Annas letzte Reise

  • Hallo ihr Lieben!


    In dieser FS behandle ich ein Thema, das in meinen Augen sehr sehr wichtig ist. Mehr möchte ich dazu gar nicht sagen, denn zuviel möchte ich auch nicht verraten.


    Ich bin offen für jede Kritik und jedes Lob!


    -------------------------------------------------------------------------

    Annas letzte Reise

    -------------------------------------------------------------------------

    Prolog


    Teil I


    Kapitel 01
    Kapitel 02 Teil 1; Teil 2
    Kapitel 03 Teil 1; Teil 2
    Kapitel 04
    Kapitel 05
    Kapitel 06
    Kapitel 07 Teil 1; Teil 2
    Kapitel 08
    Kapitel 09
    Kapitel 10

    Teil II


    Kapitel 11
    Kapitel 12
    Kapitel 13
    Kapitel 14
    Kapitel 15
    Kapitel 16


    -------------------------------------------------------------------------

    Prolog


    Infinita est velocitas temporis, quae magis apparet respicientibus.



    Unendlich ist die Schnelligkeit der Zeit, was mehr denjenigen klar ist, die zurück schauen.
    Lucius Annaeus Seneca, römischer Dichter und Philosoph




    „Hast du Angst?“ fragte er mich. Er schaute mich über seinen Kaffee hinweg an und erforschte meine Reaktion auf diese Frage. Ich weiss, dass meine Mundwinkel leicht zuckten. „Hast DU Angst?“ erwiderte ich die Frage. Er überlegte kurz, starrte aus dem Fenster und meinte dann: „Warum sollte ich?“. Ich nickte und lächelte. „Genau. Und warum sollte ICH dann Angst haben?“




    Damals hatte ich ein wenig gelogen. Denn ich hatte Angst, sehr grosse sogar. Ich denke, es ist die Natur des Menschen, alles Unbekannte in eine Schublade zu packen und sie mit einem grossen, dicken Schloss zu versehen. Doch irgendwann muss man sie wieder aufmachen und das Resultat der Überflutung mit Fragen und Unsicherheiten ist eben Angst.




    Manchmal frage ich mich, was geschehen wäre, wenn ich es früher gewusst hätte. Wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, mich darauf vorzubereiten. Hätte ich mein Leben anders gelebt? Ihm einen anderen Sinn verliehen? Hatte ich ihm überhaupt ein Ziel gesetzt, einen Plan ausgedacht, etwas, was ich erreichen wollte? All diese Fragen haben mir in letzter Zeit nächtelang den Schlaf geraubt.





    Wahrscheinlich interessiert es niemanden, was meine Antwort darauf ist. Vielleicht ist es falsch von mir, das alles aufzuschreiben, nochmals durchzukauen, nochmals vor mir selbst zu reflektieren. Wir leben in einer anonymen Welt. Jeder sagt, was er denkt und keiner schenkt dem anderen gross Beachtung. Die Worte eines Individuums verblassen als die Worte eines Unbekannten.




    Womit wir wieder beim Unbekannten wären. Das, was uns solche Angst macht. Warum reden wir nicht darüber? Warum fällt es uns so schwer, Allgegenwärtiges in Worte zu fassen? Und warum ist es so leicht, Tabus über Dinge zu verhängen, die uns in unserem Leben doch immer begleiten?




    „Unser Leben gleicht der Reise eines Wandrers in der Nacht“ hat Thomas Legler am 28. November 1812 an der Beresina gesungen, im Wissen, unter der Führung Napoleons als Söldner in den sicheren Tod zu gehen. Dieses Lied singe ich oft innerlich wenn ich nicht mehr weiter weiss. Denn auch ich bin auf einer Reise.
    Meine letzte Reise.


    -------------------------------------------------------------------------

    [center]


    --> Objekte, Kleider, Genetik, Schmuck, Posenhacks und die Designerschule aus meiner Werkstatt <--[/center]

    3 Mal editiert, zuletzt von Nonuna ()


  • -------------------------------------------------------------------------

    Teil I


    -------------------------------------------------------------------------


    Kapitel 1



    Good friends we have, oh, good friends we’ve lost
    Along the way.



    Wir haben gute Freunde, oh, gute Freunde haben wir verloren



    Auf unserem Weg



    No Woman No Cry, Bob Marley






    Die Katze ist beim Nachbar, der Schlüssel auch, die Blumen sind versorgt. Warum sitze ich dann im Auto und schaffe es nicht, den Zündschlüssel zu drehen? Die graue, akribisch aufgeräumte Garage hinter mir zu lassen? Mich seelisch auf den Weg vorzubereiten, der vor mir liegt? Ja, mich vielleicht sogar zu freuen?




