„Es hat mir übrigens mal wieder einen ausserterminlichen Flug reingeschneit."nahm Nadja das Gespräch wieder auf. "Gabi kann nächsten Montag nicht fliegen, ihre Tochter ist krank. Denkst du, wir könnten das irgendwie regeln? Vielleicht kann ja Sophia herkommen. Was meinst du?“
„Ehem, ja, mal sehn.“ murmelte er während er sich bereits die nächste volle Gabel in den Mund stopfte.
„Was heisst denn mal sehen? Wirst du dich darum kümmern, ja oder nein?“ Auch ihr Ton war jetzt sehr gereizt.
„Ja, werde ich. Ich kann sie ja morgen in der Schule fragen. Okay?“ sagte er, um einen versöhnlichen Ton bemüht.
„Au ja, Sophia soll kommen! Sie war schon sooooooooooo lang nicht mehr hier!“ freute sich Ronja und Matthias pflichtete ihr strahlend bei. „Wann kommt Sophia denn?“ wollte er wissen.
Nadja überhörte die Frage ihres Sohnes und wandte sich an ihren Mann:
"Übrigens, seit wann bietest du denn deinen Schülern das 'Du' an? Sagtest du nicht immer, dass du strikt dagegen wärst?“
„Wie kommst du denn jetzt darauf?“ fragte er zurück.
„Nun, da lag neulich ein Mail von Sophia im Drucker mit der Anrede „lieber Gabriel....“
„Seit wann schnüffelst denn du mir hinterher?“
„Na, also hör mal! Das Mail lag offen im Drucker!“ wehrte sich Nadja.
„Ja, aber bestimmt nicht mit der Schrift nach oben!“ Er fühlte sich in eine Ecke gedrängt.
Nadja hob die Augen gegen den Himmel.
„Du wirfst mir ja immer Spitzfindigkeit vor, aber wer bitte ist jetzt spitzfindig?“
„Mami , Papi nicht streiten!“ bat Matthias mit grossen Augen. Der sensible Junge mochte es gar nicht, wenn eine solche Stimmung im Haus herrschte, während Ronja, die robustere der Zwillinge, dem Wortabtausch ihrer Eltern interessiert lauschte.
„Wir streiten nicht, Schatz!“ beschwichtigte Nadja. „Bald beginnt eure Sendung, nehmt euch doch eure Teller mit und schaltet schon mal den Fernseher ein, ja?"
„Okay,...“ Matthias stand auf, gefolgt von Ronja, welche aber weiterhin mit halbem Ohr das Gespräch ihrer Eltern verfolgte.
„Also: ich habe dir einen einfache Frage gestellt“, sagte Nadja. „Was hat dich dazu bewogen, plötzlich mit den Schülern per DU zu sein?“
Gabriel überlegte einen Moment. Er konnte sich nicht mehr erinnern, was für ein Mail von Sophia er ausgedruckt hatte. Aber es konnte nichts "Verdächtiges" gewesen sein, wenn Nadja einzig das 'Du' aufgefallen war. Kurz überlegte er sich, ob er ihr einfach sagen sollte, dass er seit der Klassenreise nach England mit allen per Du war, aber dann entschied er sich doch, bei der Wahrheit zu bleiben.
„Nein. Ganz bestimmt nicht. Einige Kollegen sehen das ja sehr locker, ich aber nach wie vor nicht.“
Als seine Frau ihn fragend, aber keineswegs misstrauisch betrachtete, fuhr er fort:
„Ich habe dir ja erzählt, dass Sophia zur Zeit in einer schwierigen Phase ist. Die Mutter war einen Monat in der Kur wegen ihren Depressionen und in genau dieser Zeit hat auch ihr Freund mit ihr Schluss gemacht. Sie hat momentan keine wirkliche Bezugsperson. So habe ich ihr angeboten, mir zu schreiben, wenn sie jemaden zum Reden braucht. Und per Du geht das nunmal einfacher.“
„Pass nur auf, dass man dir nicht Bevorzugung einer Schülerin vorwirft.“ Gab sie zu Bedenken und er bemühte sich, seine Erleichterung nicht zu offensichtlich zu zeigen.
„Nein nein, keine Sorge, in der Schule gilt weiterhin das Sie, ganz klar. Ich dachte nur, es erleichtert es ihr ein bisschen, mir ihr Herz auszuschütten. Ich glaube sie fühlt sich ziemlich alleine gelassen...“
„Junge, einsame Mädchen verlieren auch gerne mal ihr Herz an ihre einfühlsamen Lehrer.....“ sagte sie und sein Herz begann unwillkürlich schneller zu schlagen. Sein Lachen klang etwas künstlich, als er erwiderte: „Aber doch nicht in einen alten Knacker wie mich!“ Nadja zuckte mit den Schultern und das Thema war für sie erledigt.
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geht noch weiter