Du, Jess…“, begann sie vorsichtig. „Was ist denn los? Ist irgendetwas besonderes vorgefallen heute?“
Jess sah sie verständnislos an. „Etwas Besonderes?“ Sarkastisch sagte er: „Naja, wenn du so willst, heute Mittag kamen ein paar Jugendliche vorbei und haben die Mülltonnen unten auf der Straße umgetreten. Das war schon sehr aufregend, ja.“
Tessa schwieg und biss sich nervös auf der Unterlippe herum.
„Bist… du sauer?“, fragte sie dann schließlich.
Jess sah sie wieder fragend an. „Was meinst du?“
„Naja, ich meine ja nur… du bist so… seltsam. Schlecht gelaunt. Ich… ich weiß auch nicht.“
„Das kommt dir nur so vor“, murmelte Jess abweisend und widmete sich wieder seinem Essen.
Tessa drehte unruhig eine Nudel auf ihre Gabel und ließ sie wieder von eben jener gleiten. Sie warf einen Blick aus dem Fenster, es war schon lange dunkel geworden und die Lichter der Hochhäuser blitzten durch das Fenster herein. Ob das Zusammenleben für andere Menschen auch manchmal so schwierig war? Oder lag es nur an Jess´ besonderer Situation?
„Hör mal“, begann sie wieder vorsichtig. „War wirklich nichts? Du redest kein Wort und…“
„Nein, es war nichts“, schnitt Jess ihr das Wort ab.
Tessa biss sich erneut auf die Lippen. Sie fühlte sich mehr als unwohl in ihrer Haut. Instinktiv war ihr klar, dass Jess nicht reden wollte. Auf der anderen Seite konnten sie doch nicht den Rest des Abends hier sitzen und sich wie die Stockfische anstarren!
„Jess“, setzte sie noch einmal an. „Ich… ich finde dich heute wirklich ziemlich schlecht gelaunt, kann das sein?“
Jess zuckte mit den Schultern und langsam riss Tessa der Geduldsfaden.
„Du, hör mal, ich würde dir ja wirklich gerne helfen“, rief sie ratlos. „Aber du musst mir schon die Möglichkeit dazu geben, weißt du.“
Jess schnaubte verächtlich aus und sagte dann patzig: „Du kannst mir ohnehin nicht helfen, also lassen wir das Thema einfach!“
„Was meinst du denn?“, rief Tessa aus. „Was ist denn los?“
„Was los ist? Du kommst hier geschäftig von deinem ach-so-tollen Unitag zurück und wunderst dich, wenn ich schlecht gelaunt bin, nachdem mir hier mal wieder den ganzen Tag die Decke auf den Kopf gefallen ist!“, schnaubte Jess wütend.
Tessa seufzte. „Ach, Jess, das Thema hatten wir doch schon. Ich kann doch nichts dafür, dass ich was zu tun habe im Gegensatz zu dir.“
„Du weißt gar nicht, wie gut du es hast“, sagte Jess säuerlich. „Ich würde gerne mit dir tauschen.“
„Aber Jess, das ist doch kein Dauerzustand“, erwiderte Tessa. „Bald hast du auch einen Job, und im Januar fängt die Abendschule an, dann hast du mehr als genug zu tun. Außerdem hältst du hier so toll sauber und ordentlich, so hat die Wohnung noch nie ausgesehen. Und du kochst so leckere Sachen wie das hier.“
Jess wies verächtlich auf den leeren Teller.
„Das findest du also eine tolle Beschäftigung?“
„Nun, es ist zumindest eine“, erwiderte Tessa und merkte, wie sie allmählich selbst säuerlich wurde. „Hör mal, Jess, ich kann nichts dafür, dass es im Moment so ist, wie es ist. Du kannst mich nicht dafür verantwortlich machen, nur weil ich ein geordnetes Leben habe und du nicht.“
Sie biss sich im selben Moment auf die Lippen, wie ihr die Worte entschlüpft waren.
Jess schnaubte aus. „So siehst du das also!“, rief er und schob den Stuhl zurück. „Ich hab´s mir gedacht!“
„Nein, so hab ich das nicht gemeint, das weißt du. Ich wollte damit nur sagen, dass… ich würde dich auch etwas wünschen, dass dich mehr fordert, aber es ist nicht richtig, dass du mir ein schlechtes Gewissen machst, weil ich das habe, was du dir wünschst… Hör mal, ich weiß, du hast heute sicher wieder keinen Job gefunden, aber du musst nur noch etwas Geduld haben. Du wirst schon etwas finden, da bin ich sicher“, sagte sie zuversichtlich und versöhnlich.
Doch Jess schnaubte nur und trat zu ihrem Entsetzten wütend an den Stuhl, der bedenklich zu wackeln begann. Dann raufte er sich die Haare.
„Das sagst du so einfach! Immer sagst du sowas, dabei hast du überhaupt keinen blassen Schimmer, wie es wirklich ist!“
Tessa stand nun ebenfalls auf und ging auf ihn zu.
„Hör auf, Jess“, sagte sie nun mit fester Stimme. „Du reagierst gerade völlig über! Krieg dich bitte wieder ein!“
Jess jedoch blieb weiterhin wütend und ging aufgeregt im Zimmer auf und ab.
„Du weißt gar nicht, wie das ist!“, stieß er hervor. „Immer wieder anzurufen, immer wieder diese Absagen zu erhalten, sobald die Frage nach dem Lebenslauf gestellt und von mir wahrheitsgemäß beantwortet wurde!“ Er drehte sich zu ihr herum.
„Es ist, als sei ich lebendiges Gift!“, rief er aufgebracht. „Gift, verstehst du! Ich bin nach wie vor der Abschaum der Gesellschaft, ob clean oder nicht!“
Tessa schluckte, sie wusste nicht recht, was sie erwidern sollte.
„Ich kann mir vorstellen, wie schwer das sein muss…“, setzte sie schließlich an.
Jess fuhr herum. „Ach ja? Woher willst du dir das vorstellen können? Du hast immer ein behütetes Leben gehabt, du weißt nicht, wie es ist, auf der untersten Stufe der Gesellschaft zu stehen!“