    Vorbereitet habe ich mich zwar schon einige Wochen darauf. Es ist eine Idee, die langsam gereift ist. Und doch fühle ich mich seltsam leer. Will ich das wirklich machen? Welcher Wunsch ist so gross, dass ich ihn mir wirklich erfüllen will? Ich schliesse die Augen und stelle mir mein Ziel vor. Dabei drehe ich langsam den Zündschlüssel und der Motor startet.



    Ich frage mich, ob ich meine Wohnung wiedersehen werde. Und meine Katze, meine Blumen, meine geliebte Staffelei... Und doch glaube ich fest daran! So einfach werde ich es mir nicht machen! Langsam rolle ich die Strasse hinunter und biege auf die Hauptstrasse Richtung Autobahn ab. An der roten Ampel taste ich nochmals rasch in meiner Handtasche nach dem kleinen Tagebuch. Es ist da.




    Auf der Autobahn klebe ich mich auf der rechten Spur hinter einen schmutzgrauen VW-Bus. Erst mal zur Stadt raus! Ein Auto nach dem anderen gleitet neben mir vorbei. Ich lasse mich überholen. Ich habe es nicht eilig. Ich drehe das Radio auf und lasse mich von Bob Marleys „No woman no cry“ über die Autobahn treiben.




    Bei der ersten Ausfahrt biege ich auf eine Bundesstrasse ab. Ich will nicht den ganzen Weg auf der Autobahn zurücklegen. „Nein, Frau, weine nicht...“ Wie oft habe ich geweint in den letzten Jahren? Mich selber bemitleidet, mich bemitleiden lassen, und dabei gemerkt, dass es mir dadurch kein Bisschen besser geht? Und dann kam eine Phase, in der ich förmlich vor Kraft strotzte und nichts lieber getan hätte, als die Welt zu retten.




    Dabei ist es natürlich völlig absurd, die Welt retten zu wollen. Schon nur alleine die Menschheit lässt sich nicht retten. Wovor denn? Vor Krieg? Vor Umweltkatastrophen? Vor sich selber? Ich denke an die Zeit, als ich noch regelmässig Leserbriefe für das Lokalblatt geschrieben habe. Ja, damals hatte ich noch Ideale. Irgendwann kam die Erkenntnis, dass jede Zeile als nicht genutzte Energie verpufft.




    Die Worte eines Einzelnen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass wenn jemand schreit, seine Worte zweitrangig werden. Das ist ebenenübergreifend überall das selbe. Manager, Politiker, Fanatiker. Der, der am lautesten redet steht auf dem dünnsten Eis. Seine Argumente klappen zusammen wie ein Kartenhaus, sobald man ihm den Wind aus den Segeln nimmt. Sachlich diskutieren, das ist vorbei. Personenkult, das ist der neue Weg.



    Eine Sackgasse. Himmelhoch gelobte sogenannte Persönlichkeiten sterben dahin wie Eintagsfliegen, erstickt durch die Flut an Informationen, die sich täglich über das Individuum ergiesst.
    Ich rolle an einem einsamen Kreuz vorbei. Jemand hat vor langer Zeit einen Strauss weisser Feldblumen davor gelegt. Sie welken im Schatten der Allee-Bäume dahin. Ich weiss, es stand in der Zeitung. Ein junger Mann, keine 20 Jahre alt. Für 5 Minuten war er berühmt. Und jetzt?


    -------------------------------------------------------------------------



    [center]


    --> Objekte, Kleider, Genetik, Schmuck, Posenhacks und die Designerschule aus meiner Werkstatt <--[/center]

  • Hallo Nonuna (eine Landsmännin, bzw Landsfrau, salü!:))


    Wow, ein wunderschöner Anfang!


    Dein tiefgründiger Schreibstil und die eindrücklichen Bilder gefallen mir ausserordentlich gut!


    Über den Inhalt und die Richtung, welche die Geschichte einschlagen wird, kann ich noch nicht viel sagen. Aber wenn ich den Titel "Annas letzte Reise" sehe, könnte ich mir vorstellen, dass sie vielleicht unheilbar krank ist und die Zeit bis zu ihrem Tod noch sinnvoll nutzen möchte.


    Ich werde auf jeden Fall weiterlesen und freue mich schon riesig auf die Fortsetzung.


