Oxana - Wege des Gewissens

  • Kapitel 62: Schlaflose Nächte




    Die Kinder merkten sofort, dass etwas nicht stimmte, als ich Gerdas Krankenzimmer betrat. Ihr Zustand war immer noch unverändert, aber die Nachricht von Alberts plötzlicher Not-OP traf sie schwer. Die Operation zog sich hin und es wurde Mittag, ohne dass wir irgendeine Information erhielten. Wir gingen alle in die Krankenhaus Cafeteria, aber wirklichen Hunger hatte niemand. Alle kauten eher lustlos auf ihren Burgern. Ansonsten wurde geschwiegen. Selbst Hans konnte seine Besorgnis nicht mehr mit seichtem Smalltalk überdecken.




    Das Essen war nur eine kurze Ablenkung und dann hieß es weiter bangen. Die älteren Mädchen unterhielten sich gedämpft miteinander und sahen immer wieder nach ihrer Mutter, die immer noch regungslos in ihrem Bett lag. Hans wanderte nervös von einem Ende des Krankenhauses zum nächsten und wirkte sehr gedankenverloren. Nur Elvira entspannte sich. Das war aber nicht zuletzt Kingas Werk, die ihre Freundin aufheiterte und sie mit Spielen von den Gedanken an ihre Eltern ablenkte.




    Dann endlich kam Roland mit einem älteren Arzt aus dem OP, den er als Dr. Mycin vorstellte. "Dr. Neopold Mycin ist der beste Hirnchirurg in der ganzen Sierra Simlone", erklärte er mir stolz. "Er war es, der Albert gerade operiert hat." Dr. Mycin reichte mir die Hand und begann dann sofort von der Operation zu berichten. "Herr Kappe hatte ein Hirn-Aneurysma, das zu einem pulsierenden Hämatom im Gehirn geführt hat. Doch dank der schnellen Reaktion von Dr. Reichardt konnten wir alle Schäden wieder beheben. Die Operation ist sehr gut verlaufen und Herr Kappe sollte sich schnell wieder erholen."




    Kaum war der andere Arzt verschwunden, fiel ich Roland überglücklich um den Hals. "Und ich dachte schon, dass Albert sterben würde", gestand ich ihm schluchzend, diesmal aber vor Freude. Und auch die Kinder atmeten erleichtert auf. Miranda war sogar so glücklich, dass sie sich Elvira schnappte und ein Tänzchen mit ihr aufführte und die Kleine freute sich riesig. Nur Desdemona schien nicht ganz so glücklich. Wahrscheinlich musste sie selbst in diesem herrlichen Moment an ihre arme Mutter denken, deren Zustand immer noch ungewiss blieb.







    Doch die Hochstimmung verflog sehr schnell wieder, als uns bewusst wurde, dass weder Albert und schon gar nicht Gerda über dem Berg waren. Wir durften nur ganz kurz zu Albert, doch er war nach seiner Operation immer noch nicht bei Bewusstsein. Und auch Gerdas Zustand blieb unverändert schlecht. Wir blieben bis zum späten Abend im Krankenhaus, bis Roland uns versicherte, dass wir ruhigen Gewissens nach Hause fahren könnten. Sollte sich irgendetwas am Zustand von Albert und Gerda ändern, würde er sofort bescheid geben. Ich kochte noch ein Abendessen für die Kinder und hatte eigentlich vor, danach nach Hause in die Simlane zu gehen, da ja jetzt geklärt war, was mit Albert und Gerda passiert war. Aber es kam anders. Desdemona warf beim Essen ihrer Schwester einen fragenden Blick zu und als diese kaum merklich nickte, fragte sie mich, ob ich noch etwas bei ihnen bleiben könnte? Wie hätte ich eine solche Bitte abschlagen sollen?




    Nach dem Essen saßen wir noch gemeinsam vor dem Fernseher, aber wirkliches Interesse an der Sendung zeigten höchstens Kinga und Elvira. Hans war der Erste, der in seinem Zimmer verschwand. Als Kinga und Elvira dann beide auf dem Teppich einnickten, machten sich auch Desdemona und Miranda fürs Bett fertig. Die beiden Kleinen ins Bett zu bekommen war nicht schwer, da sie von der langen Fahr von Seda Azul nach Sierra Simlone Stadt ohnehin total ausgelaugt waren. Auch Miranda war erschöpft, doch das lag nicht an der anstrengenden Autofahrt, sondern viel mehr an den vielen Sorgen, die sie plagten. Sie wollte optimistisch sein, doch die Angst um ihre Eltern ließ sie einfach nicht los.




    Und Desdemona erging es da nicht anders. Sie verkroch sich unter ihre Bettdecke und versuchte stark zu sein, doch ein leises Wimmern verriet Miranda, dass sie es nicht schaffte. Miranda hätte ihre jüngere Schwester gerne getröstet, doch sie wusste einfach nicht wie. Sie brauchte gerade doch selber Trost. Als vertiefte sie sich in ihre eigenen Sorgen, bis sie schließlich erschöpft einschlief.




    Ich versuchte zu schlafen, doch es gelang mir nicht. Ich musste immer wieder an Albert denken. Er musste einfach gesund werden. Er musste! Ich setzte mich auf die Bettkante und schaute mich in dem kleinen Schlafzimmer um. Alles hier erinnerte mich an ihn. Ich könnte sogar seinen Duft in dem Kopfkissen riechen. Wieso musste so etwas Schreckliches passieren? Warum könnte ich nicht einfach mit dem Mann glücklich werden, den ich liebte?







    Und wieder eine unruhige Nacht in der ich kaum ein Auge zu bekam. Ich stand auf, als die ersten Sonnenstrahlen durch das Schlafzimmerfenster fielen. Es war zwar erst kurz nach fünf, aber ich konnte ohnehin nicht schlafen. Ich fing an, das Frühstück vorzubereiten, als wenig später auch die älteren Kappekinder in der Wohnküche auftauchten. "Wir können ohnehin nicht schlafen", erklärte Miranda mit trauriger Miene. "Wenn ihr nicht wollt, dann müsst ihr heute nicht zur Schule gehen", bot ich ihnen an, als mir klar wurde, dass in etwa zwei Stunden der Schulbus kommen würde. Doch Desdemona schlug mein Angebot aus. "Ich möchte lieber hingehen, Oxana. Wenn wir hier weiter auf Neuigkeiten warten müssen, dann fällt mir nur die Decke auf den Kopf. Und gerade Elvira wird es ablenken, wenn sie ihre Freunde sieht."




    Miranda stimmt ihrer Schwester zu und packte schon mal ihre Schulsachen zusammen. Nur Hans wollte heute zuhause bleiben. Gleich als der Zeitungsbote die Tageszeitung auslieferte lief er hinaus, um nachzusehen, ob irgendetwas über den Unfall seiner Eltern berichtet wurde. Die Schlagzeile nahm natürlich der Casino-Großbrand in SimVegas ein, aber im Lokalteil fand sich tatsächlich ein kurzer Artikel über Albert und Gerda. "Die schreiben über Mama und Papa, als ob die beiden bloß zwei weitere Zahlen in der Statistik wären", bemerkte er bitter. "Nicht einmal ihre Namen haben sie genannt." Daraufhin faltete er die Zeitung zusammen und entsorgte sie umgehend im Müll.




    Als dann der Schulbus kam, stiegen nur die vier Mädchen ein. Kinga würde zwar erst in diesem Jahr in die erste Klasse kommen, aber wie alle Kinder in der SimNation ging sie schon zur Vorschule. Ich konnte sehen, wie Miranda und Desdemona mit gemischten Gefühlen in den Bus stiegen. Und ich konnte es ihnen nachfühlen. Sie hielten es nicht aus, tatenlos zu Hause zu bleiben, aber für die Schule waren sie auch nicht in der richtigen Verfassung.




    Obwohl er nicht zur Schule gegangen war, hielt Hans es im Haus nicht aus. Irgendetwas musste er tun, also ging er zum Schweinestall hinter dem Haus und fing an, den Mist, den die Ferkel im Freigehege hinterlassen haben, zu entfernen.




    "Soll ich dir bei irgendetwas helfen?“, fragte ich ihn nachdem ich ihm eine Weile bei der Arbeit zugesehen hatte. Erst verneinte er mein Angebot, doch dann legte er die Mistgabel beiseite und sah mich leicht verzweifelt an. "Wie soll es denn jetzt mit der Farm weitergehen? Mama und Papa haben bis jetzt alles geregelt. Ich habe zwar immer mitgeholfen, aber ich weiß nicht, worum ich mich alles kümmern muss. Ich kann die Schweine hier weiter füttern und mästen und auch das Futter kriege ich bestellt, aber wie finde ich einen Käufer? Und was ist, wenn die Ferkel krank werden? Die Saat auf unseren Feldern ist auch ausgebracht, aber ich habe keine Ahnung, ob und wann ich düngen muss und wann die Pestizide gespritzt werden müssen? Um so etwas hat Papa sich immer gekümmert."




    Er muss sich darüber Gedanken gemacht haben, seit er von dem Unfall seiner Eltern erfahren hatte. Und ich konnte sein Verzweiflung nachvollziehen. So ähnlich hatte ich mich gefühlt, als ich erfuhr, dass ich plötzlich selbst eine Farm führen musste. Aber ich hatte gelernt und inzwischen konnte ich mir ein Leben ohne "Grünspan" nicht mehr vorstellen. Die Farm war mir wirklich ans Herz gewachsen. "Mach dir nicht zu viele Gedanken, Hans. Deine Eltern werden sicherlich bald wieder aus dem Krankenhaus kommen. Und wenn Albert erst einmal wieder aufgewacht ist, wird er dir schon sagen können, was auf eurer Farm zu erledigen ist. Und ich bin auch noch hier. Schweine und Rinder sind sich gar nicht so unähnlich und zumindest was euren Mais angeht, kann ich dir alles Nötige erklären. Und wenn es nötig sein sollte, dann helfen Dominik und ich auch jederzeit mit."

  • Kapitel 63: Das Schwiegermonster




    Hans wirkte sichtlich erleichtert, als er mit seiner Arbeit fortfuhr. Ich machte mich auf zu einem langen Spaziergang durch die Kakteenwälder rund um Sierra Simlone Stadt. Die Bewegung tat mir gut, doch auf dem Weg zurück zu Alberts Haus kam ich ins Grübeln. Ich hatte Hans gerade die Hilfe von mir und Dominik angeboten. Aber würde es ein mich und Dominik noch geben? Vorgestern noch war ich kurz davor, Dominik zu verlassen. Doch jetzt war alles in so weite Ferne gerückt. Albert war schwer verletzt. Und auch wenn ich fest daran glaubte, oder es zumindest aus tiefstem Herzen hoffte, dass er bald wieder gesund werden würde, so war es nicht mehr sicher, ob wir beide eine gemeinsame Zukunft haben würden.




    Ich war so in Gedanken versunken, dass ich gar nicht mitbekam, dass jemand in der Küche stand. "Hallo, Oxana. Es ist schon seltsam, dass ich dich erst in einem fremden Haushalt und nicht zuhause bei deinem Mann finde." Vor mir stand Dominiks Mutter Glinda und den Vorwurf in ihrer Stimme konnte ich kaum überhören. "Ich konnte es kaum glauben, als Dominik mir erzählte, dass du schon seit zwei Tagen im Haus der Kappes wohnst. Und meine Enkelin hast du auch noch mitgenommen. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich fast denken, du hättest meinen Nicky verlassen."




    Sie sah mich so vorwurfsvoll an, dass sie mich damit komplett aus der Fassung brachte und ich nur noch wirres Zeug von mir geben konnte. Aber das war typisch für Glinda. Sie hatte mich zwar noch nie direkt angegriffen, aber wenn Dominik nicht in der Nähe war, dann steckte in jedem Satz der aus ihrem Mund kam ein versteckter Angriff. Ich war nicht gut genug für ihren Sohn und das gab sie mir jetzt auch schon seit sechs Jahren zu verstehen.




    Die Kinder waren inzwischen alle aus der Schule wieder zurück. Ein paar Schulfreunde waren gleich mit ausgestiegen und deren Gesellschaft tat Miranda, Hans und Desdemona richtig gut. Für einen Moment konnten sie vergessen, welches tragische Schicksal ihren Eltern widerfahren war. Auch Kingas Onkel Kevin war da. Er war Dominiks jüngster Bruder und gerade einmal drei Jahre älter als Kinga. Kinga möchte ihn eigentlich sehr gerne und die beiden spielten oft zusammen mit Constanze und Dominiks kleiner Schwester Kira drüben in der Simlane. Doch mit Elvira im Puppenhaus zu spielen war einfach noch spannender und dazu hatte der blonde Junge nun wirklich keine Lust.




    Viel Gelegenheit dazu blieb ihm ohnehin nicht. Glinda warf mir noch einige Male unterschwellig vor, dass ich Dominik vernachlässigen würde und meine Entschuldigung, dass ich die Kinder von Albert und Gerda in dieser Situation nicht alleine lassen könne, schmetterte sie mit den Worten "Wozu haben mir den das Amt für Jugend und Familie" ab. Damit war für sie alles geklärt. Sie ging in das Kinderzimmer, verabschiedete sich von ihrer Enkelin und nahm dann ihren jüngsten Sohn mit, der doch viel lieber noch bei den anderen Kindern geblieben wäre.







    Doch für mich war dieser Besuch zu viel gewesen. All die Jahre hatte ich Glindas Sticheleien über mich ergehen lassen, weil sie ja eigentlich Recht hatte. Ich war nicht gut genug für Dominik, denn ich liebte ihn nicht. Nicht so, wie er mich liebte. Aber ich fühlte mich deswegen schon schlecht genug, auch ohne dass sie mir deswegen immer wieder Vorwürfe machte. Als Albert mir in dem Motel in Ganado Alegro verkündete, dass er Gerda für mich verlassen würde, war ich so glücklich gewesen, denn endlich hätte meine Heuchelei Dominik gegenüber aufgehört und ich wäre mit Albert glücklich geworden. Und jetzt war alles nur noch furchtbar.




    Und ich schaffte es nicht mehr, dieser düsteren Stimmung zu entkommen. In jedem Augenblick, in dem ich nicht beschäftigt war, überwältigte mich meine Angst um Albert, mein schlechtes Gewissen Dominik gegenüber und die Ungewissheit über meine Zukunft. Nachts konnte ich kaum schlafen und am Tag musste ich mich zusammenreisen, um vor den Kindern nicht in Tränen auszubrechen. Das letzte, was sie gebrauchen konnten, war eine Aufsicht, die selber nicht mehr weiter wusste.




