Oxana - Wege des Gewissens

  • Kapitel 108: Geniale Anmachsprüche




    Tristan ahnte nichts von den Turbulenzen, die gerade die Simlane erschütterten. Er genoss es einfach, am Strand zu liegen, dem Meeresrauschen zu lauschen und sich zu sonnen. Mit ein wenig Sonne sah sein blasser Hautton nicht ganz so schweinerosa aus. Außerdem konnte er jetzt gut eine Mütze schlaf gebrauchen. Auch wenn Hans und er letzte Nacht keine Typen mehr abgeschleppt hatten, haben sie noch bis in die frühen Morgenstunden in einer Stranddisco verbracht. Tristan war fast schon eingedöst, als Hans ihn mit einer Muschel bewarf. "Hey Tristan, schau mal, wer da gerade ins Wasser steigt."




    Tristan hob müde seinen Kopf. Allerdings wurde er sofort hell wach, als er den braunhaarigen Schnuckel vom letzten Abend entdeckte. Zaghaft tauchte der junge Mann in schwarzer Badehose seine Beine in das kühle Nass. Bis zur Hüfte ging es auch ganz gut voran, doch als es darum ging, den Rücken einzutauchen, stellte er sich auf die Zehnspitzen, um dem kalten Wasser möglichst lange auszuweichen. Doch es nütze nicht viel. Bereits die nächste Welle erfasst ihn und hüllte seinen kompletten Körper ein. Nur der braune Wuschelkopf blieb über Wasser.




    Tristan zögerte nicht lange und stieg ebenfalls ins Wasser. Allerdings viel der Einstieg gleich doppelt schwer, denn sein Körper war von der Sonne schön aufgeheizt und das Wasser wirkte gleich um einiges kälter. Aber da musste er durch. Erst einmal eingetaucht, war die Kälte kein Problem mehr und er schwamm auf den Unbekannten zu. Im Vorbeischwimmen begrüßte er ihn: "Hallo widerspenstiger Braunschopf. Wie ich sehe, bist du heute wieder ganz einsam unterwegs. Redest du heute mit mir?" Der Bursche sah ihn verwirrt an, grinste aber. Trotzdem war er nicht so gesprächig, wie Tristan gehofft hatte. "Hallo, aufdringlicher Rotschopf und tschüss", erwiderte er und schwamm in eine andere Richtung weiter.




    Das lief irgendwie schon wieder nicht so wie geplant. Tristan hätte den jungen Mann hinterher schwimmen können, aber irgendwie zweifelte er daran, dass er auf diese Art und Weise Erfolg haben würde. Vielleicht war er doch nicht so gut im Männer aufreisen, wie er bisher gedacht hatte. Irgendwie war es viel leichter, sich von den Typen anmachen zu lassen. Missmutig stieg er aus den Wellen. Jetzt musste er sich wieder neu eincremen, ansonsten hätte er bei seiner Haut gleich einen Sonnenbrand. Und Wasser im Ohr hatte er zu allem Überfluss auch noch.




    Hans döste immer noch in der Sonne. Doch irgendwie hatte Tristan keine Lust mehr, tatenlos in der Sonne zu braten. Er cremte sich schnell neu ein und spazierte dann barfuss am Strand entlang. Einige hundert Meter von seinem Handtuch entfernt, entdeckte er schon wieder den Braunhaarigen. Er saß im Sand und formte mit seinen Händen einen Hügel, der wohl eine Burg darstellen sollte. „Er ist wirklich noch verdammt jung", dachte sich Tristan, aber das war eigentlich kein Hinderungsgrund. Er stellte sich dem Burschen genau in die Sonne, so dass ein Schatten auf diesen viel und er zu Tristan hoch sehen musste. "Hau bitte nicht gleich wieder ab", flehte Tristan ihn an. "Ich beiße wirklich nicht. Soll ich dir vielleicht beim Sandburgenbau helfen?" Der Junge seufzte einmal, klopfte dann aber auf den Sand neben sich um Tristan zu zeigen, dass er sich setzen durfte. "Ich bin übrigens Tristan, nur falls du meinen Namen vergessen haben solltest". "Nein, habe ich nicht", grinste der Braunhaarige. "Ich heiße Stev".




    Die Welt hatte schon schönere Sandburgen gesehen und so fiel es Stev auch gar nicht schwer, diese wieder zu zerstören, nachdem Tristan und er ihr Werk vollendet hatten. Kaum war er wieder aufgestanden, grummelte es heftig in seiner Magengegend. "Da hat wohl jemand Hunger", lachte Tristan, insbesondere, da Stev unverzüglich rot anlief. "Komm ich lade dich ein." Doch Stev lehnte freundlich ab. "Nein, ich zahle selber. Aber ich habe nichts dagegen einzuwenden, wenn du mir beim Essen Gesellschaft leistest."




    Eine Snackbar fanden die beiden gleich in ihrer Nähe. "Bist du ehrlich ganz alleine hier?", fragte Tristan, während sie ihr Teriyaki Mahi-Mahi verspeisten. "Ja", bestätigte Stev. "Ich hab vor einigen Wochen meinen Abschluss in Biotechnologie an der Uni in Paderbrunensis gemacht. Und jetzt wollte ich einfach mal entspannen. Ich bin einfach in den Bus gestiegen und hier her gefahren, ohne groß nachzudenken. Um ehrlich zu sein, habe ich überhaupt keinen Plan, was ich weiter machen will. Im Moment habe ich nicht einmal eine Wohnung, da ich nach dem Studium das Wohnheim verlassen musste. Na ja, etwas Geld ist noch übrig und wenn das erst einmal alle ist, dann suche ich mir irgendwo einen Job. Ich will erst einmal was komplett anderes machen, als ich gelernt habe. Kannst mir glauben, die Arbeit im Labor hängt einem nach ein paar Monaten echt zum Hals raus."




    "Das kann ich nachvollziehen", bestätigte Tristan. "Ich Arbeite für eine Ölgesellschaft und der Job ist meist auch alles andere als abwechslungsreich. Tja, wenn ich du nur nicht so viel Geld verdienen würde...Aber jetzt mal was anderes. So ganz alleine hier rumzuhängen ist doch irgendwie auch öde. Hast du nicht Lust, dich meinem Kumpel Hans und mir anzuschließen? Wir wollten noch so ein, zwei Tage hier bleiben." "Aber nur mit euch abhängen, ja?", fragte Stev skeptisch. "Ich bin doch sicher vor weiteren deiner genialen Anmachsprüche?" Tristan zog eine Schnute, lachte dann aber sofort wieder. "OK, geht klar. Von jetzt an lasse ich dich in Ruhe. Aber wenn du deine Meinung noch mal ändern solltest, sag nur bescheid. Meine richtig guten Sprüche konnte ich noch gar nicht zum Besten geben."




    Also war es beschlossene Sache. Hans hatte nichts einzuwenden, als Tristan mit Stev im Schlepptau wieder bei den Strandtüchern auftauchte. Hans fand Stev selber ganz niedlich und da dieser ja anscheinend nicht an Tristan interessiert war, so konnte er ja seine Chancen ausloten. Stev genoss es auch richtig, nicht mehr alleine unterwegs zu sein. Ruhe und Einsamkeit waren vielleicht für ein, zwei Tage gut, auf Dauer brauchte er aber doch Gesellschaft. Außerdem kannten Tristan und Hans sich hier aus. Die Rollschuhbahn hätte Stev beispielsweise nie alleine entdeckt, so versteckt wie sie lag. Allerdings bereute anschließend insbesondere Hans, dass er sich zum Fahren nicht umgezogen hatte. Seine aufgescheuerten Knie sprachen Bände.




    Ansonsten verbrachten sie den Tag damit, in der Hängematte zu faulenzen, am Strand nach Muscheln zu suchen und sich regelmäßig zu wenden, um eine gleichmäßige Bräune zu erreichen. Selbst das war zu dritt lustiger als alleine, musste Stev eingestehen. Außerdem ließ es sich mit den beiden anderen wunderbar anderen Männern hinterher schauen und anschließend die Beurteilungen auszutauschen. Nur gut, dass keiner den dreien dabei zuhörte.




    Am Abend stand dann ein Besuch in der Stranddisco an. Nur zu gerne hätte Hans einmal selber mit Stev getanzt, doch dazu hatte er keine Gelegenheit. Tristan und Stev klebten auf der Tanzfläche wie zwei Kletten aneinander. Zudem musste Hans feststellen, dass Stev Tristan gar nicht so abgeneigt war, wie es zunächst den Anschein hatte. Zumindest beobachtete Hans immer wieder, wie Stev seine Hand auf Tristans Brust legte und sie dort länger verweilen ließ, als es beim Tanzen normal gewesen wäre. Eifersüchtig war er deswegen nicht. Tristan hatte diesen Braunschopf ohnehin als erster entdeckt. Und es gab ja auch noch andere Männer auf der Tanzfläche.







    Die Sonne war längst untergegangen. Zuvor hatte sie den Himmel in ein kräftiges Orange getaucht. Doch für die Schönheit solcher Naturschauspiele hatte ich kein Auge. Selbst ohne die wärmenden Strahlen blieb die Luft angenehm warm. Und trotzdem fror ich. Ich zitterte am ganzen Körper und auch das wärmende Feuer im Kamin schaffte es nicht, die Kälte aus meinem Körper zu vertreiben. Den ganzen Tag hatte ich im Esszimmer gesessen und die Eingangstür angestarrt. Wie sehr hatte ich mir gewünscht, dass sie aufschwang und Dominik vor mir stand, breit grinsend, als ob nichts passiert wäre. Doch sie blieb verschlossen.




    Dafür schwang die Tür zu Kingas Zimmer auf. Sie kam auf mich zu, ihr Gesicht tränenverschmiert. Ich wusste, dass sie geweint hatte. Ich habe ihr Schluchzen immer wieder durch ihre Zimmertür hindurch gehört. Ich hatte überlegt zu klopfen, doch was hätte ich ihr schon sagen können? Nein, es war gut, wenn sie sich erst einmal ausweinen konnte. Es gab ohnehin nichts was ich hätte sagen oder tun können, um ihren Schmerz zu lindern. Sie war wütend auf mich, ihr Blick voller Zorn. Ich verstand es, schließlich hatte ich nicht nur Dominik, sondern auch sie betrogen. "Ich gehe jetzt zu Papa", sagte sie trotzig und versuchte sich an mir vorbei zu drängeln.




    Es dauerte eine Weile, bis ihre Worte meinen Verstand erreicht hatten. Als ich begriff, was sie vorhatte, griff ich nach ihrem Handgelenk und hielt sie zurück. "Das kannst du nicht machen, Kinga", erklärte ich müde. "Lass deinem Vater Zeit. Er wird sich schon bei dir melden, wenn er dazu bereit ist. Außerdem weißt du doch gar nicht, wo er ist." "Lass mich los, Mutter", schrie Kinga und entriss mir ihre Hand. "Du hast mir gar nichts zu sagen. Ich werde Papa schon finden. Und dann werde ich bei ihm bleiben. Er hasst nur dich, Mutter, nur dich! Mich wird er nicht fortschicken. Ich werde bei ihm bleiben können."




    Ich hoffte, dass sie Recht behielt. Ich hoffte, dass Dominik sie weiterhin so lieben würde, als wäre sie seine leibliche Tochter. Ich hoffte, dass nicht Kinga für meinen Fehler bezahlen musste. Aber ich hoffte eben nur, ich wusste es nicht. Ich konnte nicht sagen, wie Dominik reagieren würde und in diesem Moment war es das Wichtigste für mich, meine Tochter zu beschützen. "Du wirst nirgendwo hin gehen, Kinga", erklärte ich entschieden. Doch Kinga blieb trotzig. "Ich gehe wohin ich will! Mit dir bleibe ich keinen Augenblick länger unter einem Dach!" "Ich bin deine Mutter und du wirst tun, was ich dir sage. Geh auf dein Zimmer, Kinga! Geh sofort auf dein Zimmer!" Ich schrie meine Tochter an, so sehr wie ich sie noch nie zuvor angeschrien hatte. Und es tat mir weh, aber ich sah keinen anderen Ausweg.




    Kinga tat, was ich ihr befohlen hatte. Ich konnte zwar all den Trotz und die Wut in dem Blick erkennen, den sie mir zuwarf, aber sie widersprach mir nicht. Sie war kein Kind mehr und vielleicht erkannte sie ja, weshalb ich eben so reagiert hatte. Allerdings bezweifelte ich das. Ich war müde, so unendlich müde. Aber ich wusste, dass ich in dieser Nacht wieder kein Auge zubekommen würde. Dafür war ich zu aufgewühlt. Wenn Kinga schon so aufgebracht reagierte, wie sollte ich dann erst Klaudia erklären, was passiert war?

  • Kapitel 109: Geständnis




    Dingdong! Dingdong! Erschrocken riss ich meine Augen auf. Wie spät war es? Draußen schien bereits die Sonne. Ich muss irgendwann doch noch eingenickt sein. Als ich das letzte Mal auf die Anzeige des Weckers sah, war es kurz vor sechs gewesen. Dingdong! Die Türklingel, da war das Geräusch schon wieder. Hastig richtete ich mich auf um zu erfahren, wer da vor der Tür stand.




    Mein Herz setzte aus, als ich Gerda vor der Tür stehen sah. Konnte es sein, dass sie es schon gehört hatte? War es möglich, dass sie erfahren hatte, dass ich nicht nur eine Affäre mit ihrem Mann gehabt hatte, sondern auch noch ein, womöglich sogar zwei Kinder mit ihm hatte? Die Affäre mit Albert hatte sie mir verziehen, aber würde sie mir auch das verzeihen können? Ich bat meine Freundin herein, was bleib mir auch anderes übrig? Sie lächelte zuerst, doch dann wurde sie stutzig. "Oxana, ist etwas passiert? Du siehst heute nicht gut aus.“




    Also wusste sie noch nichts. Erstaunlicherweise war ich nicht erleichtert, denn jetzt musste ich ihr alles beichten. Aber es war sicher besser, wenn sie es von mir erfuhr, als wenn sie es irgendwo auf der Straße aufschnappte. Aber wie sollte man so etwas seiner Freundin beichten? "Gerda, du weißt, dass ich Albert geliebt habe." Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. "Dominik wusste es nicht. Ich wollte nicht, dass er es jemals erfährt, doch das hat er nun. Und nicht nur das, Gerda, er hat noch mehr heraus gefunden." Ich schloss meine Augen, als ob ich dadurch Gerdas Reaktion entkommen könnte, aber ich konnte ihr dabei einfach nicht ins Gesicht blicken. "Kinga sie ... sie ist nicht Dominiks Tochter. Albert ist ihr Vater."




    Stille. Keine Reaktion war auf Gerdas Gesicht erkennbar. Nur langsam bewegte sie sich nach hinten und sank auf das Sofa, den Blick immer starr nach vorne gerichtet. Ich dachte jeden Moment in Ohnmacht fallen zu müssen. Das Schweigen war schlimmer als jedes Geschrei, dass sie hätte von sich geben können. "So lange also schon", murmelte sie. "Ich wusste, dass er fremdging. Ich habe es die ganze Zeit gewusst. Aber ich dachte immer, es wäre nur Sex und er würde mich lieben. Aber er hat schon damals mit dir geschlafen und...und er hat dich geliebt, nicht mich."




    Beschämt setzte ich mich neben sie. "Ich weiß, dass es dadurch nicht besser wird, aber wir haben damals nur dieses eine Mal miteinander geschlafen. Ich hätte es niemals so weit kommen lassen dürfen, aber es ist passiert. Albert hat nie erfahren, dass Kinga seine Tochter ist. Ich konnte es ihm nicht sagen. Ich konnte doch nicht zulassen, dass wegen mir deine Ehe zerbricht, Gerda. Ich habe versucht Albert zu vergessen, aber ich schaffte es nicht. Inzwischen war Kinga schon lange zu Dominiks Tochter geworden. Selbst wenn dieser schreckliche Unfall nicht gewesen wäre, wenn Albert und ich doch noch zusammen gekommen wären, ich hätte ihm die Wahrheit nie gesagt." Gerda blickte mich an. Noch immer konnte ich nicht feststellen, was in ihr vorging. "Es war wirklich nur das eine Mal?", fragte sie schließlich. "Ich schwöre es, Gerda, bei allem was mir heilig ist."




    "Albert und ich haben erst ein Jahr vor eurem Unfall begonnen uns wieder zu treffen." Auch wenn Gerda von mir und Albert wusste, fiel es mir schwer in ihrer Gegenwart von meiner Beziehung zu ihm zu sprechen. Auch wenn sie mir versichert hatte, dass sie mir diese Beziehung nicht zum Vorwurf machte, fühlte ich mich schuldig. "Und in eben dieser Zeit bin ich zum zweiten Mal schwanger geworden. Mein Gefühl hat mir immer gesagt, dass Dominik Klaudias Vater ist. Dieses Gefühl war so stark, dass ich es nie angezweifelt habe. Aber wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, Gerda, dann kann ich nicht mit Gewissheit ausschließen, dass nicht doch Albert der Vater ist." Gerda faltete die Hände vor ihrem Gesicht zusammen und schloss die Augen. Ich hatte alles gesagt, was es zu sagen gab. Ich konnte nicht erwarten, dass sie mir erneut so großzügig verzieh, auch wenn ich es mir sehr gewünscht hätte. Ich wollte nicht auch noch sie verlieren.




    "Es tut mir leid, Gerda", fügte ich deshalb leise hinzu. "Es tut mir leid, dass ich dir über all die Jahre die Wahrheit verschwiegen habe. Aber ich dachte, so wäre es das Beste für alle. Für dich, für deine Kinder, für meine Kinder, für Dominik. Ich hatte nie vor, euch zu verletzen." Gerda erhob sich langsam vom Sofa. "Ich werde dann jetzt gehen", sagte sie, ohne auf mein Geständnis einzugehen. Sie war schon halb zur Tür raus, als sie sich wieder umdrehte. "Jetzt hätte ich fast vergessen, warum ich hier bin", sie lächelte geistesabwesend. "Miranda heiratete in zwei Monaten. Du und Dominik, ihr seid eingeladen. Und Kinga und Klaudia natürlich auch. Schließlich sind es...es sind ihre Schwestern. Aber...aber ich sollte jetzt wirklich gehen."




    Es zerriss mir mein Herz, Gerda in diesem verwirrten Zustand zu sehen. Aber ich wusste nicht, was ich dagegen unternehmen sollte. Ich hatte schon genug angerichtet und mit jedem Versuch es besser zu machen, wurde es nur noch schlimmer und schlimmer. Das einzige was mir jetzt zu tun blieb, war beten. Ich blickte in den Spiegel und sah mein müdes Gesicht. Jeder konnte sehen, dass ich litt und das wollte ich nicht. Ich war ja selber Schuld und ich wollte kein Mitleid. Mit ein wenig Make-up überdeckte ich die Spuren meiner Verzweiflung so gut es ging. Trotzdem blickte mich immer noch dieselbe, verzweifelte Frau im Spiegel an. Aber ich musste da durch. Das Leben würde weiter gehen und der nächste Schritt bestand darin, Klaudia über die neue Situation aufzuklären.




    Klaudia war immer noch bei ihren Großeltern. Ob Anan und Glinda schon alles wussten? Mein Schwiegervater hatte schon gestern durchblicken lassen, dass er wusste, dass etwas zwischen Dominik und mir nicht in Ordnung war. Aber hatte er da schon wirklich gewusst, dass Kinga nicht sein leibliches Enkelkind war? Ich fürchte, in dem Fall wäre er nicht so nett zu mir gewesen. Ich fürchtete mich davor, jetzt mit meinen Schwiegereltern zusammen zu treffen, trotzdem verließ ich die Simlane und ging mit flauem Magen das kurze Stück zu ihrem Haus. Bereits aus der Ferne erkannte ich meinen Anan, der die Morgenzeitung ins Haus holte, so, als ob es ein Tag wie jeder andere wäre.




    Ich verlangsamte meinen Schritt. Ich wusste, dass es dumm war, aber irgendwie wollte ich die Begegnung hinauszögern und sei es nur um ein paar Sekunden. Doch Anan entdeckte mich sofort und begrüßte mich mit eben jenem traurigen und enttäuschten Blick, vor dem ich mich gefürchtet hatte. "War Dominik gestern noch hier? Hat er euch alles erzählt?", fragte ich beschämt. Anan nickte. "Er war kurz hier gewesen und hat mit mir gesprochen. Danach hat er sich ein Taxi gerufen und ist einfach davon gefahren. Du verstehst sicher, dass er nicht will, dass du weißt wo er jetzt ist." Ich nickte stumm.




    "Wenn er wieder anrufen sollte, kannst du ihm dann bitte sagen, dass es mir leid tut?", bat ich meinen Schwiegervater. "Ich wollte ihn nie verletzen. Ich wollte euch alle nicht verletzen, aber irgendwie hatte sich alles verselbstständigt und ich sah keinen Weg mehr zurück." Anan lächelte bekümmert. "Ich werde es ihm ausrichten. Aber Dominik ist Verletzt und Enttäuscht und das sehr. Ich bin mir nicht sicher, ob er dir wird verzeihen können, Kind." Ich biss mir auf die Unterlippe und kämpfte mit den Tränen. Eigentlich hatte ich das schon selber gewusst, es aber aus dem Mund eines anderen zu hören, machte es auf einmal viel realer.




    Anan sah, wie ich um meine Fassung rang. "Ach, komm her, Kind", sagte er deshalb einfach, zog mich zu sich heran und schloss mich in den Arm. Es tat so gut, einfach nur von jemandem gehalten zu werden. "Oxana, wir machen alle Fehler", flüsterte er in mein Ohr. "Wir sind Menschen und manchmal treffen wir falsche Entscheidungen. Dich dafür zu verurteilen, würde es auch nicht besser machen. Dominik ist mein Sohn und ich wünsche ihm nur das Beste, aber du bist auch meine Tochter, Oxana. Seit 15 Jahren liebe ich dich nun wie mein eigenes Kind und du hast mehr als einmal bewiesen, was für ein guter Mensch du bist. Und auch wenn das, was du getan hast falsch war, gehörst du immer noch zur Familie. Und gib die Hoffnung nicht auf, dass alles gut werden kann."




    Mein Schwiegervater hatte Recht. Vielleicht würde ja doch noch alles gut werden? Vielleicht konnte Dominik mir ja verzeihen? Ich musste ihm einfach Zeit geben. "Was macht die denn hier?", hörte ich Glindas schrille Stimme. Ich seufzte schwer und löste mich von Anan. Meine Schwiegermutter kam aus dem kleinen Gemüsegarten wütend auf mich zugelaufen. "Hast du falsches Biest meinem Nicky nicht schon genug angetan? Ich hatte ihn doch gleich gewarnt, was für ein durchtriebenes Luder du bist! Und jetzt versuchst du dich auch noch bei meinem Mann einzuschmeicheln. Aber so eine wie dich wollen wir hier nicht haben! Nimm dieses Kind und verschwinde von unserem Grund und Boden. Ihr seid hier nicht mehr willkommen."