    Lieber Gruss
    Jane

  • Wow! Sehr beeindruckend. du hast einen tollen Schreibstil und auch die Bilder sind sehr schön.

    Welche Ängste die Frau nun hat, kann man noch nicht genau sagen. Aber ich kenne das. man fährt in den Urlaub und fragt sich tatsächlich, ob man jemals wieder zurück kehrt. Seltsam, nicht?

    Ich lese auf alle Fälle weiter!

    LG Rivendell

  • Kapitel 02

    Mamma, my time has come
    sends shivers down my spine, body's aching all the time
    goodbye everybody I've got to go
    gotta leave you all behind and face the truth



    Mutter, meine Zeit ist gekommen
    Sie schickt Schauer durch mein Rückgrat, der Körper schmerzt die ganze Zeit
    Auf wiedersehen ihr alle, ich muss nun gehen
    Muss euch alle zurücklassen und der Wahrheit ins Gesicht sehen


    Queen, Bohemian Rhapsody






    Die Bäume ziehen rechts und links an mir vorbei und ich konzentriere mich auf den Mittelstreifen der Bundesstrasse. Ab und zu kommt mir ein Lastwagen entgegen. Der Sog, den er erzeugt lässt meinen kleinen Wagen erzittern. Nur noch wenige Kilometer bis zu meine Mutter. Wie lange hatte ich sie schon nicht mehr gesehen?




    Einen kurzen Augenblick lang frage ich mich, ob es wirklich eine gute Idee ist, sie zu besuchen. Altenheime deprimieren mich. Die Linoleumböden und der beissende Geruch von Desinfiziermitteln erinnern mich eher an einen Krankenhauskeller als an einen Ort der Ruhe und Geborgenheit. Es grenzt an eine Mischung aus Selbstironie und Praxisbezogenheit, dass sich das Gebäude direkt neben dem Friedhof befindet.




    Ich parke mein Auto nahe dem Friedhofstor und erhasche beim Aussteigen ein Blick auf eine Reihe von Kreuzen. Es sind die Gräber unbekannter Soldaten, die im zweiten Weltkrieg hier in der Nähe gefallen sind. Man hat sie alle nebeneinander beerdigt. Russen neben Amerikanern, Engländer neben Deutschen. Im Tod sind sie alle gleich.




    Bedrückt schleiche ich mich neben dem Empfang vorbei. Ich bin nicht in der Stimmung, jemandem ein geheucheltes Lächeln zu schenken. Ich nehme den Fahrstuhl in den zweiten Stock. Die Treppe als Alternative ziehe ich noch nicht mal in Erwägung. Als die Fahrstuhltür aufgeht, wird mein Blick in den Gemeinschaftsraum des Stockwerkes gezwungen. Mutter ist nicht da. Sie wird auf ihrem Zimmer sein und wie immer auf das Abendessen warten.




    Langsam gehe ich den Korridor entlang. An den Wänden hängen zusammengewürfelte Bilder. Meistens Stillleben oder Landschaftsbilder irgendwelcher unbekannter Maler. In einem erkenne ich einen billigen Druck von Van Goghs „Feld unter Sturmhimmel“. Was hat er sich nur dabei gedacht, als er diese roten Mohnblumen in das Feld gemalt hat? Sie erinnern mich entfernt an Blutspritzer, die ich aus einem T-shirt nicht habe rauswaschen können.




    Meine Mutter sitzt in ihrem Zimmer und schaut zum Fenster hinaus. „Hallo Mutter, ich bin es.“ Die Art und Weise, wie sich mich anschaut sagt mir, dass sie mich nicht erkennt. „Du weißt schon, Anna, deine Tochter“ helfe ich nach. Ihr trüber Blick klärt etwas auf und sie lächelt. „Mein liebes Kind, du kommst mich besuchen! Wie gross du geworden bist!“ Sie drückt mich an sich und mustert mich von oben bis unten.




    „Mager bist du geworden. Hast du nicht genügend zu essen?“ fragt sie mich besorgt. Ich winke ab „Nein Mamma, alles in Ordnung.“ Doch sie schüttelt den Kopf. „Du bist immer ein gutes Mädchen gewesen, hast immer alles aufgegessen. Selbst wenn wir nicht viel hatten, es hat doch immer für alle gereicht“ murmelt meine Mutter. „Wir hatten ja damals gar nichts.“ Ich schaue sie erstaunt an. Trotz ihrer Demenz erinnert sie sich manchmal an ihre eigenen Kindertage.