    Und gerade in einem meiner schwachen Momente bemerkte ich Dominik im Schatten der großen Weide vor dem Haus der Kappes. Verwundert ging ich hinaus und versuchte mir die Tränen aus dem Gesicht zu wischen. "Du siehst aber ganz schön beschissen aus, Brodlowska", bemerkte er spöttisch. Diese Bemerkung brachte ihm einen sanften Hieb gegen seine Schulter ein, aber immerhin brachte er mich damit zum Lachen. "Ist irgendetwas passiert?", hakte er nun viel einfühlsamer nach. "Geht es Albert und Gerda, der alten Schabracke, etwa schlechter?" Ich wischte meine Nase an meinem Arm ab, da ich einfach kein Taschentuch griffbereit hatte und erklärte ihm dann, dass der Zustand der beiden nun schon seit Tagen unverändert blieb.




    "Du musst hier unbedingt mal raus, Brodlowska. Komm lass uns mal wieder ausgehen", schlug er deshalb vor. "Ein nettes Essen im Restaurant und dann sehen wir mal weiter. Alberts vier Blagen werden auch mal ein paar Stunden ohne dich auskommen. Und im Notfall ist unsere Kinga ja auch noch da. Die wird denen schon zeigen, wo es lang geht." Er wartete meine Antwort gar nicht erst ab, sondern schnappte sich meine Hand und führte mich zu dem ruhigen, vornehmen Lokal im Stadtkern von Sierra Simlone Stadt.




    Die Empfangsdame führte uns zu einem netten Tisch im klimatisierten Inneren des Restaurants. Die Plätze auf der Terrasse waren zwar auch sehr schön, aber selbst im Schatten des Baldachins wurde es draußen wieder unmenschlich heiß. Dabei hatten wir gerade erst Frühling. Der Sommer würde bestimmt wieder unerträglich werden. Eine Kellnerin brauchte uns die Speisekarte und nahm wenig später unsere Bestellung entgegen.




    "Danke, dass du vorbeigekommen bist, Dominik", erklärte ich aufrichtig, nachdem wir einige Minuten schweigend unser Essen genossen hatten. "Mutter war gestern bei mir und erzählte, dass sie bei dir war. Als ich das hörte, wusste ich sofort, dass du eine Aufmunterung gebrauchen kannst. Ma ist ein wenig überfürsorglich, wenn es um das Wohl ihres "Nicky" geht." Dominik lachte. "Aber egal, was sie auch gesagt hat, nimm es dir nicht zu sehr zu Herzen. Ich habe ihr gleich erklärt, dass Gerda deine beste Freundin ist und du ihre Kinder einfach nicht im Stich lassen kannst. Ein anderes Verhalten von dir hätte mich ehrlich gesagt auch fast enttäuscht."




    "Und was Gerda angeht, da mach dir bloß keinen Kopf. Die ist zäh wie ein Stück Leder und wird uns noch alle überleben. Du wirst es sehen." Er grinste über das ganze Gesicht. "Und Albert muss ohnehin der widerstandsfähigste Mann sein, den ich kenne. Mal von Gerda abgesehen, die vier Blagen müssen ihn doch den letzten Nerv kosten. Du bist gerade einmal ein paar Tage dort und deine Augenringe sind jetzt schon so dick wie die Schamlippen einer Elefantenkuh. Und er muss das Ganze schon seit fast 20 Jahren ertragen. Da wird ihm ein kleines Hirn-Aneurysma auch nichts anhaben können."




    Er fragte mich intensiv darüber aus, was Kinga den ganzen Tag so machte. Er telefonierte zwar regelmäßig mit seiner kleinen Prinzessin, aber gesehen hatte er sie die letzten Tage kaum. Solange ich bei Alberts Kindern war, musste er meine Arbeit auf unserer Farm mit übernehmen. Nach dem Essen gingen wir noch hinüber in den Pink Lips Club zum Billard spielen. Seit unserer ersten Verabredung war Billard eine der Aktivitäten, die ich wirklich gerne mit Dominik unternahm, doch heute konnte ich keinen Spaß an dem Spiel finden. Dabei bemühte Dominik sich wirklich sehr um mich, aber eben auf seine eher schroffe Art.




    "Es hilft wohl alles nichts", schüttelte er den Kopf, als meine Laune sich noch immer nicht besserte. Also schnappte er mich erneut an der Hand und schleifte mich hoch zur Bar. "Mix uns mal etwas Nettes zusammen, Barkeeper. Und für die Dame hier, sollte es etwas besonders starkes werden." Meine Proteste, dass ich im Moment lieber nichts trinken sollte, wischte er mit einer Handbewegung beiseite und prompt standen zwei Long Island Icetea auf der Theke.




    Es blieb nicht bei diesem einen Long Island. Und Dominik behielt Recht, denn bereits nach kurzer Zeit vergaß ich meine Ängste und Sorgen und konnte unbeschwert mit ihm lachen und Spaß haben. Doch Long Island Iceteas führen bei mir leider viel zu oft zu vollkommen unbedachten Handlungen. Denn als Dominik mich wieder am Haus der Kappes absetzte, schnappte diesmal ich seine Hand und führte ihn in das Schlafzimmer. Er genoss es sichtlich. Dieser Hauch vom Verbotenen, mit mir im Bett eines anderen Ehepaares zu schlafen machte ihn ganz wild. Und ich genoss jede Sekunde davon, denn in diesem Augenblick fühlte ich mich in seinen Armen so geborgen wie selten zuvor.




    Eng aneinander geschmiegt lagen wir noch eine Weile im Bett, wobei ich aufgrund des Schlafmangels und sicherlich auch wegen des Alkohols schnell einschlief. Ich bekam es kaum mit, als Dominik aufstand und sich mit einem Kuss auf meine Stirn von mir verabschiedete. "Ich gehe lieber, bevor die Kinder aus der Schule kommen. Ich hoffe, du kommst bald wieder nach Hause, Brodlowska." Ich murmelte etwas Unverständliches und schlief einfach weiter. Dominik zog sich wieder an und kehrte gut gelaunt in die Simlane zurück.

  • Kapitel 64: Wunderbare Nachricht




    Kurz darauf rief Roland mit einer wunderbaren Nachricht an. Gerda war aufgewacht!
    Ich ließ Miranda fahren. Nach den Drinks die ich intus hatte, wollte ich lieber nicht selbst am Steuer sitzen. Noch ein Unfall war das Letzte, was wir gebrauchen konnten. Die Kinder Stürmten sofort zum Zimmer ihrer Mutter, allen voran Elvira. Sie hat den Ernst der Lage vielleicht nie begriffen, ihre Mama hatte sie trotzdem vermisst. Als Gerda ihre Rasselbande auf sich zustürmen sah, zeichnete sich ein zartes Lächeln auf ihrem müden Gesicht ab.




    "Mama, wie geht es dir?". "Wir haben dich ja so schrecklich vermisst." "Tut dir irgendetwas weh?" Die vier Kinder redeten alle durcheinander, so dass man kaum etwas verstehen konnte. Aber Gerda genoss den Trubel sichtlich. Sie war sogar so sehr gerührt, dass eine dicke Träne die Wangen herunter kullerte. Sie war selbst kaum in der Lage irgendetwas zu sagen, aber sie lauschte glücklich den Erzählungen ihrer vier Kinder. Ich hielt mich derweil im Hintergrund. Bei so einem intimen Moment wollte ich nicht stören.




    Die Kinder blieben Stunden bei ihrer Mutter und inzwischen war auch schon die Sonne im Meer versunken. "Wollt ihr nicht langsam etwas essen, Kinder?", fragte Gerda mit heiserer Stimme und da erst bemerkten die Vier, dass sie seit heute Mittag noch nichts gegessen hatten. Ich wollte auch gehen, doch Gerda winkte mich zu sich herüber. "Ich bin dir so dankbar, dass du auf meine Kinder Acht gibst, Oxana. Du bist eine wahre Freundin." Ich lächelte dankbar, doch innerlich starb ich vor Scham. Ob Gerda mich noch immer als ihre Freundin bezeichnen würde, wenn sie von mir und Albert wüsste? Ich bezweifelte es.




    Doch dann wurde auch ihr Gesicht ernster. "Was ist mit meinen Beinen, Oxana?" Ich blickte erschrocken auf und das verriet Gerda, dass ich irgendetwas wusste. "Ich kann sie nicht spüren, Oxana. Es ist so, als ob sie gar nicht da wären. Ich habe den Arzt gefragt, doch er wollte mir nichts sagen. Ich bin gelähmt, nicht wahr?" Ich überlegte, was ich ihr antworten sollte, aber schließlich entschied ich mich, ihr alles zu sagen, was ich wusste. Früher oder später würde sie es ohnehin erfahren.




    Als Gerda meine Bestätigung hörte, starte sie nur wortlos die Krankenhausdecke an. Es erstaunte mich, wie gefasst sie wirkte, fast so, als ob sie ihr schweres Los bereits akzeptieren hätte. Und trotzdem versuchte ich sie aufzumuntern. "Roland war sich bei seiner Diagnose nicht vollkommen sicher, Gerda. Die Ärzte müssen dich noch weiter untersuchen. Vielleicht können sie ja noch irgendetwas für dich tun. Die Medizin kann heute wahre Wunder vollbringen." Ich wusste selbst, dass meine Worte hohl klangen, aber es tat mir weh mit anzusehen, wie sie sich einfach ihrem Schicksal fügte, ohne auch nur das geringste Anzeichen einer Hoffnung zu zeigen.




    Ich versprach Gerda, weiterhin auf die Kinder aufzupassen, bis sie und Albert es wieder selbst machen konnten. Als die vier Kinder dann auch wieder in das Krankenzimmer zurückkehrten, verzog ich mich diskret. Ich setzte mich in den Flur und beobachtete Kinga, die von einer der Krankenschwestern ein Spielzeug zum Seifenblasen machen geschenkt bekommen hatte und sich damit vergnügte. Doch dann wuchs der Wunsch in mir, Albert zu sehen.




    Seit dem Tag der Not-OP hatte ich ihn nicht mehr gesehen. In den letzten Tagen durfte niemand zu ihm und ich rechnete auch heute damit. Doch die Schwester ließ mich einfach in das Krankenzimmer. Es war ganz still im Raum. Nur das gleichmäßige Geräusch der lebenserhaltenden Maschinen war zu hören. Nach der OP musste Albert in ein künstliches Koma versetzt werden und dieses wurde immer noch aufrechterhalten. Als ich ihn so vor mir liegen sah, spürte ich all die Liebe, die ich für ihn empfand und das Einzige, was ich mir wünschte war, dass er bald wieder aufwachen würde. "Ihr Mann wird bald wieder gesund werden, Frau Kappe." Erschrocken drehte ich mich um. Ich hatte nicht bemerkt, dass Dr. Neopold Mycin in das Zimmer gekommen war. "In drei oder vier Tagen können wir das künstliche Koma aufheben und dann sollte ihr Mann wieder zu sich kommen. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Er wird bald wieder bei ihnen und ihren fünf Kindern sein können."




    Frau Kappe! Diese Worte klangen wundervoll in meinen Ohren und ich hoffte, dass sie bald Wirklichkeit werden würden. Dr. Mycin hatte mich hier fast jeden Tag mit den Kindern gesehen und ich habe mich immer wieder besorgt nach Albert erkundigt. Es wunderte mich nicht, dass er mich für seine Frau hielt. Ich beugte mich zu Albert hinab und küsste ihn vorsichtig auf die Lippen und strich ihm sanft über das Haar. "Werde schnell wieder wach, Liebling", flüsterte ich ihm zu. "Ohne dich fühlt mein Leben sich so leer an."







    Mit dem Erwachen ihrer Mutter, veränderten sich Alberts Kinder sichtlich. Es schien, als ob eine schwere Last von ihren Herzen gefallen wäre. Endlich schien es Hoffnung zu geben. Gerda war immer noch schwach, aber sie schien mit jeder Stunde kräftiger zu werden. Und die Ärzte bescheinigten, dass sie Alberts künstliches Koma bald aufheben konnten und er wieder zu sich kommen würde. Und deshalb hörte man wieder Kinderlachen auf Norman. Und dass ich ständig Federn aufsammeln musste, war ein Übel, das ich gerne in Kauf nahm.




    Kinga und Elvira verbrachten noch immer ihre komplette Zeit miteinander. Und je öfter ich die beiden beobachtete, desto mehr wurde mir bewusst, wie ähnlich sich die beiden eigentlich waren. Und dabei ging es nicht nur um ihren Charakter, der sich ebenfalls stark glich. Nein, mir wurde schlagartig bewusst, dass die beiden sich auch äußerlich erschreckend ähnelten. Wäre Elvira brünett oder King blond, dann hätte niemand nur den geringsten Zweifel gehegt, dass die beiden Schwestern waren.




    Als mir dies Bewusst wurde, stieg die Angst in mir auf. Was wenn bereits jeder sehen konnte, dass Kinga und Elvira sich erstaunlich ähnlich sahen? Ich hoffte zwar inständig, dass ich mir die Ähnlichkeit nur einredete, aber ganz von der Hand konnte ich sie nicht weisen.




    In der Badewanne wollte ich mich eigentlich entspannen, doch es trat genau das Gegenteil ein. Dank des warmen Wassers und des angenehm duftenden Badeöls entspannte mein müder Körper sich tatsächlich, aber gleichzeitig wurden auch meine Gedanken so klar, dass Probleme sichtbar wurden, von denen ich noch nichts geahnt hatte. Würde Albert Gerda jetzt noch verlassen? In ihrem Zustand? Sie war gelähmt und würde nie wieder laufen können. Durfte ich überhaupt zulassen, dass er seine Ehefrau in solch einer Situation alleine ließ? Alles Christliche in mir schrie "Nein" und mein Herz war nicht imstande gegen dieses Geschrei anzukommen, so sehr es sich auch bemühte.




    Ich würde keine gemeinsame Zukunft mit Albert haben, das wurde mir in diesem Moment bewusst. Er würde Gerda nicht verlassen können. Er durfte es nicht einmal. Nicht wegen mir! Bei seinem Ehegelübde hatte er einen Schwur abgelegt, für sie da zu sein, in guten und vor allem in schweren Zeiten. Und genau solche schweren Zeiten standen den beiden nun bevor. Ich könnte keinen Mann lieben, der seine Frau in solch einer Situation im Stich ließ. Dieser Erkenntnis tat weh. Sie tat furchtbar weh. Aber eine andere Möglichkeit blieb mir nicht. Mit einer anderen Entscheidung hätte ich nicht leben können.




    Ich wollte stark sein. Ich wollte an meine Entscheidung glauben und sie voller Würde hinnehmen. Aber als ich den Stopfen in der Badewanne zog und das abfließende Wasser beobachtete, war es so, als ob mein letzter Rest Stärke mit in die Dunkelheit der Kanalisation gerissen würde. Und ich brach in Tränen aus, unfähig, sie wieder zu stoppen, weil ich nicht wusste, ob ich jemals stark genug sein würde, mit meiner Entscheidung zu leben.




