Kapitel 79
Erklärungsversuche
Es war nur wenige Tage nach dem recht erfolgreichen Treffen zwischen Jess und Tessas Eltern, als Tessa eines Nachmittags von der Uni nach Hause kam und schon beim Aufschließen der Türe hörte, dass ihr Telefon klingelte.
Freudig ließ sie ihre Tasche fallen und hastete ins Wohnzimmer; bestimmt war es Jess, und sie war gespannt zu erfahren, wie das Treffen im Nachhinein auf ihn gewirkt hatte, denn bisher hatte sich noch keine weitere Gelegenheit ergeben, um mit etwas Abstand darüber zu sprechen.
„Hallo“, rief sie freudig in den Hörer, doch ihre muntere Miene verflog, als sich ihr Gegenüber als jemand anders entpuppte.
„Oh, hallo… Niklas“, sagte sie weitaus gedämpfter und spürte, wie ihr Herz vor Schreck über seinen Anruf schneller zu schlagen begann. Zwar hatte er versprochen, sie anzurufen, nachdem dies aber in den letzten zwei Wochen nicht passiert, dafür aber so viele andere Dinge geschehen waren, hatte sie das Treffen im Park fast völlig vergessen und keinen echten Gedanken mehr daran verschwendet.
Nun, da sie ihn so unerwartet am anderen Ende der Leitung vorfand, fühlte sie sich befangen und nervös zugleich, ließ es sich aber nicht anmerken und versuchte, nicht zu freundlich, aber auch nicht zu kalt zu sagen: „Entschuldige, ich bin gerade erst nach Haus gekommen.“
„Macht doch nichts“, erwiderte Niklas langsam und man spürte, dass auch er unsicher war. „Störe ich dich denn auch nicht?“
„Nein, tust du nicht“, erwiderte Tessa wahrheitsgemäß und wartete schweigend darauf, dass er etwas sagte.
Langsam begann Niklas dann auch zu sprechen: „Nun… ich hab dir ja gesagt, ich würde dich gerne mal anrufen. Tut mir leid, dass ich das erst heute mache, aber die letzten zwei Wochen waren echt vollgepackt.“
„Ja, macht doch nichts“, antwortete Tessa und pusselte an einem Faden herum, der sich aus dem Bund ihres schwarzen Tops gelöst hatte.
„Ganz schön warm ist das heute, nicht?“, fragte Niklas und Tessa musste grinsen. Das Wetter mal wieder, der ultimative Gesprächsstoff, wenn man nicht wusste, was man sagen soll.
„Ja, ist es“, sagte sie dann. „Ich bin froh, dass ich zu Haus bin, in der Uni ist es bei diesen Temperaturen kaum auszuhalten. Wenn ich gleich noch geduscht habe und was lockeres angezogen, werde ich ein neuer Mensch sein.“
Sie schwieg einen Moment und sagte dann: „Aber du rufst mich doch sicher nicht an, um mit mir übers Wetter zu sprechen, oder, Niklas?“
Dieser schluckte am anderen Ende deutlich hörbar und sagte dann langsam: „Nein, natürlich nicht. Ich… Tessa, ich find es einfach so schade, dass alles so gelaufen ist, wie es nun mal gelaufen ist…“
„Nun…“, erwiderte Tessa zögerlich. „Was soll ich dazu sagen, Niklas? Ich hab´s mir nicht so gewünscht, weißt du.“
„Ich weiß, ja“, gab dieser langsam zurück. „Aber ich finde diesen Zustand unerträglich.“
„Welchen Zustand?“, hakte Tessa nach.
„Na, dass wir nicht mehr miteinander sprechen…“
„Tun wir doch gerade.“
„Tessa… komm schon, du weißt, was ich meine.“
Tessa seufzte. „Niklas, was willst du von mir hören?“
Dieser gab einen unsicheren Laut von sich und meinte dann: „Nichts, ich… ich will nur sagen, dass ich nicht weiter mit dir verstritten sein möchte und dass… du mir fehlst, seit wir uns verstritten haben. Und ich mich bei dir entschuldigen will und dir erklären, was damals los war mit mir.“
Tessa zögerte, ehe sie sagte: „Ich weiß nicht, Niklas… ich kann mir nicht vorstellen, wie du das erklären willst.“
Niklas seufzte. „Ja, du hast recht, eigentlich kann ich das, was ich damals gesagt habe, wohl eher nicht entschuldigen. Aber sollen wir uns deswegen für ewig böse sein? So bist du doch gar nicht, Tessa…“
Tessa schluckte und sagte dann: „Niklas, du weißt doch gar nicht mehr, wer ich bin oder wie ich bin. Es sind fast zwei Jahre vergangen seitdem.“
„Ich weiß, entschuldige“, stimmte er ihr zu. „Ich wollte damit nur sagen…“
„Ich weiß schon“, unterbrach ihn Tessa schnell. „Und ich finde es schön von dir, dass du dich entschuldigst… und ja, ich find es auch nicht schön, aufeinander böse zu sein.“
Niklas atmete offenbar erleichtert auf und sagte dann: „Das ist schön. Ich würde gerne mit dir darüber sprechen, was damals los war, Tessa.“
Tessa zögerte einen Moment. Sie war sich nicht sicher, ob sie zustimmen sollte, tat es dann aber doch: „Gut, Niklas, das können wir machen. An was hast du gedacht?“
„Ich würde mich gerne mit dir treffen, wenn´s dir recht ist.“
„Und wann?“
„Sag du etwas. Wann hast du denn Zeit?“
Tessa dachte einen Moment nach. „Diese Woche nicht mehr. Aber vielleicht nächste Woche einmal, nach der Uni, gegen Abend?“
„Das passt super“, erwiderte Niklas freudig. „Treffen wir uns doch am Dienstag um 18 Uhr im Eiscafé in der Schröderstraße. Kennst du das noch?“
„Natürlich“, erwiderte Tessa und dachte mit einem wehmütigen Lächeln daran, wie oft sie und Niklas früher in diesem Café Eis geschlemmt hatten, in der Schulzeit sogar oft gemeinsam mit ihren Freunden.
„Gut, dann bist Dienstag“, sagte sie schnell und legte auf.
Nachdenklich schaute sie dann aus dem Fenster. Ob es so eine gute Idee gewesen war, dem Treffen zuzustimmen?