    „Ich weiss noch, wie all diese Leute neben unserem Hof vorbeigezogen sind. Manche haben angehalten und um etwas zu Essen gebeten. Wir hatten immer einen Topf voller Suppe auf dem Herd stehen.“ Ihr Blick schweift in die Ferne. „Und wenn die Flugzeuge kamen wussten wir, dass in den nächsten Tagen umso mehr Menschen kommen würden. Aber es hat immer gereicht. Auch wenn wir damals nichts hatten. Es hat immer gereicht.“

    [center]


    --> Objekte, Kleider, Genetik, Schmuck, Posenhacks und die Designerschule aus meiner Werkstatt <--[/center]

  • Fortsetzung Kapitel 02




    Ich giesse ihr etwas Tee nach als eine Pflegerin an die Tür klopft. „Ihre Mutter muss nun zum Frisör“ meint sie freundlich und ich nicke. „Machs gut Mamma, viel Spass beim Frisör.“ Ich gebe meiner Mutter einen Kuss auf die Stirn. Sie schaut mich wieder mit ihrem glasigen Blick an. Sie hat bereits wieder vergessen, wer ich bin. Ich nehme meine Tasche vom Stuhl und gehe zur Tür hinaus. „Lebe wohl“ murmle ich.


    -------------------------------------------------------------------------

    [center]


    --> Objekte, Kleider, Genetik, Schmuck, Posenhacks und die Designerschule aus meiner Werkstatt <--[/center]

  • Oha, die FS muss ich also auch unter meine Abos nehmen :applaus.

    Zur Story selbst:

    Bis jetzt noch alles sehr Geheimnisvoll, was die letzte Reise sein wird, der Schreibstil finde ich aber sensationell und die Bilder passen perfekt dazu.

    Wunderbare Zusammenstellung von Bild und Text. Was mir besonders gefällt, sind die Zitate am Anfang vom Abschnitt.

    Toll, weiter so :)

  • Hallö Nonuna. :)


    Deine Story fängt ja schon sehr geheimnisvoll an. So wirklich wissen worum es geht, weiß ich jetzt selbst nach 2 Kapiteln nicht, aber das ist ja auch nichts Schlechtes. :D
    Ich mag deinen Schreibstil ebenfalls. Du fängst die Stimmung gut ein und beschreibst die Szenen wirklich toll. Man kann sich richtig reinversetzen in die Situation. Auch deine Bilder gefallen mir sehr. :)


    Hm, Anna tut mir leid, dass die Mutter unter Demenz leidet. Für die Angehörigen ist das immer schlimm. Auch wenn man weiß, dass jemand krank ist, ist es hart, wenn sich die eingenen Verwandten nicht mehr richtig an einen erinnern. :(


    Da ich immer so schlecht im Vermuten bin und ich mich gerne überraschen lasse, spekulier ich jetzt nicht darüber, warum die FS "Annas letzte Reise" heißt. *g*
    Liebe Grüße
    Llyn

    You are never more alive than when you're about to lose your pants!



    FS: Sunrise Update: 04.06.19

  • Kapitel 03


    Nicht den Tod sollte man fürchten, sondern dass man nie beginnen wird zu leben.


    Marcus Aurelius, römischer Kaiser






    Wieder draussen bleibe ich ein Weilchen regungslos in meinem Auto sitzen. Einzelne Blätter fallen auf meine Windschutzhaube, als der Wind durch die Birken streicht. Nun habe ich meine Mutter also das letzte Mal gesehen. Mein Blick streift über die Fassade des Altenheims. Ich schliesse die Augen und lasse für einen Moment zu, dass mich die Erinnerungen einholen:




    Es war im Sommer vor drei Jahren. Draussen war es ungewöhnlich schwül und ich fuhr zum nahen Baggersee um ein paar Runden zu schwimmen. Ich weiss noch, dass sich eine Gruppe Jugendlicher am Ufer sonnten und dazu laut Musik hörten. Lieber hätte ich in aller Ruhe ein paar Runden im See gedreht. Aber Rücksicht ist in der heutigen Zeit offenbar ein Fremdwort.




    Wieder zurück zuhause brauchte ich erst mal eine Dusche. Das Wasser des Sees gehörte nicht zu dem saubersten in der Umgebung. Als ich mich gründlich einseifte fiel mir etwas ungewöhnliches auf. Nochmals fuhr ich mit den Fingern über die Seite meiner rechten Brust. Irgend etwas war verhärtet. Hatte ich mich irgendwo gestossen?