    Ich schreckte auf, als ich das Bad verließ und Hans am Esstisch saß und gerade einen Hamburger aß. Ich hatte geglaubt, dass bis auf die Kleinen niemand im Haus sei, aber da hatte ich mich wohl geirrt. Ich wischte noch schnell die letzten Tränen aus meinen Augenwinkeln, holte mir ebenfalls einen Burger und setzte mich zu Hans an den Tisch. Doch mehr als einen lustlosen Bissen brachte ich nicht hinunter. "Ist alles in Ordnung bei dir, Oxana", fragte Hans schließlich vorsichtig. "Ich habe dich eben im Badezimmer gehört und du…du hast geweint." Ihm war es sichtlich unangenehm, mich darauf anzusprechen. Ich wollte seine Besorgnis schnell wegwischen und ihm erzählen, dass alles in bester Ordnung wäre und er sich nur verhört hätte. Doch ich brachte kein Wort heraus. Stattdessen hob ich hilflos meine Hände und wieder füllten sich meine Augen mit Tränen.




    "Es ist in Ordnung, wenn du weinst, Oxana. Du warst die ganzen letzten Tage für uns da und das war sicher nicht leicht für dich. Mama ist deine beste Freundin. Da ist es doch klar, dass du dir Sorgen um sie machst. In den letzten Tagen waren wir nur mit unseren eigenen Ängsten beschäftigt und haben gar nicht bemerkt, dass auch du Angst hattest. Aber jetzt wird alles wieder gut. Gott muss auf Mama und Papa aufgepasst haben, als sie die Klippe herunter gestürzt sind und es trotzdem überlebten. Und er wird auch weiterhin auf die beiden aufpassen. Und Mira, Mona, Elli und ich können wieder selbst auf uns Acht geben. Wir möchten zwar weiterhin, dass du bei uns bleibst, aber du musst uns nicht jede Last abnehmen."




    Seine Worte waren tröstlich für mich. Zwar ahnte Hans nicht im Geringsten, weswegen ich eigentlich geweint hatte, aber durch seine Worte wurde mir etwas bewusst: Gerda war meine beste Freundin. Und egal was ich für ihren Mann auch empfand, jetzt musste ich für sie da sein. Sie brauchte meine Hilfe, um wieder auf die Beine zu kommen. Auf dieses Ziel musste ich mich jetzt konzentrieren.

  • Kapitel 65: Kein Glück zu zweit




    Da es ihrer Mutter wirklich von Tag zu Tag besser ging, kehrten auch die vier Kinder zu ihrem normalen Tagesrhythmus zurück. Ich half Hans bei der Arbeit auf der Farm, Kinga und Elvira spielten miteinander und Miranda verbrachte viel Zeit mit Lernen, da für sie das Abitur kurz bevorstand.
    Desdemona hingegen trainierte ständig in ihrer Freizeit. Mir war nie bewusst gewesen, wie sehr sie sich für Sport interessierte. Sie kam meistens erst später von der Schule, da sie nachmittags noch zum Fußball-Training musste. Und wenn sie dann doch zuhause war, dann machte sie erst ihre Hausaufgaben und ging, sobald die Sonne etwas tiefer stand, hinaus ins Freie um noch etwas für ihre Kondition zu tun.




    Ich hatte mich oft gefragt, für wenn diese Fitness-Sendungen im Fernsehen liefen. Ich hatte noch die das Bedürfnis verspürt, lustig vor dem Empfangsgerät auf und ab zu hüpfen. Doch Desdemona sah das anders und trainierte oft bis spät in den Abend. Ihr Ziel war es nun einmal, eine großartige Sportlerin zu werden. Und dafür tat sie alles, was nötig war. Und es konnte auch nicht schaden, sich früh in den Sportklubs der Stadt umzusehen. Auch wenn sie noch zu jung war, um aktiv in die Profi-Mannschaften aufgenommen zu werden, so konnte sie sich wenigstens durch ihre Hilfsarbeit in das Gedächtnis der Trainer brennen.




    Hans beeindruckte mich mit dem Eifer, den er bei der Farmarbeit an den Tag legte. Solange wie ich hier war, hatte er sich noch nie beschwert, dass er morgens früh raus musste, um sich um die Schweine zu kümmern, noch bevor er zur Schule ging. Und wenn er dann von der Schule kam, dann stand oft noch Arbeit auf dem Feld an, bevor wir Abends dann gemeinsam nach Seda Azul fuhren, um Gerda und Albert im Krankenhaus zu besuchen.




    Ansonsten verbrachte er viel Zeit mit seinem Schulfreund Mika. Die beiden trafen sich entweder bei Hans zuhause oder sie gingen rüber zu der Farm von Mikas Eltern, die etwas weiter außerhalb lag. "Wir brauchen mal Ruhe von den blöden Hühnern hier", erklärte er dann immer und zeigte dabei auf seine beiden jüngeren Schwestern Desdemona und Elvira. Bei Miranda hätte er sich so ein Verhalten nie erlaubt. Sie war immerhin die älteste im Haus und hatte ihren Geschwistern auch früh klar gemacht, wer das Sagen im Hause Kappe hatte.




    Miranda lernte viel, zumindest tat sie es meistens. Aber irgendwann hat man genug vom Lernen. Und da kam es ihr ganz recht, dass ein netter junger Mann sie ab und an abends abholte und mit ihr etwas unternahm. In den ersten Tagen, die ich in Alberts Haus verbrachte, war mir nicht aufgefallen, dass Miranda mit jemandem zusammen war. Aber als wir von Gerdas Besserung erfuhren, ist sie Händchen halten mit Vladimir aus dem Bus gestiegen. Und da man bei drei Geschwistern, einem fünfjährigen Kind und einer Anstandsdame im Haus nie seine Ruhe haben konnte, verzogen die beiden sich lieber in die Anonymität des Clubs im Stadtkern. Beide waren über 18 und außerdem sah ich nichts Schlimmes daran, wenn sie mal wieder etwas Spaß hatte.




    Aber was sollte den auch schon passieren? Die beiden waren schließlich in der Öffentlichkeit. Außerdem vertraute ich darauf, dass Gerdas religiöse Erziehung ihre Spuren bei den Kindern hinterlassen hatte. Sicherlich würde Miranda mit ihrem Freund nur etwas Pool spielen. Vielleicht auch ein oder zwei Cocktails schlürfen und sich dann ordentlich auf der Tanzfläche austoben. Nichts anderes hatte ich gemacht, als ich in ihrem Alter war. Ach, was waren das doch für Zeiten, als ich unbeschwert mit Roland und Tristan die Clubs der Gegend unsicher machte.




    Ganz sicher würde sie nicht in aller Öffentlichkeit über ihren Freund herfallen und wild mit ihm rumknutschen. Und ganz sicher würde sie nicht noch weiter gehen. Nein, ich hatte keine Bedenken, Miranda abends mal ausgehen zu lassen.




    Verliebt schlenderte sie Hand in Hand mit Vladimir zurück zum Haus ihrer Eltern. Und obwohl es spät war, könnten sich die beiden kaum voneinander lösen. Ein flüchtiger Beobachter hätte fast meinen können, irgendein Scherzkeks hätte Mirandas Lippenpflegestift gegen einen Klebestift ausgetauscht und die beiden könnten ihre Lippen deshalb nicht mehr voneinander lösen.




    Schließlich gelang es ihnen doch. Und obwohl Vladimir diesen gelungenen Abend keineswegs zerstören wollte, schnitt er doch ein Thema an, dass ihm schon länger auf der Seele brannte. "Hast du dich endlich entschieden, auf welche Uni du nach dem Abi gehen möchtest, Mira?" Mirandas Gesicht wurde urplötzlich ernst und Vladimir erging es nicht viel anders. Die beiden hatten dieses Thema lange gemieden, aber irgendwann mussten sie darüber sprechen. "Ich kann jetzt nicht weg, Dimi. Ich kann meine Eltern jetzt nicht alleine lassen."




    "Ich werde mich in der Fiesta Tech einschreiben. Die Uni ist mit dem Auto gerade mal 45 Minuten von Sierra Simlone Stadt entfernt. Ich weiß, es ist keine tolle Uni. Nicht so wie die staatliche Universität von SimCity oder die Akademie Le Tour in Nantesim, aber es ist eine gute Uni. Ich kann so zu Hause wohnen bleiben und Mama und Papa helfen, sobald sie aus dem Krankenhaus entlassen werden. Und ich kann weiterhin ein wachsames Auge auf Mona, Vira und auch auf Hans haben, auch wenn er ganz sicher abstreiten würde, dass er das nötig hat. Und hey, wenigstens haben wir hier in der Sierra Simlone immer bombiges Wetter. Glaubst du etwa, ich will das aufgeben?" Sie lachte, doch ihr Lachen klang eher gequält als ausgelassen. Beide wussten, dass sie lieber auf eine andere Uni gegangen wäre. Am liebsten zusammen mit ihrem Dimi.




    Und dasselbe wollte Vladimir. "Komm mit mir nach Flamingo Beach, Mira." Er nahm ihre Hände und sah sie mit solch einem sehnsüchtigen Blick an, dass sie nicht in der Lage war, seine Bitte abzuschlagen. Zusagen konnte sie aber auch nicht, also schwieg sie. Doch Vladimir gab noch nicht auf. "Ich habe heute die Zusage von der Barbra-Streisand-Universität bekommen. Die wollen mich dort wirklich haben. Barbra-Streisand! Kannst du dir das vorstellen. Es gibt in der ganzen SimNation keine bessere Uni, wenn man Schauspiel studieren möchte. Aber ohne dich würde mir etwas fehlen. und ich weiß nicht, ob ich das aushalten könnte." Miranda hätte ihm nur zu gerne zugestimmt, doch sie konnte es nicht. Nicht nach dem schrecklichen Unfall ihrer Eltern. "Du wirst es aber müssen, Dimi. Ich kann hier nicht weg. Und wenn meine Mutter erführe, dass ich nach Flamingo Beach will, dann würde sie glatt einen Herzinfarkt bekommen. Für sie ist dieser Ort der Sündenphul schlechthin."




    Beide lachten, doch wieder war es ein aufgesetztes Lachen. Was würde passieren, wenn Miranda in der Sierra Simlone bliebe und Vladimir hunderte Kilometer entfernt an der Westküste studieren würde? Natürlich hoffte sie, dass ihre Liebe das überstehen würde, aber die letzten Tage hatten ihr nur zu deutlich gezeigt, wie schnell sich das Leben wandeln konnte. "Lass uns einfach nicht weiter darüber nachdenken und die Zeit genießen, die wir noch haben", sagte sie besonnen, drückte sich dabei aber so fast an ihren Freund, als ob er jede Sekunde verschwinden könnte.







    Es schien so, als ob jeder Liebe Steine in den Weg gelegt wurden. Konnten denn zwei Menschen nicht zusammenfinden und für immer glücklich miteinander sein? Am nächsten Morgen ging ich aus dem Haus, noch eh die Kinder zur Schule fuhren. Die frische Morgenluft tat mir immer gut. Ich nährte mich Alberts Farm über die Feldwege hinter dem Haus und kam auch an dem Schweinestall vorbei. Und plötzlich entdeckte ich etwas Ungewöhnliches. Da stand doch tatsächlich eine einzelne rote Rose. Sie wirkte vor dem schäbigen Verschlag reichlich deplatziert und mir fiel nur ein Mensch ein, der solch ein Geschenk an solch einem seltsamen Ort hinterlassen würde. "Wieder Lust auf einen Long Island Icetea? Ich kühle ihn schon für dich. Dominik", las ich die beigelegte Karte. Das war so typisch für ihn.




    Ich verdrehte genervt die Augen und hob die Rose auf. Erwartete er darauf wirklich eine Reaktion? Sollte ich jetzt etwa rüber in die Simlane laufen, mich erneut betrinken und dann mit ihm in die Kiste hüpfen? "Nur in diesem Zustand findet er einen Zugang zu dir", erklang eine tadelnde Stimme in meinem Kopf und plötzlich bekam ich ein schlechtes Gewissen. Die meiste Zeit war ich wirklich sehr abweisend zu Dominik. Und wenn ich mit ihm schlief, dann hielt sich meine Begeisterung eher in Grenzen. Anders war es nur, wenn ich nicht in der Lage war, klar zu denken. Sei es nun, weil ich zu viel getrunken hatte, oder weil ich psychisch wieder einmal ein Wrack war. Das musste für Dominik wirklich frustrierend sein. Aber er war nun mal nicht Albert. Und an meinen Gefühlen konnte ich nichts ändern.




    Ich stellte die Rose im Wohnbereich ab und begann das Haus etwas aufzuräumen. Es ist unglaublich, welches Chaos fünf junge Menschen anrichten konnten. Ich öffnete nichtsahnend die Tür zu Hans Zimmer, als ich plötzlich einen Anblick zu sehen bekam, der eher nicht für meine Augen bestimmt war. Hans stand halb nackt im Raum und knutschte wild mit seinem besten Freund Mika herum, der ebenso wenig anhatte wie Hans. Da ich die Tür nicht gerade leise geöffnet hatte, starrten beide Jungs erschrocken in meine Richtung und plötzlich stieß Hans Mika hastig von sich weg.




    Ich lief sofort rot an und zog die Tür hastig hinter mir zu. Peinlich, peinlich! Aber wer konnte auch schon ahnen, dass Hans gerade mit seinem Freund rummachte, wenn er eigentlich in der Schule sein sollte? Plötzlich flog die Tür wieder auf und Hans kam herausgelaufen. "Es ist nicht so, wie es gerade aussah!", stammelte er erschrocken.




    Für mich sah das eigentlich sehr eindeutig aus, aber Hans versuchte mich trotzdem vom Gegenteil zu überzeugen. "Ich bin nicht schwul!", rief er panisch. "Das war alles Mikas Schuld. Er hat mich total überrumpelt! Ich wollte das gar nicht. Ich bin keine Schwuchtel!" Dazu fiel mir nichts ein. Ich hatte zwar nur einen winzigen Moment beobachtet, es sah für mich aber keineswegs so aus, als ob Hans zu irgendetwas gezwungen worden wäre. Mikas Blick verfinsterte sich sichtbar bei Hans Worten. Seine Stahl-blauen Augen zeigten erst Unglauben und dann eine tiefe Kränkung. Und während Hans weiterhin versuchte mir klar zu machen, das er ganz sicher nicht schwul sei, schnappte Mika sich seine Klamotten und verschwand wütend und verletzt aus dem Haus.




    Als er die Haustür hinter sich zuknallte, bemerkte auch Hans, dass Mika verschwunden war. Und scheinbar wurde ihm in diesem Moment auch bewusst, was er eigentlich gesagt hatte. Aber statt Mika hinterherzulaufen und sich zu entschuldigen, rannte er zurück in sein Zimmer und schloss sich darin ein. Völlig fertig von dieser unerwarteten Aufregung ließ ich mich auf das Sofa fallen. Wie ich es gesagt hatte; scheinbar war es wirklich unmöglich, dass zwei Menschen glücklich miteinander wurden.

