Kapitel 108: Geniale Anmachsprüche
Tristan ahnte nichts von den Turbulenzen, die gerade die Simlane erschütterten. Er genoss es einfach, am Strand zu liegen, dem Meeresrauschen zu lauschen und sich zu sonnen. Mit ein wenig Sonne sah sein blasser Hautton nicht ganz so schweinerosa aus. Außerdem konnte er jetzt gut eine Mütze schlaf gebrauchen. Auch wenn Hans und er letzte Nacht keine Typen mehr abgeschleppt hatten, haben sie noch bis in die frühen Morgenstunden in einer Stranddisco verbracht. Tristan war fast schon eingedöst, als Hans ihn mit einer Muschel bewarf. "Hey Tristan, schau mal, wer da gerade ins Wasser steigt."
Tristan hob müde seinen Kopf. Allerdings wurde er sofort hell wach, als er den braunhaarigen Schnuckel vom letzten Abend entdeckte. Zaghaft tauchte der junge Mann in schwarzer Badehose seine Beine in das kühle Nass. Bis zur Hüfte ging es auch ganz gut voran, doch als es darum ging, den Rücken einzutauchen, stellte er sich auf die Zehnspitzen, um dem kalten Wasser möglichst lange auszuweichen. Doch es nütze nicht viel. Bereits die nächste Welle erfasst ihn und hüllte seinen kompletten Körper ein. Nur der braune Wuschelkopf blieb über Wasser.
Tristan zögerte nicht lange und stieg ebenfalls ins Wasser. Allerdings viel der Einstieg gleich doppelt schwer, denn sein Körper war von der Sonne schön aufgeheizt und das Wasser wirkte gleich um einiges kälter. Aber da musste er durch. Erst einmal eingetaucht, war die Kälte kein Problem mehr und er schwamm auf den Unbekannten zu. Im Vorbeischwimmen begrüßte er ihn: "Hallo widerspenstiger Braunschopf. Wie ich sehe, bist du heute wieder ganz einsam unterwegs. Redest du heute mit mir?" Der Bursche sah ihn verwirrt an, grinste aber. Trotzdem war er nicht so gesprächig, wie Tristan gehofft hatte. "Hallo, aufdringlicher Rotschopf und tschüss", erwiderte er und schwamm in eine andere Richtung weiter.
Das lief irgendwie schon wieder nicht so wie geplant. Tristan hätte den jungen Mann hinterher schwimmen können, aber irgendwie zweifelte er daran, dass er auf diese Art und Weise Erfolg haben würde. Vielleicht war er doch nicht so gut im Männer aufreisen, wie er bisher gedacht hatte. Irgendwie war es viel leichter, sich von den Typen anmachen zu lassen. Missmutig stieg er aus den Wellen. Jetzt musste er sich wieder neu eincremen, ansonsten hätte er bei seiner Haut gleich einen Sonnenbrand. Und Wasser im Ohr hatte er zu allem Überfluss auch noch.
Hans döste immer noch in der Sonne. Doch irgendwie hatte Tristan keine Lust mehr, tatenlos in der Sonne zu braten. Er cremte sich schnell neu ein und spazierte dann barfuss am Strand entlang. Einige hundert Meter von seinem Handtuch entfernt, entdeckte er schon wieder den Braunhaarigen. Er saß im Sand und formte mit seinen Händen einen Hügel, der wohl eine Burg darstellen sollte. „Er ist wirklich noch verdammt jung", dachte sich Tristan, aber das war eigentlich kein Hinderungsgrund. Er stellte sich dem Burschen genau in die Sonne, so dass ein Schatten auf diesen viel und er zu Tristan hoch sehen musste. "Hau bitte nicht gleich wieder ab", flehte Tristan ihn an. "Ich beiße wirklich nicht. Soll ich dir vielleicht beim Sandburgenbau helfen?" Der Junge seufzte einmal, klopfte dann aber auf den Sand neben sich um Tristan zu zeigen, dass er sich setzen durfte. "Ich bin übrigens Tristan, nur falls du meinen Namen vergessen haben solltest". "Nein, habe ich nicht", grinste der Braunhaarige. "Ich heiße Stev".