    Rasch stieg ich aus der Dusche, trocknete mich flüchtig ab und betrachtete mich im Spiegel. Beide Brüste sahen gleich aus. Ich fuhr nochmals über die Stelle. Sie war winzig. Damals dachte ich mir, dass schon nichts sein wird. Ich zog mich an und ging meinen täglichen Geschäften nach.




    Einige Zeit – waren es Tage, Wochen, Monate? Ich weiss es nicht mehr – stand die alljährliche Kontrolle beim Frauenarzt an. Ich glaube, es gibt keine Frau, die gerne hingeht. Aber es ist nun mal nötig, und ich hatte einen guten Arzt gefunden. Trotzdem bereitete es mir immer noch Unbehagen. Wieso eigentlich? Es ist doch nur ein Arzt.




    Doch als er meine Brust routinemässig abtastete fiel mir die Verhärtung wieder ein. Er runzelte die Stirn und fuhr nochmals über eben jene Stelle. „Haben Sie das schon früher bemerkt?“ fragte er mich. Ich bejahte und erzählt ihm rasch davon. Er nickte ernst und meinte, er wolle eine Mammographie machen. Mein Magen krampfte sich zusammen.




    „Heisst das, ich habe Brustkrebs?“ fragte ich erschrocken. Der Arzt führte mich zu einem speziellen Röntgengerät. „Noch wissen wir gar nichts. Wenn Sie sich bitte oben freilassen und mir folgen würden.“ Vorsichtig drückt er meine rechte Brust zwischen Filmtisch und Röntgenröhre zusammen. Ich biss mir auf die Lippe, denn die ganze Prozedur war schon ziemlich schmerzhaft.




    Während ich mich wieder ankleidete schaute sich der Arzt die Bilder an. Ängstlich blickte ich zwischen ihm und den Aufnahmen hin und her. Ich erkannte nichts auf den Bildern, aber sein prüfender Blick verriet auch keine Erleichterung. „Ich fürchte, ich muss Ihnen etwas Gewebe entnehmen und zur genaueren Untersuchung ins Labor schicken. Irgendetwas ist das definitiv, aber noch kann ich nichts genaues sagen.“

    [center]


    --> Objekte, Kleider, Genetik, Schmuck, Posenhacks und die Designerschule aus meiner Werkstatt <--[/center]

  • Fortsetzung Kapitel 03




    Der Schock fuhr mir wie ein eisiges Messer in die Glieder. Ich hatte mir noch nie Gedanken über Brustkrebs gemacht. Die Angst packte mich mit beiden Händen und wie betäubt liess ich die Biopsie über mich ergehen. Dabei wurde meine Brust lokal betäubt und unter Ultraschall etwas Gewebe aus der betroffenen Stelle entnommen. Der Arzt meinte, dass ich von ihm hören würde, sobald er Genaueres wüsste.




    Ein Polizist klopft an die Fahrerscheibe und holt mich zurück in die Gegenwart. „Alles in Ordnung bei ihnen?“ fragt er mich und ich nicke benommen. Als er um die Ecke verschwunden ist, reibe ich mir die Augen und schüttle energisch den Kopf. Ich darf nicht daran denken, ansonsten würde ich alles hinschmeissen und nicht zuende bringen, was ich vorhabe. Ich drehe den Zündschlüssel und fahre zurück auf die Bundesstrasse.


    -------------------------------------------------------------------------

    [center]


    --> Objekte, Kleider, Genetik, Schmuck, Posenhacks und die Designerschule aus meiner Werkstatt <--[/center]

  • hi :D
    ich hab deinen anfang gelesen und verfolge auch dein anderes projekt...

    möglicherweise ist sie nicht heilbar und möchte noch ein bisschen was sehen...
    ...ich könnte mir auch gut vorstellen, dass sie in die schweiz fährt oder ein anderes land in dem sterbehilfe erlaubt ist... aber ich habe keine ahnung und warte, bis sich das auflöst ;)


  • Kapitel 04


    Nichts lebt lange, nur die Erde und die Berge.



    White Antelope, Southern Cheyenne, Sterbegesang vor seinem Tod am Sand Creek, 1864







    Langsam fahre ich weiter, weiter gegen Norden. Ich weine leise in mich hinein. Der Abschied von meiner Mutter traf mich plötzlich wie eine Ohrfeige. Habe ich ihr wirklich alles gesagt, was ich ihr hätte sagen wollen? Wie verabschiedet man sich für immer von einem Menschen? Reicht es, einfach „Lebe wohl“ zu sagen?