    "Dieses Kind? Dieses Kind!?" Mir platze der Kragen. So viel Jahre hatte ich mich von Glinda schikanieren lassen. Aber jetzt ging sie zu weit. Es war eine Sache, wenn sie mich beleidigte, aber sie hatte kein Recht dazu, auch meine Kinder schlecht zu machen. "Dieses Kind heißt Klaudia und sie ist deine Enkeltochter. Du hast sie gehalten als sie ein Baby war, du hast ihre Windel gewechselt und sie ist bei dir ein und aus gegangen, als ob hier ihr zweites Zuhause wäre. Und das soll jetzt alles vorbei sein? Du hast sie ja wohl nicht mehr alle, Glinda. Auch wenn Dominik nicht ihr leiblicher Vater sein sollte, so bleibt Klaudia doch deine Enkelin. Und genauso ist es mit Kinga! Hass mich, wenn du willst. Gib mir an allem die Schuld, ich habe es verdient. Aber lass deine Wut nicht an deinen Enkeltöchtern aus. Hast du mich verstanden, Glinda!?"




    Glindas Gesicht lief purpurrot an. Dann schnaufte sie und ging ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen ins Haus. "Es tut mir leid, Kind", entschuldigte Anan sich bei mir für seine Ehefrau. "Glinda wird sich wieder beruhigen. Du kennst sie doch. Ich gehe dann und hole Klaudia. Und zögere nicht, mich anzurufen, wenn ich auf die Kleine aufpassen soll. Denn du hattest Recht mit jedem deiner Worte. Die zwei bleiben unser Enkel, egal was passiert."




    Ich war dankbar dafür, dass mein Schwiegervater immer noch zu mir hielt. Das war nicht selbstverständlich. Er war schon lange mehr für mich, als bloß Dominiks Vater. Meine beiden Väter waren tot und da ist Anan im Laufe der Zeit ganz von selbst zu einem Ersatzvater für mich geworden, den ich nicht mehr missen wollte. "Mami, warum war Oma so böse?" Klaudias Frage riss mich aus meinen Gedanken. Für einen Moment überlegte ich, ob ich ihr die Wahrheit oder eine Notlüge erzählen sollte. Aber vom Lügen hatte ich genug und früher oder später kamen Lügen immer ans Tageslicht, dass hatte ich in den letzten Tagen gelernt.




    Ich beugte mich zu ihr hinunter. "Oma ist böse, weil Mami etwas sehr schlimmes gemacht hat, Pummelchen. Du weißt doch, dass man nicht lügen darf? Mami hat sich daran nicht gehalten und sehr vielen Menschen damit wehgetan." "Was hast du denn angestellt", fragte Klaudia mit so besorgter Stimme, dass es mich zweifeln ließ, ob ich wirklich erst eine Siebenjährige vor mir stehen hatte. "Ich habe deinen Papi angelogen. Und er ist jetzt sehr böse auf mich. Er wird erst einmal nicht nach Hause kommen, Kleines. Aber das ist ganz bestimmt nicht die Schuld von dir oder deiner Schwester. So etwas darfst du nicht glauben, Pummelchen. Daran ist Mami ganz alleine Schuld. Und auch wenn dein Papi erst einmal nicht da ist, darfst du nicht vergessen, dass er dich trotzdem ganz doll lieb hat."




    "Aber er kommt doch wieder, oder Mami?" Ich strich Klaudia über den Kopf und drückte sie an mich. "Ich...ich bin mir nicht sicher." Es kostete mich viel Überwindung, Klaudia so offen zu antworten. Noch mehr Überwindung kostete es mich, ihr den wahren Grund dafür zu nennen, warum Dominik verschwunden war. "Du weißt doch, dass die Papas den Mamas die Babys in den Bauch legen." Klaudia nickte. "Und ich habe deinen Papa erzählt, dass er mir Kinga in den Bauch gelegt hätte. Aber das war ein Lüge. Ein anderer Mann hat das gemacht, Onkel Albert, der von den Fotos. Und deinen Papa so anzulügen, war das Schlimmste, was ich machen konnte. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob dein Papa dich in meinen Bauch gelegt hat. Vielleicht, aber nur vielleicht, war es Onkel Albert. Und darüber ist dein Papa auch sehr traurig."




    "Heißt das, dass Papi vielleicht gar nicht mein Papa ist?" "Ja", hauchte ich kraftlos. "Aber auch wenn er dich nicht in meinen Bauch gelegt hat, wird er dein Papi bleiben." Ich drückte Klaudia fest an mich und sie schlang ihre Arme um meinen Hals. Obwohl eigentlich ich sie trösten wollte, war es doch so, dass sie mir Trost spendete. "Aber du bist meine Mami, ja?", fragte sie ganz ernst. "Ja, das bin ich", antwortete ich und eine dicke Träne kullerte dabei über meine Wange. "Und das wird auch nie jemand ändern können."

  • Kapitel 110: Der niedliche Braunschopf




    Als Stev an diesem Morgen sein Hotelzimmer verließ, stieg ihm der Duft von gegrillten Würstchen sogleich in die Nase. Und wie er schnell erkannte, war Tristan die Ursache dafür. "Wo hast du denn Hans gelassen?", fragte er Tristan, der schwer damit beschäftigt war, die Bratwürste zu wenden und ihnen eine gleichmäßige Bräune zu verleihen. Beim Sonnenbaden hatte er die Technik ja bereits erfolgreich angewendet. "Ach der, der hat gestern wohl noch irgendwen aufgegabelt. Er meinte nur, ich soll mir keine Sorgen machen und dann ist er mit dem Typen verschwunden. Bestimmt genießen die beiden gerade ein Frühstück nackt im Bett." Schmunzeln musste Tristan feststellen, wie Stev leicht rot wurde.




    Bratwürstchen zum Frühstück waren schon etwas seltsam und mit vollem Magen ins Wasser sollte man eigentlich auch nicht steigen. Aber was soll’s, schließlich war Tristan hier um Urlaub zu machen und da durfte alles auch mal anders vonstatten gehen. Die beiden warfen ihre Klamotten in den Sand und sprangen direkt in die Fluten. Schade, dass keiner der beiden einen Ball dabei hatte, aber sie planschten einfach so im Wasser herum, bis der Salzgeschmack im Mund einfach nicht mehr auszuhalten war.




    Die Stranddusche löste das Salzproblem im Handumdrehen und ein Slush-Eis aus der Strandbar vertrieb auch den letzten Salzgeschmack. Da am Vormittag am Strand noch nicht sehr viel los war, entschieden die beiden, einfach nur am Strand zu liegen und sich von der Sonne bräunen zu lassen. Und endlich hatte Tristan die Gelegenheit, bei Stev ein wenig auf Tuchfühlung zu gehen. Gestern in der Disco hatte er genau bemerkt, wie Stev immer wieder den Körperkontakt zu ihm gesucht hatte. Zumindest glaubte er, es bemerkt zu haben. Und als er Stev anbot, ihm den Rücken einzucremen, hatte dieser rein gar nichts dagegen einzuwenden, selbst als Tristan den Bund seiner Badehose anhob, um auch das letzte Stückchen seiner Haut gründlich vor den gefährlichen UV-Strahlen zu schützen.




    "Du hast eine wirklich schöne Haut", schmeichelte er Stev und strich ihm über dessen Oberarm, um seiner Aussage mehr Nachdruck zu verleihen. Augenblicklich wurde Stev wieder rot und schaute verlegen auf den Boden. Tristan erkannte schmunzelnd, dass sein Gegenüber sich in einem inneren Konflikt befand. Einerseits hatte ihm Tristans Kompliment geschmeichelt und es schien ihm zu gefallen, von diesem Mann begehrt zu werden. Andererseits zeigte seine ablehnende Körperhaltung, dass er auf Tristans Flirtversuch nicht weiter eingehen wollte. Warum das so war, verstand Tristan noch nicht so ganz. Aber er würde der Sache noch auf den Grund gehen.




    Beim Sonnenbad ließ er Stev noch in Ruhe. Dieser las vergnügt in einem Buch, während Tristan die Wellen und die anderen Männer am Strand beobachtete. Zwischendurch aßen sie wieder einen Happen in der Strandbar und entdeckten dann einen Whirlpool. Zu ihrer beider Freude war dieser mit Süßwasser gefüllt, sodass sie nicht lange zögerten und hinein stiegen. Tristan begann erst herumzualbern und Stev nass zu spritzen, doch dann entschloss er sich, einen erneuten Flirtversuch zu wagen. Er ließ seinen Arm am Beckenrand entlang wandern, bis seine Hand Stevs Hals erreichte und ihn sanft im Nacken streichelte. Stev genoss es sichtlich, allerdings nur so lange, bis ihm bewusst wurde, welchen Eindruck sein zufriedenes Seufzen bei Tristan hinterlassen könnte. Augenblicklich zog er sich zurück.




    "Tristan, es...es tut mir leid“, stammelte er und wurde erneut rot. "Was ist denn los mit dir", fragte Tristan "Gefalle ich dir überhaupt nicht? Wenn ja, dann sag es, dann lasse ich jeden weiteren Versuch sein. Aber um ehrlich zu sein, habe ich nicht das Gefühl, dass es so ist." Langsam schob er sich zu Stev, bis ihre Gesichter sich fast berührten und sah ihm dabei tief in die Augen. "Also, was ist es dann?", bohrte er weiter. Stev verzog sein Gesicht. Tristan merkte, wie unangenehm es ihm war, aber er wollte einfach wissen, was Sache ist. "Du...du gefällst mir Tristan", antwortete er schließlich. "Du hast mir schon am ersten Tag in der Bar gefallen. Aber dann habe ich Panik gekriegt. Das passiert mir ständig, wenn auch nur die Chance besteht, dass ein Typ mich gut findet. Ich habe Angst verarscht zu werden und dann laufe ich einfach lieber weg. Und obwohl wir uns jetzt schon so viel besser kennen, habe ich immer noch Angst, dass du dir nur einen Scherz mit mir erlaubst."




    "Keine Angst, Stev, ich habe nicht vor, dich zu verarschen. Vertrau mir einfach." Tristan schob sich noch ein wenig enger an Stev heran und küsste ihn zärtlich auf die Lippen. Dabei hielt er ununterbrochen Augenkontakt mit dem jungen Mann, um seine Reaktion direkt ablesen zu können. Er sah eine leichte Furcht in Stevs Augen, aber er erkannt kein deutliches Zeichen von Abneigung. Also küsste er ihn noch ein Mal, diesmal länger und intensiver. Er fühlte, wie Stev sich in seinen Armen entspannte und begann, seine Küsse zu erwidern. Und als er fühlte, wie Stevs Zunge Einlass in seinen Mund forderte, wusste er, dass er sein Ziel erreicht hatte.




    Die beiden setzten ihre Küsserei noch eine ganze Weile fort. Es ging dabei durchaus etwas heftiger zu, aber zu Tristans Bedauern, blieb es beim Küssen. Allerdings hatte Tristan auch nicht damit gerechnet, dass er es schaffen würde mit Stev zu schlafen. Vor allem, weil er noch heute Abend wieder abreisen musste. Sein Chef hatte ihn angerufen und ihn gebeten, morgen wieder bei der Arbeit zu erscheinen. Stev hingegen war sehr glücklich, über den Verlauf des Tages. Beim abendlichen Lagerfeuer starrte er Tristan unentwegt an und grinste dabei über das ganze Gesicht. "Was hältst du davon, wenn du einfach mit zu mir kommst?", schlug Tristan ganz unerwartet vor und starrte dabei ins Feuer. "Du meintest doch ohnehin, du wüsstest nicht, wohin du gehen wolltest. Und um ehrlich zu sein, würde ich es schön finden, wenn wir uns nicht schon trennen müssten."




    "Ist das dein Ernst?", fragte Stev ungläubig. "Ich meine, geht das denn überhaupt so? Hast du genug Platz? Was werden deine Mitbewohner sagen?" "Lass das mal mein Problem sein", entgegnete Tristan. "Also was ist jetzt, kommst du mit mir mit?" "Ja?", antwortete Stev zunächst unsicher, doch dann stand er auf und klopfte sich den Sand von der Badehose. "Ja, ich komme mit. Klar komme ich mit." Sein unsicherer Gesichtsausdruck wurde von einem Lachen abgelöst und auch Tristan musste lächeln. Einen One-Night-Stand hatte ihm dieser Kurzurlaub nicht beschert, aber wenn er nur etwas mehr Arbeit investierte, konnte er mit Stev sicher auf seine Kosten kommen.







    "Hier wohnst du also?", fragte Stev beeindruckt, als er mit Tristan aus dem Taxi stieg. "Unter einem grünen Holzhaus habe ich mir irgendwie etwas anderes vorgestellt. Das hier ist ja ein halbe Villa." "Tja, Oxana weiß halt, wie man standesgemäß wohnt", entgegnete Tristan. "Aber jetzt schnapp dir deinen Koffer und lass uns rein gehen." Stev griff sich seine Koffer und schritt auf die Eingangstür zu. Er freute sich zwar, bei Tristan unterzukommen, aber irgendwie war er auch nervös. Schließlich kannte er diesen Mann erst seit ein paar Tagen. Und dann gleich bei ihm einzuziehen war ganz und gar nicht seine Art. Was, wenn er gerade die größte Dummheit seines Lebens beging?




    Tristan führte Stev durch das Wohn- und Esszimmer bis in sein eignes Schlafgemach. Der junge Mann stellte seinen Koffer in der Ecke ab und betrachtete den nicht gerade großen, aber doch wohnlich eingerichteten Raum. "Wenn du unter die Dusche willst, dann findest du das Bad entweder hinter der Tür im Wohnzimmer oder die mittlere Tür, wenn du aus dem Zimmer nach links gehst." Stev nickte gedankenversunken und strich die leicht zerknüllte Decke auf dem Bett glatt. "Und wo schläfst du?", fragte er Tristan, als er mit dieser Tätigkeit fertig war.




    "Na hier bei dir. Was dachtest du denn?" Tristan ging auf Stev zu und strich ihm über die Wange. "Etwa in einem Bett?", fragte dieser sichtlich verunsichert. "Klar, ich habe nicht vor, auf mein Kissen zu verzichten. Aber wenn du unbedingt willst, kannst du dich auch auf der Couch im Wohnzimmer ausbreiten. Allerdings fände ich es viel schöner, wenn du hier bei mir bleiben würdest." Stev schaute immer noch verunsichert, aber ein Blick in Tristans grüne Augen ließ ihn doch weich werden. "Gut", sagte er schließlich. "Ich warne dich aber schon mal vor, ich klaue nachts gerne die Decke."




    Tristan durfte in dieser Nacht seine Decke behalten. Da es schon recht spät war, gingen beide auch gleich ins Bett. Obwohl Tristan ihn schon etliche Male nur mit Badehose am Strand gesehen hatte, war es Stev doch unangenehm, sich nur in Pyjamahose vor Tristan zu zeigen. Also schlüpfte er schnell unter die Bettdecke und verkroch sich ganz an den Rand des Bettes. Tristan hatte es zwar geschafft, Stev ins Bett zu bekommen, aber das hatte er sich darunter nicht vorgestellt. Ein flüchtiger Gutenachtkuss war auch schon das einzige, was er von Stev erhielt. Aber er wollte geduldig sein. Schließlich würde sein niedlicher Braunschopf vom Strand noch einige Tage hier bleiben. Und so schlief er zu zweit in einem Bett und doch alleine ein.

  • Kapitel 111: Kleine Ablenkung




    Als ich am Morgen in die Küche tapste, entdeckte ich zu meiner Freude, dass Tristan wieder da war. Überglücklich fiel ich ihm um den Hals. "Ich war doch nur drei Tage weg", beklagte er sich scherzhaft. Das war mir klar, aber es kam mir trotzdem wie eine Ewigkeit vor. "Was hat Dominik denn jetzt angestellt?", fragte er neugierig. "Soll ich ein Hünchen mit im rupfen, dass er einfach so abgehauen ist? Ich mach das, wenn du willst". Ach, es tat so gut, dass Tristan wieder da war. Jetzt hatte ich endlich jemanden, mit dem ich über alles reden konnte.




    Ich erzählte ihm gleich alles. Einen Teil kannte er schon, dass machte es leichter. Meine Affäre mit Albert war kein Geheimnis für ihn, ebenso Klaudias ungeklärte Vaterschaft und meine fehlende Liebe zu Dominik am Anfang, in den Jahren vor unserer Heirat und selbst lange Zeit danach. Eigentlich war nur neu, dass auch Kinga Alberts Tochter war und das Dominik alles herausgefunden hatte. Obwohl er mein Freund war, konnte er es nicht lassen, sich während meiner Erzählung immer wieder fassungslos die Haare zu raufen. "Du machst vielleicht Sachen, Oxana." Er schüttelte den Kopf, aber sein Blick zeigte deutlich, dass er mir keine Vorwürfe machte. "Und du bist dir sicher, dass Dominik nicht doch noch zurück kommt?"




    "Ach, Tristan, ich würde mir nichts mehr wünschen als das. Aber glaubst du ernsthaft, dass er mir noch eine Chance gibt, nach dem, was ich ihm angetan habe? Ganz ehrlich, würdest du mir verzeihen, wenn ich 14 Jahre lang behauptet hätte, Kinga wäre deine Tochter?" Tristans Gesichtsausdruck war antwort genug. "Na siehst du." Trotzdem war Tristans Wirkung auf mich erstaunlich. Zum ersten Mal seit Tagen konnte ich wieder lächeln, auch wenn es ein eher trauriges Lächeln war.




    "Weißt du, was du jetzt brauchst, Oxana? Eine riesige Portion Eis mit ordentlich Schlagsahne!" Tristan ging zum Kühlschrank und holte eine Packung Schokoladeneis aus dem Tiefkühlfach. Er packte den Inhalt auf einen Teller und dekorieret ihn hier und da mit einem kleinen Sahnehäubchen. "Wir zwei setzen uns jetzt an den Tisch und verputzen diese Kalorienbombe. In einer solchen Situation wirkt Schokolade wahre Wunder. Ihr Frauen habt da so Rezeptoren im Hirn, die Schokolade als Glückshormon erkennen. Tja, und wir schwulen Männer scheinen diese Dinger auch abbekommen zu haben. Du kannst gar nicht glauben, wie oft mich Schokolade schon aus tiefstem Liebeskummer geholt hat." Ich zweifelte, ob Schokolade wirklich helfen würde, aber Tristan ließ einfach nicht locker.




    "Hey, was passiert ist, ist passiert. Du kannst nicht ungeschehen machen, was du Dominik angetan hast. Und wenn du das Eis nicht isst, dann schmilzt es bei den Temperaturen hier gleich davon. Und die Schokoflecken kriegst du nie wieder aus dem Teppich raus, das sag ich dir." Ich holte also zwei kleine Teller und Löffelchen aus dem Küchenschrank und setzte mich an den Tisch zu Tristan, der mir sofort eine ordentliche Portion auflud und sogleich begann, sein eigenes Eis zu verschlingen. Und ich weiß nicht, ob es wirklich am Eis lag, aber plötzlich hatte ich das Bedürfnis, in Mitleid zu versinken und allen anderen die Schuld an meinem verpfuschten Leben zu geben, nur nicht mir. Tristan hörte einfach nur zu und bestärkte mich in meiner Meinung, dass ohnehin meine Schwiegermutter an allem die Schuld hatte. Man, tat das gut. Zu Schade, dass ich nur zu gut wusste, dass es nicht so war.




    Aber für den Moment war ich glücklich. Und bevor ich in meinen alten Kummer zurück fallen konnte, öffnete sich Tristans Zimmertür und ein halb bekleideter Mann trat ins Esszimmer. "Ich...ich will nur schnell ins Bad und mich fertig machen", stammelte er verlegen als er mich entdeckte und verschwand hastig im Badezimmer. Überrascht sah ich Tristan an. "Wer war das?", fragte ich. "Der?", fragte Tristan grinsend zurück. "Das war Stev. Ich hab ihn am Strand kennen gelernt. Er wohnt vorübergehend bei uns. Ich hoffe, dass ist in Ordnung für dich? Ist der nicht niedlich?"




    "Niedlich? Ja, niedlich trifft es ganz gut", antwortete ich verunsichert. "Meinst du nicht, dass er ein wenig jung ist? Der könnte doch fast mein Sohn sein." Tristan zog eine Grimasse. „Aber nur, wenn du schon mit 12 ein Kind bekommen hättest. So jung ist Stev gar nicht. Und hey, ich bin nicht so alt, wie du mich gerade machst", Tristan sah mich beleidigt an. Ich hob beschwichtigend die Hände. "Schon gut, schon gut. Und ich denke, es geht schon in Ordnung, wenn er hier bleibt. Ein wenig Ablenkung wird uns vielleicht allen gut tun."




    "Ich will ja nicht neugierig sei, aber bist du jetzt mit ihm 'zusammen'?" Ich stocherte verlegen in meinem Eis herum. Tristan grinste. "Du meinst, ob ich in ficke?" Ja, genau das meine ich, trotzdem wurde ich knallrot bei Erwähnung dieses Wortes. Es war eine Sache es zu tun, darüber zu sprechen eine ganz andere. "Noch nicht", antworte Tristan. "Aber ich habe vor, das demnächst zu ändern." "Und was ist mit Frank? Seid ihr etwas nicht mehr zusammen?" Ich war ehrlich gesagt verwirrt. Erst letzte Woche hatte ich nämlich mit Frank an diesem Tisch gefrühstückt. Tristan schien meine Verwirrung aber nicht zu teilen. "Ja, Frank und ich sind immer noch zusammen. Warum fragst du?"




    Warum ich fragte? War das jetzt ernst gemeint? "Nun, ich hatte immer angenommen, wenn hier jemand bei dir einzieht, dann wäre das Frank. Und jetzt steht da ein Typ unter der Dusche, mit dem du offensichtlich schlafen willst und der jetzt hier wohnt und es ist eindeutig nicht Frank." Tristan kratzte sich verlegen an der Nase. "Weißt du, Frank und ich sind zwar zusammen, aber das heißt nicht, dass wir nicht mal auch mit anderen Männern ins Bett gehen. Normalerweise bemühe ich mich darum, dass du davon nichts mit bekommst. Immerhin weiß ich von deinem Vater und was du von seinen wechselnden Liebschaften hieltst. Und was Frank angeht, ich liebe ihn, aber ich will nicht mit ihm zusammen ziehen. Er wohnt doch nur zwei Straßen weiter. Wenn ich ihn also sehen will, dann bin ich gleich bei ihm und ansonsten habe ich einfach meine Ruhe. Daran will ich auch nichts ändern. Frank weiß das." Nun gut, ich wollte mich nicht in Tristans Liebesleben einmischen. Wenn es für Frank und Tristan in Ordnung war, dann war das gut so. Nur hatte ich das ungute Gefühl, dass Stev nichts von dieser Vereinbarung wusste.