  • Total coole Story! Deine Sims sind voll schön! Ich hoffe es geht bald weiter, bin schon ganz gespannt :o)

  • Hallo Alyson! Danke für dein Lob. Es freut mich sehr, dass du dich einfach mal zu Wort gemeldet hast. Updates gibt es immer am Ende der Woche, also schau dann einfach wieder vorbei. LG

  • Kapitel 66: Alles und Nichts




    Aber mit Hans würde ich mich später befassen müssen. Zu diesem Zeitpunkt hätte er ohnehin nicht mit mir geredet. Ich holte mein Auto von Zuhause ab und fuhr rüber nach Seda Azul. Ohne die Kinder. Auf diese Weise konnte ich ungestört mit Gerda reden. Wir hatten kein bestimmtes Thema im Kopf. Es ging einfach nur darum, sich zu unterhalten und über die Zukunft nachzudenken.




    In der Empfangshalle kam mir Dr. Neopold Mycin entgegen. "Guten Tag Frau Kappe", begrüßte er mich freundlich. "Sind die Kinder heute gar nicht dabei?" Ich bekam ein leicht schlechtes Gewissen, weil ich Dr. Mycin noch immer in dem Glauben ließ, ich sei Alberts Frau. "Ihr Mann ist leider noch immer nicht aufgewacht", berichtete er gleich weiter. "Aber machen sie sich keine Sorgen, es kommt manchmal vor, dass ein Patient etwas länger braucht, bis er sein Bewusstsein noch einer solchen Operation wiedererlangt. Haben sie noch etwas Geduld."




    "Danke, Herr Doktor", entgegnete ich freundlich. "Es beruhigt mich wirklich, das von ihnen zu hören. Allerdings muss ich da etwas klar stellen. Ich bin nicht Frau Kappe. Albert ist nicht mein Mann." Dr. Mycin guckte sehr verwundert, was mir ein lockeres Lachen entlockte. "Mein Name ist Oxana Brodlowska. Ich bin eine gute Freundin der Familie und passe lediglich auf die Kinder auf." Jetzt lachte auch Dr. Mycin über seinen Irrtum. "Sie waren immer so besorgt um Herrn Kappe und verhielten sich ihm gegenüber immer sehr zutraulich. Da habe ich einfach angenommen, sie seien seine Frau. Und ich bin mir fast sicher, eines der Kinder hätte sie "Mama" genannt." "Das war dann sicher die jüngste von den fünf, die kleine mit dem braunen Pferdeschwanz. Das ist meine einzige Tochter." Dr. Mycin schüttelte noch immer lachend den Kopf. "Und ich war mir so sicher. Und die Kinder sehen sich auch so ähnlich."




    Ich lachte zwar weiter, aber in Wahrheit bildete sich ein dicker Klos in meinem Hals. Deshalb war ich auch froh, als Dr. Mycin sich verabschiedete und ich in den Fahrstuhl steigen konnte. Also bildete ich mir Kingas Ähnlichkeit zu Alberts anderen Kindern nicht nur ein. Und Dr. Mycin hat die Kinder lediglich oberflächlich betrachtet. Wenn jemand genauer hinschaute, musste es offensichtlich sein. Mir wurde einmal mehr bewusst, dass ich nicht wollte, dass irgendjemand erfuhr, dass Kinga Alberts Tochter war. Das konnte ich Kinga nicht antun, denn sie liebte Dominik. Und Dominik liebte die Kleine. Und Gerda wollte ich diesen Schock erst recht nicht antun. Nicht in ihrem Zustand. Ich würde mir genau überlegen müssen, wie ich mich weiterhin verhielt.





    Aber auch das musste warten. Als ich in Gerdas Zimmer trat, lag sie nicht wie erwartet im Bett, sondern lächelte mich glücklich aus einem Rollstuhl an. "Schön, dass du gekommen bist Oxana." Obwohl ihr Gesicht immer noch schlimm zugerichtet war, strahlte sie förmlich und ihre Freude übertrug sich auch auf mich. "Endlich bin ich nicht mehr an das Bett gefesselt." Sie rollte vergnügt vor und zurück. Ich war erstaunt, wie fröhlich sie wirkte, allerdings beschlich mich der Gedanke, dass es mehr Show war, als wahre Freude. Wer war schon glücklich darüber, im Rollstuhl sitzen zu dürfen?




    "Lass uns in den Krankenhausgarten gehen", schlug Gerda vor, bevor eine unangenehme Pause aufkommen konnte, in der womöglich ihre wahren Gefühle zu Tage kämen. Ich tat ihr den Gefallen und schob ihren Rollstuhl zunächst in den Fahrstuhl und anschließend die kleine Rampe hinunter, die in die Parkanlage hinter der Klinik führte. "Es ist so schön, wieder die Sonne auf der Haut zu spüren", bemerkte Gerda und streckte ihr geschundenes Gesicht den warmen Sonnenstrahlen entgegen. Aber es war wirklich ein herrlicher Frühlingstag. Die Temperatur lag noch bei angenehmen 24 °C und vom Meer wehte ein frischer Wind und man konnte die Wellen selbst hier noch hören.




    Der plätschernde Brunnen hatte es Gerda besonders angetan und sie bat mich, sie direkt in seine Nähe zu schieben. Gerda erkundigte sich nach den Kindern und ich versicherte ihr, dass es allen vier gut ginge. Von Hans erzählte ich ihr zunächst nichts, zumindest nicht solange, wie ich nicht mit ihm gesprochen hatte. Doch dann musste ich mich einfach nach ihrem Wohlergehen erkundigen. "Sei ehrlich zu mir Gerda, wie fühlst du dich?"




    Sie senkte ihren Blick und die Traurigkeit spiegelte sich in ihrem Gesicht wieder. Da war sie also, die tief getroffene Gerda, die ich eigentlich erwartet hatte, als ich heute in das Krankenhaus kam. "Wie soll es mir schon gehen?", fragte sie leise und ein Hauch von Bitterkeit klang in ihrer Stimme mit. "Ich werde nie wieder laufen können. Und mein Mann liegt immer noch im Koma. Die Ärzte haben sein künstliches Koma schon vor zwei Tagen beendet und er ist immer noch nicht aufgewacht. Und daheim warten vier Kinder auf mich, 137 ha Land die bestellt werden müsse. Es geht mir nicht gut, Oxana. Am liebsten würde ich den ganzen Tag nur weinen. Aber das kann ich mir nicht erlauben. Ich muss nach vorne blicken und hoffen, dass sich alles wieder zum Guten wendet."




    Eigentlich war das genau die Antwort, die ich erwartet hatte. Aber erst als ich die Worte aus ihrem Mund hörte, wusste ich, dass Gerda tatsächlich nur Millimeter davon entfernt war, in ein tiefes Loch aus Wut, Trauer und Schmerz zu fallen. Sie brauchte jetzt jede Hilfe, die sie bekommen konnte. Sie brauchte meine Hilfe. Wenn ich noch die Hoffnung gehabt hatte, dass ich eine Zukunft mit Albert haben könnte, sobald er wieder aufwacht, so begrub ich sie spätestens jetzt. In meinem Leben hatte ich alles, bis auf den Mann an meiner Seite, den ich liebte. Das tat weh, aber ich würde es überstehen. Gerda dagegen war gerade im Begriff alles zu verlieren.




    Ich schob Gerda noch eine ganze Weile im Klinikpark herum. Schließlich führte ich sie zu einem Schachbrett und schlug vor, eine Runde zu spielen. Gerda stimmte zwar zu, mit ihren Gedanken war sie aber nicht beim Spiel. "Ich möchte, dass du meine Kinder auf dem Internat hier in Seda Azul anmeldest", platzte sie ohne Vorwarnung heraus. Über diese Möglichkeit hatten wir bis zu diesem Zeitpunkt noch nie gesprochen. "Sieh mich nicht so überrascht an, Oxana. Es wird noch Wochen oder Monate dauern, bis Albert oder ich wieder auf Norman leben können. Du kannst doch nicht so lange auf die vier Aufpassen. Du hast dein eigenes Leben. Ich denke, es ist das Beste, wenn sie aufs Internat gehen. Außerdem hätten wir die vier dann auch gleich in unserer Nähe."




    "Ich bin müde, Oxana", sagte Gerda, nachdem wir unsere Schachpartie beendet hatten und bat mich, sie zurück in ihr Zimmer zu bringen. Sie wollte ausgeruht sein, wenn die Kinder sie am Abend besuchten. Danach musste ich noch eine Sache tun. Ich musste mich von Albert verabschieden. Doch schon als ich ihn nur aus weiter Entfernung im Bett liegen sah, schwanden all meine guten Vorsätze. Ich wusste, wenn ich nur einen Schritt weiter ginge, dann würde ich meinen Entschluss, ihn gehen zu lassen, nicht aufrechterhalten können. Also blieb ich im Türrahmen stehen und hauchte ihm einen letzten sehnsüchtigen Handkuss zu.







    "Was ist eigentlich ein Intantat?", fragte Elvira ihre ältere Schwester. Die Kinder waren gestern noch im Krankenhaus gewesen und Gerda hatte sie davon unterrichtet, dass alle vier so schnell wie möglich in das Internat in Seda Azul sollten. Elvira hatte da schon nicht verstanden, was das eigentlich heißen sollte, sie wollte die Älteren aber nicht mit ihren blöden Fragen unterbrechen. "Internat! Das ist eine Schule, wo wir gleichzeitig auch wohnen würden", erklärte Desdemona. Elvira nickte zufrieden und aß weiter. Doch dann wurde ihr bewusst, was das heißen sollte. "Kann ich dann nicht mehr hier in Sierra Simlone Stadt zur Schule gehen?", fragte sie entsetzt und ihr kleines Gesicht wurde noch viel unglücklicher, als Desdemona betrübt nickte.




    Auch keiner der drei älteren Geschwister war begeistert davon gewesen, die Schule wechseln zu müssen. Und in ein Internat wollte die drei schon gar nicht. Dennoch hatten sie dem Vorschlag ohne zu klagen zugestimmt, denn im Grunde wussten sie, dass es ein vernünftiger Entschluss war. Ich konnte wirklich nicht für immer bei ihnen bleiben. Und dennoch, glücklich war niemand. Insbesondere Miranda fiel es schwer. So kurz vor dem Abitur die Schule zu wechseln, war nicht gerade das Optimale. Viel wichtiger war aber, dass ihr jetzt nicht einmal mehr die letzten wenigen Wochen mit Vladimir blieben.




    Hans ging mir derweil aus dem Weg. Ich konnte es irgendwo verstehen, trotzdem wollte ich mit ihm über das reden, was ich gestern gesehen hatte. Vorsichtig klopfte ich an seine Zimmertür und trat herein, als ich seine grummelnde Zustimmung dazu erhielt. Er sah nicht zu mir auf, sondern arbeitete weiter stur an seinen Schulaufgaben. Ich wusste nicht genau, wie ich beginnen sollte, als stürmte ich gleich mit der Tür ins Haus. "Wenn du für Mika mehr empfindest, als bloße Freundschaft, dann ist das nichts Schlimmes. Es ist in Ordnung, wenn ein Junge einen anderen Jungen liebt. Niemand wird dich dafür verurteilen."




    Hans Reaktion war nicht die, die ich erwartet hatte. Wütend sprang er von seinem Stuhl auf und schrie mich an. "Ich bin nicht schwul! Und es ist überhaupt nicht in Ordnung, wenn ein Mann einen anderen Mann liebt. Das ist eklig und nicht normal. Und so bin ich nicht. Mama und Papa würden mich hassen. Und auch die Kirche sagt, dass es falsch ist. Glaubst du, dass ich in die Hölle kommen möchte? Ich bin nicht schwul!" Dann setzte er sich wieder an seinen Schreibtisch und schrieb wütend in sein Heft. Als dann auch noch sein Kugelschreiber aufhörte zu schreiben, schmiss er ihn voller Zorn gegen die Wand. So einfach würde ich nicht an Hans herankommen.




    Ich ließ ihn allein. Alles andere hätte jetzt ohnehin keinen Sinn gemacht. "Glaubst du, dass ich in die Hölle kommen will?" Diese Worte hallten immer wieder in meinem Kopf, als ich einen Blick auf das große Kreuz an der Wand warf. Leider vergaß ich nur allzu schnell, dass die Kirche eine sehr uneinsichtige Haltung zur Homosexualität hatte. Und Gerdas christliche Erziehung hatte bei den Kindern sicher ihre Spuren hinterlassen. Auch ich glaubte an die Kirche und an ihren Grundsatz der Nächstenliebe. Deshalb verstand ich ihre Haltung gegenüber zwei Menschen, die sich über alles liebten, aber zufällig dasselbe Geschlecht hatten, nicht. In diesem Punkt musste die Kirche sich irren. Gott würde einen Menschen nicht dafür bestrafen, dass er einen anderen Menschen liebte. Davon war ich überzeugt.




    Jetzt musste ich nur noch Hans davon überzeugen. Also ging ich rüber in die Simlane und kramte in einem alten Fotoalbum. Und ein Bild meiner Familie fiel mir dabei in die Hände. Es war ein altes Bild. Ein Bild aus glücklichen Tagen. Paps und Dad wirkten so verliebt darauf. Leider hatte das Bild auch einen üblen Nachgeschmack für mich, weil ich wusste, dass Dad Paps zu diesem Zeitpunkt bereits betrog. Aber Hans würde das nicht wissen. Er würde zwei glückliche Männer sehen. Ich nahm das Bild aus dem Fotoalbum und ging zurück zu Alberts Haus. Dann ging ich in Hans Zimmer und legte das Foto auf seinen Schreibtisch. "Das sind meine Eltern", erklärte ich. "Zwei Männer, die sich liebten. Und Paps", ich zeigte mit dem Finger auf den braunhaarigen Mann, "war der religiöseste Mensch, denn ich kannte. Ich habe keinen Zweifel daran, dass er jetzt bei Gott im Himmel ist."




    Er schaute sich das Foto lange an. Dann stand er auf und starte aus dem Fenster. "Du hattest wirklich zwei Väter?", fragte er ungläubig. "Ja", antwortete ich glücklich darüber, dass er sich endlich auf ein Gespräch mit mir einließ. "Ich wurde von zwei Männern großgezogen und du kannst mir glauben, in der Beziehung meiner Eltern gab es Höhen und Tiefen, wie in jeder anderen Beziehung auch. Klar ist es nicht der Normalfall, wenn zwei Männer sich lieben. Aber wenn sie es tun, dann ist diese Liebe nicht weniger wert, als eine Liebe zwischen einem Mann und einer Frau." Hans sagte nichts dazu. Ich wusste, dass es noch lange dauern würde, bis er zu seinen Gefühlen stehen konnte. Solche Dinge brauchten einfach Zeit.

  • Kapitel 1. finde ich sehr gut, aber du hast am anfang irgendwie oft von Dad und Paps geredet. --> meintest du die gleiche Person oder sind die schwul und für dich sind beide Papa :'D
    oder ist der eine dein Stiefvater und der andere dein Leiblicher vater , in der Geschichte ? :)

  • Hallo Tracy,


    "Dad" und "Paps" sind zwei Unterschiedliche Männer. Die beiden sind schwul und somit beide Oxanas Väter. "Paps ist dabei ihr leiblicher Vater. Oxanas Mutter war eine Leihmutter und sie kennt sie daher nicht. Ich hoffe, ich konnte die Verwirrung etwas auflösen.
    Ich freue mich, dass du zu meiner Geschichte gefunden hast und warte schon auf die Kommentare zu den weiteren Kapiteln.