    Durch die eigenen Tränen betäubt bemerke ich kaum, dass es langsam dunkel wird. Die entgegenkommenden Autos blenden mich mit ihren Scheinwerfern und ich merke, dass meine Augen müde werden. Ich halte Ausschau nach einer Gaststätte, wo ich die Nacht verbringen kann. Kleine Dörfer ziehen links und rechts neben mir vorbei. Einmal überquert ein Hirsch vor mir hektisch die Fahrbahn.




    Leichter Nebel liegt über dem Moor, an dessen Ende ich ein Gasthof mit freien Zimmern finde. Sofort beziehe ich den Raum und lasse mich auf das Bett fallen. Ich schliesse die Augen und versuche mir das Bild meiner Mutter fest ins Gehirn einzubrennen. Auf meiner Reise soll es mich nicht verlassen. Obwohl mir erneut Tränen das Gesicht runter fliessen, packt mich plötzlich neue Zuversicht.




    Nach dem Essen, das ich rasch und alleine eingenommen habe, verbarrikadiere ich mich auf dem Zimmer und wühle in meinem Gepäck. Ich finde das grosse rot umschlagene Fotoalbum. Ich setze mich an den Fuss des Bettes und blättere mit spitzen Fingern die Seiten um. Wie sehr hat meine Mutter dieses Buch gehütet. Als sie es mir vor zwei Jahren zu meinem fünfzigsten Geburtstag geschenkt habe, habe ich es in der Kommode verstaut und mich nicht getraut, es aufzuschlagen.




    Die Seiten sind vergilbt und ich behandle das Buch mit allergrösster Vorsicht. Auf der ersten Seite klebt ein einzelnes Foto. „Papa“ schiesst es mir durch den Kopf. Ich fahre mit der Fingerspitze über das zerfurchte Gesicht meines Vaters, den ich nie gekannt habe. „Warum hast du uns verlassen?“ entfährt es mir. Meine Mutter hat mir immer erzählt, was für ein Abenteurer er gewesen sei.




    Er war auf fast jedem Gipfel dieser Erde, jedenfalls habe ich mir das als Kind immer so vorgestellt. Von überall her brachte er mir etwas mit. Eine geschnitzte Kuh, ein fein gewebtes Band... Eines Tages machte er sich auf gegen Norden, ans Nordkap. „Und vielleicht bis zum Nordpol“ höre ich ihn noch heute lachen. Ein lustiger Mann.




    Er war nicht wieder zurück gekommen. Ich erinnere mich daran, wie ich meine Mutter nächtelang hatte weinen hören. Nach zehn Jahren erklärten sie ihn für tot. Meine Mutter heiratete wieder. Und ich? Ich drehe noch heute an dem gewebten Bändchen, das seither am Einband meines Tagebuchs hängt.




    Er hatte die Nordlichter sehen wollen. Das weiss ich heute. Jenes wunderbare Phänomen, das man zuweilen hoch im Norden oben beobachten kann. Als Jugendliche träumte ich oft davon, aus dem Alltag auszubrechen und einfach wegzufahren. Weg gegen Norden. Einmal in meinem Leben die Nordlichter sehen. Ich schlage das Fotoalbum zu und lege mich erschöpft ins Bett. Ich habe einen langen Weg vor mir.

    [center]


    --> Objekte, Kleider, Genetik, Schmuck, Posenhacks und die Designerschule aus meiner Werkstatt <--[/center]

  • Kapitel 05

    Gut Pfad


    Pfadfindergruss







    Dunkelheit. Es gibt viele Erinnerungen, die ich damit verknüpfe. Eine meiner schönsten stammt aus meiner Jugendzeit. Lange war ich Pfadfinderin gewesen. Ich leitete eine kleine Schar Wölfchen, lehrte sie Selbstständigkeit und soziale Werte. In Zeltlagern sass ich nach der Nachruhe oft noch ein Weilchen alleine draussen vor dem Zelt und sah hoch in die Sterne.




    Wie unglaublich gross kam mir das Universum vor. Und wie klein fühlte ich mich als einzelnes Individuum auf diesem grossen, dichtbelebten Planeten - einem Planeten unter Millionen. Ich fragte mich oft, ob wir da draussen in der unendlichen Weite allein sind. Wäre es nicht Ausdruck unglaublicher Arroganz anzunehmen, dass nur auf diesem einen Planeten intelligentes Leben herrscht? Und selbst Intelligenz ist - wie so vieles - eine Frage der Definition.