    Aber auch das war nicht meine Angelegenheit, entschied ich. Immerhin war Stev erwachsen und konnte selbst auf sich aufpassen. Und was Liebesangelegenheiten anbetraf, war ich wohl kaum ein geeigneter Ratgeber. Ich nutze die Zeit, in der Stev unter der Dusche stand, um mich selber herzurichten. Man sah mir meinen Schlafmangel zwar immer noch deutlich an, aber das wollte ich wenigstens mit ordentlicher Kleidung, Frisur und Make-up überspielen. "Oxana", stellte ich mich also meinem neusten Mitbewohner vor, als dieser fertig hergerichtet und bekleidet aus dem Bad trat. "Stev. Stev Füller", erwiderte er meine Begrüßung. "Danke, dass ich hier wohnen kann. Ich war praktisch obdachlos, als Tristan mich aufsammelte." Stev machte einen netten Eindruck, aber bevor ich ihn weiter kennen lernen konnte, klingelte es an der Tür.




    Ich war doch mehr als erstaunt, Dominiks jüngeren Bruder Dennis auf der Veranda stehen zu sehen. "Hi, Oxana", begrüßte er mich zurückhaltend. "Ich bin nur hier, um ein paar Sachen für Dominik abzuholen." "Er wohnt jetzt also bei dir in La Siesta?" Erst wollte Dennis sich um eine Antwort drücken, doch schließlich nickte er. "Ja, tut er. Aber er will dich im Moment nicht sehen und auch nicht mit dir reden. Gib mir einfach seine Sachen und dann bin ich auch gleich wieder verschwunden."




    Ich holte einen alten Karton von Dachboden und ging mit Dennis ins Schlafzimmer. "Was braucht Dominik denn alles?", fragte ich meinen Schwager. Unterbewusst wollte ich dadurch erfahren, ob Dominik vorhatte, länger weg zu bleiben, oder ob er nur ein paar Tage zum nachdenken brauchte. "So dies und das, Unterwäsche, saubere T-Shirts und Hosen. Und seine Arbeitskleidung will er auch haben." Seine Arbeitskleidung also auch. Das hieß, er hatte nicht vor, bald wieder nach Hause zu kommen.




    Und als ich so in den Sachen meines Mannes wühlte und sie in den Karton packte, wurden meine Augen zunehmend feuchter. Und als ich dann auch noch die Fliege von seinem Hochzeitsanzug entdeckte, war es ganz vorbei. Ich fing laut an zu schluchzen. Alles war aus. Ich hatte meine Ehe kaputt gemacht und denn Mann vergrault, den ich doch so sehr liebte. Dennis stand hilflos neben mir und wusste nicht so recht, was er jetzt tun sollte. Und da er keinen Weg wusste, mir zu helfen, nahm er einfach den Karton mit Dominiks Sachen und verabschiedet sich hastig. Ich blieb allein in meinem Schlafzimmer voller Erinnerungen und heulte mir die Seele aus dem Leib.




    Als Klaudia in mein Zimmer kam, fand sie mich weinend vor dem Bett hockend. Meine kleine Tochter setze sich zu mir und nahm tröstend meine Hand. "Weinst du, weil Papi nicht mehr wieder kommt?", fragte sie besorgt. Ich schluckte schwer und nickte. "Kinga weint auch den ganzen Tag. Sie schimpft sogar nicht, wenn ich in ihr Zimmer komme und CDs anmache. Können Papi und du euch nicht einfach wieder vertragen." Ich schüttelte traurig den Kopf und strich meinem Pummelchen eine Haarsträhne hinter das Ohr. "Nein, das geht leider nicht so einfach. Euer Papa wird mir nicht so leicht verzeihen. Wir drei müssen jetzt sehen, wie wir alleine zurecht kommen. Aber wir schaffen das schon, Kleines." Klaudia lächelte tapfer. Ich war erstaunt, wie gut sie die Situation verkraftete. Vielleicht lag es daran, dass sie die Tragweite noch nicht ganz begriff, aber im Moment war sie stärker als Kinga und ich zusammen.




    Kinga hatte nach wie vor noch kein Wort mit mir gewechselt. Sie verkroch sich in ihrem Zimmer und kam einfach nicht raus. Da half auch mein Klopfen und Flehen nichts. Die einzige, die sich zu sich ließ, war Klaudia, aber selbst ihre kleine Schwester war ihren Gefühlsschwankungen manchmal schutzlos ausgeliefert. "Du sollst abhauen, Klaudia", schrie sie ihre Schwester an als sie ihr Zimmer betrat. Kinga saß in einer Ecke verkrochen auf dem Boden und hielt ein altes Fotoalbum umklammert, mit Bildern von ihr als Baby und als kleines Mädchen. Und natürlich war auch Dominik auf den Bildern zu sehen. Ihre verquollenen Augen zeigten deutlich, dass sie erst vor kurzem wieder geweint haben musste.




    "Ist gut", erwiderte Klaudia geduldig. "Ich wollte dir nur etwas zu Essen bringen, Ki. Du musst nicht, aber ich lasse den Teller einfach mal hier. Guck, es gibt Hünchen und Rotkohl. Und sogar Kartoffelspalten. Den doofen Spinat kannst du ja weg lassen. Onkel Tristan hat gekocht. Es schmeckt bestimmt ganz toll." Klaudia stellte den Teller ab und schlich dann leise wieder zur Tür. "Danke Klaudi", hörte sie Kinga murmeln, kurz bevor sie das Zimmer verlassen hatte. Wieder einmal lächelte Klaudia tapfer und schloss behutsam die Zimmertür hinter sich.




    Anschließend schlurfte sie zurück zum Esstisch, wo auch schon Tristan und Stev saßen. Schweigend setzte sie sich zu den beiden und kaute eher lustlos auf dem Essen herum, das sie noch gerade eben bei Kinga so hoch angepriesen hatte. Tristan beobachtete Klaudia traurig. Irgendetwas musste er tun, um das Kind aufzuheitern, er wusste nur noch nicht genau was. Und auch Stev schaute betrübt drein. In den wenigen Stunden, die er in der Simlane war, hatte er bemerkt, dass der Haussegen deutlich schief hing. Und er als Fremder fühlte er sich besonders hilflos und unwohl in dieser Situation.




    Im Badezimmer, wo beide unter sich waren, sprach er Tristan darauf an. "Vielleicht ist es doch keine so gute Idee, wenn ich hier wohne. Deine Mitbewohnerin und ihr Mann scheinen ja in einer echten Ehekrise zu stecken und die beiden Mädchen sind doch auch völlig durch den Wind. Ich glaube, es ist besser, wenn nicht auch noch ein Fremder hier im Haus herumspukt. Es ist echt nett von dir, dass du mir eine Dach über dem Kopf angeboten hast, aber ich glaube ich sollte mich nach einer anderen Bleibe umsehen. Der Zeitpunkt hier einzuziehen ist echt ungünstig".




    "Hey, Stev, das ist doch Quatsch", widersprach Tristan ihm heftig. "Dieses Haus ist genauso meins, wie es das Zuhause von Oxana und den Mädchen ist. Und mich störst du kein bisschen. Ich bin sogar froh, dass ich jemanden um mich haben kann, der nicht bis zum Hals in Problemen steckt." Er legte seine Hände um Stevs Hüfte und zog ihn ein wenig zu sich heran. "Ich möchte, dass du hier bleibst, bei mir." Stev lächelte Tristan an und schlang seine Arme um Tristans Schultern. "OK, wenn du es möchtest, dann bleibe ich gerne hier."

  • Kapitel 112: Versprochen und niemals gebrochen




    Zwei Tage lang hatte Kinga ihr Zimmer nicht verlassen. Es war Wochenende gewesen, also ließ ich ihr allen Freiraum, den sie brauchte, um zu verarbeiten, dass Dominik nicht ihr leiblicher Vater war. Ich hatte schon befürchtet, dass sie auch am Montag nicht aus ihrem Zimmer kommen würde, doch Kinga stand morgens auf, zog ihre Schuluniform an und stieg gemeinsam mit Klaudia in den Schulbus. Als sie allerdings mittags wieder Heim kam, ging sie sofort in ihr Zimmer zurück und versuchte sich dort an ihren Hausaufgaben, ohne ein Wort mit jemandem zu wechseln. Doch so recht wollte es ihr nicht gelingen. Ihre Gedanken schweiften immer wieder zu ihrem Vater ab und ihr Schulheft füllte sich nur langsam.




    Am Abend klopfte es an ihrer Zimmertür. Entweder hatte sie keine Lust zu antworte, oder Kinga hatte das Klopfen tatsächlich nicht gehört. Aber da keiner antwortete öffnete Constance die Tür einen Spalt weit und lugte in das Zimmer ihrer Freundin. "Hallo, Ki! Deine kleine Schwester hat bei mir angerufen und mich gebeten, dich mal zu besuchen. Darf ich rein?" Kinga nickte müde.




    Constance setzte sich auf das Sofa neben Kinga. Ihre Freundin, die fast so etwas wie ihre Schwester war, immerhin waren die beiden Mädchen zusammen aufgewachsen, starrte immer noch teilnahmslos in den Raum. "Klaudia hat nicht viel erzählt, nur das es dir nicht gut gehen würde. Also Ki, was ist passiert?", hakte Constance besorgt nach. Kinga blickte sie traurig an. "Mein...mein Vater ist nicht mein leiblicher Vater", begann sie zögerlich und Constance klappte schon bei den ersten Worten der Kinnladen hinunter. Aber jetzt wo Kinga einmal zu erzählen begonnen hatte, war sie nicht mehr zu stoppen.




    Ich hatte mir meinen ganzen Schmerz und Kummer bereits bei Tristan von der Seele reden können, doch Kinga bot sich diese Gelegenheit erst jetzt. Als sie geendet hatte, schüttelte Constance nur fassungslos den Kopf. "Man oh man! Das ist doch echt nicht zu glauben. Heißt das etwa, du und Elvira Kappe seid Schwestern? Das wäre ja der totale Wahnsinn! Meinst du, Elvira weiß bereits davon?", überlegte sie laut. "Keine Ahnung", entgegnete Kinga, "und es ist mir auch ganz egal. Ich will überhaupt nicht, dass Elvira meine Schwester ist. Ich will das sie meine Freundin bleibt und nicht mehr. Und ich will, dass mein Papa wieder mein richtiger Papa ist. Ich hasse Mama dafür, dass sie mir das angetan hat. Sie hat mein ganzes Leben kaputt gemacht."




    Kinga liefen erneut die Tränen über die Wangen, also stand Constance auf und nahm ihre Freundin tröstend in den Arm. "Was deine Mutter gemacht hat, ist echt fies von ihr gewesen. Aber du darfst sie dafür doch nicht hassen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass deine Mutter absichtlich so etwas Hinterhältiges machen würde. Ich bin mir sicher, dass sie dich nie absichtlich verletzen würde. Hass ist echt ein böses Wort, Ki, und du solltest genau überlegen, ob du es so meinst. Meine Mutter hat mich als kleines Mädchen einfach zurückgelassen. Aber ich bin ihr deswegen nicht böse. Dadurch habe ich erst meinen Papa kennen gelernt und ich bin mir sicher, dass sie mich nie weg geben wollte. Und dein Papa ist ja immer noch da und...und du hast jetzt vier neue Geschwister. Darüber kannst du dich doch freuen."




    Constance Worte waren aufrichtig und lieb gemeint. Trotzdem stieß Kinga ihre Freundin wütend von sich. "Warum fällst du mir jetzt in den Rücken, Conny? Ich dachte du bist meine Freundin? An dieser ganzen Geschichte gibt es nichts Gutes. Gar nichts, hast du gehört!? Mein Papa ist weg und wird nicht mehr wieder kommen, weil meine Mutter eine miese Lügnerin ist. Und ich hab dir schon gesagt, Elvira und die drei anderen sind nicht meine Geschwister! Und ich will auch nichts von Albert wissen. Dominik ist mein Vater und sonst niemand und Mama ist schuld, dass er uns verlassen hat. Und dafür hasse ich sie. Und wenn du nicht zu mir hältst, dann kannst du auch gleich wieder verschwinden!"




    Doch Constance verschwand nicht. "Ich bin deine Freundin, Ki, und ich halte zu dir. Wir sind doch beste Freundinnen seitdem wir krabbeln können." Sie nahm Kingas Hände und hielt sie fest. "Ich verspreche dir, dass ich dir helfen werde. Und wenn du deine Mutter hassen willst, dann werde ich sie auch hassen. Freundinnen halten doch zusammen. Und vielleicht wird ja alles wieder gut? vielleicht kommt dein Papa wieder zu euch zurück? Und bis dahin bin ich für dich da." "Versprochen?", schniefte Kinga. "Versprochen und niemals gebrochen!"







    Ich hatte Tristan und Kinga hatte nun Constance um sich auszuweinen. Doch mein kleines Pummelchen hatte niemanden. Auch wenn es mir selbst nicht gut ging, wollte ich doch wenigstens für meinen kleinen Engel da sein. Doch als ich in ihr Zimmer kam, um ihr eine Gutenachtgeschichte vorzulesen, schlief sie schon tief und fest. „Schlaf gut mein kleiner Engel“, flüsterte ich, strich ihr über das Haar und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.




    Tristan hatte sich ja bereits vorgenommen, sich ein wenig um meine Jüngste zu kümmern. Und er setzte dies auch um, indem er ihr beispielsweise vorlas, wenn sie aus der Schule kam. Auch wenn Klaudia nur ungern ihre Nase in ein Buch steckte, so hatte lauschte sie doch gerne, wenn jemand anderes ihr eine Geschichte vorlas. Dominik hatte das oft übernommen, aber mein Pummelchen nahm auch Tristan als Ersatz an.




    Aber Klaudias Mutter war nun einmal ich und es lag in meiner Verantwortung dafür zu sorgen, dass es meiner Tochter gut ging. Und auch wenn sie es gerne hatte, wenn Tristan ihr vorlas, so mochte sie es doch viel lieber, wenn sie meinen Worten lauschen konnte. Ihr Vater ließ sich nach wie vor nicht blicken. Ich konnte es ihm nicht verübeln, doch Klaudia vermisste ihn sicherlich schrecklich. Und so klammerte sie sich noch viel mehr an mich. Aber es tat mir gut, von ihr gebraucht zu werden. So konnte ich wenigstens für den Moment vergessen, dass mein Mann mich verlassen hatte und meine andere Tochter mich dafür hasste.




    Aber eben doch nur für den Moment. War ich mal alleine und unbeobachtet, konnte ich meine Trauer nicht mehr verbergen. Ich wusste, dass alleine ich an dieser Situation schuld war, aber es änderte doch nichts daran, dass ich mir nichts sehnlicher wünschte, als mich wieder an Dominiks starke Schulter schmiegen zu können.




    Die Kinder fanden Ablenkung bei ihren Freunden und in der Schule. Auch ich hatte meine Arbeit auf der Farm, aber wenn ich alleine im Haus war, dann übermannte mich doch eine tiefe Traurigkeit. Dann wurde mir bewusst, wie einsam mein Leben ohne Dominik war. Er war nun schon seit einer Woche fort und hatte immer noch nichts von sich hören lassen. Ich hoffte natürlich noch immer, dass er sich bald melden würde, wenn nicht mir zuliebe, dann aufgrund der Kinder. Doch das Telefon blieb stumm und Dominik stand auch nicht plötzlich wieder vor der Tür. Ich musste mich damit abfinden, dass er seine Worte ernst meinte und wirklich ’fertig’ mit mir war. In den kitschigen Liebesromanen gab es so etwas nicht, und selbst wenn, dann endeten sie doch immer mit einem Happyend. Vielleicht ließ ich mich aus diesem Grund so sehr gehen und verbrachte ganze Vormittage damit, in den romantischen Geschichten zu schmökern.




    Dabei vergaß ich immer wieder, dass nun ein weiterer Mitbewohner in der Simlane lebte. Erschrocken verdeckte ich mein altes Tagebuch, als ich Schritte hinter mir hörte und Stev sich eine Nudelsuppe in der Mikrowelle warm machte. In der nächsten Sekunde kam ich mir sofort ziemlich dämlich vor, den diesen jungen Mann würde es sicher nicht interessieren, was für einen Blödsinn ich vor vielen Jahren in dieses Buch gekritzelt habe. Ich musste manchmal selber darüber schmunzeln, wie naiv meine Vorstellungen von Liebe und Familie damals gewesen waren. Und trotzdem wünschte ich mir, dass sie war geworden wären.




    Stev war ein recht umgänglicher Mitbewohner. Ich hatte zwar bis jetzt kaum ein Wort mit ihm gewechselt, aber er und Kinga verstanden sich ganz gut. Das freute mich, insbesondere für meine Tochter, denn sie konnte jetzt jeden Freund gebrauchen. Meine Älteste wartete mindestens genau so ungeduldig, wie ich, dass ihr Vater sich bei ihr meldete.




    Ansonsten langweilte Stev sich etwas bei uns. Wie gesagt, vormittags war außer mir niemand im Haus und ich war zu sehr mit mir selbst beschäftigt, um auf meinen Mitbewohner einzugehen. Einen Job hatte Stev bis jetzt auch noch nicht gefunden. Das Jobangebot für angehende Biotechnologen war nicht gerade überwältigend in der Sierra Simlone. Also vertrieb er sich die Zeit vor dem Computer und kramte ein Spiel hervor, dass Kinga sich vor etliche Jahren so sehnlich gewünscht hatte.




    Oder aber, er saß vor dem Fernseher. Nur war das Fernsehprogramm am Vormittag nicht gerade unterhaltsam und die Sendung über Gartenarchitektur für ihn eher einschläfernd.




    Aber es gab ja auch noch Goya. Ich glaube, mein Hund hatte schon lange nicht mehr so viel Aufmerksamkeit genossen, wie seit dem Einzug von Stev. Es schien, als ob weder er, noch Goya es müde wurden, herumzutoben oder Stöckchenwerfen zu spielen.

  • Kapitel 113: Wiedersehen




    Es dauerte fast zwei Wochen bis das eintrat, was Kinga und Klaudia sich so sehnsüchtig erträumt hatten und was ich gar nicht mehr zu hoffen wagte. Dominik stand eines Nachmittags einfach so vor der Veranda. Klaudia war die erste, die ihn durch das Fenster des Arbeitszimmers entdeckte "Papi ist da! Papi ist da!", rief sie aufgeregt, lief hinaus und fiel Dominik sofort um den Hals. Kinga konnte es kaum glauben, als sie ihre Schwester schreien hörte, aber sofort lief sie auf die Veranda und wurde nicht enttäuscht.




    Nur zu gerne wäre auch Kinga ihrem Vater um den Hals gefallen, doch sie konnte sich noch zu gut an seine verletzenden Worte erinnern, als sie sich das letzte Mal gesehen hatten. So sehr dieser Gedanke auf wehtat, aber vielleicht wollte Dominik nichts mehr mit ihr zu tun haben? "Wir haben dich vermisst, Papi", plapperte Klaudia sofort drauf los. "Kinga, Mami und ich. Ganz doll sogar. Aber Mami ist gerade nicht zu Hause." Dominik löste sich aus Klaudias Umarmung. "Ich weiß, Pummelchen. Ich habe euch doch auch, vermisst, deine Schwester und dich." Mich ließ er unerwähnt, doch das entging Klaudia. "Und ich weiß auch, dass deine Mama nicht hier ist. Ich habe extra gewartet, bis sie fort ist."




    "Hat...hat eure Mutter mit euch über alles geredet?", fragte er vorsichtig, mehr an Kinga, als an Klaudia gewand. Doch es war Klaudia, die antwortete. "Ja, Mami hat mir erklärt, was los ist. Mir ist es egal, ob du mich in Mamis Bauch gelegt hast. Du bist mein Papa, Papi. Und du hast mich genauso lieb, wie ich dich habe." Klaudia wirkte vollkommen ernst und überzeugt, von dem was sie sagte. "Stimmt das, Papi?", fragte Kinga mit weinerlicher Stimme. "Ist es wirklich egal, wer mein wirklicher Vater ist? Liebst du mich trotzdem immer noch?"




    "Natürlich liebe ich dich immer noch, Prinzessin. Wie konntest du nur etwas anderes glauben?" Dominik legte seinen Arm um Kinga und drückte sie an seine Brust. "Du bist einfach abgehauen", schluchzte diese. "Und du hast die nicht mehr bei Klaudia und mir gemeldet. Ich dachte, du hättest uns vergessen." "Es tut mir leid, Prinzessin", tröstete Dominik seine Tochter. "Ich musste einfach eine Weile für mich sein und über alles nachdenken. Aber glaube mir, Prinzessin, mir ist sofort klar geworden, dass deine Schwester und du das Wichtigste in meinem Leben sind. Das ich so lange weg war, hatte nichts mit euch zu tun. Ich musste nur einen klaren Kopf bekommen und entscheiden, wie es mit eurer Mutter und mir weiter gehen soll."




    "Aber ihr zwei müsst euch darüber keinen Kopf machen. Kommt, lass uns rein gehen und gemeinsam etwas unternehmen." Kinga wischte sich sofort ihre Tränen aus dem Gesicht und ging mit Dominik und ihrer Schwester ins Haus. Dort machten die drei es sich auf dem Sofa bequem. Kinga schaltete die Konsole an und war froh, dass ihr Vater sie immer noch liebte, ganz egal, ob sie seine leibliche Tochter war, oder nicht. Und Klaudia schmiegte sich zufrieden ganz eng an ihren Papa und genoss es, wieder von ihm geknuddelt zu werden. Es war fast so, als ob sich nichts verändert hätte.




    Doch es hatte sich viel verändert. Das ahnte Klaudia mehr, als das sie es wusste, Kinga war sich dessen aber vollkommen bewusst. Und offensichtlich wurde es für alle, als Dominik sich am frühen Abend von seinen beiden Töchtern verabschiedete. Er verabschiedete sich von seinem Pummelchen bereits im Haus. Kinga begleitete ihn noch mit auf die Veranda. "Und du kannst wirklich nicht hier bleiben?", flehte sie ihn an. Dominik schüttelte traurig den Kopf. "Ich kann deiner Mutter noch nicht gegenüber treten. Was sie getan hat...wenn ich sie jetzt sehe kann ich für nichts garantieren und ich möchte nicht, dass deine Schwester und du das mitbekommen. Ich kann es mir ohnehin kaum verzeihen, dass du mit anhören musstest, wie ich deine Mutter angeschrien habe." "Sie hat es aber auch verdien!", warf Kinga ein und Dominik widersprach ihr nicht.




