Kapitel 48: Schwesterlicher Rat
In der Nacht bekam ich kaum ein Auge zu. Erst gegen Morgen fiel ich in einen unruhigen Schlaf, der mir kaum Erholung brachte. Ich war immer noch genauso verwirrt, wie am gestrigen Tag. Ich brauchte jemanden, der mich führte und mir sagte, was ich tun sollte. Oder wenigstens jemanden, dem ich alles anvertrauen konnte. Doch in Sierra Simlone Stadt gab es niemanden, dem ich so sehr vertraute, um ihm zu offenbaren, was passiert war. Nicht einmal Roland. Aber es gab jemanden in SimCity, zu dem seit meiner Geburt ein unzertrennliches Band bestand. Ich nahm mein Handy und wählte die Nummer. "Joa, ich bin schwanger", begann ich das Gespräch mit meiner Zwillingsschwester.
Joanna hört einfach nur zu, während ich ihr alles erzählte und unterbrach mich kein einziges Mal. "Und jetzt weiß ich nicht, was ich tun soll", endete ich mit meiner Geschichte. Joanna überlegte eine Weile, bis sie mir antwortete. "Hast du schon daran gedacht, das Baby...abtreiben zu lasse?" Dem Klang ihrer Stimme konnte ich anhören, dass ihr dieser Vorschlag nicht leicht fiel, aber er war ernst gemeint. Und tatsächlich hatte ich schon selbst daran gedacht. "Das kann ich nicht machen", antwortete ich schließlich. "Ich kann eine Sünde nicht durch eine zweite wieder wett machen. Ich habe gegen das 6. Gebot verstoßen. Soll ich etwa noch das 5. brechen. Nein, ich kann dieses unschuldige Baby nicht für meine Fehler büßen lassen." Ich spürte, dass Joanna das etwas anders sah, aber sie versuchte nicht weiter auf mich einzureden. Stattdessen sucht sie nach weiteren Lösungsmöglichkeiten. "Und du kannst es dem Vater des Kindes nicht sagen, diesem Albert? Vielleicht kann er dir zur Seite stehen."
"Nein", erwiderte ich schwach. "Albert darf es nie erfahren. Ich könnte es nicht ertragen, wenn wegen mir seine Ehe auseinanderbricht. Das kann ich Gerda und seinen Kindern nicht antun. Du weiß doch selber, wie das ist, wenn man erfährt, dass der eigene Vater fremd gegangen ist. Ich wünschte, ich hätte das nie erfahren". Ich musste tief Schlucken, da die Erinnerungen aus meiner Kindheit mich härter trafen als erwartet. Aber Joanna verstand mich nur zu gut. "Die Leute werden anfangen zu reden, Oxana", erinnerte sie mich an eine Tatsache, die mir selbst schmerzlich bewusst war. Gerade in einer Kleinstadt wie Sierra Simlone Stadt redeten die Leute viel, das hatte ich schon zu genüge erfahren müssen. "Du hast also zwei Möglichkeiten, Schwesterherz. Du kannst von dort weggehen, wo auch immer du bist und noch einmal von vorne Anfangen. Du könntest zurück nach Hause kommen". Ich hörte heraus, wie sehr sie sich wünschte, dass ich genau dies tat, doch ihr war ebenso wie mir klar, dass ich das nicht könnte. Dad würde mir nie verzeihen und ich ihm genauso wenig. Also blieb mir nur ihr zweiter Vorschlag.
Als ich mein Haus verließ, war ich noch wild entschlossen. Doch mit jedem Schritt, der mich näher an das türkis verklinkerte Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite brachte, wurde ich unsicherer. Vielleicht wäre ich sogar wieder umgekehrt, wenn Dominik mich nicht durch die Glastür hindurch bemerkt hätte und sie öffnete. "Brodlowska? Du hier?" Er wirkte tatsächlich überrascht, mich zu sehen, allerdings auf seine typische schelmische Art. Nervös ballte ich meine Fäuste zusammen und hohle tief Luft. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
"Bist du allein?", fragte ich und mein Herz raste. Dominik sah mich noch immer neugierig an. "Ja. Warum?". Doch eine Antwort erhielt er von mir nicht. Zumindest keine gesprochene. Stattdessen warf ich mich ihm und den Hals und begann ihn zu küssen. Dominik taumelte einige Schritte nach hinten, aber seine Hände hielten mich umklammert und zogen mich mit. Und auch wenn ihn meine Aktion sichtlich überrumpelt hatte, dauerte es nur den Bruchteil einer Sekunde, bis er realisierte, was gerade geschah und er meinen Kuss genau so intensiv erwiderte.