  • Kapitel 67: Wieder nach Hause




    Noch am selben Tag rief ich im Internat von Seda Azul an, um die Aufnahme der Kinder zu ermöglichen. Der Direktor der Schule verstand die Notsituation und zog deshalb in Erwägung, die vier tatsächlich mitten im Schuljahr in seinem Internat aufzunehmen. Aber zunächst wollte er sich ein persönliches Bild machen. Also lud ich ihn zum Abendessen ein. Auf diese Weise konnte er Alberts vier Kinder am besten kennenlernen.




    Das Internat war eine private Einrichtung, die ihre Schüler sorgfältig auswählte. Es würde Albert und Gerda eine ganze Stange Geld kosten, die vier dort unterzubringen. Aus diesem Grund war es auch wichtig, einen besonders guten Eindruck bei Direktor Jacoby zu hinterlassen. Als Hauptgericht sollte es einen gefüllten Truthahn geben, denn ich dummerweise noch nicht ganz fertig zubereitet hatte, als Herr Jacoby klingelte. Und das Desdemona gerade ihre Ausdauer auf dem Wohnzimmersofa trainierte war auch nicht gerade förderlich.




    Das Essen wurde aber rechtzeitig fertig und in der Zwischenzeit zeigte die kleine Elvira dem Direktor ihre Ferkel. Dieser schien von dieser Rundführung über den Hof sichtlich erfreut zu sein. Beim Essen fragte er die Kinder dann zu ihren Noten aus, die glücklicherweise bei allen recht gut waren. Zumindest aus schulischer Sicht sprach nichts dagegen, die vier in seinem Internat aufzunehmen.




    Etwas entsetzt war ich dann aber über die Tischmanieren von Herrn Jacoby. Er schlang seinen Truthahn förmlich herunter, sodass Stücke des Essens wild in der Gegend herumflogen. Ich fühlte mich zwar geschmeichelt, dass mein Essen im so gut schmeckte, aber ich warf Hans und Desdemona trotzdem einen irritierten Blick zu, den die beiden nur Achselzuckend erwiderten.




    Nach dem Essen verzogen sich Kinga und Elvira gleich in ihr Bett. Die ständige Fahrt zum Krankenhaus nach Seda Azul machte Elvira immer so müde. Deshalb könnte ich dem Direktor das Zimmer der Mädchen nur mit einer kleinen Bewohnerin im Bett zeigen. Erstaunlicherweise zeigte der Direktor sich sichtlich beeindruckt. "Das Haus ist mit so viel Liebe eingerichtet", bemerkte er entzückt. "Alles ist zwar einfach, aber es wirkt so familiär und freundlich."




    Direktor Jacoby sprach nach der kleinen Führung durch das Anwesen der Kappes mit jedem der Kinder. Hauptsächlich ging es um ihre Hobbys und ihre außerschulischen Aktivitäten. Danach unterhielt er sich noch einmal mit mir und bat mich, die Situation der Kappes noch einmal etwas ausführlicher zu schildern. Am Telefon hatte ich mich eher knapp gehalten. Und am Ende des Abends konnte er mir dann verkünden, dass alle vier Kinder ab der nächsten Woche in seinem Internat zur Schule gehen konnten. Mir fiel wirklich ein Stein vom Herzen, als ich seine Entscheidung hörte.







    Nun war es also offiziell. Miranda, Hans, Desdemona und Elvira würden ins Internat gehen. Wieder hielt sich die Begeisterung stark in Grenzen. Aber ich konnte sie verstehen. Schule war mehr als nur ein Ort zum Lernen. Sie würden einen großen Teil ihrer Freunde verlieren. Aber das Internat schien wirklich die sinnvollste Lösung. Um die vier wieder aufzuheitern schlug ich vor, dass warme Wetter zu nutzen und ins Freibad zu gehen. Und tatsächlich lenkte sie dieser Besuch ein wenig ab.




    Überrascht war ich von Desdemonas Wasserscheu. Oder war es eher Angst vor dem Sprungbrett? Auf alle Fälle stieg sie auf das Ein-Meter-Brett. Ihr Annährungsversuch zum Rand des Brettes konnte im besten Fall als vorsichtig beschrieben werden. Doch dann drehte sie abrupt um und war froh, als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Nein, Turmspringen war eine Sportart, die sie ganz sicher nicht betreiben würde. Da blieb sie lieber dem Fußball treu.




    "Los Elli, klettere schneller raus", kreischte King aufgeregt und Elvira stieg wirklich so schnell wie möglich aus dem Wasser. "Der doofe Zeus hat gerade in das Wasser gepullert". Dabei zeigte sie auf einen kleinen rothaarigen Jungen, der einige Meter entfernt von ihnen schwamm. "Iiiii", schrie Elvira laut aus und kletterte noch schneller die Leiter hoch.




    Inwiefern diese Anschuldigung zutraf, konnte ich nicht beurteilen. Aber die Mädchen wollten kein Risiko mehr eingehen und setzten sich lieber auf die warmen Fliesen am Beckenrand und spielten Abklatschen. Miranda war der Trubel im Becken ohnehin zu viel und sie besetzte eine der vielen Poolliegen. Einen braunen Teint musste man sich schließlich erarbeiten. Von nichts kam auch nichts.







    Es war ein schöner gemeinsamer letzter Tag gewesen. Als ich wieder in Alberts Haus war und vom Bett aus, welches in den letzten zwei Wochen zu meinem Bett geworden war, das Fenster betrachtete, wurde es schwer um mein Herz. Doch bevor ich wieder in tiefe Traurigkeit fallen konnte kam Hans in mein Zimmer und legte sich zu mir aufs Bett. "Du wirst doch keinem davon erzählen, was du gesehen hast?" Ich schüttelte den Kopf. "Nein, das werde ich nicht, versprochen. Das ist eine Sache, die nur dich etwas angeht. Aber wenn du mit jemandem sprechen möchtest, du weißt, wo ich wohne." "Danke, Oxana", er lächelte mich freundlich an und verließ dann wieder das Schlafzimmer. Ich würde diese vier jungen Menschen wirklich vermissen.




    Am Nachmittag beobachtete ich dann eher zufällig, wie Hans sich mit Mika unterhielt. Ich wollte die beiden nicht bespitzeln, deshalb bekam ich nur einen kurzen Ausschnitt mit. Aber beide jungen Männer schienen ein schwieriges Gespräch zu führen. Mika sah immer noch nicht viel glücklicher aus als beim letzten Mal und Hans wirkte eher unbeholfen. Aber immerhin sprachen die beiden noch einmal miteinander, bevor Hans nach Seda Azul verschwand.




    Dann wurde es auch Zeit, sich von den Mädchen zu verabschieden. Ich wusste, Seda Azul war nur eine Autostunde entfernt, aber es würde nie wieder so zwischen uns werden, wie in diesen letzten zwei Wochen. Ich habe diese Kinder so sehr ins Herz geschlossen, wie ich es kaum für möglich gehalten hatte. Dann fiel mein Blick zu Kinga, die sich unbeholfen an der Spüle zu schaffen machte. Und mir wurde klar, dass ich in diesen zwei Wochen auch meiner Tochter ein ganzes Stück näher gekommen war.




    Und dann half ich ihnen beim packen. Viel würden sie nicht brauchen. Ein paar Kleider und einige persönliche Gegenstände. Der Aufenthalt im Internat sollte schließlich nur eine vorübergehende Maßnahme sein, bis es Albert und Gerda wieder besser ging. Trotzdem war es für Miranda ein seltsames Gefühl, all ihre Sachen in Kisten verschwinden zu sehen. Irgendwie fühlte es sich an, wie ein Abschied für immer.




    Und am späten Nachmittag erschien dann der internatseigene Bus, der die vier Kinder zum Schulgebäude in Seda Azul bringen sollte. Die älteren Geschwister verstauten ihre Koffer und Kisten im Gepäckraum des Busses. Dann verabschiedeten sie sich noch einmal herzlich von mir und stiegen anschließend in den Bus. Elvira war die letzte die einstieg. Und bevor sie es tat, warf sie sich mir um den Hals. "Ich werde dich ganz doll vermissen, Tante Oxana", flüsterte sie mir zu. "Aber ich bin auch ganz froh, endlich wieder bei Mama und Papa zu sein. Du kommst uns aber besuchen, oder?" "Natürlich komme ich", versprach ich ihr und dann stieg auch sie in den Bus und winkte mir so lange durch das Fenster zu, bis der Bus hinter der leichten Anhöhe verschwand.




    Das Haus wirkte seltsam leer ohne die vielen Kinder. Ich versicherte mich, dass alle Elektrogeräte und der Herd ausgeschaltet waren und rief dann Kinga. "Gehen wir jetzt wieder zu Papa?", fragte sie aufgeregt. "Und zu Constance? Und zu Onkel Tristan und Onkel Roland?" "Ja, wir gehen wieder nach Hause", erklärte ich ihr und es gelang mir nicht ganz meine Trauer zu überdecken. Doch sie hörte es nicht. "Das ist toll", jubelte King. Dann nahm ich sie an der Hand, führte sie aus dem Haus, schloss die Tür hinter mir ab und wir machten uns auf den Weg, zurück in die Simlane.

  • Kapitel 68: Wenn Träume wahr werden




    "Zuhause, zuhause!", Kinga freute sich sichtlich darüber, dass wir wieder in der Simlane waren und zeigte dies, indem sie unentwegt auf ihrem Bett auf und ab hüpfte. In mir sah es dagegen anders aus. Ich war nicht unglücklich darüber, wieder in der Simlane zu sein. Da war eher der Wehmut, nicht mehr auf Norman, auf Alberts Farm, zu sein und dieses Gefühl war schwer zu ertragen.




    Aber ich würde mich daran gewöhnen, so wie ich mich an alles in meinem Leben gewöhnt hatte. Ich räumte gerade den Dreck weg, denn meine drei Männer in den letzten zwei Wochen hinterlassen hatten, als Roland aufgeregt nach mir rief. "Oxana, etwas wunderbares ist passiert. Albert ist endlich aus dem Koma erwacht."




    Albert war aus dem Koma erwacht? Ich starte Roland an, als ob ich seine Worte nicht richtig verstanden hätte. "Er ist heute Morgen einfach aufgewacht. Die Klinik hat gerade erst angerufen. Es geht ihm erstaunlich gut. Er kann ganz normal sprechen. Anscheinend hat er durch den Unfall und die Operation keine dauerhaften Schäden erlitten. Er hat nach dir gefragt. Er möchte, dass du sofort ins Krankenhaus kommst." In meinem Kopf drehte sich alles. Albert war aufgewacht. Ich musste zu ihm. Ich musste einfach!




    Ich raste nach Seda Azul. Ich konnte nicht einmal mehr sagen, wie viele Geschwindigkeitsschilder ich einfach ignoriert hatte. Dabei wusste ich nicht einmal, was ich Albert sagen wollte, wenn ich ihn sah. Das einzige was ich wusste war, dass ich ihn jetzt sehen musste. Und trotzdem zitterten meine Knie, als ich mich seinem Bett nährte. Da lag er und schaute entspannt aus dem Fenster, doch als er meine Schritte hörte, drehte er sich zu mir um. Und auf seinem Gesicht zeigte sich dieses Lächeln, dem ich schon bei unserer ersten Begegnung verfallen war. "Da bist du ja endlich, Oxana", sagte er mit kräftiger, tiefer Stimme und mein Herz schmolz dahin.




    Ich konnte nicht anders, als auf ihn zuzulaufen und ihm und den Hals zu fallen. Vergessen waren meine ehrbaren Vorsätze, ihn Gerda zuliebe aufzugeben. Stattdessen brach ich in Tränen aus und weinte all den Schmerz, all die Trauer und all die Angst der letzten zwei Wochen an seiner Schulter aus. "Ist ja gut", flüsterte Albert immer wieder und strich mir tröstend über den Rücken. "Alles ist wieder gut, Liebling. Ich bin ja bei dir. Ich werde dich nie wieder verlassen."




    Er hielt mich minutenlang in seinen Armen. Sein Nachthemd war schon durchtränkt von meinen Tränen, doch es störte ihn nicht. Und mich auch nicht. Ich wollte nur bei ihm sein, seine Wärme spüren. Schließlich versiegten meine Tränen und ich richtete mich wieder auf. Sanft wischte er mit seiner großen Hand die letzte Träne von meiner Wange. Ich wollte diesen Augenblick genießen, doch mein Gewissen erlaubte mir nicht mehr als diese wenigen kurzen Minuten des Glücks. "Du darfst Gerda nicht verlassen", erklärte ich bestimmt. "Sie braucht dich jetzt. Alleine schaff..." "Psssst..." Albert legte seinen Finger auf meine Lippen. "Oxana, ich liebe nur dich. Und Gerda weiß das. Sie hat mich frei gegeben. Wir hatten schon lange Probleme und wir wussten, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis einer von uns ginge. Sie weiß von uns Oxana. Ich habe es ihr noch vor dem Unfall gesagt. Dieses Wochenende in den Bergen sollte einfach nur ein Abschied sein."




    "Gerda weiß es?" Ich musste mich verhört haben. "Aber sie hat nie etwas gesagt. Wir haben die letzten Tage so viel Zeit miteinander verbracht und sie hat nie auch nur etwas angedeutet. Sie müsste mich hassen." "So ist Gerda aber nicht, Oxana. Sie mag dich. Wie soll man dich auch nicht mögen?" Ich schaute scheu in seine Augen und erkannt darin so viel Liebe. "Sie möchte, dass wir glücklich werden, Oxana. Denn sie und ich sind es schon lange nicht mehr."




    "Oh, Albert, ich liebe dich so sehr." Wieder fing ich an zu weinen, aber diesmal waren es reine Freudentränen. Endlich habe ich zu Albert gefunden. Weder der Unfall, noch Gerda oder Dominik konnten uns trennen. Wir würden zusammen glücklich werden. Er zog mich zu sich heran und küsste mich. "Nichts wird uns jemals wieder auseinander bringen, Oxana. Ich möchte für immer mit dir zusammen bleiben." "Versprichst du mir das?" "Ich verspreche es."




    "Bringst du mir einen ordentlichen Kaffee mit", fragte Albert nachdem wir lange Arm in Arm auf seinem schmalen Krankenhausbett gelegen hatten und über unsere gemeinsame Zukunft sprachen. "Die Schwestern geben mir hier immer nur so einen wässrigen Tee." Ich gab ihm einen dicken Kuss, bevor ich vom Bett hüpfte und runter in die Cafeteria fuhr. Er wollte mit mir zusammen ziehen, sobald er aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Mein Herz machte Luftsprünge. Ich hatte das wirklich nicht mehr für möglich gehalten. Nach diesem Unfall dachte ich, alles wäre vorbei und jetzt wendete sich alles zum Guten. Ich würde noch mit Dominik reden müssen, aber dieses letzte Hindernis erschien mir im Moment so winzig klein, dass es meine Freude nicht trüben konnte.