    "Ich rufe Klaudia und dich ganz sicher an", versprach er Kinga. "Jeden Tag, wenn ihr es wollt. Und ihr könnt mich auch anrufen. Ich wohne im Moment bei Onkel Dennis. Und Kopf hoch, Prinzessin", Dominik stupste mit seiner Nase die von Kinga an. "Ich bin vielleicht nicht mehr jeden Tag bei euch, aber ich trage euch immer in meinem Herzen." Dominik war schon die vier Stufen der Veranda hinunter gestiegen, als er sich noch einmal zu Kinga umdrehte. "Erzähl deiner Mutter ruhig, dass ich hier war. Und sag ihr, dass ich sie anrufen werde, wenn ich soweit bin. Ich weiß aber nicht, wie lange das noch dauern wird." Kinga nickte stumm und beobachtete anschließend, wie ihr Vater in das Auto ihres Onkels stieg und davon fuhr. Und in diesem Moment beschloss sie, dass sie sich wohl niemals daran gewöhnen würde, ihn davonfahren zu sehen.







    Kurz darauf kehrte ich von den Rinderweiden zurück. Kinga übermittelte mir kurz Dominiks Nachricht und ließ mich dann verdutzt stehen. Es waren die ersten Worte, die sie seit Tagen zu mir sprach und sie sollten die vorerst letzten bleiben. Ich stellte mich unter die Dusche und wusch den Dreck und Staub der Farmarbeit ab. Ich hätte glücklich sein müssen. Glücklich, dass meine Lüge die Beziehung zwischen Dominik und seinen Töchtern nicht zerstört hatte. Doch die Freude wollte nicht so recht in mir aufkeimen. Denn auch wenn Dominik seine Töchter unverändert liebte, so wurde doch immer deutlicher, dass das mich nicht mehr mit einschloss. Und diese Einsicht war schwer zu ertragen.




    Wie schwer es wirklich für mich war, bekam ausgerechnet Stev kurz darauf zu spüren. Er hatte eigentlich nichts weiter gemacht, als sich im selben Raum mit mir zu befinden, als ich meinen Liebesroman nicht wieder finden konnte. An sich wäre es nicht weiter schlimm gewesen, doch es frustriere mich, dass Dominik nicht einmal mit mir sprechen wollte. Und all diesen Frust ließ ich an Stev ab, der gar nicht so recht wusste, wie ihm geschah.




    "Nimm es nicht so tragisch", beruhigte Tristan unseren neuen Mitbewohner. "Oxana hat es sicher nicht böse gemeint. Sie steht zurzeit nur sehr unter Strom." Liebvoll streichelte er Stevs Wange und dieser hatte den Vorfall aus dem Wohnzimmer fast wieder vergessen. Fast zwei Wochen kannte Tristan diesen jungen Mann und noch immer hatte er es nicht geschafft, mit ihm zu schlafen. Eine paar Küsse, etwas Streicheln, doch dabei war es auch immer geblieben. Aber jetzt sah Tristan seine Chance gekommen. Vielleicht war es nicht nett, Stevs Verwirrung über meinen Wutausbruch auszunutzen, doch Tristan wollte nicht mehr länger warten. Tristan griff einfach nach Stevs T-Shirt und zog es hoch. Zwar zeigte sich ein verunsicherter Ausdruck aufs Stevs Gesicht, aber er hob seine Arme und ließ sich das Kleidungsstück komplett ausziehen. Tristan zog auch sein T-Shirt aus und setze diese Aktion bei seiner Hose fort. Als er sah, dass Stev zögerte, öffnete er einfach selbst dessen Knopfhose und zog die Jeans bis zu Stevs Knöcheln hinunter. Es ließ sich nicht vermeiden, dass er dabei Stevs wachsende Erregung mitverfolgen konnte.




    Tristan begann ihn zu küssen und die Leidenschaft, mit der Stev seine Küsse erwiderte, war ein deutliches Zeichen für ihn, dass er die Gelegenheit beim Schopfe packen musste. Also überlegte er nicht lange und zog Stev zu sich ins Bett. Dort angekommen schmusten beide heftig herum und Tristan schickte seine Hände auf Wanderschaft. Er streichelte Stevs nackte Brust, seinen Bauch und gelangte schließlich auf zu seinem Lendenbereich. Doch anstatt sich damit zufrieden zu geben, seine Finger über den Stoff von Stevs Trunks gleiten zu lassen und nur zu erahnen, was sich darunter befand, griff er diesmal beherzt zu.




    Augenblicklich erstarrte Stev und sah Tristan mit großen Augen an. Doch der sah darin keinen Anlass, seine Hand zurück zu ziehen. "Ich will mit dir schlafen, Stev", flüsterte er stattdessen. "Jetzt, hier und heute." Stev atmete schwer, unfähig etwas zu erwidern. "Du...du hast doch schon...?", fragte Tristan plötzlich sichtlich verunsichert, doch Stev beruhigte ihn sogleich. "Ja. Es ist nur schon eine Weile her und...und ich bin einfach unsicher, das ist alles."




    "Das brauchst du nicht", versicherte Tristan und drückte Stev mit seinem Körpergewicht auf das Bett hinunter. "Lass dich einfach fallen und genieß es." Das tat Stev dann auch. Er schaltete all die Gedanken ab, die ihn davon abhalten würde, jetzt mit diesem Mann zu schlafen. Er vergaß den Altersunterschied, die Tatsache, dass die beiden sich erste wenige Tage kannten. Er lebte nur einmal und wenn er jede Situation nur aus dem Blickwinkel der Vernunft betrachtete, dann entging ihm so manch schönes Erlebnis.




    Am Ende war er glücklich, sich einfach fallen gelassen zu haben. Seelenruhig döste er in Tristans Arm und genoss es, den warmen Köper dieses Mannes neben sich zu spüren. Auch Tristan hatte es genossen und er war begierig darauf, es auszukosten, dass dieser junge Mann noch eine Weile das Bett mit ihm teilen würde. Aber noch während er Stev in seinem Arm hielt, schweiften seine Gedanken zu Frank ab. Was er wohl gerade tat? Ob er auch gerade einen anderen Mann an seiner Seite hatte? Tristan hatte Lust, seinem Freund von Stev zu erzählen, ihm jede Einzelheit seines Körpers zu beschreiben und ihm von ihrem Liebesspiel zu erzählen. Vielleicht sollte er Frank hinzubitten, damit sein Freund auch einmal in den Genuss seines Strandfundes kam?







    Am nächsten Morgen kam Tristan ins Arbeitszimmer, als ich am PC saß und ich nutzt gleich die Gelegenheit mich, wenn schon nicht bei Stev direkt, wenigsten bei Tristan für meinen Wutausbruch zu entschuldigen. "Also, sag ihm, dass es mir wirklich Leid tut. Aber wenn ich die Geräusche aus deinem Schlafzimmer richtig deute, dann hast du schon deine eigene Art gefunden, ihn zu trösten." Tristan grinste schelmisch. "Ja, wir hatten unseren Spaß." "Ich will mich ja nicht einmischen, Tristan", erwiderte ich, "aber ist Stev bewusst, dass das ganze nur Spaß für dich ist?" Als ich Tristans entnervtes Stöhnen hört, schallte ich schnell den PC aus und stand auf, um möglichen Ärger zu entkommen. Doch Tristans Kommentar entkam ich nicht. "Was geht es dich an, was ich mit Stev oder anderen Männern treibe? Zu deiner Affäre mit Albert habe ich auch nichts gesagt und dasselbe erwarte ich jetzt von dir." Das war ein Argument, dem ich nichts entgegensetzen konnte. Und so behielt ich meine weiteren Vorbehalte für mich.

  • Kapitel 114: Verzeihen




    Wäre es nach mir gegangen, ich hätte mich noch wochenlang in der Simlane verkriechen können. Doch zum Glück hatte ich Freunde, die dies nicht zuließen. In einer Kleinstadt wie Sierra Simlone Stadt verbreiteten sich Trennungsgerüchte wie ein Lauffeuer und innerhalb kürzester Zeit, wusste der halbe Ort bescheid. Brandi war eine der Ersten, die versuchte mich aus meiner Höhle hervor zu locken. Und nach einiger Überzeugungsarbeit gelang es ihr, mich zu einem Frisörbesuch zu überreden. Das war zwar nicht ihr erster Vorschlag gewesen, aber nach Party oder Cocktailbar war mir im Moment nicht zumute.




    Zum Frisör hätte ich eh bald wieder gemusst und Begleitung tat mir eigentlich ganz gut. "Und Dominik hat nicht versucht, noch einmal mit dir zu sprechen", fragte Brandi, die in einer Zeitschrift blätterte, während die rothaarige Friseurin damit beschäftigt war, meine Frisur wieder in Form zu bringen. "Er hat nur mit den Kindern gesprochen", gestand ich traurig. "Aber wenigstens lässt er meinen Fehler nicht an den Mädchen aus." "Trotzdem hätte er noch einmal mit dir sprechen sollen. Ihr seid jetzt seit fast 8 Jahren verheiratet und noch viel länger zusammen. So etwas wirft man doch nicht einfach Weg, ohne zu versuchen, ob sich da noch etwas machen lässt. Ich hätte nicht gedacht, dass Dominik dich so leicht aufgibt. Insbesondere wenn man bedenkt, wie sehr er sich damals um dich bemüht hat."




    Natürlich wünschet ich mir, dass Dominik mir wenigstens noch eine Chance gab, mich bei ihm zu entschuldigen. Vielleicht würde er mich sogar verstehen. Und wenn es nur ein ganz kleines Bisschen wäre. "Tut mir leid, wenn ich mich einmische", unterbrach uns plötzlich die Friseurin. "Ich wollte nicht lauschen, aber es war unmöglich bei ihrem Gespräch nicht zuzuhören. Ich...ich kenne Dominik. Er hat gelegentlich auch mich und meine kleine Schwester aufgepasst, als wir noch Kinder waren. Damals habe ich mitbekommen, wie enttäuscht er war, als ihn seine damalige Freundin betrogen hatte. Und in ihrem Fall ist es ja noch um einiges schlimmer...zumindest erzählen die Leute so einiges." Ich sah die Friseurin entsetzt an. Man tratschte als wirklich im ganzen Ort über mich. Ich hatte es zwar geahnt, aber jetzt hatte ich auch die Bestätigung. "Was ich damit sagen wollte", fuhr sie fort, „ich würde mir nicht zu viel Hoffnungen machen, dass er ihnen noch einmal verzeiht." Brandi funkelte die Friseurin böse an. "Niemand hat sie nach ihrer Meinung gefragt. Also hopp, hopp machen sie sich ans Haare schneiden und behalten sie ihre altklugen Ratschlage für sich."




    Die Friseurin nickte höflich und machte sich dann wieder daran, meine Spitzen zu schneiden. Trotzdem machten mich ihre Worte nachdenklich. Ich betrachtete nur beiläufig das Ergebnis im Spiegel und stand gedankenverloren auf. Dabei wäre ich fast in Gerda gerannt. "Hallo Gerda", begrüßte ich sie zögerlich. Ich hatte meine Freundin nicht mehr gesprochen, seitdem sie bei mir war und die volle Wahrheit über mich und Albert erfahren hatte. "Hallo Oxana", grüßte sie kühl zurück. Wir standen uns gegenüber und keine wusste so recht, was sie als nächstes sagen sollte, bis Gerda schließlich einen Anfang machte: "Wollen wir vielleicht einen Kaffee zusammen trinken? Ich habe zwar einen Termin, aber den kann ich auch verschieben. Wir haben uns viel zu sagen, Oxana."




    Ich entschuldigte mich bei Brandi. Aber Rolands Frau verstand genau, wie wichtig mir eine Aussprache mit Gerda war. Aus diesem Grund schloss sie sich uns auch nicht an, wie ich es aus Höflichkeit vorgeschlagen hatte. Wir sollten unter uns sein, damit wir offen miteinander reden konnten. Im alten Café im Dorfzentrum suchten wir uns einen Tisch und bestellten zwei Kaffee. Immer noch herrschte dieses beklemmende Schweigen zwischen uns und ich traute mich kaum, Gerda direkt anzublicken. Und auch sie schlürfte zunächst nur gedankenverloren an ihrem Kaffee.




    Aber ich hatte sie hintergangen und deshalb lag es an mir, den ersten Schritt zu wagen. Immerhin war Gerda schon von sich aus auf mich zugekommen. Mehr konnte ich nicht erwarten. Ich schloss meine Augen und atmete tief durch, bevor ich zu meiner Entschuldigung ansetzte: "Gerda, ich wünschte, ich hätte dir nach Alberts Tod die ganze Wahrheit erzählt. Wenn ich die Zeit zurück drehen könnte, hätte ich es getan. Aber ich kann nicht mehr rückgängig machen, was passiert ist. Ich hoffe, du wirst mir irgendwann verzeihen können."




    "Ich habe dir doch schon längst verziehen, Oxana", entgegnete Gerda. "Glaubst du ich säße hier mit dir an einem Tisch, wenn es nicht so wäre? Ich gebe es zu, dass ich geschockt war, als ich erfuhr, dass Kinga Alberts Tochter ist. Als sie gezeugt wurde, habe ich noch um meine Ehe gekämpft und es tat weh zu erfahren, dass sie Albert schon damals nicht mehr viel bedeutet haben musste. Aber ich gebe nicht dir die Schuld, Oxana. Albert war der verheiratete Mann und ist fremdgegangen. Und er hat dich in eine Situation gebracht, in der du dich in die Ecke gedrängt fühltest und keinen anderen Ausweg sahst, als zu Lügen um es zu überstehen. Und ich rechne dir sehr hoch an, dass du damals bereitwillig auf eine mögliche Zukunft mit meinem Mann verzichtet hast, mir und den Kindern zuliebe." Betrübt schaute ich auf den Tisch. Nein, es war nicht alles Alberts Schuld. Ich hatte es zugelassen, dass wir uns näher kamen und deshalb war ich mindestens genau so schuld an allem wie er.




    Scheinbar konnte Gerda meine Gedanken lesen. "Wir hatten alle Schuld, Oxana. Das wollte ich damit sagen. Albert hatte Schuld, ich hatte Schuld und du hattest Schuld. Also verurteile nicht ausschließlich dich selbst für das, was passiert ist. Du hast eine, nein zwei wunderbare Töchter. Und wenn Albert ihr Vater ist, dann solltest du dankbar sein, dass er sie dir geschenkt hat. Sie sind zwei wundervolle Kinder und wir sollten alle froh sein, dass sie auf der Welt sind. Albert ist nun schon seit 8 Jahren tot. Ich will nicht mehr böse auf ihn sein. Und auch auf dich und die Mädchen will ich nicht böse sein. Meine Kinder haben mindestens eine Schwester dazu gewonnen. Darüber sollten wir alle glücklich sein. Ich weiß, die Leute werden hinter meinem Rücken über mich lachen. Und über die werden sie gnadenlos herziehen. Und allein aus diesem Grund sollten wir beide zusammen halten, Oxana."




    "Meinst du das wirklich ernst, Gerda?", fragte ich sichtlich gerührt. "Nach allem was ich dir angetan habe, willst du mir noch einmal verzeihen? Ich möchte dich auf keinen Fall als Freundin verlieren." Gerda lächelte mich mitfühlend an. "Das möchte ich doch auch nicht, Oxana. Ich brauche deine Unterstützung, um die nächsten Wochen und Monate zu überstehen." "Ich werde dir helfen, wo immer ich kann, Gerda", erwiderte ich überschwänglich. "Und ich verspreche dir, dass ich dich nie wieder anlügen werde."







    Ich dankte Gott für eine solche Freundin. Ich hatte es schon kaum geglaubt, als Gerda mir vor vielen Jahren das Verhältnis mit Albert verziehen hatte. Sie hatte mir damals nicht nur verziehen, sondern war bereit gewesen, Albert für mich aufzugeben. Und jetzt verzieh sie mir auch, dass ich ein oder möglicherweise sogar zwei Kinder von ihm hatte. Und was das anging, brauchte ich endlich Gewissheit. Ich musste wissen, ob Klaudia die Tochter von Albert oder Dominik war. "Das Ergebnis wir in etwa drei Tagen vorliegen", teilte Landschwester Chlora Mpenikohl mir mit, als ich sie in ihrer Praxis aufsuchte. "Ich werde die Haarproben von Klaudia und ihrem Mann umgehend ins Labor nach SimVegas schicken, dann haben sie Sicherheit."




    Ich wollte das Ergebnis wissen, ich musste es einfach, und trotzdem hatte ich Angst davor. Mir wurde schlagartig klar, dass Klaudia das letzte Band war, das Dominik und mich noch verband. Wenn sie nun aber auch Alberts Tochter wäre, dann gebe es keinen Grund für ihn, sich noch weiter mit mir auseinander zu setzen. Ich sand ein Stoßgebet zum Himmel. Unser Vater im Himmel wusste schon, was er tat, trotzdem war es manchmal schwer, auf seinen großen Plan zu vertrauen.

  • Kapitel 115: Neue Ziele




    Das Warten auf das Testergebnis erschien mir wie eine halbe Ewigkeit. Ich versuchte mich mit meinen Romanen abzulenken, doch das gelang mir nur teilweise. Immer wieder ertappte ich mich dabei, wie ich zwar die Worte auf den Seiten las, aber mit den Gedanken doch ganz wo anders war. Stev war mir leider auch keine große Ablenkung. Wir lebten zwar ganz gut zusammen, aber wir sprachen selten miteinander. Selbst, wenn wir, wie jetzt, im selben Raum waren, war ich in mein Buch und er in seine Malerei vertieft.




    Dabei war er mir keineswegs gleichgültig, ganz im Gegenteil. Ich machte mir Sorgen um ihn, denn ich sah, wie er Tristan von Tag zu Tag verliebter ansah. Er war wirklich glücklich, aber nur, weil er nicht wusste, dass er für Tristan nur ein Abenteuer war. Ein Abenteuer, das dieser durchaus genoss, das aber nichts mit wahren Gefühlen oder gar Liebe zu tun hatte.




    Und ich wollte nicht mit ansehen, wie Stev verletzt wurde. Wenn Liebe nur einseitig erfolgte, dann wurde am Ende immer jemand verletzt. Wegen mir hatte Dominik das am eigenen Leib zu spüren bekommen und ich wollte verhindern, dass es Stev wie meinem Ehemann erging. Daher nahm ich in an einem Vormittag zur Seite, um ihn über Tristan aufzuklären. "Tristan hat einen festen Freund, Stev. Und er hat nicht vor Frank zu verlassen. Die beiden sind schon seit einer Ewigkeit zusammen und wenn ich Tristan richtig verstanden habe, dann suchen sich die beiden öfter einmal kurzzeitig andere Partner. Wenn das für die beiden in Ordnung ist, dann will ich mich da gar nicht einmischen, aber ich finde, dass du das Recht hast zu erfahren, woran du bist."




    Genau diesen Ausdruck in Stevs Augen hatte ich vermeiden wollen. Doch scheinbar war es dafür bereits zu spät. Stev sah mich traurig an und wusste gar nicht, was er erwidern sollte. Er glaubt mir, dass konnte ich auf Anhieb erkennen. "Danke, dass du es mir gesagt hast", sagte er schließlich betroffen. "Das...das habe ich tatsächlich nicht gewusst. Aber na ja, so schlimm ist das gar nicht. Ich komme schon irgendwie klar." Natürlich würde er klar kommen, denn schließlich mussten wir das alle. Aber so gleichgültig, wie er vorzugeben versuchte war Stev Tristans Betrug doch nicht.




    Das erkannt ich alleine daran, dass er anschließend begann, das Haus gründlich zu putzen. "Es ist halt schmutzig und ich will auch meinen Anteil zur Hausarbeit beitragen", redete er sich heraus, als ich ihn darauf ansprach, aber ich erkannte, dass er nur über seinen Schmerz hinweg täuschen wollte. Und aus eigener Erfahrung wusste ich nur zu gut, dass man beim Putzen die Welt um sich herum vergessen konnte. Wenn doch die eigenen Probleme nur so leicht verschwinden würden, wie die Kalkflecken im Waschbecken.




    Stev sprach anschließend noch seltener mit mir. Ich hatte nicht das Gefühl, dass er mir böse war, weil ich ihn die Wahrheit gesagt hatte, aber er vermied es einfach, mir zu begegnen. Vielleicht hatte er keine Lust darauf, noch einmal mit mir über seine Beziehung zu Tristan zu sprechen. Stattdessen verbrachte er viel Zeit mit Kinga. Meine Tochter sprach immer noch nicht mit mir, dafür aber um so mehr mit unserem neuen Mitbewohner. Wenn die beiden sich erst einmal an den Schachtisch setzten, waren sie kaum noch davon los zu bekommen.




    Wie gesagt, kaum davon los zu kommen. Denn Tristan wirkte auf Stev immer noch eine starke Anziehung aus. Wenn ich alleine mit Stev war, dann sah ich, dass er sich Gedanken machte und dass er nicht so zufrieden war, wie es manchmal schien. Aber wenn Tristan in der Nähe war, dann ließ er sich nicht anmerken, dass er etwas von Frank ahnte. Schmunzelnd beobachtete Kinga, wie Tristan ihren Schachgegner von seinem Stuhl riss und ihn dann wild abknutschte. So wild, dass selbst Kinga weg schaute, da sie das Gefühl hatte, dass die beiden lieber alleine wären.




    Die beiden verzogen sich auch anschließend in ihr Schlafzimmer. Und auch dort ließ Stev sich nichts anmerken. Er genoss es einfach, von Tristan liebkost zu werden und anschließend mit ihm zu schlafen. Vielleicht hatte ich mich ja auch geirrt? Vielleicht war Stev gar nicht in Tristan verliebt und wollte genau das gleich wie mein Mitbewohner: Ein Abenteuer ohne Verpflichtungen?




    Doch dem war nicht so. Auch wenn Stev sich die letzten Tage Tristan gegenüber so verhalten hatte, als ob nichts passiert wäre, hatte er sich Gedanken gemacht. Und er war zu dem Schluss gekommen, dass er mehr wollte, mehr brauchte, als bloß Sex. An diesem Abend regnete es in der Sierra Simlone und Tristan und Stev saßen auf der Bank vor dem Haus und genossen die Abkühlung, die die Regentropfen mit sich brachten, wenn sie auf die beiden niederprasselten. "Ich werde ausziehen, Tristan", verkündet Stev überraschend und es schien, als ob er eher mit der Nachtluft als mit Tristan reden würde.