Die Welt hatte schon schönere Sandburgen gesehen und so fiel es Stev auch gar nicht schwer, diese wieder zu zerstören, nachdem Tristan und er ihr Werk vollendet hatten. Kaum war er wieder aufgestanden, grummelte es heftig in seiner Magengegend. "Da hat wohl jemand Hunger", lachte Tristan, insbesondere, da Stev unverzüglich rot anlief. "Komm ich lade dich ein." Doch Stev lehnte freundlich ab. "Nein, ich zahle selber. Aber ich habe nichts dagegen einzuwenden, wenn du mir beim Essen Gesellschaft leistest."
Eine Snackbar fanden die beiden gleich in ihrer Nähe. "Bist du ehrlich ganz alleine hier?", fragte Tristan, während sie ihr Teriyaki Mahi-Mahi verspeisten. "Ja", bestätigte Stev. "Ich hab vor einigen Wochen meinen Abschluss in Biotechnologie an der Uni in Paderbrunensis gemacht. Und jetzt wollte ich einfach mal entspannen. Ich bin einfach in den Bus gestiegen und hier her gefahren, ohne groß nachzudenken. Um ehrlich zu sein, habe ich überhaupt keinen Plan, was ich weiter machen will. Im Moment habe ich nicht einmal eine Wohnung, da ich nach dem Studium das Wohnheim verlassen musste. Na ja, etwas Geld ist noch übrig und wenn das erst einmal alle ist, dann suche ich mir irgendwo einen Job. Ich will erst einmal was komplett anderes machen, als ich gelernt habe. Kannst mir glauben, die Arbeit im Labor hängt einem nach ein paar Monaten echt zum Hals raus."
"Das kann ich nachvollziehen", bestätigte Tristan. "Ich Arbeite für eine Ölgesellschaft und der Job ist meist auch alles andere als abwechslungsreich. Tja, wenn ich du nur nicht so viel Geld verdienen würde...Aber jetzt mal was anderes. So ganz alleine hier rumzuhängen ist doch irgendwie auch öde. Hast du nicht Lust, dich meinem Kumpel Hans und mir anzuschließen? Wir wollten noch so ein, zwei Tage hier bleiben." "Aber nur mit euch abhängen, ja?", fragte Stev skeptisch. "Ich bin doch sicher vor weiteren deiner genialen Anmachsprüche?" Tristan zog eine Schnute, lachte dann aber sofort wieder. "OK, geht klar. Von jetzt an lasse ich dich in Ruhe. Aber wenn du deine Meinung noch mal ändern solltest, sag nur bescheid. Meine richtig guten Sprüche konnte ich noch gar nicht zum Besten geben."
Also war es beschlossene Sache. Hans hatte nichts einzuwenden, als Tristan mit Stev im Schlepptau wieder bei den Strandtüchern auftauchte. Hans fand Stev selber ganz niedlich und da dieser ja anscheinend nicht an Tristan interessiert war, so konnte er ja seine Chancen ausloten. Stev genoss es auch richtig, nicht mehr alleine unterwegs zu sein. Ruhe und Einsamkeit waren vielleicht für ein, zwei Tage gut, auf Dauer brauchte er aber doch Gesellschaft. Außerdem kannten Tristan und Hans sich hier aus. Die Rollschuhbahn hätte Stev beispielsweise nie alleine entdeckt, so versteckt wie sie lag. Allerdings bereute anschließend insbesondere Hans, dass er sich zum Fahren nicht umgezogen hatte. Seine aufgescheuerten Knie sprachen Bände.
Ansonsten verbrachten sie den Tag damit, in der Hängematte zu faulenzen, am Strand nach Muscheln zu suchen und sich regelmäßig zu wenden, um eine gleichmäßige Bräune zu erreichen. Selbst das war zu dritt lustiger als alleine, musste Stev eingestehen. Außerdem ließ es sich mit den beiden anderen wunderbar anderen Männern hinterher schauen und anschließend die Beurteilungen auszutauschen. Nur gut, dass keiner den dreien dabei zuhörte.
Am Abend stand dann ein Besuch in der Stranddisco an. Nur zu gerne hätte Hans einmal selber mit Stev getanzt, doch dazu hatte er keine Gelegenheit. Tristan und Stev klebten auf der Tanzfläche wie zwei Kletten aneinander. Zudem musste Hans feststellen, dass Stev Tristan gar nicht so abgeneigt war, wie es zunächst den Anschein hatte. Zumindest beobachtete Hans immer wieder, wie Stev seine Hand auf Tristans Brust legte und sie dort länger verweilen ließ, als es beim Tanzen normal gewesen wäre. Eifersüchtig war er deswegen nicht. Tristan hatte diesen Braunschopf ohnehin als erster entdeckt. Und es gab ja auch noch andere Männer auf der Tanzfläche.