    Die meisten meiner Leiterkollegen nutzten die Zeit eher dafür, allerhand Substanzen zu rauchen und die Freiheit zu geniessen. Für sie war ich ein Spiesser, denn längst war es nicht mehr Teil der Pfadfinderbewegung den Jungen etwas über Respekt vor sich und der Mitwelt beizubringen. Das bedauerte ich sehr und versuchte, etwas Gegensteuer zu geben. Was für eine Zeitverschwendung.




    Aber meine Wölfchen liebten mich. Wir hatten solchen Spass! Wenn ich daran denke, muss ich heute noch grinsen. Oft haben wir während Gruppenübungen ganze Nachmittage im Wald verbracht, Tiere beobachtet und wilde Kräuter gesammelt. Heute bedaure ich niemals selber Kinder gehabt zu haben. Vielleicht habe ich das Händchen von damals heute aber auch gar nicht mehr, wer weiss.




    Und dann kam jene Pfadfinderversammlung, bei der alle Gruppen in einer kleinen Waldhütte übernachteten. Wir waren gerade an einem Spiel, als plötzlich das Licht ausging und die Tür aufflog. Schnell packte ich zwei meiner Kinder an der Hand und zog sie in eine Ecke in Deckung. Zwei vermummte Gestalten stürmten in den dunklen Raum. Einer davon riss mir ein Kind aus den Armen und verschwand mit dem schreienden Jungen draussen im Wald.




    Irgendjemand fand schlussendlich die Sicherung und das Licht ging wieder an. Die meisten Kinder standen verschreckt im Raum herum und weinten. Ich versuchte, sie so gut es ging zu beruhigen und schickte sie schliesslich ins Bett. Immer noch zitternd vor Schreck suchte ich die anderen Leiter und fand sie schliesslich in der Küche um einen Tisch sitzend und lachend.




    Es stellte sich heraus, dass sich die Leiter eine besondere Art von Taufe haben einfallen lassen. Es waren zwei Leiter, die sich den Jungen geschnappt, in einen Kofferraum geworfen und „entführt“ hatten. Nach dem Schrecken sollte er seinen Pfadfindernamen erhalten. Ich war entsetzt und bin es noch heute, wenn ich daran denke. Damals hatte ich den Dienst quittiert.




    Ist der Mensch grundsätzlich ein Sadist? Dazu veranlagt, Macht über andere Menschen auszuüben, um sich selber besser zu fühlen? Das beste Argument für intelligentes Leben ausserhalb der Erde ist vermutlich, dass sie noch nicht versucht haben, mit uns Kontakt aufzunehmen. Dieser Gedanke begleitet mich bis in den Schlaf.

    [center]


    --> Objekte, Kleider, Genetik, Schmuck, Posenhacks und die Designerschule aus meiner Werkstatt <--[/center]

  • Danke Ysabella! Bevor die FS ungelesen auf Seite 2 verschwindet poste ich doch ein neues Kapitel.


    Kapitel 06



    Non ignara mali, miseris succurrere disco

    Unglück lehrte mich, den Unglücklichen zu helfen.


    Publius Vergilius Maro (Virgil), römischer Dichter






    Aufstehen, packen, frühstücken, bezahlen, ins Auto steigen, Schlüssel drehen, zurück auf die Strasse. Alles fliegt vorbei, ich nehme meine einzelnen Handlungen an diesem Morgen kaum wahr. Ich habe Kopfschmerzen, die von Innen gegen meine Stirnhöhle hämmern und resistent gegen jede Form von Schmerztabletten zu sein scheinen. Der Regen, der gegen die Windschutzscheibe rauscht macht meine Laune auch nicht besser.




    Stumm gleite ich durch den Regen, vorbei an abgeernteten Maisfeldern und Kühen, die mit hängenden Köpfen dich aneinander gedrängt mitten auf nassen Wiesen stehen. Ein flüchtiger Blick auf die Anzeige verrät mir, dass ich bei der nächsten Tankstelle halten muss. Ich zwinge mich auf die nächste Autobahnauffahrt abzubiegen und nach einer Raststelle mit Tanke Ausschau zu halten.




    Als der Tank voll ist, kümmere ich mich erst mal um meinen Koffein-Pegel. Das Cafe ist laut und stickig, aber es riecht nach gerösteten Bohnen und so setze ich mich auf einen der abgewetzten Ledersessel. Während mein bestellter Kaffee vor sich hin dampft starre ich durch das Fenster hinaus in den Regen. Ich hätte zuhause bleiben sollen.





    Im hinteren Teil der Gaststätte streiten sich zwei Teenager. Das Mädchen keift in einem derart schrillen Tonfall, dass ich mir kurz überlege, mir einen Pappbecher zu holen und den Kaffee mitzunehmen. Doch die Tropfen, die die Fensterscheiben hinunter rinnen überzeugen mich, im Trockenen sitzen zu bleiben.