    "Du willst was?", fragte Tristan überrumpelt. "Warum? ich habe dir doch angeboten, dass du so lange bleiben kannst, wie du willst." Und ich wäre gerne geblieben, dachte Stev, aber nur wenn du in mir mehr sehn würdest, als ein Abenteuer, als eine Abwechslung von der Routine. Doch Stev sprach diesen Gedanken nicht aus. Stattdessen lächelte er. "Wir wussten doch beide, dass es nur vorübergehend ist", erwiderte er. "Ich kann dir und Oxana nicht weiter zur Last fallen. Ich habe mich in den letzten Tagen nach einem Job umgesehen und auch was Brauchbares gefunden. Nächste Woche geht es los. Ich kann jetzt selber für mich sorgen und ich habe auch schon eine nette WG ausfindig gemacht. Also mach dir um mich keine Sorgen, Tristan."




    "Wie es aussieht, hast du dir das gründlich überlegt, Stev", entgegnete Tristan. "Dabei hätte ich dich gerne noch eine Weile bei mir gehabt." Er legte seinen Arm um Stev und zog ihn zu sich heran. Es fiel Stev schwer, Tristan so nah zu sein, seine Wärme zu spüren und seinen vertrauten Duft einzuatmen, ohne schwach zu werden und all seine Vorsätze über Bord zu werfen. Doch wenn er es nicht täte, würde er früher oder später enttäuscht werden. Also war es das Beste, die Sache hier und jetzt zu beenden. "Wir hatten unseren Spaß", sagte Stev und streichelte dabei Tristans Hand. "Du wolltest mich und ich wollte dich. Wir haben bekommen, was wir wollten und jetzt ist es Zeit, sich neuen Zielen zuzuwenden."




    „Ich bin froh, dass ich dich an der Playa de Seda Azul getroffen habe", flüsterte Tristan. "Und du weißt ja jetzt, wo ich wohne. Wenn du als mal Lust auf eine kleine Wiederholung hast, scheu dich nicht vorbei zu kommen. Und das biete ich nicht jedem an, als du darfst dich ruhig geschmeichelt fühlen." Tristan grinste breit. Anstatt zu antworten schmiegte Stev sich einfach an seinen rothaarigen Liebhaber und küsste ihn. "Ich bin ja nicht sofort weg", hauchte er leise, "und die letzten zwei, drei Tage wollte ich nicht ungenutzt verstreichen lassen."




    Tristan löste sich von Stev und verschwand grinsend im Haus. Der junge Braunschopf hatte vollkommen Recht, die letzten gemeinsamen Tage sollten die beiden noch auskosten und für heute Nacht hatte er sich schon etwas schönes überlegt. Schlagsahne und Zitronenscheiben sollten dabei eine zentrale Rolle spielen. Stev blieb auf der Bank sitzen und beobachtet, wie Tristan die Treppe zur Veranda hochstieg. So glücklich und ausgelassen, wie er gerade getan hatte, war er nicht im Geringsten. Um ehrlich zu sein, war ihm eher zum Heulen zumute. Aber er wollte Tristan gegenüber nicht eingestehen, dass dieser ihn bereits zutiefst verletzt hatte. Stattdessen gab er lieber vor, dass er selber nie mehr gewollte hatte, als sein Liebhaber. Indem er so tat, als ob es ihm gleichgültig wäre, gab er dem anderen keine Macht über sich. Doch dadurch nahm er sich auch jede Chance, um das zu Kämpfen, was er wollte. Wer weiß, wenn er Tristan seine Gefühle offen dargelegt hätte, vielleicht wäre aus diesem Abenteuer doch noch Liebe geworden? Doch seine Entscheidung war längst gefallen und sein Auszug beschlossene Sache.

  • Kapitel 116: Entscheidung




    Am Morgen nach dem Regenschauer, ging ich nervös zum Briefkasten. Drei Tage waren vergangen, seitdem ich bei der Landschwester gewesen war. Mit Herzklopfen öffnete ich den Briefkasten und holte die Post hervor. Und sofort sprang mir der Umschlag mit der Aufschrift "Medizinisch-gentechnisches Labor SimVegas" entgegen. Zitternd hielt ich das Kuvert in meiner Hand. So viel hing von diesem einen kleinen Brief ab. Doch ich brauchte Gewissheit. Für mich, für Klaudia....für Dominik. Also atmete ich tief durch und riss den Umschlag auf.




    Ich hatte kaum Zeit, das Testergebnis zu lesen, als ich auch schon das Telefon läuten hörte. Eilig lief ich ins Haus, legte die Briefe zur Seite und hob den Hörer ab. "Hier bei Blech, Linse und Füller. Oxana Blech am Apparat", meldete ich mich. "Oxana, hier ist Dominik", sprach eine raue, mir nur allzu gut bekannte Männerstimme auf der anderen Seite der Leitung. Mir stockte der Atem. Zum ersten Mal seit fast vier Wochen hörte ich Dominiks Stimme und es trieb mir fast die Tränen in die Augen. "Wir müssen und unterhalten", fuhr er fort. "Wir müssen besprechen, wie es weiter gehen soll. Ich habe für heute Abend einen Tisch im Restaurant bestellt. Ich warte dann um 18 Uhr dort auf dich, Brodlowska. Bis dann." Er legte auf, ohne eine Antwort von mir abzuwarten, aber es war ohnehin klar, dass ich zu diesem Treffen kommen würde.




    Er hatte kühl und zurückhaltend am Telefon geklungen, aber das war nur verständlich. Wichtig war nur, dass er mich angerufen hatte und mich sehen wollte. Und er hatte mich Brodlowska genannt. Und auch wenn mein Kosename über das Telefon wenig gefühlvoll geklungen hatte, so war dies immer noch besser als das bitter, kalte "Oxana" mit dem er mich bei unserem Streit vor einem Monat bezeichnet hatte. Ich erzählt niemanden davon, dass Dominik mich sehen wollte, weder Tristan, und schon gar nicht den Kindern. Ich wollte keine falschen Hoffnungen wecken, auch wenn ich selber furchtbar aufgeregt war. Stundenlang stand ich vor dem Spiegel und probieret ein Kleid nach dem anderen und änderte mehrmals mein Make-up. Ich wollte gut aussehen für meinen Mann. Das war das mindeste, was ich für ihn tun konnte.







    Auch als ich das Haus verließ, achtete ich darauf, von niemandem gesehen zu werden. Es war nicht weit bis zum Restaurant, als konnte ich getroste zu Fuß gehen. Doch schnell bereute ich diese Entscheidung, denn mit jedem Schritt, mit dem ich mich meinem Ziel nährte, wurde es schwerer weiter zu gehen. Ich bekam plötzlich unglaublich Angst, Dominik gegenüber zu treten. Doch ich ging weiter und schon aus der Ferne erkannte ich meinen Ehemann, der im Schatten des Sonnendaches des Restaurants auf mich wartete. Ich atmete tief durch und stieg die wenigen Stufen hoch. Dabei sah ich Dominik vorsichtig an. Doch sein Gesicht war regungslos und ich konnte daraus nicht ableiten, wie es um uns stand. Und dann überraschte er mich mit einem Kompliment: "Du siehst toll aus, Brodlowska". Es verschlug mir die Sprache und ich stammelte zunächst nur vor mich hin, bis ich ihm erwidern konnte: "Danke, Dominik. Du siehst auch gut aus".




    Dominik grinste leicht und auf einmal spürte ich die alte Nähe und Vertrautheit zwischen uns. Doch ich wagte es nicht, ihn jetzt zu berühren oder nach seiner Hand zu greifen. Auch wenn ich mir in diesem Moment nichts sehnlicher wünschte, ich hatte einfach nicht das Recht dazu. Dominik musste entscheiden, ob und wann er bereit dazu war, mir zu vergeben. Und mit einer unbedachten Berührung hätte ich alles kaputt machen können. "Lass uns hinein gehen", forderte Dominik mich auf. "Unser Tisch ist bereits frei."




    Die Empfangsdame führte uns zu unserem Tisch. Ich überließ Dominik die Entscheidung, was wir bestellen sollten. Wir waren nun schon seit fünfzehn Jahren zusammen. Inzwischen kannte er meine Angewohnheiten. Und trotzdem war es so ungewohnt mit ihm an einem Tisch zu sitzen. Wir waren uns so nah und doch so unendlich fern, als ob eine unüberwindliche Mauer aus Glas zwischen uns beiden errichtet worden wäre. Ich bemerkte, dass meine Kehle vollkommen ausgetrocknet war und entdeckte mit Erleichterung eine Karaffe mit frischem Wasser, aus der ich mich bediente.




    Die Bestellung des Essens gab mir noch einige Minuten Aufschub, doch dann waren wir nur noch zu zweit, Dominik und ich. Wir sahen uns an und wussten beide, dass es so viel zu klären gab, nur wusste keiner von uns, wie wir beginnen sollten. Schließlich war ich es, die tief durchatmete, ihre Lippen anfeuchtete und zu sprechen begann: "Dominik, es tut mir so leid. Ich...ich weiß, dass ich mich nicht bei dir entschuldigen kann, aber ich möchte, dass du weißt, wie sehr es mir leid tut, dass ich dich so sehr verletzt habe. Das habe ich nie gewollt."




    Dominik nahm einen großen Schluck aus seinem Wasserglas und stellte es dann ruhig ab. "Ich glaube dir, Brodlowska. Ich glaube dir, dass du mich nie absichtlich verletzen wolltest. Wäre es anders, dann säßen wir jetzt nicht hier gemeinsam an einem Tisch. Ich hatte in den letzten Wochen viel Zeit zum Nachzudenken. Es war ein Schock für mich zu erfahren, dass Kinga nicht meine Tochter ist. Doch ich musste immer daran denken, dass ich es war, der ihre das Fläschchen gegeben hat, der nachts für sie aufgestanden ist, der ihr beigebracht hat, das Töpfchen zu benutzen und zu laufen. Ich war das, nicht Albert. Und ich war es, der so viele Jahre mit dir zusammen gelebt hat. Du warst meine Frau, nicht seine. Es tut weh zu erfahren, dass du nicht mich, sondern ihn geliebt hast, denn ich habe dich vergöttert, Brodlowska, von dem Moment an, wo ich dich das erste Mal sah. Aber ich glaube dir nicht, dass ich dir egal war. Das hätte ich gespürt und in all unseren gemeinsamen Jahren war ich glücklich. Ich war wirklich glücklich."




    "Ich war auch glücklich, Dominik. Ich verstehe selber nicht, wieso ich so lange einem Mann nachgelaufen bin, der für mich unerreichbar war. Ich hatte doch schon alles, was ich wollte bei dir gefunden. Insbesondere nachdem Klaudia geboren war hatten sich für mich alle Träume erfüllt. Mit dir erfüllt. Dich zu belügen war ein Fehler gewesen. Ein unverzeihlicher Fehler, aber wir vier waren so glücklich miteinander, du, die Kinder und ich. Ich wollte das nicht mehr zerstören, gerade wegen dir und den Mädchen nicht." Dominik nahm schweigend einen weiteren Schluck aus seinem Glas. Anschließend rieb er sich die Schläfen. "Ich verstehe, warum du es anschließend verheimlich hast. Ich verstehe nur nicht, warum du mich von Anfang an belügen musstest. Ich liebe die Mädchen nach wie vor, daran hat sich nichts geändert, aber Kinga ist nun einmal nicht meine Tochter und Klaudia..."




    Genau in diesem Moment kam die Kellnerin und brachte das Essen. Nervös nahm ich die Gabel und begann damit in meinem Filet herum zu stochern. "Dominik ich...ich habe einen Vaterschaftstest machen lassen. Ich weiß jetzt ganz sicher, wer Klaudias Vater ist." "Sag es mir nicht, Brodlowska", unterbrach mein Ehemann mich. "Ich möchte es nicht wissen. Ich liebe mein kleines Pummelchen. Sie ist ein wundervolles Kind. Es spielt keine Rolle, ob nun Albert oder ich ihr Vater bin, aber solange ich nicht das Gegenteil weiß, ist sie meine Tochter, meine leibliche Tochter. Ich brauche den Glauben daran einfach. Also sag es mir nicht." Ich nickte zaghaft.




    Wir aßen und ich hatte Angst, dass dadurch ein Schweigen zwischen uns entstehen würde, dass wir nicht mehr überbrücken konnten. Doch das trat zum Glück nicht ein. Dominik fragte hauptsächlich nach unsern Kindern, wie es ihnen gehen würde. Ich erzählte ihm die Wahrheit, dass Kinga am Boden zerstört war und kein Wort mehr mit mir wechselte und dass Klaudia es bis jetzt ganz gut verkraftete, dass er nicht mehr bei uns lebte, wahrscheinlich, weil sie die Tragweite noch nicht ganz verstand. Und es überraschte mich, dass Dominik auch wissen wollte, wie es mir ging. Und auch ich antwortete ihm ganz ehrlich, dass es mir nicht gut ginge und dass ich ihn vermissen würde. Dominik reagierte auf die Offenbarung zurückhaltend. Er nahm sie hin, ging aber nicht weiter darauf ein. Aber was hatte ich denn erwartet? Ich hatte ihn betrogen, da war es verständlich, dass er wenig Mitleid mit mir zeigte.




    Doch dann tat er etwas, womit ich niemals gerechnet hätte. Er legte sein Besteck zur Seite und stand auf. Er trat vor mich und streckte mir seine Hand entgegen, die ich verunsichert fasste. "Lass uns zusammen tanzen, Brodlowska. Der Nachtisch wird noch eine Weile brauchen." Ich blickte ihn unschlüssig an, erhob mich dann aber von meinem Platz. Im Hintergrund lief eine langsamer Stück und Dominik legte seinen rechten Arm auf meine Rücken und griff meine linke Hand. Ich verstand immer noch nicht, was er damit erreichen wollte, aber ich entschloss mich dazu, mir keine weiteren Gedanken zu machen. Ich ließ mich einfach fallen und von ihm über die Tanzfläche führen.




    Schließlich tanzten wir eng umschlungen. Glücklich senkte ich meinen Kopf auf seine Schulter und genoss es, eng in den Armen meines Mannes zu liegen. "Sie ist deine Tochter", flüsterte ich behutsam in sein Ohr, selbst überrascht davon, dass ich es tatsächlich laut ausgesprochen hatte. "Du bist Klaudias leiblicher Vater, Dominik." Dominik antwortete nicht, aber ich fühlte, wie seine Arme sich noch enger um meinen Körper schlossen und er erleichtert ausatmete.




    Leider unterbrach uns die Kellnerin und teilte uns mit, dass der Nachtisch nun bereit stände. Nur ungern trennte ich mich von Dominik und wir gingen zurück zu unserm Tisch. Ich hatte kaum einen Happen probiert, als Dominik mir sein Hand entgegenstreckte und mich anlächelte. Zaghaft berührte ich sie und strich über die feinen Härchen auf seinen Fingern. "Danke, dass du gekommen bist, Brodlowska", hauchte er mir zu. "Dadurch ist mir noch einmal bewusst geworden, warum ich all die Jahre nichts gemerkt habe. Du bist einfach eine wundervolle Frau. Ich wäre dumm gewesen, wenn ich mich nicht in die verliebt hätte. Und auch jetzt liebe ich dich immer noch." Ich könnte nicht glauben was ich hörte und ich war unfähig zu sprechen. Aber mein Strahlen dürfte Antwort genug gewesen sein.




    Ein Strahlen, dass nicht lange bestand hatte und sich in einen Ausdruck des Entsetzens verwandelte, als er weiter sprach: "Ich werde dich immer lieben, Brodlowska, der heutige Abend hat es mir noch einmal vor Augen geführt. Aber Liebe allein reicht nicht. Ich muss meiner Frau bedingungslos vertrauen können. Und mein Vertrauen in dich ist verschwunden und ich sehe nicht, dass du es in absehbarer Zukunft wieder zurück gewinnen könntest. Wir brauchen einen Neuanfang, Brodlowska, du und ich, aber nicht gemeinsam, sondern jeder für sich. Und deshalb…deshalb will ich, dass wir uns Scheiden lassen".


    Gedanken:


    Ich hätte es ahnen müssen. In meinem Leben lagen Glück und Unglück immer dicht beieinander. Gleich, als Dominik mir das erste Kompliment machte, hätte ich wissen müssen, dass ein großes Unglück auf mich zurollt. Aber ich wollte es nicht wahr haben. Ich wollte glauben, dass Dominik mir verzeiht, trotz all meiner Lügen, und wir wieder zusammen finden würden. Doch das wird nun endgültig nicht mehr geschehen.
    Als ich noch in SimCity lebte, habe ich mir oft gewünscht, dass meine Eltern sich scheiden ließen. Ich dachte, dass sie dadurch Erlösung finden würden, dass mit der Scheidung all der Streit und die Verletzungen aufhören würden und dass es für beide befreiend wäre. Doch jetzt sehe ich in einer Scheidung nichts Befreiendes. Die Vorstellung ist einfach nur grausam und es bedeutet, dass meine Liebe zu Dominik nun unwiederbringlich zerbrochen ist.


    Dabei lief es ansonsten so gut in meinem Leben. Die Farm machte die größten Gewinne, seit ihrer Gründung und ich dachte schon seit längerer Zeit an eine groß angelegte Expansion. Und Tristans Manager-Gehalt füllte unser Konto zusätzlich.
    Einen beträchtlichen Teil dieses Geldes hatten wir auch einer gewagten Entscheidung von Tristan zu verdanken. Er stand vor der Entscheidung, weiter Mineralöl-Transporter zu kaufen, um das geförderte Öl zu den Raffinerien im Norden des Landes zu befördern, oder aber einen internationalen Frachthafen in der Sierra Simlone anzustreben. Er entschied sich für die Transporter und diese Entscheidung erwies sich für sein Unternehmen als goldrichtig.

    Unser neuster Mitbewohner, Stev Füller, kam fast mittellos in der Simlane an. Und da er auf die schnelle keinen Job fand, unterstützte er den Haushalt, indem er bei der Hausarbeit half und sich um Kinga und Goya kümmerte. Ich fand es Schade, dass Stev nun schon so bald ausziehen wollte. Aufgrund meiner Eheprobleme hatte ich nie wirklich Zeit gefunden, ihn näher kennen zu lernen und bald würde er die Simlane wieder verlassen. Allerdings konnte ich gut verstehen, warum er sich zu diesem Schritt genötigt fühlte. Je länger er geblieben wäre, desto mehr hätte er sich in Tristan verliebet. Und dann wäre es noch viel schwerer für ihn geworden, sich von Tristan zu trennen.

  • Kapitel 117: Neubeginn



    Was bisher geschah:
    (Zusammenfassung der bisherigen Kapitel)


    Als ich vor vielen Jahren in die Sierra Simlone kam, hatte ich wenig Glück mit den Männern. Mein Mitbewohner Roland verliebte sich in mich, doch konnte ich sein Gefühle nicht erwidern. Erst Jahre später ließ ich mich auf einen Seitensprung mit ihm ein und das, obwohl er zu diesem Zeitpunkt verlobt war. Meine Beziehung zu Benny brach ich aus kindischen Gründen ab und mit Kasimir geriet ich an einen schmierigen Typen, der nur ein Mädchen für eine schnelle Nummer suchte.
    Und dann lernte ich einen unglaublichen Mann kennen: Albert. Doch er war verheiratet, Vater von vier Kindern. Wir hatten keine Zukunft und trotzdem ließ ich mich für eine Nacht auf ihn ein. Eine Nacht, die nicht ohne Folgen blieb. Doch ich konnte ihm nichts von seinem Kind erzählen, ohne seine Familie und Ehe zu zerstören.
    Also schob ich seine Tochter Kinga einem anderen Mann unter: Dominik. Lange Zeit erkannte ich nicht, dass ich Dominik wirklich liebte. Alberts Tod und eine weitere ungewisse Schwangerschaft zwangen mich dazu, Dominik zu heiraten. Dominik war ein wundervoller Vater für seine beiden Töchter Kinga und Klaudia und ein wundervoller Ehemann. Leider erkannte ich dies erst, als ich entführt wurde, weil ich von meiner Schwester Joanna in ihre dunklen Machenschaften hinein gezogen worden bin. Ich hasst sie dafür, aber ihr hatte ich zu verdanken, dass ich meine wahren Gefühle für Dominik erkannte.
    Wir verbrachten einige wundervolle Jahre zusammen, doch dann kam durch einen tragischen Zufall ans Tageslicht, dass Kinga nicht Dominiks leibliche Tochter war. Ich musste ihm beichten, dass ich ihn jahrelang hintergangen hatte und dass auch seine zweite Tochter Klaudia möglicherweise Alberts Kind war. Dominik reagierte verständlicherweise furchtbar wütend und verließ mich und die Kinder. Kinga konnte es nicht ertragen, dass Dominik nicht ihr leiblicher Vater war und gab mir an allem die Schuld. Sie hasste mich. Zum Glück stellte sich bald darauf heraus, dass Klaudia wirklich Dominiks leibliche Tochter war und bei einem gemeinsamen Treffen in einem Restaurant in Sierra Simlone Stadt schienen wir uns doch wieder näher zu kommen. Dominik gestand mir, dass er mich noch immer liebte. Aber dennoch sah er keien gemeinsame Zukunft für uns beide. Er konnte mir nicht mehr vertrauen und bat mich um die Scheidung.




    "Was der Herr zusammengeführt hat, soll der Mensch nicht trennen. Ihr seid nun offiziell Mann und Frau, vor Gott und vor dem Gesetzt der Provinz Sierra Simlone. Frank, sie dürfen ihre Braut nun küssen." Pfarrer Erding brauchte diese Worte nicht zu wiederholen, denn Frank brannte schon begierig darauf, seine junge Braut endlich küssen zu können. Es war nicht so, dass er es noch nie zuvor getan hätte, aber nun küsste er zum ersten Mal seine Ehefrau und nicht nur seine Freundin und Verlobte.




    Die Orgel ertönte und die kleine Hochzeitsgesellschaft verließ die kühlen Mauern der Kirche. Das Brautpaar verließ das Gotteshaus als letztes und mir wurde ganz warm ums Herz, als Miranda in den Schein der Wüstensonne trat und zurückhaltend und doch überglücklich in die Runde lächelte. Sie war nun Frau Miranda Bonzen, eine reife, erwachsene Frau und nicht mehr das kleine, dreizehnjährige Mädchen, das mich aufs übelste beschimpft hat, als wir und zum ersten Mal begegneten. Ich wünschte ihr, dass sie für immer so glücklich bleiben konnte wie in diesem Moment, denn das Glück war flüchtig. Ich hatte das am eigenen Leib zu spüren bekommen.