Die Sonne war längst untergegangen. Zuvor hatte sie den Himmel in ein kräftiges Orange getaucht. Doch für die Schönheit solcher Naturschauspiele hatte ich kein Auge. Selbst ohne die wärmenden Strahlen blieb die Luft angenehm warm. Und trotzdem fror ich. Ich zitterte am ganzen Körper und auch das wärmende Feuer im Kamin schaffte es nicht, die Kälte aus meinem Körper zu vertreiben. Den ganzen Tag hatte ich im Esszimmer gesessen und die Eingangstür angestarrt. Wie sehr hatte ich mir gewünscht, dass sie aufschwang und Dominik vor mir stand, breit grinsend, als ob nichts passiert wäre. Doch sie blieb verschlossen.
Dafür schwang die Tür zu Kingas Zimmer auf. Sie kam auf mich zu, ihr Gesicht tränenverschmiert. Ich wusste, dass sie geweint hatte. Ich habe ihr Schluchzen immer wieder durch ihre Zimmertür hindurch gehört. Ich hatte überlegt zu klopfen, doch was hätte ich ihr schon sagen können? Nein, es war gut, wenn sie sich erst einmal ausweinen konnte. Es gab ohnehin nichts was ich hätte sagen oder tun können, um ihren Schmerz zu lindern. Sie war wütend auf mich, ihr Blick voller Zorn. Ich verstand es, schließlich hatte ich nicht nur Dominik, sondern auch sie betrogen. "Ich gehe jetzt zu Papa", sagte sie trotzig und versuchte sich an mir vorbei zu drängeln.
Es dauerte eine Weile, bis ihre Worte meinen Verstand erreicht hatten. Als ich begriff, was sie vorhatte, griff ich nach ihrem Handgelenk und hielt sie zurück. "Das kannst du nicht machen, Kinga", erklärte ich müde. "Lass deinem Vater Zeit. Er wird sich schon bei dir melden, wenn er dazu bereit ist. Außerdem weißt du doch gar nicht, wo er ist." "Lass mich los, Mutter", schrie Kinga und entriss mir ihre Hand. "Du hast mir gar nichts zu sagen. Ich werde Papa schon finden. Und dann werde ich bei ihm bleiben. Er hasst nur dich, Mutter, nur dich! Mich wird er nicht fortschicken. Ich werde bei ihm bleiben können."
Ich hoffte, dass sie Recht behielt. Ich hoffte, dass Dominik sie weiterhin so lieben würde, als wäre sie seine leibliche Tochter. Ich hoffte, dass nicht Kinga für meinen Fehler bezahlen musste. Aber ich hoffte eben nur, ich wusste es nicht. Ich konnte nicht sagen, wie Dominik reagieren würde und in diesem Moment war es das Wichtigste für mich, meine Tochter zu beschützen. "Du wirst nirgendwo hin gehen, Kinga", erklärte ich entschieden. Doch Kinga blieb trotzig. "Ich gehe wohin ich will! Mit dir bleibe ich keinen Augenblick länger unter einem Dach!" "Ich bin deine Mutter und du wirst tun, was ich dir sage. Geh auf dein Zimmer, Kinga! Geh sofort auf dein Zimmer!" Ich schrie meine Tochter an, so sehr wie ich sie noch nie zuvor angeschrien hatte. Und es tat mir weh, aber ich sah keinen anderen Ausweg.
Kinga tat, was ich ihr befohlen hatte. Ich konnte zwar all den Trotz und die Wut in dem Blick erkennen, den sie mir zuwarf, aber sie widersprach mir nicht. Sie war kein Kind mehr und vielleicht erkannte sie ja, weshalb ich eben so reagiert hatte. Allerdings bezweifelte ich das. Ich war müde, so unendlich müde. Aber ich wusste, dass ich in dieser Nacht wieder kein Auge zubekommen würde. Dafür war ich zu aufgewühlt. Wenn Kinga schon so aufgebracht reagierte, wie sollte ich dann erst Klaudia erklären, was passiert war?