    "So da bin ich wieder", verkündete ich während ich die Tür zu Alberts Zimmer mit meinem Fuß aufstieß und mich bemühte, nichts von dem Kaffee zu verplempern. "Ich hab dir auch einen extra starken mit viel Koffein mitgebracht." Plötzlich bemerkte ich die Schwester, die sich aufgeregt an den Geräten an Alberts Bett zu schaffen machte. Dann drehte sie sich um und lief auf die Tür zu. "Julia, ruf sofort Dr. Mycin", rief sie ihrer Kollegin im Gang zu, ohne auch nur Notiz von mir zu nehmen. Da erst viel mein Blick auf Albert. Sein ganzer Körper zuckte unkontrolliert und seine Augen verdrehten sich.




    Dann wurde ich zur Seite gedrängt, als Dr. Mycin und eine weitere Schwester in das Zimmer gestürmt kamen. Die erste Schwester erklärte dem Arzt irgendetwas und der gab wiederum Anweisungen an die zweite Schwester. In meinem Kopf vermischten sich die Stimmen zu einem großen, undeutlichen Gewirr. "Albert?", flüsterte ich so heiser, dass man es kaum hören könnte. Und dann drang dieses furchtbare Geräusch an mein Ohr.




    Dieses Piepen des Herzmonitors, das immer lauter wurde und immer schneller aufeinander folgte. Der Kaffeebecher rutschte aus meiner Hand und der braune Inhalt verteilte sich auf den weißen Fliesen. "Nein! Nein!", wiederholte ich immer wieder und wich ängstlich zurück. Das könnte nicht wahr sein. Das musste ein schrecklicher Alptraum sein. Ein lang gezogener Piepton! Das Summen von sich aufladenden Kondensatoren drang an mein Ohr, dann das "Alle zurücktreten" aus Dr. Mycins Mund. Alberts Körper hob sich vom Bett. Immer noch dieses Piepen! "300 Volt!" Ein weiteres Aufzucken seines Körpers. Doch der Piepton blieb. Dieser furchtbare Piepton!


    Gedanken:

    Ich stand unter Schock. Was passierte da gerade? Ich war meinem Ziel so nah und plötzlich begann mir alles aus den Händen zu gleiten.
    Die letzten zwei Wochen hatte ich um Albert gebangt. Ich wusste nicht, ob er aufwachen würde, ob er überleben würde, ob wir beide jemals zusammen kommen würden. Und als er aufwachte schien alles o schön. Und mit einem Schlag stand meine Zukunft erneut auf der Kippe.



    Die letzten zwei Wochen hatte ich mich Alberts Kindern gewidmet und dabei festgestellt, dass ich die Mutterrolle für diese Kinder genoss. Wir könnten eine große glückliche Familie werden. Albert musste einfach nur bei mir bleiben. Er durfte mich nicht verlassen. Nicht jetzt!


    Er durfte seine Kinder nicht verlasse. Sie brauchten ihn doch! Wer sollte sich um Norman kümmern, wenn er nicht mehr da wäre? Gerda war gelähmt und Hans noch viel zu jung, um die Verantwortung für eine Farm zu übernehmen. Albert durfte nicht so selbstsüchtig sein und einfach sterben! Wer sollte für die Familie aufkommen? Mit den bisschen, was er und Gerda gesparten hatten, würden sie nicht weit kommen.


    Insbesondere, da das Internat, auf das die vier Kinder nun gehen sollten, Unsummen an Geld verschlang. Es war nur eine kurzfristige Maßnahme, aber selbst die würde ein tiefes Loch in die Familienkasse reißen. Das Bisschen, was Desdemona bei ihren Aushilfsjobs in den verschiedenen Sportclubs der Gegend verdient, war lediglich ein Tropfen Wasser auf dem heißen Stein und konnte höchstens dazu dienen, ihr Taschengeld aufzubessern.

    Auf meinem eigenen Konto sah es zwar etwas besser aus, aber auch ich konnte keine großen Sprünge machen. Schließlich hatte ich eine eigene Farm, die immer wieder Geld benötigte und eine Kind, das ich versorgen musste.


    Deshalb musste Albert das überstehen! Wenn er mich jetzt verließ, dann würde ich es ihm niemals verzeihen.


  • @Seliii
    Es ist auch meine Absicht, euch gut zu unterhalten. Und fürs erste kann ich eure Neugier mit einem neuen Update befriedigen ;) Vielen Dank für deinen Kommentar!

  • Was bisher geschah:
    (Zusammenfassung der vorherigen Kapitel)

    Ich lebte nun schon sechs Jahre mit Dominik zusammen und zog mit ihm ein Kind auf, das gar nicht seins war. Er ahnte natürlich nichts davon, genauso wenig wie Albert ahnte, dass er der Vater meiner Tochter war.
    Trotzdem war ich nicht glücklich mit Dominik, denn ich liebte ihn nicht. Ich war nur mit ihm zusammen, weil ich verhindern wollte, dass irgendjemand meine Tochter Kinga mit Albert in Verbindung brachte. Ich konnte nicht zulassen, dass diese eine unbedachte Nacht seine Ehe und Familie zerstörte.
    Aber ich liebte Albert und er liebte mich. Und schließlich konnten wir nicht mehr widerstehen und begannen eine geheime Affäre, die fast ein Jahr andauerte. Dann verkündete Albert überraschend, dass er seine Frau Gerda verlassen würde, um mit mir zusammen sein zu können. Und ich sehnte mich so sehr nach Liebe und Geborgenheit, dass ich seinem Plan zustimmte.
    Ich musste mich nur noch von Dominik trennen. Doch gerade, als ich mit ihm Schluss machen wollte, erreichte mich ein Anruf von Alberts Tochter Miranda. Vollkommen aufgelöst berichtete sie mir, dass ihre Eltern spurlos verschwunden waren. Sie waren auf dem Weg zu einem gemeinsamen Wochenende, bei dem Albert sich von Gerda trennen wollte. Unterwegs verunglückte jedoch der Wagen und die beiden stürzten einen Abhang hinunter.
    Die Rettungsmannschaft fand die beiden erst Tage später und sie wurden schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht. Da Alberts Kinder nicht allein bleiben konnten, zog ich mit Kinga vorübergehend zu ihnen, um mich um die Vier zu kümmern.
    Der Zustand ihrer Eltern blieb kritisch und meine Angst um Albert wuchs von Stunde zu Stunde. Sowohl er als auch seien Frau lagen im Koma und es war nicht klar, ob sie je wieder aufwachen würden. In meiner Verzweiflung ließ ich mich von Dominik trösten und verbrachte eine Nacht mit ihm.
    Gerda war die Erste, die aus dem Koma erwachte, allerdings war sie gelähmt und würde nie wieder laufen können. Ich versprach ihr, mich weiterhin um die Kinder zu kümmern, bis sie dies wieder übernehmen konnte. Doch glücklicherweise erwachte auch Albert wenig später.
    Er versicherte mir, dass er mich liebte und zwar nur mich und das er sich von Gerda trennen würde, unabhängig von ihrem jetzigen Zustand. Sie wusste bereits von Albert und mir und war mit unserer Beziehung einverstanden. Ich war überglücklich.
    Ich besuchte Albert im Krankenhaus. Ich verließ das Krankenzimmer nur, um mir schnell einen Kaffee zu holen. Doch als ich wiederkam, herrschte an Alberts Krankenbett ein furchtbares Durcheinander. Ärzte und Schwestern liefen hastig umher und Alberts Körper zuckte unkontrolliert. Und dann drang ein Piepen an mein Ohr.



    Kapitel 69: Der einzige Mann, den ich liebte...





    Nur noch die schwere Holztür trennte mich vom Innenraum der Kirche. Doch ich brachte nicht die Kraft auf, sie aufzustoßen und einzutreten. Der Vorraum des Gotteshauses erschien mir in diesem Moment so viel einladender. Der schwere Geruch von jahrhundertealten Gemäuern und von poliertem Holz lag in der Luft und löste eine wohltuende Ruhe in mir aus. Wenn ich diese Tür aufstieße, dann wäre es vorbei mit dieser Ruhe. Dann würde alles Wirklichkeit werden. Dann würde ich ihn zum letzten Mal sehen bevor...




    Der plötzliche einsetzende Klang der Orgel ließ mich hochschrecken. Man konnte die Vibration, die von den hunderten Pfeifen ausging, deutlich spüren. "Mama, wir müssen jetzt rein", lenkte Kinga meine Aufmerksamkeit auf sich. "Alle warten schon auf uns."




    Ja, sie hatte Recht, alle warteten auf uns. Plötzlich erstarb das pompöse Crescendo der Orgel und eine angenehme ruhige Melodie setzte ein. Eine Melodie, die jedem wohl vertraut war. Eine Melodie, von der jedes Mädchen träumte.




    Als der Brautmarsch ertönte, öffneten Kinga und Constance die schwere Kirchentür mit solch einer Leichtigkeit, dass man meinen könne, dass Gotteshaus selbst warte auf mein Eintreffen. Mit meiner linken Hand umfasste ich das Kreuz an meinem Hals und schickte ein kurzes Gebet zur heiligen Jungfrau. Dann atmete ich tief durch, strich ein letztes Mal über mein weißes Seidenkleid und betrat den Gebetsraum.




    Kinga und Constanze liefen mit Elan voraus und verstreuten ihre weißen Blütenblätter über dem weichen Teppich im Mittelgang, der direkt auf den Altar zuführte.




    Ich könnte nicht anders, als zu lächeln. Alles war so überwältigend; der Klang der Orgel, die Sonnenstrahlen, die durch die bunten Bleiglasfenster ins Innere der Kirche fielen. Nein, zu sagen ich lächelte, wäre untertrieben gewesen. Ich strahlte und jeder konnte es sehen.




    Die Kirche war gefüllt mit meinen Freunden und Verwandten. Im Vorbeigehen warf ich ihnen mein schönstes Lächeln zu und wurde mit einem ebensolchen belohnt. Lucy, die Mutter meines kleinen Bruders Orion, ließ sogar einen leisen Ausruf der Bewunderung erklingen, auch wenn sie sich dafür einen etwas verwirrten Blick ihres Lebensgefährten Valerius einfing. Und selbst Dominiks Mutter Glinda warf mir einen anerkennenden Blick zu, eine Geste, die ich bei ihr noch nie zuvor erlebt hatte. Dominiks Vater Anan schaute mich dagegen so liebevoll an wie eh und je.




    Auch Dominiks älteste Schwester Siana zeigte ihre Begeisterung über mein Äußeres. Auch wenn ihr Bruder Dennis und Tristans Freund Frank diese Begeisterung nicht so offenkundig zur Schau stellten, sah ich doch die ehrliche Freude für mich in ihren Augen.




    Mit jedem Schritt kam ich dem Altar näher. Nur noch wenige Meter trennten mich von meinem zukünftigen Leben als Ehefrau. Constance und Kinga hatten ihre endgültige Position bereits eingenommen und warteten nur noch auf meine Ankunft.




    Ebenso, wie meine Familie wartete. Alle waren sie angereist. Aus SimCity und sogar aus Warschau. Neben Tristan saß mein kleiner Bruder Orion, der inzwischen fast schon zum Mann geworden war und Dad immer mehr zu gleichen schien. Auch Dads Schwester Ewa war da und lächelte mir freundlich zu. Über die Anwesenheit meiner Tante Kasia und ihres Mannes Kazik freute ich mich ebenfalls riesig. Während meiner Zeit in Warschau waren sie, neben meinen Großeltern, meine engsten Vertrauten und ich war froh, dass sie bei meiner Hochzeit dabei sein würden.




    Genauso, wie zwei weitere Menschen, die mir in meinen schwierigen Zeiten so sehr geholfen hatten, meine Pateneltern. Tante Sylvia, dezent gekleidet wie immer, begann bei meinem Anblick fast an zu weinen und Onkel Frankie erging es nicht anders, auch wenn er versuchte, sie die Tränen nicht anmerken zu lassen. Ein Mann weint schließlich nicht. Mein Schwager Tobias lächelte mir erfreut zu und auch Miranda nickte anerkennend, auch wenn mir ein gewisser Wehmut in ihrem Blick nicht entging.




    Elvira und Desdemona guckten etwas bedrückten, aber vielleicht fühlten sie sich nur unwohl, weil sie gleich in der ersten Reihe saßen. Aber woanders konnte ich ihre Mutter, Gerda, nicht Platz nehmen lassen. Und ohne meine beste Freundin an meiner Seite konnte ich schließlich nicht heiraten. In ihrem feurigen Kleid sah sie einfach umwerfend aus. Da konnte selbst der Rollstuhl nichts daran ändern.




    Dann fiel mein Blick zu meiner Zwillingsschwester Joanna, die bereits am Altar wartete, bereit, ihre Aufgabe als Trauzeugin zu übernehmen. Ihr Blick wirkte streng. Es war ein Gesichtsausdruck, den ich bei ihr häufiger beobachtet hatte. Früher hat sie immer gelächelt, aber in den Jahren, in den wir uns nicht gesehen hatten, haben wir beide uns verändert. Aber nichts desto trotz konnte ich den Stolz in ihren Augen erkennen und das Zucken ihrer Mundwinkel, die ein Lächeln andeuteten, reichte um mir zu zeigen, wie sehr sie sich freute.




    Das stolze Lächeln auf den Lippen meiner babcia, meiner geliebten Großmutter, war dagegen nicht zu übersehen. Oh, wie hatte sie sich gefreut, als sie aus dem Flugzeug in SimVegas stieg und ich ihr um den Hals fiel. Ohne sie hätte ich nicht vor den Altar treten können. Es war nur zu schade, dass mein Großvater diesen Tag nicht mehr miterleben konnte. Ebenso Paps. Gott sei ihren Seelen gnädig. Doch diese traurigen Gedanken wischte ich schnell beiseite. Für so etwas war jetzt nicht die richtige Zeit. Außerdem heiterte mich der Anblick meiner babcia auf, die Versuchte, Roland etwas auf Polnisch zu erklären und er zwar höflich lächelte, aber eindeutig nicht das Geringste verstand. Brandi war ihm da auch keine große Hilfe.




    Und dann sah ich ihn. Meinen zukünftigen Ehemann, den Partner, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen würde. Den Mann, mit dem ich alle Hürden des Lebens meistern wollte und mit dem ich glücklich werden würde. Da vorne stand der Mann, den ich liebte. Der einzige Mann, den ich liebte.

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  • Kapitel 70: Traumhochzeit




    Langsam drehte er sich um und kam auf mich zu. Sein Blick war ernst wie immer, aber seine Augen funkelten vor Zuneigung. Ein Blick genügte und meine Knie wurden weich. Wie sehr ich diesen Mann doch liebte! Und jetzt würde ich seine Frau werden. Ich würde Frau Oxana Kappe werden.