    Die Hochzeitsfeier fand gleich im Anschluss an die Trauung bei Frank und Miranda im Garten statt. Miranda und ihr Ehemann hatten ein Haus gleich neben "Norman", der Farm von Gerda errichtet, die nun aber von Hans bewirtschaftet wurde. Auch wenn Frank und Miranda sich an der Universität kennengelernt hatten und beide im letzten Jahr ihren Abschluss machten, haben sie sich dazu entschieden, in der Sierra Simlone zu bleiben und ihr Glück als Farmer zu versuchen.




    "Schön, dass du kommen konntest, Oxana", begrüßte mich meine Freundin Gerda, als im Festpavillon eintraf. In der Kirche hatten wir keine Gelegenheit gehabt, uns zu unterhalten und nach der Trauung musste Gerda schnell zum Haus ihrer Tochter, um zu sehen, ob wirklich alles in Ordnung war und die Gäste wirklich anrücken konnten. Immerhin war es das erste Mal, dass eines ihrer Kinder heiratete und sie wollte alles richtig machen. "Wird Dominik auch noch kommen?", fragte Gerda, nachdem wir uns begrüßt hatten.




    "Nein, er wird nicht kommen." Missmutig verzog ich mein Gesicht. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, diesen Tag einfach zu genießen. Doch wie konnte ich zu einer Hochzeit gehen, ohne an meine eigene gescheiterte Ehe zu denken? "Dominik meidet mich", erklärte ich weiter. "Ich kann es ihm nicht einmal verübeln. Er hat sich eine Wohnung hier in der Stadt gemietet und die Mädchen besuchen ihn dort. Das letzte Mal habe ich ihn gesehen, als wir die Scheidungspapiere unterzeichnet haben. Das war vor fast vier Wochen." "Also lasst ihr Euch wirklich scheiden?", hakte Gerda nach. "Ich hatte ja immer gehofft, dass ihr beiden das wieder hin bekommt." Ja, das hatte ich auch, aber die Scheidungspapiere waren beim Anwalt und in fünf Monaten war ich ganz offiziell nicht mehr verheiratet.




    "Wir reden gleich weiter, ja?", entschuldigte sich Gerda und eilte zum Büffet, wo es scheinbar ein Problem gab. Ich wollte gerade zur Bar um mir einen Drink zu hohlen, als ein junger Mann auf mich zugelaufen kam und beide Arme in die Luft riss. "Überraschung, Schwesterherz! Guck mal, wer da ist!" "Orion!", rief ich überrascht und klatschte in die Hände. "Was machst du denn hier?" Seit dem Vorfall mit meiner Zwillingsschwester Joanna, bei dem ich gezwungen wurde, ihr bei ihren kriminellen Machenschaften zu helfen, war auch mein Kontakt zu meinem kleinen Bruder stark zurückgegangen. Klein konnte man ihn aber nicht länger nennen. Der Sohn meines Dads und seiner Geliebten Lucy war zu einem richtigen Mann heran gewachsen. Und jetzt, wo ich ihn vor mir sah, wurde mir klar, wie sehr ich ihn doch vermisst hatte. Und erstaunlicherweise vermisste ich sogar Joanna, auch wenn ich es mir selbst nicht so recht eingestehen wollte.





    "Desdemona hat mich eingeladen", klärte mein Bruder mich bezüglich seines Überraschungsbesuchs auf. "Mona und ich studieren an derselben Uni und wohnen sogar im selben Wohnheim. Aber ich hatte keine Ahnung, dass sie die Tochter von Albert ist, bis ich in der Kirche saß und dich und ihre Mutter entdeckt habe. Total verrückt, dass ich mit der Halbschwester meiner Nichte zusammen studiere."





    Das war wirklich ein Zufall, mit dem ich nie gerechnet hätte. Orion und ich hatten uns viel zu erzählen, also schnappten wir uns etwas vom Büffet und setzten uns zum Essen hin. Orion berichtete mir von seinem Leben an der Uni und auch von meiner Zwillingsschwester in SimCity. Joanna war vor etwa zwei Jahren Mutter geworden und ich hatte meine Nichte noch nie gesehen und nun war sie erneut schwanger. Unweigerlich kamen wir auch auf Dominik und meine Scheidung zu sprechen. "Wie nehmen es die Mädchen denn auf?", fragte er und sein Blick wanderte zu Kinga, die etwas abseits stand und bedrückt in die Wüste schaute. "Kinga fällt es immer noch schwer. Nicht so sehr die Scheidung, sondern die Tatsache, dass Dominik nicht ihr Vater ist. Auf der Hochzeit ihrer Halbschwester zu sein macht es auch nicht gerade einfacher."





    "Klaudia kommt ganz gut zurecht. Zumindest habe ich den Eindruck. Dominik wohnt ja jetzt nicht weit von uns entfernt. Sie kann jederzeit zu ihm rüber laufen, wenn sie das möchte. Dominik wohnt ja jetzt schon seit Wochen nicht mehr bei mir in der Simlane und ich glaube, sie hat sich inzwischen daran gewöhnt." Mein Blick schweifte hinüber zu Klaudia, die fröhlich lachend zwischen dem Bräutigam und Desdemona saß und das leckere Essen vom Büffet sichtlich genoss.





    Später am Abend war mein Pummelchen dann damit beschäftig, von Gast zu Gast zu gehen und mit jedem ein kleines Tänzchen zu wagen. Dabei war ich wohl ihr liebstes Opfer, aber auch ich hatte meinen Spaß daran. So hatte ich immerhin jemanden zum Tanzen, denn mein Bruder war zu sehr mit Desdemona beschäftigt, um mit seiner Schwester zu tanzen und das Brautpaar hatte ohnehin nur Augen für sich und war kaum voneinander zu lösen. Und Hans und seinen Freund Mika konnte ich schließlich auch nicht die ganze Zeit über in Beschlag nehmen. Aber es wurde eine schöne Feier, die ich gerne in Erinnerung behalten würde.





    Gerda muss es genauso gesehen haben. Denn gegen Abend setzte sie sich sichtlich entspannt an den Tisch und aß ein Stück von der Eisbombe. Dabei blickte sie zufrieden über die Tanzfläche und beobachtete die feiernde Hochzeitsgesellschaft und ihr älteste Tochter, die glücklich in den Armen ihres Mannes lag. Sehnsüchtig dachte sie in diesem Moment an ihre eigene Hochzeit zurück, wie sie mit Albert die Tanzfläche unsicher machte und heimlich Sekt trank. Heimlich, weil sie erst 17 war und sich damals ihr Bauch bereits deutlich wölbte und die baldige Geburt ihrer Tochter ankündigte. Auch ihre Hochzeit war auf eine eigene Art sehr schön gewesen. Sie hatte Albert geliebt und er liebte sie und beide waren gespannt auf ihre gemeinsame Zukunft. Und trotzdem war sie froh, dass Miranda einen anderen Weg gegangen war, dass sie sich Zeit gelassen hatte und erst jetzt, mit 26, den Bund fürs Leben einging.








    "Los Mädchen, Beeilung bitte", trieb ich meine beiden Töchter an. "Ihr habt mir versprochen, dass ihr heute pünktlich fertig seid, wenn der Schulbus kommt. Nur deshalb habe ich euch erlaubt, so lange bei der Hochzeitsfeier zu bleiben." Es war bereits kurz vor acht und sowohl Klaudia als auch Kinga liefen noch im Schalfanzug durch die Gegend und Klaudia wäre auf dem Bett ihrer Schwester fast wieder eingeschlafen. "Kein Angst, Mutter, wir sind rechtzeitig fertig", winkte Kinga ab. Ich war mir da nicht so sicher, vor allem, da Klaudias Schulbücher noch überall in Kingas Zimmer verstreut herum lagen. Bevor sie sie am Ende noch ganz vergaß, sammele ich sie lieber einmal ein.





    Zu meinem Erstaunen schafften es meine Töchter doch noch rechtzeitig am Schulbus zu erscheinen. Kinga grinste Tristan breit an. "Viel Spaß bei der Arbeit, Onkel Tristan. Ich habe schon extra ein Glas Rollmöpse für dich raus gesucht und eine Aspirin-Tablette daneben gelegt." Tristan verzog das Gesicht und schaute wehleid drein. Er hatte die Hochzeitsfeier erst nach mir verlassen und am liebsten hätte er sich zurück ins Bett verkrochen, denn in seinem Kopf hämmerte es ganz gewaltig bei jeder noch so kleinen Bewegung. Aber heute hatte er ein wichtiges Meeting mit ausländischen Investoren, die sich die hiesigen Ölförderanlagen ansehen wollten. Alleine der Gedanke an Essen ließ die Übelkeit in ihm aufsteigen und in seinem Kopf begann es wieder zu hämmern. Wie bloß sollte er den heutigen Tag überstehen? Das Thermometer zeigte jetzt schon fast 25 °C und es war früher Morgen.




    Tristan schaffte es gerade noch so, einen Rollmops runter zu würgen und ihn mit einem Glas Wasser und der Kopfschmerztablette herunter zu spülen, als schon das Hupen seiner Fahrgemeinschaft ertönte. Ich beseitigte das Chaos, das meine Töchter und mein Mitbewohner angerichtet hatten, doch bereits nach kurzer Zeit war ich fertig und sah mich in dem großen, leeren Haus um. Ganz unbewusst ging ich in mein Schlafzimmer, dass ich mir so viele Jahre mit Dominik geteilt hatte. In all den Jahren hatte ich nie etwas an diesem Raum verändert und alles hier erinnerte mich an meinen Ehemann. Gestern hatte ich Gerda und auch Orion versichert, dass Dominik und ich nicht mehr zusammen kommen würden. Und das würden wir auch nicht. Also war es an der Zeit, mein Leben neu einzurichten und mit dem Schlafzimmer konnte ich beginnen.




    Kurz entschlossen rief ich bei einem Umzugsunternehmen an. Da die Firma ihren Sitz in Seda Azul hatte, dauerte es eine Weile, bis der Trupp von Möbelpackern bei mir in der Simlane eintraf. Aber in der Zwischenzeit hatte ich die Gelegenheit, die wenigen Dinge, die ich behalten wollte, aus den Schränken zu nehmen. Die Chefin der Spedition war zwar erstaunt, dass ich all die Möbel einfach so weggeben wollte, aber sie Erfüllte den Auftrag ohne zu Murren. Immerhin erhielt sie ihr Geld und ich war mein Einrichtung und vielleicht auch die ständige Erinnerung an Dominik los.





    Ich bezweifelte es, aber jetzt hatte ich schon einmal angefangen, also musste ich es auch zu Ende bringen. Kaum hatten die Handwerker all die Möbel aus dem Schlafzimmer aufgeladen, machte ich mich daran, die Tapeten von den Wänden zu reißen. Und ich kam erstaunlich gut voran. Zuerst mussten die Tapeten dran glauben und als nächstes war der Teppichboden dran. Und innerhalb kürzester Zeit hatte ich einen kahlen Raum vor mir.




    Es war erstaunlich, was man alles bekommen konnte, wenn man nur bereit war, genügend dafür zu bezahlen. Noch am Vormittag hatte ich ein paar Handwerker angeheuert, die in Windeseile neue Tapeten und Teppichboden verlegten und gleich die Möbel abholten und aufstellten, die ich über das Internet in Seda Azul gekauft hatte. Und am frühen Nachmittag war ich damit beschäftig, meine Kleider in die neuen Schränke zu legen. "Oh Gott, Mutter, was ist den hier passiert", hörte ich Kinga aufkeuchen. Angelockt vom Geruch nach frischem Holz und Farbe ist sie mit Klaudia vom Schulbus gleich in mein Zimmer gekommen. "Guck mal Ki", rief Klaudia aufgeregt, als sie hinter ihrer Schwester das Zimmer betrat. "Eine neues Sofa und ein neuer Teppich und das Bett und alles ist neu!"




    "Du konntest es wohl gar nicht erwarten, alle Dinge von Papa aus dem Haus zu schaffen!", fuhr Kinga mich plötzlich an. "Hättest du nicht wenigstens warten können, bis ihr beide wirklich geschieden seid? Oder gibt es da schon einen neuen Mann? Hast du dir hier etwa ein neues gemütliches Liebesnest für dich und ihn geschaffen?"




    Zunächst war ich einfach nur geschockt. Ich hatte geglaubt, Kinga hätte es langsam überwunden, dass ich Dominik und sie belogen hatte. Ich erwartete nicht, dass sie mir einfach so verzieh, aber in den letzten Wochen schien es so, als ob sie ihren Zorn unter Kontrolle hätte. Und jetzt ging sie wieder auf mich los. Aber ich war ihre Mutter und ich musste mir so ein Verhalten von ihr nicht bieten lassen. "Ich wünsche nicht, dass du in diesem Ton mit mir sprichst, Kinga! Das hier ist mein Haus und ich muss mich nicht vor dir rechtfertigen." Kinga funkelte mich weiterhin wütend an, schrei dann frustriert auf und rannte aus dem Zimmer.




    Klaudia saß auf dem neuen Sofa und beobachtete verunsichert, wie Kinga aus dem Zimmer stürmte. Ich setzte mich zu meinem Pummelchen und legte meinen Arm um sie und sie schmiegte sich umgehend an meine Seite. "Mami, hat Kinga die Wahrheit gesagt? Hast du etwa einen neuen Papa für uns?", fragte sie leise. Ich drückte sie noch fester an mich. "Nein, Pummelchen. Ich bin noch lange nicht so weit, dass ich einen neuen Mann in meinem Leben zulassen könnte. Also mach dir darum keine Sorgen." Klaudia wirkte gleich viel entspannter. "Ich finde dein neues Zimmer voll hübsch, Mami", sagte sie schließlich, woraufhin ich ihr einen dicken Schmatzer auf den Kopf aufdrückte.




    Mein neues Zimmer gefiel mir. Und auch in meinem neuen Schlafleibchen fühlte ich mich wohl. Und trotzdem, wirklich glücklich konnte ich nicht sein. Dazu hätte die andere Seite meines Bettes nicht leer sein dürfen. Ich betrachtete die leere Betthälfte und vor meinem inneren Auge sah ich Dominik, der sich genüsslich in die Decken kuschelte und friedlich vor sich hin schlummerte. Aber solche Gedanken waren sinnlos. Ich musste endlich einsehen, dass ich nun alleine war und damit zurechtkommen musste.

  • Kapitel 118: Giftzwerg




    Ich schlief anschließend erstaunlich gut. Manchmal tat eine äußerliche Veränderung wirklich gut, um auch eine innere Veränderung zulassen zu können. Doch Klaudia lag die halbe Nacht wach. Der Streit zwischen Kinga und mir hatte sie mehr mitgenommen, als es den Anschein hatte. Die Situation zwischen meiner Ältesten und mir war schon seit Wochen angespannt und immer wieder kam es zu solchen Ausbrüchen wie am gestrigen Abend und jedes mal gingen dieses Streitereien meinem Pummelchen sehr zu Herzen. "Giftzwerg, da hinten ist die Tür", wies Kinga ihre kleine Schwester schroff ab, als dieses nach der Schule zu ihr ins Zimmer kam. Klaudia war zwar sichtlich eingeschüchtert, aber sie kannte inzwischen auf die Launen ihrer großen Schwester und ließ sich deshalb nicht ohne weiteres verjagen.




    "Ki, warum bist du ständig so oberfies? Mami versucht immer nett zu dir zu sine und du behandelst sie immer ganz furchtbar gemein. Das ist nicht nett von dir Ki!" Kinga sah ihre kleine Schwester verblüfft an, denn so hatte diese noch nie mit ihr gesprochen. "Wegen dir war Mami gestern voll traurig. Könnt ihr beiden euch nicht endlich wieder lieb haben? Mami hat sich doch bei dir entschuldigt und Papi wohnt doch gleich in der Nähe, wir können ihn also immer besuchen. Du kannst jetzt echt mal aufhören böse zu sein!"




    Doch Klaudias Worte verfehlten bei Kinga offensichtlich ihre Wirkung. "Mutter hat dich ja voll um ihren Finger gewickelt. Bist du eigentlich so doof oder tust du nur so? Es ist überhaupt nichts gut und ich werde dieser Frau nicht verzeihen und wenn sie sich noch hundertmal bei mir entschuldigt. Sie hat mich die ganze Zeit angelogen! Für dich ist ja vielleicht alles in Ordnung, immerhin hast du noch einen Vater. Aber Papa ist nun mal nicht mein richtiger Vater und das ist alles nur Mutters Schuld. Und jetzt hau ab. Lauf zu deiner Mami und klammere dich an ihren Rockzipfel. Du warst ja eh immer ihr kleiner Liebling. Ihr beiden kotzt mich echt an."




    "Du bist so gemein Ki" Klaudia wollte es nicht, aber ihre Stimme überschlug sich und die Tränen schossen ihr in die Augen. Kinga zeigte kein bisschen Reue und verwies ein weiteres Mal auf die Tür. "Da geht es raus, Giftzwerg." Laut schluchzend rannte Klaudia aus dem Zimmer ihrer Schwester. Doch bevor sie in ihrem Zimmer angekommen war, hörte sie, wie Kinga die Musik in ihrem Zimmer ohrenbetäubend laut aufdrehte. Klaudia war ganz verzweifelt. Noch nie hatte ihre Schwester so gemeine Sachen zu ihr gesagt. Natürlich hatten sie schon früher gestritten, aber noch nie so doll wie gerade. Klaudia hatte gehofft, dass sie einfach nur einmal mit Kinga reden müsste und dann wäre alles wieder gut. Doch jetzt war alles nur noch viel schlimmer und meine kleine Tochter weinte sich die Seele aus dem Leib.




    Das Erste, das ich hörte, als ich vom Einkaufen aus dem Stadtzentrum nach Hause kam, war der ohrenbetäubende Lärm aus Kingas Zimmer. Ohne zu klopfen drückte ich die Türklinke zu ihrem Zimmer herunter und prallte mit meiner Nase gegen das Holz. Die Tür war abgeschlossen. "Kinga!", schrie ich also durch die Tür hindurch. "Kinga, mach sofort die Musik leiser! Das ist ja nicht zum aushalten!" Doch statt einer Antwort hörte ich nur, wie meine Tochter den Lautstärkeregler weiter aufdrehte. Und all mein Gezeter und Klopfen half nicht im Geringsten, um meine Tochter wieder zur Besinnung zu bringen.




    Genervt gab ich auf. Ich war mir nicht einmal sicher, ob Kinga mich bei diesem Krach hören konnte. Die Tür zu Klaudias Zimmer war nicht verschlossen und ich fand meine kleine Tochter vertieft in ein Kinderbuch am Schreibtisch sitzend. "Klaudia, was ist bloß in Kinga gefahren?", fragte ich ein wenig gereizter, als ich es vor gehabt hatte. Die Bässe aus Kingas Zimmer hämmerten dermaßen in meinem Kopf, dass ich kaum klar denken konnte. Ich fragte mich, wie Klaudia es hier nur aushielt und auch noch lesen konnte? Doch mein Pummelchen zuckte nur mit den Schultern und blickte nicht einmal von ihrem Buch auf.




    Ich schlug meinem Pummelchen vor, dass wir lieber ins Freie gehen sollten. Auch hier war die Musik aus Kingas Zimmer immer noch zu hören, aber es war bei weitem angenehmer. Klaudia folgte mir schweigend spielet schließlich mit ihrem Zwirbelwirbel, während ich einfach die Sonne auf meiner Haut genoss. "Gott, was geht denn da im Haus ab?", fragte Tristan, als seine Fahrgemeinschaft ihn vor der Simlane absetzte und er auf uns zukam. "Kinga", antwortete ich knapp. "Ich hab versucht mit ihr zu reden, doch sie hört mir nicht einmal zu."




    "Aber auf mich wird sie hören!", schnaubte Tristan und stampfte ins Haus. Kräftig an die Tür hämmernd schreie er Kinga an. "Mach sofort diesen Lärm aus! Bis du etwa total übergeschnappt?! Außer dir wohnen noch drei weitere Personen in diesem Haus! Also mach jetzt die Musik leiser, Kinga! hast du mich verstanden?!" Das hatte sie wohl, denn augenblicklich wurde der Lärm leiser und ging so weit zurück, dass man ihm kaum mehr durch die Tür wahrnahm. Allerdings antwortete Kinga mit keinem Wort und auch die Tür zu ihrem Zimmer öffnete sich nicht.




    Erst am Abend verließ Kinga ihr Zimmer. Der Grund war wohl der, dass ich an diesem Abend nicht zu Hause war. "Na, hast du dich wieder beruhigt?", grummelte Tristan ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden, als Kinga das Wohnzimmer betrat. Doch Kinga antwortet immer noch nicht, sondern blickte meinen Mitbewohner nur finster an. Tristan registrierte dies, spielte aber trotzdem weiter. Eher beiläufig fügte er hinzu: "Du solltest echt mal über dein Verhalten nachdenken, Prinzessin. Sonst machst du uns allen das Leben hier zur Hölle. Auch dir selbst."




    Tristans Rat war gut gemeint, doch Kinga war zurzeit nicht gerade offen für irgendwelche Ratschläge und seinen sie auch noch so gut gemeint. "Jetzt hör auch dich hier so aufzuspielen", entgegnete sie patzig. Tristan sah sie verdutzt an und legte das Spielpad beiseite. Kinga funkelte ihn immer noch trotziger an. "Kinga, du kannst dich hier nicht aufführen, wie ein Kleinkind, das unbedingt seinen Lolli will. Du bist 14, verhalte dich auch so." "Und du bist nicht mein Vater, also verhalte dich auch nicht wie einer", warf sie ihn an den Kopf. Tristan war für einen Moment sprachlos. Was war bloß mit Kinga los? Langsam verstand er sie überhaupt nicht mehr.




    "Nein, ich bin nicht dein Vater", erwiderte er schließlich. "Und ich hab auch nie versucht mich als Vater aufzuspielen." Tristan blieb ganz ruhig und vielleicht machte gerade das Kinga noch wütender. "Ich hab mich dir gegenüber immer wie ein Freund verhalten, aber in letzter Zeit machst du es mir schwer weiterhin mit dir befreundet zu sein. Ich weiß, dass du sauer bist auf deine Mutter. Aber davon wird es auch nicht besser. Versuch wenigstens, wieder normal mit ihr umzugehen."