Dominik wollte irgendetwas sagen, doch das ließ ich gar nicht erst zu und brachte ihn mit meinen Küssen zum Schweigen. Und dann griff ich sein Shirt und schob es hoch. Dominik verstand sofort, was ich wollte und zog es hastig über seinen Kopf und warf es achtlos auf den Boden nur um mich weiter küssen zu können. "Die Couch", flüsterte ich ihm ins Ohr und eng umschlungen stolperten wir in diese Richtung.
Unterwegs riss er mir bereits mein Oberteil vom Körper und mit meinen Blicken gab ich ihm zu verstehen, dass ich ihn wollte. Hier und jetzt. Ich bremste das Tempo, küsste ihn jetzt langsamer, dafür aber umso inniger. Dann trat ich einen kleinen Schritt zurück und öffnete langsam den Reißverschluss meines Rockes. Er glitt an meinen Beinen hinunter zum Boden. Jetzt stand ich nur noch in Unterwäsche und meinen Stiefeln vor Dominik und ich konnte das Funkeln in seinen Augen sehen, als er seinen Blick über meinen Körper schweifen ließ. Ich lehnte mich vor und küsste ihn sanft. Dabei öffnete ich mit meinen Fingern den Knopf seiner Hose. Und während Dominik sich daraufhin seiner Schuhe und seines Beinkleides entledigte, stieg ich aus meinen Stiefeln und legte mich auf das Sofa. Und dann schliefen wir miteinander.
Hinterher lagen wir auf dem Sofa. Dominik auf dem Rücken und ich lehnte mit meinen Kopf auf seiner Brust, die sich bei jedem seiner Atemzüge hob und wieder senkte. Er hielt mich noch immer fest umschlossen, als ob er befürchtete, dass ich jeden Moment aufstehen und verschwinden könnte. Wir lagen eine ganze Weile so, bis Dominik sich aufrichtete und mich auf seinen Schoß zog. Er wirkte so zufrieden, als er mich ansah und seine Nase verspielt an meine rieb. "Warum jetzt, Brodlowska?", fragte er schließlich. "Warum bist du ausgerechnet heute zu mir gekommen?" "Weil du unwiderstehlich bist, Nick. Das hast du doch selbst immer gesagt."
An diesem Tag schlief ich noch mehrmals mit Dominik. Da wir bei ihm zu Hause nicht ungestört bleiben konnten, gingen wir schließlich rüber zu mir. Ich war froh, als Dominik endlich einschlief. Ich selbst konnte an Schlaf nicht einmal denken. Dazu fühlte ich mich viel zu dreckig. Ich hatte mit einem Mann geschlafen, den ich nicht liebte, den ich sogar nicht wirklich mochte. Und das aus purer Berechnung. Ja, ich war eine Hure. Aber es war immer noch besser eine Hure zu sein, als eine Ehe und eine Familie zu zerstören.
Die Jungs staunten nicht schlecht, als ich am nächsten Abend Hand in Hand mit Dominik ins Esszimmer spaziert und ihn als meinen neuen Freund vorstellte. Tristan war natürlich sofort begeistert, dass ich wieder einen Freund hatte. Er hatte mir schon länger damit in den Ohren gelegen, dass der Männerwelt abzuschwören, ganz sicher kein richtiger Weg war, egal was man damit erreichen wollte.
Rolands Begeisterung hielt sich dagegen stark in Grenzen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er genau wusste, dass etwas nicht stimmte. Aber wenn ich meinen Plan durchziehen wollte, dann wusste ich überzeugend sein. Niemand durfte auch nur ahnen, dass meine Gefühle für Dominik reine Show waren. Also warf ich Dominik den ganzen Abend verliebte Blicke zu, lächelte ihn an. Doch selbst als ich während des Essens ständig Dominiks Hand hielt und deshalb kaum zum Essen kam, blieb Rolands Blick skeptisch.
Es fiel mir schwer, meine Freunde zu belügen. Doch ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass ich sie mit dieser Lüge nicht verletzte. Anders sah das bei Dominik aus. Ich versuchte mir zwar einzureden, dass ich auch ihm nicht schadete. Immerhin hatte er mehr als einmal ganz offensichtlich sein Interesse an mir bekundet und jetzt hatte er mich. Das war doch genau das, was er wollte. Aber ich wusste, dass es ein Selbstbetrug war. Ich gab vor, ihn zu lieben, doch in Wirklichkeit nutze ich ihn aus. Allein die Tatsache, dass ein Kind in meinem Bauch heranwuchs, hielt mich davon ab, dieser ganzen Scharade sofort ein Ende zu setzen.