    An der linken Seite des Altars stand Hans und lächelte mir zu. Von Alberts Kindern hatte ich zu ihm das Beste Verhältnis aufgebaut. Er war sofort begeistert, als er erfuhr, dass ich die Frau seines Vaters werden würde und er platze fast vor Stolz, als sein Vater ihn bat, sein Trauzeuge zu werden.




    Albert reichte mir seine rechte Hand und führte mich die letzten Schritte vor den Altar. "Ich liebe dich, Oxana", flüsterte er mir zu und ich hauchte ein, "Ich liebe dich auch", zurück. Aber Worte waren unnötig. Ich wusste, dass er mich liebte. All die Hindernisse auf unserem bisherigen Weg waren dafür Beweis genug.




    Der Klang der Orgel erstarb und der Priester begann mit dem Gottesdienst. Ich versuchte aufmerksam jedem seiner Worte zu lauschen, allerdings gelang mir das nicht vollständig. Immer wieder erwischte ich mich dabei, wie ich Albert beobachtete und dabei glücklich lächelte. Meine Gedanken schweiften ab in unsere gemeinsame Zukunft, zu unserer Liebe, unseren gemeinsamen Kindern, von denen ich hoffte, dass es viele davon geben würde.




    "Das Brautpaar hat darum gebeten, ein eigens Gelöbnis vortragen zu dürfen", verkündete der Priester, "und eine solche Bitte konnte ich nicht abschlagen. Oxana, wollen Sie bitte beginnen?" Ich hatte mir vorher eine Rede zusammengestellt und sie auf einem Zettel notiert. Aber dieser Zettel war jetzt unwichtig. "Albert, du bist die Liebe meines Lebens. Gleich als ich in der Sierra Simlone ankam wusste ich, dass ich mein Leben mit dir verbringen wollte. Dass es so lange gedauert hat, kann nur ein Zeichen für die Beständigkeit unserer Liebe sein. Ich möchte meine Liebe mit dir teilen und dich glücklich machen, so wie du es jeden Tag aufs Neue mit mir machst. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als deine Frau zu werden."




    Aus den hinteren Reihen hörte ich ein tiefes Schluchzen und erkannte es sofort als das von Onkel Frankie, der sich vor Rührung die Tränen aus den Augenwinkeln wischte. "Oxana, alleine wenn ich deinen Namen höre, überkommt mich eine Welle des Glücks. Du bist eine wunderschöne, intelligente, erfolgreiche junge Frau. Du meisterst jede Schwierigkeit und das bewundere ich so an dir. Mit deiner Hilfe werde ich mit jedem Problem fertig und im Gegenzug werde ich dir dabei helfen, jedes deiner Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Gemeinsam werden wir alles schaffen können, wenn wir nur an unsere Liebe glauben." Alberts Worte gingen mitten in mein Herz und ich konnte meinen Blick kaum von seinen Lippen lösen. Am liebsten hätte ich ihn auf der Stelle geküsst.




    Doch das musste noch warten. "Nun ist es an der Zeit, die Ringe zu tauschen", erklärte der Priester und Hans reichte ihm die beiden goldenen Ringe, die er bis dahin in seiner Hosentasche aufbewahrt hatte. Der Priester segnete die Ringe, die ein sichtbares Symbol unserer Liebe sein würden und reichte den Kleineren der beiden dann Albert. Dieser nahm ihn entgegen und steckte ihn mir an den Ringfinger meiner linken Hand an.




    Dann reichte der Priester mir den verbliebenen Ring und vor Aufregung hätte ich ihn fast fallenlassen. Mit zitternder Hand streifte ich den goldenen Ring auf Alberts Ringfinger. Zum Abschluss falteten wir unsere Hände ineinander. Ich wollte Albert nie wieder loslassen.




    Meine Großmutter lächelte überglücklich. Sie hatte zwar kaum ein Wort dieser Zeremonie verstanden, aber das war bei solch einem Ereignis nicht notwendig. Sie sah die glücklichen Gesichter von Albert und mir und das reichte ihr, um selbst glücklich zu sein. Und auch mein Bruder strahlte. Es schien ihn wirklich zu freuen, dass nun auch seine zweite Schwester verheiratet war.




    Vorsichtig riskierte ich einen Blick zu Gerda. Ich befürchtete, dass sie die Zeremonie nicht ganz so gut aufnehmen würde. Immerhin heiratete ich gerade den Mann, mit dem sie selbst fast 20 Jahre verheiratet gewesen war. Aber in ihrem Blick erkannte ich nur aufrichtige Freude und Zuneigung für Albert und mich.Womit hatte ich eine solche Freundin bloß verdient?




    Der Priester fuhr in der Zeremonie fort, denn noch waren wir nicht am Ende angekommen. Noch fehlte die eine entscheidende Frage und dann würden Albert und ich endlich verheiratet sein. "Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht trennen. Das ist ein Grundsatz unserer heiligen Kirche und deshalb ist die Entscheidung zur Ehe auch von solcher Wichtigkeit. Deshalb stelle ich dir Albert jetzt die Frage:"




    "Willst du, Albert Kappe, vor Gott und seiner Gemeinde, die hier anwesende Oxana Brodlowska zu deiner Ehefrau nehmen, sie lieben und ehren, in guten wie in schlechten Zeiten, so antworte mit 'Ja'". Albert ergriff meine Hand und sah mir tief in die Augen. "Ja, ich will", antwortete er mit seiner tiefen, kräftigen Stimme und ich schwebte in den siebten Himmel.




    "Und willst du, Oxana Brodlowska, den hier anwesenden Albert Kappe zu deinem Ehemann nehmen, ihn lieben und ihm gehorchen, in guten wie in schlechten Tagen, bis das der Tod Euch scheidet, so antworte mit 'Ja' ". Ich blickte in Alberts strahlenden grünen Augen und lächelte ihn verliebt an. Ja, ich wollte ihn heiraten und bis an mein Lebensende mit ihm zusammen leben. Ich öffnete meine Lippen und...Pieeeeep




    Was war denn das eben? Ich räusperte mich verwirrt und versuchte es ein zweites Mal. Pieeeeep. Und wieder nur derselbe Ton. Ich musste doch nur ein einfaches 'Ja' sagen. Mehr war nicht zu tun. Doch als ich meinen Mund erneut formte, drang wieder nur dieses Pieeeeeep hervor. Ich wurde langsam panisch. Albert schaute mich verständnislos an. Die Gäste im Hintergrund begannen aufgeregt zu murmeln. Ich versuchte zu sprechen, doch alles, was meinen Mund verließ, war dieses Piepen, dieses schreckliche Piepen.




    Dieser schreckliche langgezogene Piepton, den ich schon einmal gehört hatte. Wie aus weiter Ferne drangen plötzlich die Erinnerungen auf mich ein. Das Krankenhaus, die panischen Schwestern, die Kommandos des Arztes, die Kaffeetasse, die auf den Fliesen zerbrach, Alberts zuckender Körper und dieses Piepen, dieses furchtbare Piepen!

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  • Kapitel 71: Im Albtraum gefangen



    Panisch riss ich meine Augen auf. Es dauerte einige Sekunden, bis ich realisierte, dass ich nur geträumt hatte. Nichts davon war real gewesen. Es gab keine Hochzeit, keine Ringe, keinen Albert. Albert war tot. Im Halbdunkel des Schlafzimmers konnte ich Dominik erkennen, der ruhig neben mir im Bett schlief. Ich war also einem Alptraum entflohen, um im nächsten aufzuwachen.




    Ich konnte nicht länger neben Dominik liegen bleiben. Ich wollte nur noch weg. Im Dunklen tastete ich mich in Wohnzimmer und setzte mich mit angezogenen Beinen auf die Couch. Es waren nun schon drei Wochen vergangen seit Albert…seit er mir so grausam entrissen worden war. Doch es wurde nicht leichter, ganz im Gegenteil.




    "Brodlowska! Hey, alles in Ordnung bei dir?", Dominik stand plötzlich vor mir und starrte mich besorgt an. Als er das Wohnzimmer betrat, fand er mich auf dem Sofa vor, wie ich geistesabwesend den ausgeschalteten Fernseher anstarrte. Er muss mich schon mehrere Mal angesprochen haben, doch erst jetzt nahm ich ihn wahr. Trotzdem antwortete ich ihm nicht, sondern schaute nur ausdruckslos in sein Gesicht.




    Als ich weiterhin keine Anstalten machte irgendetwas zu erklären oder überhaupt zu reagieren, setzte er sich zu mir. "Brodlowska, es ist gerade mal halb vier morgens. Komm zurück ins Bett. Bitte!" Ich starrte weiter die Wand an. "Du musst damit aufhören, Brodlowska. Du kannst doch nicht ständig in der Nacht allein im Dunkeln sitzen. Das ist nicht gut für dich." Er klang aufrichtig besorgt, doch zu mir drang dies nicht durch.




    "Komm wieder mit mir mit." Er streckte seinen Arm aus um mich an der Schulter zu fassen und mich sanft zurück in das Schlafzimmer zu geleiten.




    Doch als ich die Berührung seiner Hand spürte, zuckte ich erschrocken zusammen und zog mich von ihm zurück. Mein Gesichtsausdruck muss entsetzt gewirkt haben, denn Dominik hatte Mühe, seine Fassung zu bewahren. In seinen Augen mischten sich Sorge, Angst, Wut, Resignation und Enttäuschung. Vor allem Enttäuschung. Doch ich konnte darauf keine Rücksicht nehmen.




    Er Rang mit sich selbst. Noch einmal streckte er seinen Arm aus, um mich zu berühren, doch mein verängstigter Blick ließ ihn im letzten Augenblick seine Hand zurückziehen. Er seufzte resigniert und ging zurück ins Schlafzimmer. Ich saß noch eine ganze Weile regungslos auf dem Sofa. Schließlich legte ich mich hin. Und obwohl ich zum Umfallen müde war, schaffte ich es nicht einmal meine Augen geschlossen zu halten.




    Irgendwann realisierte ich, dass ich vor Rolands Bett stand. Ich überlegte nicht lange, sondern ging einfach an die leere Bettseite und legte mich zu ihm unter die Decke.




    Roland begann sich zwar etwas herumzuwälzen, aber er wachte nicht auf. Zunächst beobachtete ich nur, wie das Mondlicht seine blonden Haare anstrahlte. Eher unbewusst begann ich damit, mit meinem Finger den Umriss seines Schulterblattes nachzuzeichnen. Und eh ich es mich versah, schmiegte ich mich eng an den Rücken meines besten Freundes. Und augenblicklich fielen meine Augen zu und ich fiel in einen erholsamen Schlaf.








    Als ich am Morgen aufwachte, war das Bett an meiner Seite leer. Es war schon hell draußen und ein Blick auf den Wecker verriet mir, dass es bereits nach neun war und Roland somit längst im Krankenhaus sein musste. Ein wenig war ich enttäuscht, dass er fort war. In seiner Nähe fühlte ich mich nach wie vor am geborgensten.




    Auch die Kinder, Tristan und Dominik waren nicht mehr im Haus. Ich war froh, sie nicht um mich haben zu müssen. Ich ertrug es nicht, wenn sie in meiner Nähe waren. Sie versuchten ständig, mich aufzuheitern, doch ich wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden. Und Kinga...wenn ich sie sah, dann kamen sofort alle Erinnerungen an Albert hoch. Und das tat einfach zu weh. Ich wollte meine Tochter nicht um mich haben. Das einzige, was mir Halt gab, war die Arbeit auf der Farm.




    Die Tiere brauchten mich. Und diese tägliche Pflicht hielt mich davon ab, völlig in einem Sumpf aus Trauer und Schmerz zu versinken. Gleich nach Alberts Beerdigung war ich in ein tiefes Loch gefallen. Ich hatte einfach keine Kraft mehr. Ich wollte nur noch zu Albert und es schien einen einfachen Weg zu geben, dieses Ziel zu erreichen. Es waren nicht Dominik oder Kinga, die mich davon abhielten mit dem Wagen in die nächste Schlucht zu stürzen. Es war Grünspan, meine Farm, mein Land, meine Heimat die mich davon abhielt. Aber immer noch stand ich vor diesem düstern Loch und war kurz davor hinein zu springen.




    Ich arbeitete stumpf vor mich hin, nur um eine Beschäftigung zu haben. So ging das nun schon seit Wochen und es half mir, nicht völlig zusammen zu brechen. Während der Arbeit auf der Farm blendete ich alles um mich herum aus. Ich befand mich dann in einer Art Trancezustand und hatte nicht mehr die volle Kontrolle darüber, was ich tat. Und so gewann mein Unterbewusstsein immer wieder die Oberhand und plötzlich stand ich an Alberts Grab auf dem Friedhof von Sierra Simlone Stadt.




    Mich überkam wieder dieser Schmerz, als ich Alberts Namen auf dem schweren Grabstein sah. Weinen konnte ich schon lange nicht mehr. Meine Tränen waren versiegt. Leichter wurde es dadurch nicht, denn so fehlte mir jede Möglichkeit, meinem Schmerz aus mir heraus zu lassen. Ich fühlte mich einfach nur traurig, leer und einsam.




    Ich fand keinen Trost in meiner Familie. Das letzte Jahr mit Albert, die Angst um ihn nach dem Unfall und das unendliche Gefühl des Glücks, als er endlich aus dem Koma erwachte und mir seine Liebe versicherte, hatten mir deutlich gezeigt, dass ich Dominik nicht liebte und ihn auch nie würde lieben können. Und deshalb fürchtete ich mich vor jeder Begegnung mit ihm, denn dadurch wurde mir wieder bewusst, was ich verloren hatte.




    Und auch Kingas Gegenwart machte es mir nicht einfacher. Sie war Alberts Tochter. Das einzige, was mir noch von ihm geblieben war. Aber ich sah sie nicht als Trost, sondern als eine ständig quälende Erinnerung an meine große Liebe, die so unerwartet von mir gerissen wurde. Da ich tagsüber mit der Farmarbeit beschäftigt war, sah ich sie glücklicherweise so gut wie überhaupt nicht. Aber mit Dominik, Roland und Tristan blieben ihr genügend Menschen, die sich um sie kümmerten.




    Diejenige, die unter meiner labilen mentalen Lage am meisten litt, war Constance. Seit das Jugendamt Roland seine Tochter vorbeibrachte, hatte ich sie ins Herz geschlossen. Meine Beziehung zu ihr war in vielerlei Hinsicht sogar besser als zu meiner eigenen Tochter. Doch jetzt war ich viel zu sehr mit meinen eigenen Problemen beschäftig, um auf sie Rücksicht nehmen zu können. Jetzt musste Roland alleine zusehen, wie er seiner Tochter helfen konnte.