    Kinga kniff ihre Lippen fest zusammen. Tristan sah ihr deutlich an, dass sie nach einer schlagkräftigen Erwiderung suchte, doch ihr viel einfach nichts ein. "Ich hasse sie!", platzte sie schließlich heraus. "Und auf Freunde wie dich kann ich auch verzichten! Lasst mich doch einfach alle in Ruhe!" Damit drehte sie sich um, schnappte sich etwas aus dem Kühlschrank und verkroch sich wieder in ihre Höhle. Tristan seufzte und schüttelte den Kopf. Er konnte nur hoffen, dass es eine Phase war und Kinga sich bald wieder beruhigen würde. Ansonsten würde es schwer werden, für ihn und die restlichen Bewohner der Simlane.

  • Kapitel 119: Wieder Oxana Brodlowska




    Ich konnte nur froh sein, dass ich all diesem Theater entkam. Es frustrierte mich, dass ich an Kinga nicht mehr heran kam, allerdings wusste ich auch keinen Ausweg. Abends auszugehen lenkte mich zumindest ab und zwar nicht nur von meinen Problemen mit Kinga, sondern auch von meiner bevorstehenden Scheidung, die mit jedem Tag näher rückte. Roland erwies sich als wahrer Freund. Seit seinem Auszug war unsere Freundschaft abgekühlt. Doch jetzt, wo ich einen Freund dringend notwendig hatte, war er wieder für mich da. Wir gingen aus und spielten Poker oder Billard. Und plötzlich hatte ich das Gefühl, als ob ich wieder 19 und gerade erst in der Sierra Simlone angekommen wäre.




    Wir konnten stundenlang miteinander reden, uns Witze erzählen oder einfach nur zusammen eine Eisbombe oder ein riesiges Stück Torte verdrücken. Mit Roland konnte ich über meine Sorgen mit Kinga sprechen, oder einfach nur bei ihm ausspannen. Und ich glaube, auch Roland war froh, endlich dem Alltag als Chefarzt, Ehemann und Vater zu entkommen. "Oxana, ich liebe meine Kinder wirklich. Ich liebe sie alle drei. Aber die beiden Zwillinge würde ich manchmal am liebsten auf der Schwelle des Klosters abgeben." Ich sah, dass Roland das nur als Scherz meinte, als konnte ich mitlachen. "Die beiden werden jetzt bald vier, oder?" Roland nickte. "Dann wird es auch bald einfacher. Kinga und Constance haben wir doch auch groß bekommen. Und spätestens mit fünf waren sie wahre Engel." Roland nahm einen großen Bissen der Torte. "Ja", sprach er mit vollem Mund, aber wir waren auch 10 Jahre jünger. Du kannst es mir glauben, die zwei werden sicherlich meine letzten beiden Kinder."




    Ja es stimmt, wir waren jetzt 10 Jahre älter. Ich war jetzt 35 und Roland zwei Jahre älter. In den Augen unserer Kinder waren wir sicher schon uralt, aber so fühlten wir uns nicht. Wir gingen nicht jeden Abend aus, aber wir unternahmen oft etwas. Manchmal kamen Tristan und Brandi mit, doch meist zogen Roland und ich allein los. Roland konnte immer noch so gut tanzen, wie früher. Auch Dominik war ein guter Tänzer, aber Roland war eine Klasse für sich. Und so machten wir ein ums andere Mal die Tanzfläche im Club Simszone oder im Pink Lips unsicher.




    Und manchmal machte es Spaß, einfach eine oder zwei Cocktails zu schlürfen und den anderen Bewohnern von Sierra Simlone Stadt und Umgebung beim Tanzen und Feiern zu zusehen. Und da gab es durchaus einiges zu entdecken. Bei manchen Tänzern fragte man sich, ob sie sich noch nie selbst tanzen gesehen haben, wobei man die Verrenkungen kaum Tanzen nennen konnte. Wieder andere hatten es echt drauf und ich erkannte, dass selbst Roland ab und zu einen neidischen Blick auf die Tänzer warf.




    "Zu Schade, dass Brandi nie mit mir hier hin will." Roland musste laut schreien, damit ich ihn trotz der lauten Musik verstehen konnte. Ich nippte ein weiteres Mal an meinem Long Island Icetea. Der Alkohol brennte auf meiner Zunge und ich genoss dieses Gefühl einen kurzen Moment lang. Ich hatte es nicht beabsichtigt, aber plötzlich kam eine sentimentale Stimmung in mir auf. Die Musik, die Cocktails....das alles erinnerte mich an meinen Ehemann. "Dominik und ich waren oft hier. Wir haben getanzt, ein paar Cocktails getrunken und im Hinterzimmer Billard gespielt. Ach Roland", ich seufzte tief , "ich vermisse ihn. Ich vermisse ihn wirklich."




    Roland starrte geradeaus auf die Tanzfläche. Leider fiel ihm nichts Passendes ein, um mich wieder aufzuheitern. "Ich möchte jetzt nach Hause Roland", erklärte ich bekümmert und stellte mein Glas auf die Theke. Beim vorbeigehen streifte ich Roland am Rücken und zog ihm am Hemd hinter mir her. "Na gut, dann lass uns aufbrechen. Es ist ohnehin schon spät und ich muss morgen Mittag in Seda Azul sein." Roland leerte sein Glas in einem Zug und folgte mir dann anschließend hinaus an die frische Luft.




    "Ist alles in Ordnung, Oxana?", fragte Roland besorgt, als wir vor dem Club standen. Die Musik drang immer noch gedämpft durch die verschlossene Tür an mein Ohr und der Gedanke an Dominik ließ mich einfach nicht los. Ich wünschte mir so sehr, dass er jetzt hinter mir stehen und mich in seine Arme schließen würde. Doch er würde nicht kommen und ich würde mich wieder einmal alleine in mein großes Bett legen müssen. Doch ich wollte nicht auch noch Roland den Abend verderben und redete mich mit einem "Ja, alles okay" heraus.




    Doch so okay war es nicht. Nicht nur, dass ich deprimiert war, an der frischen Luft merkte ich, dass der letzte Cocktail wohl doch einer zu viel gewesen war. Auf meinen hohen Absätzen kam ich ins wanken und stolperte auf Roland zu. "Da hat wohl jemand einen kleinen Schwips", lacht er und ich musste unweigerlich mit einstimmen. Doch dann traf mein Blick den von Roland. Es war, als ob mein Herz für einen Moment aussetzten würde. Diese wundervollen grauen Augen strahlten mich an und ich erkannte darin einen Glanz, den ich schon oft gesehen hatte, allerdings nicht in Rolands Augen, sondern in den Augen meines Mannes.




    Es war nicht das erste Mal, dass Roland mich auf diese Weise ansah, aber es war das erste Mal, dass ich es wahrnahm. Selbst als ich vor einigen Jahren mit meinem besten Freund geschlafen hatte, habe ich nicht bemerkt, mit welchem Blick er mich ansah. Und jetzt sah ich es und ich wollte, dass er mich weiterhin so ansah, dass er mich begehrte...mich liebte. Ich schloss meine Augen und kam mit meinen Lippen den seinen immer näher. Doch bevor unsere Münder sich treffen konnten, schob mich Roland sanft aber bestimmt zurück. "Du...du hast wohl doch mehr als einen kleinen Schwips, Oxana", stammelte Roland. "Ich...wir sollten jetzt lieber gehen. Du gehörst jetzt wirklich ins Bett."







    "Mami, Mami!" Klaudias Ruf riss mich aus dem Schlaf. Erschrocken öffnete ich meine Augen und starrte meine Tochter an. "Ist etwas passiert?", fragte ich besorgt. Meine Stimme hörte sich rau an und ich merkte, dass der Raum um mich herum sich immer noch drehte. "Nein, aber es ist schon Morgen", entgegnete Klaudia. "Ich muss gleich zur Schule und niemand ist da, der mir was zu Essen machen kann." "Was ist mit Kinga?", fragte ich sichtlich genervt und warf mich wieder auf das Kissen zurück. "Die ist schon los gegangen", erklärte Klaudia bekümmert. "Sie trifft sich mit irgendwelchen neuen Freunden und geht dann mit denen zur Schule." Meine Augenlider wurden wieder schwerer und ich merkte, dass ich jeden Moment wieder einschlafen würde. "Mami ist heute sehr müde, Pummelchen. Sei ein liebes Mädchen und nimm dir einfach einen Schokoriegel aus dem Kühlschrank."




    Ich hörte nur noch, wie sich die Tür zu meinem Schlafzimmer schloss und schon war ich wieder eingeschlafen. Sofort überkam mich ein unruhiger Traum. Ein Traum von Roland und mir, wie wir beide vor dem Club stehen und uns anschauen. Und diesmal schob er mich nicht beiseite. Nein, er zog mich zu sich heran und küsste mich. Es war ein Traum, der mich auf der einen Seite furchtbar erschreckte, auf der anderen Seite wollte ich nie wieder aufwachen.




    Traurig schlich Klaudia zurück in ihr Zimmer. Einen Schokoriegel sollte sie essen? Zum Frühstück? Normalerweise hätte sie sich gefreut, wenn ich ihr erlaubte, Süßes zu essen. Nicht, dass ich es ihr sonst verbieten würde, aber wie jedes Kind aß sie mehr Süßigkeiten, als gesund für sie waren. Aber heute wollte sie sich nicht darüber freuen. Es ging ihr doch gar nicht um das Essen. Was sie wollte war, dass ich als ihre Mutter aufstand und für sie das Essen machte, dass wir zusammen am Küchentisch sitzen konnten und sie mir von ihren Abenteuern in der Schule erzählen konnte. Stattdessen würde sie wieder einen Morgen allein verbringen. Es war nicht das erste Mal, dass ich keine Zeit für sie hatte und inzwischen hatte sie auch gelernt, sich in solch einer Situation selbst zu versorgen. Aber glücklich war sie darüber nicht.




    Als ich wach wurde, war es draußen längst hell. Ein Blick auf die Uhr sagte mir auch, dass ich eigentlich schon längst hätte auf den Feldern sein müssen. Eilig kroch ich unter der Decke hervor, schnappte mir meine Arbeitskleidung und machte mich auf den Weg ins Bad. Ich hatte gestern nicht viel getrunken, aber eindeutig zu schnell. Und die letzten Minuten im Club waren nur undeutlich in meinem Gedächtnis verblieben. Ich stand mit Roland oben auf der Galerie und beobachtete die Tänzer. Und dann ist alles verschwommen, fast wie in einem Traum. Wir stehen vor dem Club und kommen uns näher... War das wirklich passiert oder hatte ich das nur geträumt? Ich wusste es nicht. Und ich war mir nicht sicher, ob ich es wissen wollte. Roland war immerhin mein bester Freund ...und er war verheiratet.




    Schnell sprang ich unter die Dusche und machte mich fertig, um zu den Rindern raus zu fahren und auf der Plantage nach dem Rechten zu sehen. Goya begleitete mich dabei wie an jedem Morgen. "Vermisst du dein Herrchen auch?", fragte ich meine Hündin, als ich den wehmütigen Blick in ihren Augen bemerkte. Wahrscheinlich war es reine Einbildung, aber fast schien Goya zu nicken. Liebevoll kraulte ich sie hinterm Ohr. "Aber er wird nicht zurückkommen, oder?" Goya blickte mich immer noch mit ihren großen Augen an und legte die Ohren an. "Nein, das wird er nicht." Und ich sollte mich endlich damit abfinden, fügte ich im Stillen hinzu, und mich möglicherweise für etwas Neues öffnen.




    Als Klaudia am Nachmittag von der Schule kam, fand sie wieder einmal ein leeres Haus vor. Kinga war nicht da, wie so oft in letzter Zeit. Aber was hätte es für einen unterschied gemacht, wenn ihre große Schwester da gewesen wäre? Sie hätte sich eh nur in ihrem Zimmer eingeschlossen und die Musik laut aufgedreht. Bekümmert setzte Klaudia sich an ihr Puppenhaus, in dem ihre perfekte Familie lebte. Eine Familie mit einer Mutter, einem Vater und zwei Schwestern. Hier redeten alle miteinander. Sie aßen zusammen, spielten zusammen, lachten zusammen. Es war nicht so, wie bei ihr zu Hause, wo jeder für sich alleine war. Sonst machte es Klaudia immer Spaß, in diese Phantasiewelt zu versinken, aber heute wollte ihr nicht einmal das mehr richtige Freude bereiten.




    Die Tage und Wochen vergingen und dann war der Tag gekommen. Schon als ich den Briefträger von weitem sah, wusste ich, dass er mir die Nachricht bringen würde vor der ich mich so fürchtete, die ich aber auch herbei wünschte. Denn dann wäre es offiziell und ich könnte mein Leben weiter leben, auch ohne Dominik.




    Ich las den Brief sicher ein paar duzend Mal. Er war nicht lang, nur ein paar Zeilen meines Anwalts, dass die Scheidung nun offiziell war. Ich war nicht mehr länger verheiratete. Ich war nicht länger Oxana Blech. Ab dem heutigen Tag war ich wieder Oxana Brodlowska. Die Erleichterung, die ich mir erhofft hatte, trat nicht ein. Eher im Gegenteil. Ich fühlte mich nur leer; einsam und leer.

  • Kapitel 120: Nur beste Freunde?




    "Und du willst echt nicht ins Meer, Oxana? Schau wie wunderbar blau es ausschaut." Roland blickte sehnsüchtig hinaus auf die Wellen, die man gerade noch so über den Poolrand hinaus erblicken konnte. "Mir ist das einfach viel zu salzig", erklärte ich ihm jetzt zum dritten Mal. "Aber wenn du unbedingt willst, komme ich mit zu Strand. Nur ins Wasser bekommst du mich dann trotzdem nicht." Roland schien einen Moment über meinen Vorschlag nachzudenken, doch als einzige Antwort spritzte er mir mit einer schnellen Handbewegung Wasser ins Gesicht und schwamm lachend eilig davon. Ich hatte ihn angerufen, nachdem ich den Brief von meinem Scheidungsanwalt bekommen hatte und Roland schlug vor, lieber ans Meer nach Sead Azul zu fahren, als im Trübsal zu versinken.




    Und anstatt zu betrauern, dass eine Lebensabschnitt vorbei ging, riet er mir dazu, lieber auf einen Neubeginn anzustoßen. Eigentlich war mir immer noch nicht nach Feiern zumute, aber Roland schaffte es mich in Windeseile davon zu überzeugen, dass ein Glas Sekt jetzt genau das Richtige war. Und bei dem Ausblick, der sich uns von der Terrasse des Cafés bot, mit der frischen Brise, die vom Meer herüber wehte, und den warmen Sonnenstrahlen, die meine Haut kitzelten, konnte ich gar nicht anders, als glücklich zu sein.




    Verträumt blickte ich aufs Meer hinaus und beobachtete die Möwen, als Roland seinen Arm über den Tisch schob und nach meiner Hand griff. "Du trägst deinen Ehering immer noch", stellte er mehr fest, als das er fragte und fuhr mit seinen Fingerkuppen den goldenen Ring an meinem Finger ab. Ich nickte zögerlich. "Ich konnte ihn bis jetzt nicht abnehmen". "Das verstehe ich", entgegnete Roland, "aber findest du nicht, dass jetzt die richtige Zeit wäre, ihn weg zu legen?" Roland hatte Recht. Ich sollte mich ganz von der Vergangenheit lösen. Dazu gehörte auch dieser Ring. Und das würde ich auch tun. Aber im Moment genoss ich es nur, dass Roland sanft meine Hand streichelte.




    Wir blieben noch lange in dem Café sitzen, aßen etwas und unterhielten uns. Roland war zwar nur ein paar Straßen weiter gezogen, aber dennoch hatte sich unsere Freundschaft nach seinem Auszug verändert. Sie war längst nicht mehr so innig gewesen, wie zu unseren WG-Zeiten. Und in den letzten Wochen und ganz besonders jetzt, in diesem Moment, war es, als ob wir wieder zusammen leben würden, als ob Roland gerade erst in die Simlane gezogen wäre. Und wie damals setzten wir uns auf den warmen Boden und schauten in die Sterne. Nicht etwa schweigen, nein, sondern fröhlich plappernd wie in alten Tagen.




    Es wurde spät und Zeit aufzubrechen. Alleine die Fahrt zurück nach Sierra Simlone Stadt würde fast eine Stunde in Anspruch nehmen, trotzdem schien jetzt der richtige Moment, mich bei Roland für diesen wunderbaren Tag zu bedanken. Zutraulich strich ich ihm über die Schulter und setzte dazu an, ihm einen Wangenkuss zu geben. Doch Roland drehte seinen Kopf so, dass meine Lippen seinen weichen Mund trafen. Mir schein es, als ob wir in dieser Position eine halbe Ewigkeit verharren würden. Ich blickte in Rolands halb geöffnet Augen und versuchte zu ergründen, was er gerade dachte. Meine eigene Vernunft riet mir dazu, mich sofort von ihm zu lösen, doch sein durchdringender Blick machte mich einfach machtlos.




    Schließlich lösten wir uns voneinander. Es blieb bei diesem einen Kuss, der alles oder auch nichts bedeuten konnte. War es ein rein freundschaftlicher Kuss? Oder steckte mehr dahinter? Auf der Rückfahrt verhielten wir uns weiterhin wie die zwei besten Freunde, die wir waren. Wir redeten, wir lachten. Ich setzte Roland bei seinem Haus ab. Bei seiner Frau Brandi und seinen Kindern, wie ich mir noch einmal deutlich in Erinnerung rief. Und trotzdem, da war diese Knistern zwischen uns. Und so sehr ich mich auch bemühte es zu ignorieren, so spürte ich doch, wie es stärker und stärker wurde.







    Als ich nach Hause kam, waren die Kinder bereits im Bett und auch Tristan war in seinem Zimmer. Also legte ich mich ins Bett und schlief mit einem angenehm beschwingten Gefühl ein. Und mit ebenso einem Gefühl wachte ich am Morgen wieder auf. Fröhlich summend ging ich in die Küche und bereitete mit ein Brot zu. Immer noch verschlafen kam Tristan aus seinem Zimmer, holte sich eine Schüssel Müsli und setzte sich an den Tisch. "Wo warst du denn gestern?", fragte er kauend. Alleine bei den Gedanken an den Ausflug mit Roland musste ich lächeln. "Ich war in Seda Azul", antwortete ich ihm. "Ich musste einfach einmal einen Tag entspannen."




    "Und, war es schön?" Es war zwar eine ganz normale Frage, trotzdem ließ mich Tristans Tonfall aufhorchen. "Ja, es war schön", antwortete ich zögerlich und blickte misstrauisch zu meinem Mitbewohner und Freund hinüber. "Ich werde euch wohl mal einen Tag alleine lassen können." "Vielleicht wären wir aber auch gerne mitgekommen?", platzte Tristan mit seiner Erwiderung heraus. "Ich meine damit nicht unbedingt mich, aber ich könnte mir vorstellen, dass deine kleine Tochter nichts gegen einen Tag am Strand einzuwenden gehabt hätte, insbesondere wenn man bedenkt, dass ihr Eltern sich gerade scheiden lassen und ihre Schwester das Haus terrorisiert. Aber das war nur so ein Gedanke von mir."




    Sofort vergaß ich Tristans vorwurfsvollen Ton und rügte mich innerlich selbst dafür, dass ich nicht an Klaudia gedacht hatte. "Sie ist hinter dem Haus", erklärte er, noch ehe ich fragen konnte, wo meine Tochter gerade war. "Schon gestern saß sie dort und streichelte einen bemalten Backstein und sprach mit ihm. Sie hätte fast geweint, als sie sah, wie du weg gefahren bist, ohne auch nur zu fragen, ob sie mit will." Mein schlechtes Gewissen wuchs mit jedem von Tristans Worten. Eilig legte ich das Küchenmesser beiseite und trat durch die Hintertür in den Garten.




    Als Klaudia mich die Treppe hinunter kommen sah, legte sie den Backstein beiseite und drehte sich beleidigt von mir weg. Es tat weh zu sehen, dass meine Tochter sich mir gegenüber in dieser Art und Weise verhielt. Es reichte, dass Kinga wütend auf mich war. Noch eine Tochter wollte ich nicht gegen mich aufbringen. "Pummelchen, es tut mir leid. Ich hätte dich fragen sollen, ob du mit ans Meer möchtest", entschuldigte ich mich bei ihr. "Ich verspreche dir, dass wir dafür etwas ganz Tolles zusammen unternehmen werden."




    Zu meinem Glück war meine jüngere Tochter nicht halb so nachtragend wie Kinga. "Was wollen wir denn zusammen machen?", fragte sie sofort begeistert und vergessen war der Ärger, den sie verspürt hatte. "Was du möchtest, Pummelchen", antwortete ich ihr. "Wenn du magst, können wir auch ans Meer fahren. Oder wir fahren in einen Freizeitpark nach SimVegas. Du darfst dir alles aussuchen."




    "Können wir etwas zusammen mit Papa machen?" Diese Frage überrumpelte mich, auch wenn ich sie eigentlich hätte voraussehen müssen. "Du kannst natürlich gerne etwas mit deinem Papa unternehmen. Aber ich bleibe dann lieber zu Hause, Pummelchen", erklärte ich ihr. Dann nahm ich ihre kleine Hand und sprach weiter: "Dein Papa und ich sind jetzt nicht mehr verheiratet. Ich glaube nicht, dass er mich sehen möchte." Ich hatte erwartet, dass Klaudia geschockter reagierte, aber sie nahm es erstaunlich gut auf. "Ist schon in Ordnung, Mami. Die Eltern von Mechthild sind auch geschieden und sie sagt, dass ist gar nicht sooo schlimm. Und ich kann mit Papa ja auch etwas machen. Aber jetzt will ich etwas mit dir unternehmen."




    Klaudia wollte sich etwas Tolles überlegen und ich war froh, dass es meiner Tochter wieder besser ging. Ich hatte fast schon das Gefühl, dass doch noch alles gut werden würde, doch dann ertönte auch schon der ohrenbetäubende Krach aus Kingas Zimmer. Ich überlegte, ob ich an ihre Zimmertür klopfen sollte, sie bitten sollte, endlich diesen Krach abzustellen und mit mir zu reden. Doch dann wurde mir bewusst, dass es ohnehin keinen Sinn gehabt hätte.




    Ich konnte sie verstehen. Nicht nur, weil ich es war, die sie belogen hatte. Ja, ich wusste, dass sie zu Recht wütend war, aber ich wusste auch, wie sie sich fühlen musste. Sie hasste mich, so wie ich meinen Dad gehasst hatte. Und ich wusste nur zu gut, dass dieses Gefühl nicht plötzlich verschwinden würde. Ich hatte es schon an dem Tag in ihren Augen gelesen, als sie die Wahrheit über ihren Vater erfahren musste. Gedankenverloren wusch ich den Staub von meinen Händen. Dabei blieb mein Blick auf meinem Ehering haften. Roland hatte vollkommen Recht, es war Zeit, den Ring abzunehmen. Ich war nicht länger verheiratet, also gab es keinen Grund mehr, ihn zu tragen. Fast acht Jahre lang hatte ich den Ring nicht einmal abgenommen und jetzt zog ich ihn einfach von meinem Finger und legte ihn in mein kleines Schmuckkästchen.