    Mitleidig bleibt mein Blick an den beiden Jugendlichen kleben. Die Kommunikation ist mittlerweile völlig zusammengebrochen. Der Junge schmeisst mit Worten um sich, die ihresgleichen nur bei denen des Mädchens finden. „Du A.rsch, ich hasse dich! Verpiss dich doch zu deiner anderen Schlampe!“ kreischt das Mädchen, krallt sich ihre Tasche und verschwindet auf dem Damenklo. Ich seufze.




    Ich krame in meiner Handtasche nach einem weiteren Aspirin. Meine Laune hat den Tiefpunkt definitiv erreicht. Ich bezahle meinen Kaffee, strecke meine Glieder und quäle mich zur Tür hinaus in den Regen zurück. Triefend setze ich mich ins Auto und lasse eine Weile die Scheibenwischer laufen. Regungslos starre ich in die Nässe und suche verzweifelt nach der Motivation weiterzufahren.




    Ein Klopfen an der Scheibe reisst mich aus den Gedanken. Draussen steht das Mädchen aus dem Cafe, zitternd, mit verheulten Augen und zerflossenem Make-Up. Widerwillig kurble ich das Fenster herunter. „Könnten Sie mich ein Stück mitnehmen? Nur bis in die nächste Stadt... bitte.“ Mein Widerwille weicht einem Anflug von Mitgefühl und ich nicke.




    „Danke“ murmelt das Mädchen und lässt sich seufzend auf den Beifahrersitz fallen. „Wo soll’s denn hingehen?“ frage ich, während ich den Motor starte und die Heizung laufen lasse. „Egal, Hauptsache weg!“ presst das Mädchen zwischen den Zähnen hervor, verschränkt die Arme und starrt aus dem Fenster. Ich zucke mit den Schultern und fahre zurück auf die Autobahn.

    [center]


    --> Objekte, Kleider, Genetik, Schmuck, Posenhacks und die Designerschule aus meiner Werkstatt <--[/center]

  • wow... deine FS ist echt mit liebe geschrieben...
    jeder einzelne satz macht sinn und bringt mich irgendwie zum nachdenken...

    das mit den pfadfindern war super... wundervoll gemacht... die uniformen, die erklärungen, die personen die vorkommen. die wirken so real und man kann sie sich gut vorstellen.

    das mädchen tut mir irgendwie leid. sie ist wohl von ihren freund betrogen worden... bin gespannt ob sie in deiner fotostory noch eine größere rolle spielen wird.

    ich frage mich, woher du deine ideen nimmst? entweder du hast eine wahnsinnsfantasie oder schon viel erlebt... :)

    die bilder sind auch einfach überwältigend, aber den text und den inhalt können sie nicht toppen...
    was macht das schon, wenn nur wenige leute kommis dalassen? :D

    ich danke dir jedenfalls für deine wunderschöne geschichte...

    PS: ich hab auch ganz fleißig wolfsmond (hieß doch so oder?... jedenfalls die FS mit Lea) gelesen und fand das ende ganz klasse... :):)

  • @Enara: Boah, danke dir für die Komplimente, da werde ich doch glatt ganz rot... :heppy


    Zitat

    ich frage mich, woher du deine ideen nimmst? entweder du hast eine wahnsinnsfantasie oder schon viel erlebt...


    Beides... :) Zu 95% kann ich auf meinen eigenen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Vieles davon stelle ich natürlich nicht bildlich dar, sondern zum Teil in Metaphern (in Wolfsmond umso mehr!). Aber z.B die Pfadfinder wirken so real (wow, echt?), weil sie wirklich existieren!
    Die restlichen 5% sind Fantasie. Ich glaube, wenn ich keine FS mehr machen könnte, dann würde mir irgendwann der Kopf platzen! :transport

    Zitat

    PS: ich hab auch ganz fleißig wolfsmond (hieß doch so oder?... jedenfalls die FS mit Lea) gelesen und fand das ende ganz klasse...


    Danke, das freut mich total! Diese FS existiert halt leider nur im Gelben (hier). Ist auch ein ganz anderer Stil. Freut mich, dass sie dir auch gefallen hat.


    Ich hoffe, dass Anna in dir auch eine Reisebegleiterin gefunden hat :)

    [center]


    --> Objekte, Kleider, Genetik, Schmuck, Posenhacks und die Designerschule aus meiner Werkstatt <--[/center]