    Ich blieb bei Alberts Grab, bis die Sonne hinter dem staubigen Horizont versank. Dann fuhr ich zurück nach Hause. Ich hatte Glück, dass niemand im Wohnzimmer saß, so konnte ich mich unbemerkt ins Schlafzimmer schleichen. Und auch das Bett war noch leer. Mir fiel ein Stein vom Herzen, denn ich hätte vielleicht nicht die Kraft aufgebracht, mich zu Dominik zu legen. Wenn ich Glück hätte, schlief ich bereits tief und fest, bevor er sich auch schlafen legte. Zumindest hoffte ich es sehr.

  • Kapitel 72: Völlig neben der Spur




    Und tatsächlich schlief ich schnell ein. Die Arbeit unter der glühenden Sonne der Sierra Simlone hatte mich ausgelaugt. Außerdem hatte ich seit heute Morgen nichts mehr gegessen. Aber Hunger verspürte ich schon seit Wochen nicht mehr. Ich bemerkte nicht, dass Kinga in mein Zimmer kam und mich wortlos anschaute. Einige Male bewegte sie sich auf das Bett zu, als ob sie zu mir unter die Decke kriechen wollte. Doch jedes Mal wich sie im letzten Moment zurück und verließ das Schlafzimmer wieder.




    Danach machte sie sich für die Nacht fertig, schlüpfte in ihren rosafarbenen Pyjama und legte sich in ihr Bett. Dominik trat zu ihr hinüber, wuschelte ihr durch das Haar und drückte ihr einen Gutenachtkuss auf die Stirn. "Schlaf gut, meine Prinzessin." Dominik wollte schon aus dem Zimmer gehen, als Kinga sich noch einmal aufrichtete und ihn traurig ansah. "Was ist los mit Mami, Papa? Seit wir wieder zurück sind, ist sie so komisch. Hat sie uns nicht mehr lieb?"




    Dominik gab sein Bestes um zu lächeln und seine Tochter zu beruhigen. "Natürlich hat Mami uns noch lieb. Sie ist nur traurig, weil es Tante Gerda nicht so gut geht. Aber jetzt musst du schlafen." Er küsste sie noch ein letztes Mal und Kinga legte ihren Kopf auch brav auf ihr Kissen und schloss ihre müden Augen. In Wahrheit war Dominik sich überhaupt nicht sicher, was mit mir los war. Seit dem Unfall von Albert und Gerda zog ich mich immer weiter von ihm und Kinga zurück. Er hat schon so oft versucht, mit mir darüber zu sprechen, doch ich schwieg ihn meist nur an oder ging ihm ganz aus dem Weg. Natürlich war Alberts Tod auch für ihn ein Schock gewesen und Gerdas Zustand hat ihn nicht kalt gelassen. Aber er konnte nicht verstehen, warum es mir Wochen danach immer noch so schlecht ging. Wie sollte er auch?








    Als er schließlich ins Schlafzimmer kam und sich zu mir ins Bett legte, wurde ich wieder hell wach. Am liebsten wäre ich sofort aus dem Bett gestiegen, doch ich wartete, bis ich sein gleichmäßiges Atmen hörte und schlich mich erst dann unbemerkt hinaus. Ich wollte auf keinen Fall, dass er mir folgte, wie letzte Nacht. Und um nicht wieder in traurige Erinnerung an Albert zu verfallen, schnappte ich mir den Putzeimer und begann mitten in der Nacht das Bad zu schrubben.




    Ich putzte die ganze Nacht hindurch. Das Haus hatte immerhin zwei Bäder und die Küche war in einem sechs Personen Haushalt ohnehin kaum sauber zu halten. Die Sonne begann schon aufzusteigen, als Roland verschlafen aus seinem Zimmer trat. Er fuhr erschrocken zusammen, als er mich plötzlich vor sich stehen sah. Doch ich lächelte ihn freundlich an. Es war schön, ihn zu sehen. Die letzte Nacht bei ihm im Bett hatte mir wirklich gut getan und vielleicht konnte mein bester Freund mich ja noch mehr aufheitern.




    Doch dazu sollte es nicht kommen. Ich wollte ihn eigentlich nur Umarmen, um ihm zu danken, doch Roland löste sich sofort aus der Umarmung und schob mich auf Abstand. "Oxana, du kannst so etwas nicht machen", stammelte er und auf meinem Gesicht machte sich die Verwirrung breit. "Ich bin mit Brandi zusammen und glücklich mit ihr. Da kannst du nicht einfach herkommen und mich halbnackt in Unterwäsche umarmen. Oder dich zu mir ins Bett legen, wie letzte Nacht. Das geht einfach nicht, Oxana. Es gibt Grenzen."




    "Was glaubst du, was Dominik gesagt hätte, wenn er dich bei mir im Bett gefunden hätte? Hast du überhaupt darüber nachgedacht? Ich glaube nicht, sonst hättest du anders gehandelt. Nimm es mir nicht übel, aber im Moment bist du ohnehin völlig neben der Spur. Ich hab lange darüber nachgedacht, aber es wird wohl besser sein, wenn Constance und ich ausziehen. Brandi und ich haben schon darüber gesprochen und da wir ohnehin bald heiraten wollen, erscheint mir dieser Zeitpunkt richtig." Roland wollte ausziehen? Ich fühlte mich wie vor den Kopf gestoßen und konnte darauf gar nicht reagieren.




    Also drehte ich mich hastig um und ging reaktionslos davon. "Oxana, warte!", rief Roland mir hinterher, doch ich hörte gar nicht hin. Ein frustrierter Seufzer entfuhr seinen Lippen. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Er hatte zwar keinen Jubel erwartet, aber dass ich einfach wortlos davon lief? Irgendwie wusste er nicht, was er von meiner Reaktion halten sollte. Vielleicht hätte er dieses Gespräch nicht so zwischen Tür und Angel führen sollen?







    Ich zog mich hastig an. Gerade jetzt musste ich dringend arbeiten, sonst bräche ich direkt zusammen. Doch so leicht ließen sich die neuen Ereignisse nicht verdrängen. Roland wollte ausziehen. Aber das durfte er nicht. Er war mein bester Freund. Wenn er jetzt ginge, wer bliebe mir dann noch? Und ich hatte ihn vergrault! Dieser Gedanke quälte mich am meisten.




    Doch das Gejammer half nichts. Ich konnte meine Tat nicht ungeschehen machen und Roland klang sehr entschlossen. Ich musste einfach damit fertigwerden. Ich musste schon so viel ertragen. Mein geliebter Albert wurde mir grausamst entrissen, was machte da schon der Verlust des besten Freundes? Ich merkte, wie hohl meine eigenen Worte klangen. Also stürzte ich mich wieder in die Arbeit. Die Zitronenplantage, ja, da konnte ich jetzt hin. Dort war immer etwas zu tun.




    Ich arbeitete den ganzen Tag. Hier musste ein Baum eingesprüht werden, dort mussten ein paar kranke Äste abgeschnitten werden. Die Bewässerungsanlage neigte auch dazu, immer wieder auszufallen. Ich war den ganzen Tag beschäftigt. Und bei der Arbeit vergaß ich vollkommen zu essen und zu trinken. Und in der Wüste macht sich Wassermangel schnell bemerkbar. Ich wollte nur noch ein letztes Mal die Sprinkler überprüfen, als plötzlich alles zu schwanken begann.







    Das nächste woran ich mich erinnern konnte, waren die aufgeregten Stimmen von Kinga und Constance. Ich versuchte meine Augenlider zu öffnen, doch ich verlor immer wieder das Bewusstsein. Was war bloß passiert? Nur langsam realisierte ich, dass ich auf dem Boden lag. Und obwohl ich mich noch so sehr bemühte wieder aufzustehen, gelang es mir noch nicht einmal, wach zu bleiben.




    Constance lief laut schreiend zurück zum Haus, um Hilfe zu holen, während Kinga bei mir blieb und anfing bitterlich zu weinen. "Mama, steh wieder auf!", flehte sie mich an und ich hätte ihr den Wunsch nur zu gern erfüllt, aber ich konnte mich kaum rühren.




    Dann spürte ich, wie zwei starke Arme mich umfassten und ich plötzlich vom Boden hochgehoben wurde. "Was machst du bloß für Sachen, Brodlowska", hörte ich wie aus weiter Ferne Dominiks tief besorgte Stimme. Mit Leichtigkeit trug er mich die wenigen Meter von unseren Zitronenbäumen zum Haus. Ich konnte von Glück sagen, dass ich direkt am Haus, und nicht draußen auf den Feldern, zusammen gebrochen war.

  • Kapitel 73: Kraftlos




    Ich wusste nicht, wie viel Stunden vergangen waren, als ich wieder zu mir kam. Ich war verwirrt, aber schließlich erkannte ich, dass ich in meinem Bett lag. Doch wie ich hierhergekommen war, daran fehlte mir jegliche Erinnerung. Was war bloß passiert? "Gott sei Dank, Brodlowska, du bist wach", hörte ich Dominik erleichterten Ausruf als ich versuchte mich kraftlos aufzurichten.




    Irgendwie gelang es mir. "Du hast uns vielleicht einen Schrecken eingejagt. Du warst völlig dehydriert, als die Kinder dich draußen zwischen den Bäumen fanden", erklärt er und langsam kehrte die Erinnerung zurück. "Du hast einen ganzen Tag durchgeschlafen, aber Landschwester Mphenikohl versicherte mir, dass du ansonsten in Ordnung bist. Ein kleiner Kuss für deinen Retter wäre jetzt wohl angebracht." Dominik grinste und legte seine Hand an meinen Rücken um mich zu sich zu ziehen. Doch ich verkrampfte mich augenblicklich und versuchte ihm auszuweichen.




    Er ließ mich daraufhin sofort los. "Brodlowska, was...was...", er versuchte verzweifelt die passenden Worte zu finden, doch ihm wollte nichts einfallen. Als ich weiterhin nur schweigend neben ihm sitzen blieb und teilnahmslos die Wand anstarrte, erhob er sich gefrustet vom Bett und herließ den Raum.




    Wenige Augenblicke später hörte ich ein aufgeregtes "Mami, Mami!" und Kinga stürmte ins Schlafzimmer und warf sich mir um den Hals. "Ich hatte solche Angst!", flüsterte sie und überhäufte mich mit kleinen Küssen. "Du darfst Papa und mich nicht allein lassen! Du darfst nicht!" Sie hielt mich fest umklammert und wollte gar nicht mehr loslassen. Ich ließ es wortlos über mich ergehen. Wenn ich einen Tag weggetreten war, wer hat sich dann um die Farm gekümmert?







    Nachdem er Kinga über mein Aufwachen informiert hatte, brauchte Dominik dringend einen Tapetenwechsel. Sierra Simlone Stadt bot nach wie vor jede Menge Unterhaltungsmöglichkeiten für die Bohrturmarbeiter auf den Ölfeldern und die nahm er jetzt in Anspruch. Doch nach ein, zwei Drinks merkte er, dass er jemanden zum Reden brauchte. Deshalb holte er sein Handy aus der Hosentasche und rief seinen Vater an, der wenig später im Langhorn Saloon auftauchte. "Pa, schön, dass du da bist", begrüßte Dominik seinen Vater Anan mit einer überschwänglichen Umarmung. Der Alkohol zeigte bereits seine Wirkung.




    "Was ist los, Junge", erkundigte Anan sich bei Dominik, nachdem die beiden sich an den Tresen gesetzt hatten und einen Scotch bestellten. "Du klangst am Telefon so bedrückt. Geht es Oxana etwa nicht besser?" "Doch, ihr geht es wieder gut", antwortete er. Doch gleich darauf berichtigte er sich wieder. "Nein, eigentlich geht es ihr überhaupt nicht gut. Seit dem Unfall von Gerda und Albert verhält sie sich seltsam. Sie...sie lässt mich überhaupt nicht an sich heran. Weder emotional noch körperlich."




    "Wir...ich hab schon seit über einem Monat nicht mehr mit ihr geschlafen." Es war Dominik sichtlich unangenehm, das zugeben zu müssen. "Ich weiß nicht, was sie hat. Wenn ich versuche mit ihr zu reden, dann schweigt sie mich an. Wenn ich sie in den Arm nehmen möchte, weicht sie mir aus. Ich hab teilweise das Gefühl, das sie Angst vor mir hat. Ich verstehe das nicht. Ich weiß nicht, was ich falsch gemacht habe."




    Natürlich wusste auch sein Vater darauf keine Antwort. Aber Dominik war einfach nur froh, dass er jemandem sein Herz ausschütten konnte. Die beiden tranken ihre Drinks und plauderten über die Politik und Sport und Dominik gelang es, wenigsten für den Moment seine Probleme zu vergessen. "Sag bloß Ma nichts von meinen Problemen mit Oxana", bat Dominik seinen Vater, als der sich auf den Heimweg machen wollte. "Sie kann Oxana ohnehin nicht leiden und ich hab keine Lust darauf mir erneut anzuhören, dass ich was Besseres verdient hätte." "Keine Angst, Junge. Ich weiß selbst gut genug, wie anstrengend deine Mutter sein kann. Schließlich bin ich seit 35 Jahren mit ihr verheiratet."






    Die nächsten Tage sollte ich mich schonen. Dominik erlaubte mir nicht mehr aufs Feld hinaus zu fahren oder im Obsthain zu arbeiten. Er übernahm die Arbeit in der Zwischenzeit für mich. Doch an meinem Zustand änderte dies nichts. Ich zog mich immer noch von jedem zurück und war bemüht, in meinem Kopf vollkommene Leere herrschen zu lassen. Das klappte auch...meistens zumindest. Doch immer wieder kam die Erinnerung an Albert hoch...an unsere gemeinsam verbrachten Stunden...an ein gemeinsames Frühstück.




    Und dann stieg die Übelkeit in mir hoch. Alles was ich zuvor gegessen hatte suchte sich seinen Weg nach draußen. Und so erging es mir bei fast jeder Mahlzeit. Ich versuchte es vor meinen Mitbewohnern zu verbergen, denn ich hatte keine Lust, noch mehr von ihren Umsorgungen ertragen zu müssen. Ich wollte nur in Ruhe gelassen werden.




    An einem Tag wollte ich wieder raus zu meinen Tieren. Da ich wusste, dass Dominik mich nicht würde gehen lassen, schlich ich nachts aus dem Bett, zog meine Arbeitskleidung an, die ich im Arbeitszimmer versteckt hatte und wollte raus. Doch bereits beim Anziehen überkam mich ein furchtbares Schwindelgefühl und ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten. Und so sehr es mir widerstrebte, ich musste mich wieder umziehen und im Haus bleiben.




    Doch das Schwindelgefühl und die Übelkeit blieben. Inzwischen wurde es egal, ob ich an Albert dachte, oder nicht. Ich konnte nichts dagegen unternehmen und langsam ließ es sich auch nicht mehr geheim halten.




    Und dann brach ich erneut zusammen. Ich erhob mich nur aus dem Sessel, als sich alles um mich herum drehte und dann schwarz wurde. Zufällig war Dominik in meiner Nähe und fing mich auf als meine Knie nachgaben.