    Am Abend kam Roland mich besuchen und auch an den nachfolgenden Abenden war er immer wieder ein Gast in meinem Haus. Meist quatschten wir einfach nur miteinander oder sahen zusammen mit Tristan DVDs und spielten Darts. Unser Kuss am Meer war fast wieder vergessen. Aber eben nur fast. Jedes Mal, wenn ich Roland ansah, spürte ich dieses leichte Kribbeln. Und mehr als einmal erwischte ich mich bei dem Gedanken was wäre, wenn er nicht nur mein bester Freund wäre?




    Doch solche Gedanken schob ich hastig wieder beiseite. Es war nicht so, als ob einer von uns beiden wirklich geflirtet hätte. Wir waren gute Freunde, sehr gute Freunde, doch manchmal war es so, als ob wir die Grenzen unserer Freundschaft zu weit erkundeten. Es geschah ganz zaghaft, wenn Roland zum Beispiel seinen Arm um mich legte, oder wenn meine Hand fast unbewusst zu seiner Hüfte fand. Sobald uns bewusst wurde, dass wir zu weit gegangen waren, kehrten wir sofort wieder um, aber ich spürte, wie mir diese Umkehr von Mal zu Mal schwerer fiel.

  • Kapitel 121: Drei sind einer zu viel




    "Papi, guck was ich Tolles kann!" Noch bevor Dominik seine kleine Tochter richtig begrüßen konnte, führte sie ihm einen Radschlag vor, der auch ganz passabel gelang. "Hey, super, Pummelchen!", klatschte Dominik begeistert. Das ganze Spektakel wurde nicht nur neugierig von Anan, Klaudias Großvater, beobachtet, sondern auch von einigen zufälligen Passanten. Doch das störte Klaudia nicht im Geringsten. Bald würde sie Etwas mit ihrer Mutter unternehmen, was, das blieb allerdings noch die große Frage, und das Wochenende durfte sie bei ihrem Vater verbringen.




    "Geh schon mal rein, Pummelchen", forderte Dominik sie auf. "Ich hab dir ein paar Süßigkeiten raus gestellt, also greif ruhig zu. Ich will mich noch ein wenig mit Opa unterhalten." Dominik brauchte dies nicht zu wiederholen und Klaudia hüpfte vergnügt zu Dominiks Wohnung. Anans Blick folgte seiner Enkelin und blieb schließlich an der schäbigen Wohnungstür haften. "Wann suchst du dir endlich ein vernünftiges Zuhause, Junge", tadelte er seinen Sohn nicht zu ersten Mal. "Dieser Appartementkomplex scheint doch jede Minute in sich zusammen zu fallen. Du hast doch das Geld." Dominik lachte einfach nur. "Mir gefällt es hier. Ich bin nah bei den Kindern und du weißt doch, wie schwierig es ist, etwas in Sierra Simlone Stadt zu finden. Und ich hab nicht vor zu bauen."




    "Ich danke dir, dass du Klaudia her gebracht hast", wechselte Dominik das Thema. "Du redest also immer noch nicht mit Oxana?", fragte Anan bekümmert. "Nein. Es gibt nichts zu reden", erwiderte Dominik. "Wir sind geschieden und ich möchte einfach mit ihr abschließen. Ich kann immer noch nicht begreifen, wie sie mich so lange belügen konnte. Aber ich will nicht über sie sprechen, Pa." Anan akzeptieret die Entscheidung seines Sohnes, auch wenn er sich gewünscht hätte, dass er sich wieder mit mir vertragen könnte. Aber diese Endscheidung konnte nur Dominik treffen. Er würde sich da raus halten.




    Anan verabschiedete sich kurz darauf. Als Dominik seine Wohnung betrat, saß Klaudia am Esstisch und kramte in einer Schüssel mir Süßigkeiten. Doch als sie ihren Vater sah, sprang sie sofort auf. "Wollen wir etwas spielen?", fragte sie ungeduldig. "Klar, Pummelchen", antwortete Dominik. "Aber wo ist eigentlich deine Schwester abgeblieben? Wolltet ihr nicht zu zweit kommen?" "Die ist doch nur doof", erklärte Klaudia. "Die schließt sich nur in ihr Zimmer ein und hört ganz furchtbare Musik."




    "Aber das mit der Musik ist immer noch besser, als wenn sie sich ständig mit Mami streitet." Für einen Moment wirkte Klaudia sehr betrübt, doch dann zuckte sie mit den Schulter und platze mit der Neuigkeit heraus, die sie allen mitteilen musste: "Mami und ich machen dafür was ganz Tolles zusammen. Vielleicht fahren wir sogar weg!" Dieser Begeisterung konnte auch Dominik nicht widerstehen und wuschelte seiner Tochter durchs Haar. "Komm, lass uns jetzt ein Spiel raussuchen, Pummelchen."




    Die Auswahl an Spielen in Dominiks neuem Haushalt war nicht gerade riesig und so kramte Klaudia das Majong-Spiel hervor, das sie inzwischen regelmäßig mit ihrem Papa spielte. Während Klaudia die Steine kräftig durchmischte, versank Dominik in Gedanken. Kinga war nun schon seit einigen Wochen nicht mehr bei ihm gewesen. Zunächst hatte sie immer eine Erklärung dafür gehabt, doch diesmal hielt sie nicht mal mehre eine Ausrede für nötig. Hatte er etwa irgendetwas getan, das sie glauben ließ, er würde sie nicht mehr lieben, nur weil sie nicht seine leibliche Tochter war? Für ihn war sie nach wie vor seine Prinzessin und er würde ihr das auch gerne sagen. Aber dazu müsste sie zu ihm kommen oder wenigstens am Telefon mit ihm sprechen. Doch selbst das hatte Kinga schon lange nicht mehr getan.




    Meine jüngste Tochter schlief in dieser Nacht zufrieden in ihrem Bett bei Dominik. Und ich war fest davon überzeugt, dass meine Älteste das auch in ihrem Bett in meinem Haus tat. Doch weit gefehlt. Etwa gegen vier Uhr morgens hielt ein Streifenwagen vor der Simlane und auf der Rückbank saß niemand anderes als Kinga. Ein blonder Polizist stieg aus dem Wagen und das Knallen der Autotür schreckte Goya auf, sodass diese aus ihrer Hundehütte hinterm Haus laut bellend herbei gerannt kam und mich aus dem Schlaf riss.




    Goya hörte auf zu bellen, als sie Kinga bemerkte, die bedrückt aus dem Wagen stieg. Während der Polizist zur Haustür schritt und dabei den Hund argwöhnisch beäugte, schlug Kinga sich die Hände vors Gesicht und nutzte die Gelegenheit um tief durchzuatmen und sich auch die Szene vorzubereiten, die gleich folgen würde. Warum musste dieser blöde Polizist auch ausgerechnet an der Ecke vorbei fahren, wo sie sich mit ihren neuen Freunden getroffen hatte?




    Ohne weiter darüber nachzudenken lief ich im Schlafleibchen zur Haustür, sobald ich den Polizisten und meine Tochter durch das Fenster erkannt hatte. "Was ist passiert", fragte ich ungeduldig, als ich die Tür öffnete und dem Polizisten gegenüber stand. "Geht es meiner Tochter gut?" "Keine Sorgen, gnädige Frau, ihrer Tochter fehlt nichts", versicherte mir der Polizeibeamte. "Ich habe sie lediglich dabei erwischt, wie sie zusammen mit einigen üblen Typen nicht weit von hier entfernt in einer alten Scheune herumlungerte. Und da ihre Tochter gerade erst vierzehn ist, musste ich sie umgehend zurück nach Hause bringen."




    Der Polizist verabschiedete sich und Kinga und ich gingen ins Haus. Ich war wütend auf meine Tochter, ich war wirklich wütend. Wie konnte sie einfach so mitten in der Nacht abhauen, ohne auch nur bescheid zu sagen? Es hätte ihr doch alles Mögliche passieren können. "Du kannst doch nicht einfach so abhauen!", fuhr ich sie an. "Kinga, was ist bloß los mit dir?" Es war nicht nur die Angst, dass ihr etwas hätte passieren können. In diesem Moment entlud sich auch mein Ärger über ihr Verhalten mir gegenüber, der sich in den letzten Wochen immer weiter in mir angestaut hatte. "Und mit was für üblen Typen hast du dich da eingelassen?", brüllte ich sie weiter an.




    "Farina und Alex sind überhaupt keine üblen Typen! Die von der Polizei haben voll den Knall! Nur weil jemand sich von der Masse absetzen will ist er in deren Augen gleich ein Krimineller. Die beiden sind mein Freunde", brüllte Kinga ebenso laut zurück. "Und außerdem kann ich doch wohl selbst entscheiden, mit wem ich mich treffe! Was geht dich das denn an?!" "Ich bin deine Mutter!", schrie ich sie an. "Du bist noch ein Kind, Kinga, und du hast dich gefälligst an Regeln zu halten. Wenn du weg gehst, dann will ich das wissen und ich will auch wissen, mit wem du dich triffst!"




    "Gar nichts werde ich dir sagen", schrie sie zurück und rannte zur Tür, die ins Esszimmer führte. "Bleib gefälligst stehen und sieh mich an", forderte ich sie auf und Kinga drehte sie tatsächlich um. "Sonst was?", bluffte sie mich an. "Wirst du mich sonst bei Papa verpetzen? Oh, entschuldige ich vergaß, ich hab ja gar keinen Vater und das ist alles nur deine Schuld. Dank dir konnte ich meinen leiblichen Vater nie kennenlernen und Papa hast du auch aus dem Haus vertrieben. Du hast alles kaputt gemacht, also lass mich einfach in Ruhe. Ich hasse dich und daran bist ganz alleine du schuld!"




    Mit diesen Worten drehte sie sich um und marschieret entschlossen in ihr Zimmer. Dass sie dort auch angekommen war, konnte ich deutlich am Knallen der Tür erkennen. Erschöpft rieb ich mir meine Schläfen und blieb vor dem Fenster im Arbeitszimmer stehen. Die Wüste war ruhig wie jeden Abend und ich wünschte mir inständig, dass diese Ruhe auch wieder in der Simlane einziehen könnte. Ich konnte Kinga verstehen, dass sie sauer auf mich war. Mir die Schuld an allem zu geben war ihr gutes Recht. Aber sie musste auch einsehen, dass wir nach vorne Blicken mussten. Was geschehen war, war geschehen. Dominik war fort, aber das Leben würde trotzdem weiter gehen.




    Ich ahnte nicht, dass Kinga bittere Tränen weinte, als sie alleine in ihrem Zimmer war. Wieder einmal drehte sie die Musik voll auf, aber auch das konnte den Schmerz in ihrem Herzen nicht vertreiben. Die Wut, die sich mir gegenüber empfand war einfach so stark und ließ sich nicht unterdrücken. So oft hatte sie sich vorgenommen, mir zu verzeihen, aber es ging einfach nicht. Der Zorn war stärker als sie. Und ihre neuen Freunde, Alex und Farina, schafften es irgendwie, sie von ihrem Zorn und ihrem Schmerz abzulenken. Warum konnte das bloß niemand verstehen?







    Wieder einmal durchlebte ich eine rastlose Nacht. Inzwischen war dieser Zustand ja fast schon zur Gewohnheit geworden. Da Sonntag war, machte ich mich früh morgens auf den Weg zur Kirche. Auf meinem Heimweg bemerkte ich, dass Brandi, Rolands Frau, vor dem Haus wartete. Eine Welle schlechten Gewissens übermannte mich. Roland und ich hatten in den letzten Wochen die Grenze zur Freundschaft gefährlich weit überschritten. Aber es war nie etwas passiert, von dem einen kleinen Kuss am Strand einmal abgesehen. Also schob ich meine Bedenken beiseite und begrüßte meine Freundin.




    Doch irgendetwas bedrückte sie. Schon bei meiner Umarmung zur Begrüßung bemerkte ich, wie sie sich versteifte und ihr Blick sagte eindeutig, dass ihr etwas auf dem Herzen lag. Sie atmete tief durch und begann dann zögerlich zu sprechen: " Oxana, ich...irgendetwas muss zwischen Roland und dir vorgefallen sein." Meine Augen weiteten sich geschockt und damit nahm ich mir jede Chance, mich geschickt aus der Affäre ziehen zu können. "Seitdem ihr beide den Ausflug zum Meer gemacht habt, verhält er sich anders mir gegenüber. Und ich...ich weiß auch woran das liegt."




    "Er liebt dich, Oxana. Das hat er schon so lange, wie ich ihn kenne. Versuch gar nicht, es abzustreiten. Ich habe es immer gewusst." "Zwischen uns ist nichts passiert", versicherte ich ihr eilig und sie nickte bloß. "Ich weiß. Wäre es anders, wäre ich nicht hier. Aber er liebt uns beide, Oxana. Und ich fürchte, dich liebt er ein Stück mehr als mich." Ich sah Brandi lediglich hilflos an. Ich wusste nicht, was ich erwidern konnte. Immerhin wusste ich, dass sie Recht hatte. Roland liebte mich. Das hatte er mir schon vor so vielen Jahren gestanden und wenn ich sein...nein unser Verhalten der letzten Wochen betrachtete, dann wusste ich, dass es immer noch so war.




    "Ich bitte dich Oxana, nimm ihn mir nicht weg." Brandi war den Tränen nahe. Sie starrte auf den Boden und krampfte ihre Hände zusammen. "Ich liebe ihn so sehr und wir sind glücklich. Wir haben zwei kleine Kinder! Ich flehe dich an, geh auf Abstand zu ihm. Ich weiß, dass ich gegen dich nicht gewinnen könnte. Wenn du es zulässt, dann wird er sich für dich entscheiden. Und gerade du...du musst doch wissen, wie furchtbar es ist, den Mann zu verlieren, den man liebt. Tu mir das nicht an. Bitte." Ihre Stimme zitterte und zum Schluss war sie kaum mehr als ein Flüstern.




    Wortlos standen wir uns gegenüber. Brandis Blick war voller Angst und sie zitterte am ganzen Körper. "Ich verspreche es dir", hauchte ich schließlich und es war, als ob eine riesige Last von Brandis Schultern gefallen wäre. "Ich danke dir", antwortete sie schluchzend. Anschließend dreht sie sich um und schritt in Richtung ihres Hauses am anderen Ende der Stadt.




    Kaum war Brandi außer Sichtweite, ließ ich mich benommen auf der staubigen Treppe nieder. Auch ich zitterte am ganzen Körper. Ich musste Brandi versprechen, mich von Roland zu distanzieren. Wie hätte ich ihr das verweigern können? Sie war seine Ehefrau und ich hatte kein Recht mich zwischen sie und Roland zu drängen. Das hatte ich bereits bei Albert und Gerda zugelassen und ich hatte mir geschworen es nie wieder zuzulassen. Ich verstand selber nicht, warum ich in diesem Fall nicht schon viel früher die Notbremse gezogen hatte. Vielleicht, weil Roland mir so verdammt gut tat. Und jetzt würde ich ihn erneut als Freund verlieren. Aber es war nötig, zumindest so lange, bis wir beide uns zufrieden damit geben konnten, nur Freunde zu sein.

  • Kapitel 122: Auf in die Berge!




    Am Abend brachte Anan Klaudia wieder von Dominik zurück. Meine kleine Tochter begrüßte mich überschwänglich und plapperte gleich drauf los, was sie alles zusammen mit Dominik unternommen hatte. Die beiden waren heute sogar zu den Bohrtürmen gefahren, damit Klaudia sich den Arbeitsplatz ihres Vaters ansehen konnte. "Was hältst du davon, wenn wir zwei morgen auch weg fahren?", schlug ich vor und küsste mein Pummelchen. "Ich hatte dir doch einen tollen Ausflug versprochen. Lass uns für ein paar Tage Richtung Norden in die Berge fahren. Hättest du Lust dazu?"




    Klaudias Augen begannen zu leuchten. "Gibt es da auch Schnee?" fragte sie aufgeregt. "So richtigen wie im Fernsehen?" Ich musste lachen. Immer wieder vergaß ich, dass mein Pummelchen bis jetzt nur die Wüste kannte. Schnee war etwas komplett Unbekanntes für sie. Selbst Kinga hatte erst ein oder zwei Mal in ihrem Leben Schnee erlebt. "Ich kann es nicht versprechen, aber wir haben November, da ist es schon möglich, dass es in den Bergen schneit."




    Begeistert hüpfte Klaudia auf und ab. "Schnee, ich werde Schnee sehen!", sang sie dabei fröhlich vor sich her. "Wenn ich das Irmgard, Beate und Mechthild in der Schule erzähle. Die werden Augen machen." Doch dann hielt sie inne. "Aber wir können gar nicht weg", quiekte sie entsetzt. "Ich habe doch morgen Schule!" Ich zwinkerte ihr schmunzelnd zu. "Ich denke, es wir schon in Ordnung sein, wenn du ein paar Tage fehlst. Du hattest halt einen gaaaaanz schlimmen Sonnenstich. Aber du darfst dich bloß nicht bei deiner Lehrerin verplappern.''




    "Kommt Ki denn auch mit?", fragte Klaudia und ich wusste nicht ob ich ihrem Tonfall entnehmen sollte, dass sie ihre Schwester dabei haben wollte oder eher nicht. Ich schüttelte aber zur Antwort mit dem Kopf und Klaudia fragte auch nicht weiter nach. Ich hatte Kinga gefragt, aber mehr als ein spöttisches Lachen erhielt ich nicht als Antwort. Da wir morgen früh gleich los wollten, packten wir unsere Sachen zusammen. "Wo ist den mein Wintermantel?", fragte Klaudia besorgt und begann in ihren Schubladen zu kramen. Tja, das war ein gute Frage, aber wann brauchten wir in der Sierra Simlone schon Winterkleidung? Aber zum Glück fand sich der Mantel doch noch, ganz tief versteckt unter einem Berg sommerlicher Kleidung.




    Früh am Morgen fuhr ich dann mit Klaudia zum Flughafen von SimVegas und wir stiegen in eine Maschine, die uns nach SimNorsk in der nördlichsten Provinz der SimNation Simskelad brachte. Von da aus waren es nur wenige Kilometer bis zu dem Ferienort "Drei Seen", der sich über drei Terrassen eines Berghangs erstreckte. Übers Internet hatte ich kurzfristig eine Blockhütte angemietet und die Ferienhaussiedlung schien auf den ersten Blick wirklich nett zu sein. Nur Klaudia war enttäuscht. "Hier ist ja gar kein Schnee!", schluchzte sie entsetzt, als wir aus dem Taxi stiegen. Dafür war es aber bitter kalt...zumindest für Sierra Simlonische Verhältnisse.




    Ich hatte die Reise lediglich über das Internet gebucht und mein Herz raste, als ich an der Rezeption stand. Was wäre, wenn irgendetwas mit der Reservierung nicht geklappt hätte? Aber zum Glück stellten sich meine Befürchtungen als völlig unbegründet heraus. Der nette Mann von der Rezeption erwartete uns bereits und wir konnten direkt einchecken.




    Derselbe Mann betrachte uns dann auch sofort zu unserer Blockhütte. Sie war nicht gerade groß, war aber für zwei Personen gerade richtig. Es roch angenehm nach frischem Kiefernholz und das Haus wirkte auf den ersten Blick recht sauber und gemütlich. Hier würde es sich sicherlich gut ein paar Tage aushalten lassen.




    Sofort holte ich meine Digitalkamera aus dem Koffer, um die ersten Eindrücke unseres Ferienhauses einzufangen. Und Klaudia bot sich auch umgehend als Fotoobjekt an, ohne, dass ich sie hätte lange darum bitten müssen. Schnell fing ich auf dem Speicherchip auf, wie meine Tochter ausgelassen auf dem Sofa rumhüpfte. Doch, es war die richtige Entscheidung gewesen, einfach mal für ein paar Tage dem Chaos des Alltags zu entfliehen. Es tat meiner Tochter gut und es würde auch mir gut tun.




    Leider gab es in unserer Feriensiedlung keinen Speisesaal oder ähnliches. Aber so schlimm war dies nun auch wieder nicht. Den Grill könnte jeder jederzeit benutzen und notfalls konnte man sich auch Essen auf das Zimmer kommen lassen. Doch für den Anfang würden gegrillte Hamburger Klaudia sicher nicht unglücklich machen.




    Während ich also den Kochlöffel schwang, war Klaudia damit beschäftig, neue Bekanntschaften zu schließen. "Hallo, ich bin Klaudi und wie heiß du?", sprach sie einfach die Hotelangestellten, Gäste und auch die wenigen Einheimischen an. Emma, die rothaarige Frau im Holzfällerhemd, zeigte ihr dann auch die ortstypische Begrüßung, nämlich wildes Klopfen auf die Brust und Klaudia war sofort Feuer und Flamme. Das war doch viel cooler als das olle, Händeschütteln und Winken. Die anderen Touristen sahen das wohl anders und hielten erste einmal gebührenden Abstand von dieser ungewöhnlichen Frau.




    Ich war erstaunt, wie schnell es hier im Norden dunkel wurde. Die vielen Jahre in der Sierra Simlone haben mich ein wenig vergessen lassen, dass sich die Tageszeit weiter nördlich viel stärker mit den Jahreszeiten veränderte. Da es draußen nun doch sehr kalt wurde, ging ich mit Klaudia in unsere Hütte und zündete ein Feuer im Kamin an. Dabei kam mir zugute, dass ich in der Simlane nahezu dasselbe Modell stehen hatte und deshalb das Feuer recht schnell entfachte. Und im Gegensatz zu meinem Kamin zuhause erfüllte dieser auch seinen Zweck als Heizung. Dicht vor die wärmenden Flammen gedrängt, verbrachten Klaudia und ich den Rest des Abends damit, wunderliche Geschichten über die Region und ihre Bewohner zu lesen.




    Das Feuer im Kamin erfüllte die gesamte kleine Hütte mit seiner Wärme und so mussten meine Tochter und ich auch nicht in ein kaltes Bett steigen. Die Anstrengung des Fluges und vielleicht auch die frische Bergluft, ließen mich sofort in einen tiefen, festen Schlaf fallen. Nicht einmal das gelegentliche heulen der Wölfe in weiter Ferne, noch der unheimliche Ruf der Eulen konnte daran etwas ändern.