Krankenhäuser. Ihr Geruch, die Farbe der Wände, das Quietschen der Schuhe der Ärzte und Schwestern auf dem Linoleumboden... das alles erinnert mich an meine eigene Zeit im Krankenhaus. Die Zeit, in der ich gegen den Krebs gekämpft habe. Ein Kampf, den ich verloren habe.
Ich kämpfe gegen den Kloss im Hals an und fasse mir gedankenversunken an den Kopf. Da spriesst wieder Haar. Wenn ich daran denke, welche goldene Haarpracht mir als Teenager viele Bewunderer eingebracht hatte. Und dann die Chemotherapie. Ich fühlte mich nicht mehr als Frau. Mehr als eine seelenlose Schaufensterpuppe, hässlich, ohne Identität.
Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als die Tür der Notfallstation aufschwingt und eine junge Ärztin in den Wartesaal tritt. Sie steuert direkt auf mich zu und ich springe auf. „Wie geht es dem Jungen?“ frage ich. Sie nickt beschwichtigend und meint, dass seine Verletzungen nicht schwer seien und dass er durchkommen wird. Ich Blick schweift zur Seite und ich sehe, wie ein Pärchen das Krankenhaus betritt.
Die Gesichter der beiden sind von Sorge gezeichnet und mein erster Gedanke ist, dass das die Eltern des Jungen sein müssen. Die Ärztin entschuldigt sich und geht zu den beiden hinüber. Ich kann nicht hören, was sie sagt, doch die Mutter bricht in Tränen aus und der Vater legt tröstend den Arm um die Schulter seiner Frau.
Meine Finger gleiten in meine Handtasche. Da ist noch immer der Brief. Ich fahre mit der Fingerkuppe über die zugeklebte Lasche und überlege mir, ob ich zu den beiden hinübergehen und ihnen den Brief überlassen soll. Doch dann überlege ich es mir anders. Ich stehe auf und gebe den Brief bei der Stationsschwester ab.
Sie verspricht mir, sich darum zu kümmern und mit eiligen Schritten verlasse ich fluchtartig das Krankenhaus. Draussen auf dem Parkplatz füllen sich meine Lungen mit frischer nächtlicher Luft und vertreiben den Geschmack nach Desinfektionsmittel von meiner Zunge. Ich setze mich in mein Auto und schliesse die Augen.
Meine Gefühle schwanken zwischen Erleichterung, Wut, Angst und Verzweiflung. Ein junger Mann hat versucht, sich das Leben zu nehmen. Warum? Es geht mich nichts an, das ist mir klar. Darum habe ich den Brief auch abgegeben. Ich will es gar nicht wissen. Vielleicht hat er seine Gründe. Vielleicht sind sie in meinen Augen nichtig. Oder es sind gute Gründe. Doch was ist ein guter Grund, um aus dem Leben scheiden zu wollen? Meistens ist es der Wunsch, dass irgendetwas aufhört.
Die Schmerzen, die Erinnerung, ein Leiden, sei es körperlicher oder seelischer Art. Der Gedanke daran, dass mit dem Tod auch alles negative aufhört verführt Menschen dazu, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Doch mit dem Tod hört eben alles auf. Nicht nur das Schlechte, sondern auch das Gute. Es ist das Ende aller Dinge und niemand kann sagen, ob danach noch etwas kommt und wenn, welche Form es annimmt.